Man wirft mir einen unfreien Standpunkt vor. Man hat Recht. Ich bin nicht frei. Ich bin gebunden an meine Überzeugung. Meine Überzeugung ist, dass Gottes Wort Wahrheit und dass demnach Christo gegeben ist alle Gewalt im Himmel und auf Erden. Dieser Überzeugung bin ich untertan in meinem Sinnen und Streben. Kann ich anders? Ich kann nicht anders, ohne mich zu entwürdigen. Mach' ich mich frei von meiner Überzeugung und quäle mich, zu denken, zu reden und zu handeln nach fremder Überzeugung: dann erst bin ich ein elender Sklave! Unfrei im verwerflichen Sinne ist demnach nur Der, welcher wider die eigene Überzeugung fremder Überzeugung huldigt. Er hat sich frei gemacht von seiner Überzeugung und in die Knechtschaft der fremden gegeben. Gottes Wort und Zeitgeist stehen sich heute einander gegenüber. Wer sich jenem ergibt, heißt unfrei, wer sich diesem ergibt, heißt frei. Torheit, Keiner von Beiden ist frei. Auch ist die Freiheit nicht das höchste Gut, ja an sich gar kein Gut, und Gebundenheit nicht das höchste Übel, ja an sich gar kein Übel. Wir haben immer zu fragen, wovon wir frei sind, woran wir gebunden sind. An die Wahrheit sollen wir gebunden sein, von der Unwahrheit sollen wir frei sein. Drum wer mein ehrlicher Widersacher sein will, der werfe mir nicht ferner Unfreiheit vor die geb ich zu sondern Unwahrheit wenn er kann! Ich wechsele sofort die Herren, wenn er mich überzeugt und diene der Wahrheit, die ich glauben muss. Von ihr will ich nicht frei sein. Ja, die Wahrheit, nicht die Freiheit ist das höchste Gut. Wär's nicht so, die Gewissenlosigkeit stände höher, als die Gewissenhaftigkeit; denn jene ist Freiheit, diese Gebundenheit. Der zivilisierte Wilde opfert von seiner Freiheit der Wahrheit und der bekehrte Ehebrecher kehrt zurück in die Schranken des göttlichen Gesetzes. O Herr, die Wahrheit bleibe meine Gebieterin! Lass mich ihr Knecht sein, damit ich frei bleibe und immer freier werde von der Unwahrheit! Aber diese Freiheit ersehne ich von ganzem Herzen; drum komme ich zu Dir, mein Heiland, der Du gesagt hast: „So ihr bleiben werdet an meiner Rede, so seid ihr meine rechten Jünger, und werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen.1)“ Wenn ich Deiner Wahrheit mich ergebe, Deiner Wahrheit diene, so wirst Du mich frei machen von der Knechtschaft der Unwahrheit und das mit auch der Sünde. O mache mich zum Gottesknecht! Lass mich merken auf Dein Wort: „Da ihr der Sünde Knechte wart, da wart ihr frei von der Gerechtigkeit.2)“ „Nun ihr aber frei geworden seid von der Sünde, seid ihr Knechte geworden der Gerechtigkeit.3)“ Mein Heiland, ich bitte um Gebundenheit, um Gebundenheit an Wahrheit und Recht, Gebundenheit an Dich! Ich bitte um Freiheit, aber nur um Freiheit von Wahn und Sünde. Und wenn die ganze Welt die Unwahrheit für Wahrheit und die Knechtschaft für Freiheit hielte, bewahre mich vor ihrem Trugbilde und lass mich bestehen „in der Freiheit, damit Du mich befreiet hast.“ „Wenn ich den Menschen noch gefällig wäre, so wäre ich Christi Knecht nicht.4)“