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Baur, Gustav Adolph - Das Gebet im Namen Jesu.

Am Sonntage Rogate.
Bittet, so wird euch gegeben; suchet, so werdet ihr finden; klopfet an, so wird euch aufgethan. Denn wer da bittet, der empfähet; und wer da suchet, der findet; und wer da anklopfet, dem wird aufgethan. - Amen.

Noch einmal, in Christo geliebte Freunde, und heute zum letztenmale laßt mich euch aufmerksam machen auf die bedeutsamen Namen, welche die sechs Sonntage zwischen dem Osterfeste und Pfingstfeste nach alter kirchlicher Sitte führen. Auf den Tag, welcher die Auferstehung Jesu Christi und seinen Sieg über Tod und Hölle verkündiget, folgt zuerst der Sonntag Quasimodogeniti, „Wie neugeboren.“ Daran reiht sich der Sonntag Misericordias Domini, d.i. „Die Barmherzigkeit des Herrn.“ Weiter folgen die Sonntage Jubilate, „Jauchzet,“ und Cantate, „Singet;“ dann der heutige Sonntag Rogate, „Betet,“ und endlich der Sonntag Exaudi. „Erhöre,“ welcher uns unmittelbar vorbereiten soll auf das Fest der Ausgießung des Heiligen Geistes. In der That liegt in diesen Namen das Wesen und Wirken der christlichen Heilsordnung in seinen Grundzügen ausgesprochen. Sie halten uns das Ziel des christlichen Heiles vor und geben uns zugleich den Weg und die Mittel an, auf welchem und durch welche wir zu diesem Ziele gelangen. Daß wir im Glauben an den, der für uns gekreuzigt und auferstanden ist, wiedergeboren werden sollen zu einem neuen Leben, das ist ja der eigentliche Zweck, zu welchem Gott seinen eingeborenen Sohn in die Welt gesandt und in den Tod gegeben und das Wort der Wahrheit in uns gepflanzt hat, welches kann unsere Seelen selig machen. Es ist dieß aber geschehen nach dem Rathe der Barmherzigkeit des Herrn, unseres Gottes, welcher trotz unserer Sünden uns doch nicht verwirft, sondern will, daß uns allen geholfen werde, und welcher darum in seinem lieben Sohne das Wort von der Versöhnung unter uns aufgerichtet hat. Und wem nun das Wort von der Barmherzigkeit des Herrn das Herz getroffen hat, wer der Gnade Gottes in Christo in lebendiger Erfahrung gewiß geworden ist: nun, Geliebte, dessen Herz kann ja singen und jubeln um der großen Freude willen, die ihm verkündet ist in der frohen Botschaft, daß auch ihm der Heiland geboren ist. Soll aber unser Gott in seiner Gnade sich uns nahen, so müssen wir auch ihm nahen in herzlichem, demüthigem und gläubigem Gebet. Und wenn wir mit dem rechten Sinne beten, so bleibt endlich auch die Erhörung nicht aus. In der Kraft des Geistes, welcher auf die Apostel am Pfingstfeste ausgegossen wurde, ziehet der gnädige Gott ein in das wohlbereitete Herz, reinigt uns von unseren Sünden, hilft unserer Schwachheit auf, erfüllt uns mit den Kräften der unsichtbaren Welt und führet uns unter der Leitung seines Sohnes und seines Heiligen Geistes immer tiefer hinein in die selige Gemeinschaft mit seinem ewigen Leben. Aber, wie gesagt, Geliebte, wenn solche Erhörung uns zu Theil werden soll, so müssen wir recht beten. Und dazu ermahnt uns denn unser Herr und Erlöser selbst in dem Evangelium des heutigen Sonntages Rogate. Und er ermahnt uns nicht allein: er gibt uns auch über die Art und Weise des rechten und wirksamen Gebetes die vollkommenste Belehrung. Lasset uns denn dem Gott der Gnade im Gebete unsere Herzen aufschließen, damit er mit seinem heiligen Geiste bei uns einkehre!

Lied: 479, 3.

O du Glanz der Herrlichkeit,
Licht vom Licht, aus Gott geboren,
Mach' uns allesammt bereit,
Oeffne Herzen, Mund und Ohren!
Unser Beten, Flehn und Singen
Laß, o Jesu, wohl gelingen!

Text: Joh. 16, 23-33.
Und an demselbigen Tage werdet ihr mich nichts fragen. Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: So ihr den Vater etwas bitten werdet in meinem Namen, so wird er es euch geben. Bisher habt ihr nichts gebeten in meinem Namen. Bittet, so werdet ihr nehmen, daß eure Freude vollkommen sei. Solches habe ich zu euch durch Sprüchwort geredet. Es kommt aber die Zeit, daß ich nicht mehr durch Sprüchwort mit euch reden werde, sondern euch frei heraus verkündigen von meinem Vater. An demselbigen Tage werdet ihr bitten in meinem Namen. Und ich sage euch nicht, daß ich den Vater für euch bitten will; denn er selbst, der Vater, hat euch lieb, darum, daß ihr mich liebet, und glaubet, daß Ich von Gott ausgegangen bin. Ich bin vom Vater ausgegangen, und gekommen in die Welt; wiederum verlasse ich die Welt, und gehe zum Vater. Sprechen zu ihm seine Jünger: Siehe, nun redest du frei heraus, und sagst kein Sprüchwort. Nun wissen wir, daß du alle Dinge weißt, und bedarfst nicht, daß dich Jemand frage. Darum glauben wir, daß du von Gott ausgegangen bist. Jesus antwortete ihnen: Jetzt glaubet ihr. Siehe, es kommt die Stunde, und ist schon gekommen, daß ihr zerstreuet werdet, ein jeglicher in das Seine, und mich allein lasset; aber ich bin nicht allein, denn der Vater ist bei mir. Solches habe ich mit euch geredet, daß ihr in mir Frieden habt. In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.

Ihr sehet, meine geliebten Freunde, der Hauptgegenstand, um welchen es in diesem Texte sich handelt, ist das Gebet, und zwar das Gebet im Namen Jesu. Von dem Gebet im Namen Jesu will ich denn jetzt auf Grund dieses Textes zu euch reden. Möge der gnädige Gott um seines Sohnes willen auch das Wort dieser Predigt an uns allen lassen gesegnet sein! Der Herr selbst aber belehrt uns in unserem Evangelium erstens über den Grund, auf welchem das Gebet in seinem Namen ruht, zweitens über die Gesinnung, von welcher es ausgehn muß, und drittens über den Segen, welchen es wirket.

I.

Auf unsere erste Frage nach dem Grunde, auf welchem das Gebet im Namen Jesu ruht, ergibt sich freilich die Antwort von selbst, daß der Glaube an Jesum, als unseren Erlöser und Versöhner, der Grund sein muß, auf welchem das Gebet im Namen Jesu allein ruhen kann. Denn dieses Gebet ist ja nicht etwa eine Zauberformel, mittels deren auch ein Ungläubiger die Erfüllung seiner äußerlichen Wünsche erreichen kann, sondern wer nicht an Jesum glaubt, der kann auch nicht im Namen Jesu beten. Unsere Aufgabe aber ist, uns darüber klar zu werden, wie der Glaube an Christum auf unser Gebet eingewirkt hat und ein wirken muß, um ihm die besondere Gestalt zu geben, in welcher es eben zu einem Gebete im Namen Jesu wird. - Worin nun der allgemeine Grund besteht, auf welchem all unser Beten beruht, das deutet der Herr selbst zu Anfange unseres Textes an, wenn er sagt: „Wahrlich, wahrlich ich sage euch: so ihr den Vater etwas bitten werdet in meinem Namen, so wird er es euch geben.“ Die Hoffnung auf Erhörung ist die allgemeine Grundlage des Gebetes, denn hofften wir nicht, erhört zu werden, so hätte unser Beten keinen Sinn. Diese Hoffnung selbst aber hat wieder zum Grunde den Glauben an eine Gottheit, welche als geistiges Wesen das Anliegen unseres Herzens auch verstehen kann, welche mit ihrer Macht lebendig in die Welt und in das wirkliche Leben eingreift, und welche auch den Willen hat, das Flehen der betenden Lippe und die unaussprechlichen Seufzer unseres Herzens zu erhören. Wem der Name Gottes selbst ein leerer Schall ist, welcher nur eine menschliche Einbildung ausdrückt, dem aber kein in Wahrheit daseiendes, über der Welt waltendes höheres Wesen entspricht, in dessen Augen muß auch das Gebet eine Lächerlichkeit sein. Wer zwar von Gott spricht, darunter aber nichts versteht, als das in der Welt waltende blinde Naturgesetz, warum sollte der zu einer Gottheit beten, die doch kein Ohr hat für das Flehen seines Herzens? Wer da glaubet, daß zwar ein Gott sei, daß er aber in ewiger Ruhe nur über der Welt throne, weil er diese und Alles, was in ihr geschieht, ein für allemal geordnet habe nach einem unabänderlichen Gesetz, oder daß die Anliegen des Menschen viel zu klein und unbedeutend seien, als daß die unendliche Gottheit darum sich bekümmern könne, wie sollte der dazu kommen zu beten, da doch nach seiner Meinung der Weltgang mechanisch abläuft, wie eine wohlaufgezogene Uhr, oder da sein Gott auf die Bitten der Menschen gar nicht hören will? Wo dagegen an eine geistige, auf die Welt lebendig einwirkende und um das Wohl und Wehe ihrer Geschöpfe sich bekümmernde Gottheit geglaubt wird, da kann nicht allein aus dem Grunde eines solchen Glaubens das Gebet hervorgehen, sondern da muß es auch daraus hervorgehn. Das Gebet ergibt sich dann von selbst als das Gespräch des Herzens mit seinem Gott, um ihm Dank und Lob darzubringen für die Gaben seiner Güte, um ihn zu bitten, das, er seine Huld uns ferner erhalten und von allem Uebel uns erlösen und bewahren möge. Das Gebet ist das nothwendige Kennzeichen eines lebendigen Glaubens: wo es fehlt, da ist auch der rechte Glauben nicht vorhanden. Sehr treffend sagt ein altes Wort: „Das Gebet ist die Tochter des Glaubens, aber die Tochter muß die Mutter ernähren.“ Wenn das Gebet den Glauben nicht wach erhält, nähret und stärkt, da verkümmert er und stirbt endlich dahin; denn Glaubensleben und Gebetsleben gehören nothwendig und unzertrennlich zusammen. - Wenn nun aber überhaupt das Gebet auf dem Grunde des Glaubens erwächst, so hängt die Vollkommenheit des Gebetes von der Vollkommenheit des Glaubens ab, ans welchem es hervorgeht. Bei den Heiden, welchen die Eine Gottheit in eine größere oder geringere Zahl einzelner guter oder böser und immer mehr oder weniger menschlich gedachter Götter auseinanderfällt, zersplittert sich auch die Kraft des Gebetes in einzelnen Gebetsformeln, durch welche der Mensch unter dem Versprechen von Gegenleistungen an Opfern und Gaben in besonderen Lebensverhältnissen der Huld der Götter, welche denselben vorstehen, sich zu versichern und ihren Zorn abzuwenden trachtet. Und wenn die Seele durch einen solchen Glauben auf die Dauer nicht mehr befriedigt wird, so bringt es doch der natürliche Mensch nicht hinaus über die allgemeine Ahnung eines göttlichen Wesens, welches zwar mehr sein muß, als jene endlichen Götter, von welchem man aber doch eine klare und deutliche Erkenntniß nicht hat. So haben auch die Athener, da der Glaube ihrer Väter seine Kraft für sie verloren hatte, einen Altar erbauet dem unbekannten Gott. Zu einem unbekannten Gott aber, von dessen Wesen und Willen man nichts Gewisses weiß, kann man unmöglich mit herzlichem Vertrauen beten. Dem Volke Israel war es nun freilich besser geworden. Ihm hatte der eine, wahre und lebendige Gott sich geoffenbaret. Aber zur vollkommen innigen Lebensgemeinschaft mit ihm war doch auch das Volk des alten Bundes noch nicht gekommen, sonst hätte es ja des Mittlers des neuen Bundes, in welchem jene Lebensgemeinschaft erst vollendet werden sollte, nicht bedurft. Der Israelit wandte, wenn er betete, sein Angesicht nach dem Tempel zu Jerusalem. An diese heilige Stätte war ihm die Gegenwart Gottes noch gebunden. Es fehlte ihm noch das volle Bewußtsein davon, daß Gott nicht ferne ist von einem jeglichen unter uns, sondern daß wir in ihm leben, weben und sind, und damit fehlte ihm auch noch die Grundlage der vollkommen lebendigen Gebetsgemeinschaft mit Gott. Unter der äußerlichen Gesetzlichkeit, welcher die große Menge des Volkes Israel verfallen war, erstarrte auch der rechte Geist des Gebetes. Auch das Gebet wurde den meisten unter ihnen zu einem äußerlichen Gesetzeswerk, zu einem peinlichen und kleinlichen Werk der Lippen und der Hände, bei welchem das Herz todt und leer blieb. Die Wenigen aber, welche das Gesetz nicht zu todter Werkheiligkeit hingeführt hatte, sondern, seiner eigentlichen Bestimmung gemäß, zur lebendigen Erkenntniß ihrer Sünde und zur herzlichen Sehnsucht nach Erlösung, die konnten alle tiefsten Wünsche ihres Herzens zusammenfassen in das Gebet, daß der heilige und all mächtige Gott doch nach seiner großen Barmherzigkeit sich herabneigen möge zu seinem Volke, um seinen Bund mit ihm zu erneuern und zu vollenden, indem er sie erfülle mit seinem heiligen Geist und ihnen selbst ein neues Herz und einen neuen und gewissen Geist gebe. - Und dieses Gebet hat nun Gott erfüllet in der Sendung seines eingeborenen Sohnes Jesus Christus. Jesus Christus ist der Vollender unseres Glaubens und darum ist er auch der Vollender unseres Gebetes. Er, der in des Vaters Schooß gewesen und doch in der Gestalt unseres sündigen Fleisches unter uns erschienen und in Allem außer der Sünde völlig unser Bruder geworden ist, hat uns das Wesen des wahren und lebendigen Gottes auf das deutlichste geoffenbart und die innigste Verbindung zwischen dem Vater im Himmel und zwischen seinen Kindern begründet. Indem Gott seinen eingeborenen Sohn in die Welt gesandt, ihn in den Tod dahingegeben und von den Todten auferwecket und dadurch die ganze Welt umgestaltet und aus dem geistigen Tode zu einem neuen Leben wiedergeboren hat, hat er das Wirken seiner ewigen Kraft und Gottheit in ihr auf das lebendigste bezeugt. Und dadurch, daß er das sehnsüchtige Verlangen der ihn suchenden Herzen gestillt und auch die Verirrten und Verlorenen durch das Wort seiner Wahrheit auf den Weg des Heiles zurückgerufen hat, hat er uns verbürgt, daß er für die Anliegen und für das Bedürfniß seiner Kinder ein väterliches Gehör und eine väterliche Fürsorge hat. Und darum gewinnt erst durch den Glauben an Jesum Christum das Gebet zu unserem Gott seinen rechten Sinn, seine rechte Freudigkeit und seine rechte Kraft. Und nach alle dem ist das Gebet im Namen Jesu nichts anderes, als das Gebet, welches auf dem Grunde des lebendigen Glaubens ruhet, daß Gott in Christo war und versöhnete die Welt mit ihm selbst; daß wir einen liebreichen Vater im Himmel haben, der alle Noth und alle Sorgen seiner Kinder auf seinem treuen Vaterherzen trägt; und daß der Gott, der ja in seinem Sohne uns eigentlich schon Alles geschenket hat, der Bitte seiner Kinder nach seinem Gnadenwillen gewiß nichts versagen wird, was nach seiner väterlichen Weisheit zu ihrem Heile dienlich ist.

II.

Und damit, meine Lieben, sind wir eigentlich schon in die Beantwortung unserer zweiten Frage eingetreten, von welcher Gesinnung das Gebet im Namen Jesu ausgehen muß. Ueber den richtigen und wesentlichen Inhalt eines rechtschaffenen christlichen Gebetes, hat unser Herr und Meister uns belehret in dem Vaterunser, in welchem er uns ein Mustergebet für alle Zeiten aufgestellt hat. Während er uns nun damit gesagt hat, was wir beten sollen, so sagt er uns in unserem heutigen Texte, wie wir beten sollen, mit welcher Gesinnung. - Da ist nun offenbar das Erste, meine geliebten Freunde, daß wer im Namen Jesu betet, eben darum nicht betet in seinem eigenen Namen. Wer im Namen Jesu bittet, der darf seine Bitte und die Hoffnung, sie erhört zu sehen, nicht stützen auf sein eignes Verdienst. Er darf sich dabei auch nicht mit neidischem Seitenblicke mit andern vergleichen, welchen die Güter, um die er bittet, vielleicht in reichem Maße zu Theil geworden sind. Er darf was er bittet nicht als sein gutes Recht verlangen und Gott in seinem Gebete gleichsam der Versäumniß anklagen, mit welcher er bisher unterlassen habe, dieses gute Recht ihm zuzuerkennen. Einem solchen Gebet würde das Wort gelten, daß der Herr dem Hoffärtigen widerstehet und nur dem Demüthigen Gnade gibt. Nein, Geliebte, wer im Namen Jesu betet, der ja nach Gottes Gnadenrath als der einzig Gerechte für uns Ungerechte gestorben ist, damit er uns von dem natürlichen Verderben der Sünde erlöse, der betet in dem demüthigen Gefühl seiner eigenen Unwürdigkeit. Er weiß, daß, wenn es nach strengem Recht gienge, er von dem Heiligen und gerechten Gott nichts, als Strafe, verdient hätte, und darum setzt er bei seinem Gebete sein Vertrauen ganz auf Gottes Gnade. Aber seine Gnade hat uns ja auch Gott verbürgt in seinem Sohne, unserem Herrn und Erlöser. Dieser selbst hat uns aufgefordert, unsere Sorgen ihm anzuvertrauen. Er hat uns eingeladen und uns verheißen: „Kommet her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken!“ Er hat uns selbst die Worte gelehrt, mit welchen wir im Gebete vor unseren Vater im Himmel treten sollen. Und so wird denn der, welcher im Namen Jesu betet, zu seinem Gott sprechen: „Lieber himmlischer Vater, ich weiß zwar wohl, daß ich ein unwürdiger, sündiger Mensch bin und des Ruhmes mangle, den ich vor dir haben sollte. Aber du hast doch deinen lieben Sohn auch für mich gegeben und deine Gnade hat mich nicht zu gering geachtet, daß auch ich durch den Glauben an ihn Antheil gewänne an dem Heile, welches du in ihm begründet hast. Wohlan darauf vertraue ich, du werdest um deines lieben Sohnes willen auch mich als dein liebes Kind annehmen, und was ich in seinem Namen und Auftrage von dir erbitte, seiner Verheißung gemäß mir auch zu Theil werden lassen.“ - Und damit das nicht leere Worte seien, so laßt uns weiter bedenken, daß ein Gebet im Namen Jesu auch ein Gebet sein muß in Jesu Geiste. Merkwürdigerweise sagt der Herr zu seinen eignen Jüngern in den doch ganz kurz vor seinem Ende gesprochenen Worten unseres Evangeliums. „Bisher habt ihr nichts gebeten in meinem Namen.“ Also selbst von seinen Jüngern, welche doch an ihn als an ihren Heiland glaubten, welche er Jahre lang gelehrt und geleitet hatte, ja welchen er die Gebetsworte seines Vaterunsers selbst auf die Lippen gelegt hatte, - selbst von seinen Jüngern sagt er, sie hätten bisher noch nicht gebetet in seinem Namen, sondern das würden sie erst können, wenn er von seinem Vater frei heraus zu ihnen reden könne, womit er auf die Zeit hindeutet, da der Heilige Geist sie in alle Wahrheit leiten werde. Er sagt also damit, daß nur, wer von seinem Geist erfüllt sei, in seinem Namen beten könne. Wer aber erfüllt ist vom Geiste des Herrn, dessen vornehmstes Dichten und Trachten muß auch auf das Ziel gerichtet sein, welchem das ganze Leben und Wirken seines Erlösers galt, und das ist die Herstellung des Reiches Gottes; alle Wünsche seines Herzens müssen am Ende aufgehn in das Gebet zu seinem Gott, daß sein Reich kommen möge. Und eine solche Gebetsstimmung, meine geliebten Freunde, schließt zugleich die selbstverläugnende Ergebung in Gottes Willen und das zuversichtliche Vertrauen in Gottes Walten in sich. Wenn der Heilige Geist unserem Geiste Zeugniß gibt, daß wir Gottes Kinder sind, so wissen wir auch, daß Nichts in der Welt uns scheiden kann von seiner Liebe und Nichts uns herausreißen aus dem Schutze seiner allmächtigen Hand. Das Kind wird dann dem Vater gar manche Anliegen auch in Bezug auf die Güter des äußeren Lebens vorzutragen haben. Es wird in herzlicher Dankbarkeit sich freuen, wenn, was es bittet, ihm von dem Vater gewährt wird. Aber wenn es ihm versagt wird, so verzagt es darum nicht, sondern es fügt sich mit dem Gebete: „Nicht mein, sondern dein Wille geschehe!“ in stiller Ergebung in den heiligen und allweisen Vaterwillen. Es weiß ja, daß durch die Versagung einer einzelnen auf äußere Dinge gerichteten Bitte die Gewährung seines höchsten Gebetes, daß das Himmelreich kommen und daß es selbst Theil erhalten möge an der ewigen Herrlichkeit dieses himmlischen Reiches, nicht gehindert wird. Daß aber dieses Reich gewiß kommen wird, daß die Pforten der Hölle es nicht überwältigen werden, sondern daß es den Kampf gegen alle seine Feinde siegreich bestehen wird, darauf dürfen wir ja fest vertrauen, und damit hat ja ein Gemüth, welches vom Geiste des ewigen Königs dieses Reiches erfüllt ist. Alles, was es nur wünschen kann. So liegt also die Gesinnung, aus welcher das Gebet im Namen Jesu hervorgeht, in der Demuth, welche ihre Hoffnung auf Gebetserhörung nicht auf das eigne Verdienst, sondern allein auf Gottes Gnade in Christo stützt; in dem himmlischen Sinne, welcher am ersten nach dem Reiche Gottes trachtet; in dem Vertrauen, daß den endlichen Sieg des Himmelreiches keine Macht der Welt hindern kann, und in der mit diesem Vertrauen verbundenen kindlichen Ergebung in Alles, was sonst der Gnadenwille des Vaters im Himmel fügen wird.

III.

Und worin besteht nun endlich drittens der Segen, welchen das Gebet im Namen Jesu wirket? Darin, so antwortet uns der Herr selbst in unserem Texte, daß, was wir den Vater bitten in seinem Namen, er uns geben und daß dadurch unsere Freude vollkommen sein wird. Wer in Wahrheit in Jesu Namen bittet, der bittet ja, wie wir gesehen haben, auch in Jesu Geist, und wer in Jesu Geist bittet, der bittet auch im Geiste seines Vaters im Himmel, mit welchem ja der Sohn Eins ist; wie sollte also Gott einem solchen Gebete nach seinem Geist und Willen die Erfüllung versagen? Auf was für Güter aber das wahre Gebet im Namen Jesu sich richtet, das deutet uns die Verheißung an, daß durch die Erfüllung eines solchen Gebetes unsere Freude vollkommen werden solle. Zur Vollkommenheit der Freude gehört aber offenbar auch, daß sie beständig sei, daß sie durch kein Leid uns wieder geraubt und unterbrochen werde; und eine solche vollkommene Freude können wir ja unmöglich an Gütern haben, welche wir wieder lassen müssen, weil sie selbst vergänglich sind und weil wir sie nur genießen können in diesem irdischen Leben, aus welchem wir früher oder später scheiden müssen. Ein Gebet also, dessen Erfüllung unsere Freude vollkommen machen soll, kann sich nur auf die unvergänglichen Güter beziehen, welche in der Gemeinschaft mit dem ewigen Gott uns aufgeschlossen werden, und diese Gemeinschaft wird von dem Vater der Liebe der Seele nicht versagt, welche sie ernstlich sucht. - Damit ist nicht gesagt, meine Lieben, daß wir nicht auch um die Güter dieses Lebens beten sollen. Denn Güter sind es ja doch immer, von dem Geber aller guten Gabe uns geschenkt zur Erhaltung und zum Schmucke unseres Lebens. Auch hat der Heiland selbst uns gelehrt, um das tägliche Brod zu bitten, und er hat auf ihr Gebet die Hungernden gespeiset und die Kranken geheilt und das Gebet der jammernden Eltern erhört, daß er ihre todtkranken Kinder gesund mache. Und eine Seele, welche mit ihrem Vater im Himmel in lebendigem Verkehr des Glaubens und des Gebetes steht, kann das Gebet auch um die Güter dieses Lebens gar nicht unterlassen. Das Kind kann gar nicht anders, es versteht sich und gibt sich ganz von selbst, daß es alle seine Anliegen und Sorgen vor seinem Vater im Himmel im Gebet und Flehen kund werden lässet. Und daß auch solche Gebete bei Gott Erhörung finden, das bezeugt die gesammte Geschichte der Gemeinde des Herrn. Die Kraft des Gebetes hat sich zu jeder Zeit an rechtschaffenen Christen nicht allein durch innere Tröstung und Stärkung, sondern auch durch äußeren Segen bethätigt. Und in dem Leben keines lebendigen Christen darf es an solchen Zeugnissen völlig fehlen. Es wäre schlimm, wenn nicht auch in dieser Versammlung solche wären, welche aus der Erfahrung ihres eigenen Lebens bezeugen können, wie ans ihr heißes Gebet der treue Gott drückende Sorgen der Nahrung von ihnen genommen, oder ein geliebtes Leben ihnen erhalten, oder sie sonst vor mannigfaltiger drohender Gefahr wunderbar und gnädig bewahret hat. Aber nicht wahr, meine lieben Brüder und Schwestern, es fehlt auch nicht an Zeugnissen vom Gegentheil? Es sind auch solche unter uns, die davon zu erzählen wissen, wie auf ihr herzliches, heißes Gebet ihnen keine Antwort geworden ist, als die: „Laß dir an meiner Gnade genügen!“ Und wenn kein anderer Zeuge aufstände, nun, so bezeugt es unser Herr und Heiland selbst. Er hat dennoch den bitteren Kelch trinken müssen, obwohl er gebetet hatte: „Vater, ist es möglich, so gehe dieser Kelch von mir.“ Aber er lehrt uns auch, daß ein jedes Gebet, das auf das äußere Leben sich bezieht, wenn es in Wahrheit ein Gebet in seinem Namen sein soll, ausgehen muß, wie damals sein Gebet ausgieng: „Vater, nicht wie ich will, sondern wie du willst.“ - Darum sagt denn auch Christus in unserem Texte, obgleich er den Seinen verheißt, daß, was sie bitten würden in seinem Namen, sein Vater ihnen geben werde, ihnen doch nicht, daß sie frei sein sollten von äußerer Noth. Vielmehr kündigt er ihnen an, daß sie zerstreut und verfolgt werden würden um seines Namens willen. Aber er fügt auch hinzu, daß er dieses zu ihnen rede, damit sie Frieden hätten in ihm. Und wer in dem Glauben an Jesum Christum diesen Frieden Gottes als sein letztes und höchstes Ziel sucht, wer um dieses unvergängliche Gut im Namen Jesu betet, dem wird es gegeben werden. Der vernimmt in der Tiefe seines seligen Herzens das Wort seines Erlösers, womit unser Text schließt: „In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.“ Er kann von sich selbst sagen, was der Herr in unserem Texte sagt: „Ich bin nicht allein, denn der Vater ist bei mir!“ Und wenn der bei uns ist, in dem aller Güter Fülle wohnet, was könnte uns da fehlen? Wenn Gott für uns ist, wer mag wider uns sein?

Ich kann aber, meine liebe Gemeinde, heute von diesem Evangelium nicht scheiden, ohne auszusprechen, was jetzt meine Seele bewegt. Ich bin heute nach der Ordnung unserer Texte zum erstenmale wieder zurückgeführt worden zu diesem Texte, welchen ich an diesem Sonntage vor vier Jahren als ordentlicher Prediger dieser Gemeinde zum erstenmale ausgelegt habe. Gott weiß es, wie ich damals zu ihm gebetet habe, daß er doch in dem Schwachen mächtig sein und seinen Segen legen möge auf unsere Verbindung, und ich weiß, wie ihr mit meinem Gebete eure herzliche Fürbitte vereinigt habt. O laßt uns doch fernerhin uns wechselseitig halten und tragen in solcher Gemeinschaft des Gebetes, damit der gnädige Gott Hörer und Lehrer seines Wortes segne, damit in guten und bösen Tagen zum Lobe der herrlichen Gnade unseres Gottes der inwendige Mensch in uns wachse und der Friede Gottes, der höher ist, denn alle Vernunft, unsere Herzen und Sinne zum ewigen Leben bewahre. - Amen.