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Baur, Gustav Adolph - Das Gleichniß vom Unkraut unter dem Walzen, eine Belehrung über Wesen und Aufgabe unserer evangelischen Kirche.

Am Reformationsfests. (21. Sonnt, nach Trinitatis.)

Herr, heilige uns in deiner Wahrheit; dein Wort ist die Wahrheit. - Amen.

In Christo geliebte Gemeinde! Wer auch nicht mit dem Gedanken daran schon hierhergekommen wäre, dem müßte das herrliche Lutherlied: „Ein feste Burg ist unser Gott“ gesagt haben, was für ein Fest wir heute feiern. Uebermorgen, als am 31. October, sind es dreihundert und acht und vierzig Jahre, daß Luther durch Verkündigung seiner fünf und neunzig Streitsätze gegen die Seelenverkäufern des päpstlichen Ablasses die Reformation der Kirche begonnen hat; und nach der Ordnung der evangelischen Gemeinden unserer Stadt feiern wir an dem vorausgehenden Sonntage zugleich diesen denkwürdigen Tag mit, welcher durch des allmächtigen Gottes wunderbare Führung zugleich - weit über Wissen und Wollen des schlichten Augustinermönchs hinaus - ein so segensreicher Tag geworden ist. Und wenn wir wohlgethan haben, von einer besonderen kirchlichen Feier des 18. Octobers jetzt abzustehen: den 31. October darf die evangelische Kirche nicht aufhören zu feiern, so lange sie noch in Wahrheit eine evangelische Kirche sein will, so lange sie noch ein lebendiges Bewußtsein davon hat, was für ein Segen darin liegt, daß sie eben wieder eine evangelische Kirche sein darf. Denn wenn wir an jenem Tage nur die Befreiung von einem menschlichen Feinde gefeiert haben, welcher unser Volk eine Zeit lang in schwerer und schimpflicher Unterdrückung niedergehalten hatte; so feiern wir dagegen heute unsere Befreiung von dem schlimmeren Joche, welches die römische Kirche den Völkern auferlegt hatte und durch welches sie die Menschen abhielt, zu der herrlichen Freiheit zu gelangen, damit uns Christus befreit hat. Wir feiern unsere Befreiung von der menschlichen Mittlerschaft, welche der römische Bischof mit seinen Priestern dem Volke aufgedrungen hatte, und unsere Rückkehr zu dem einzigen Mittler, welchen Gott gesandt hat, damit er die sündige Welt ihm versöhne. Wir feiern unsere Befreiung von willkürlichen menschlichen Satzungen und unsere Rückkehr zu dem Lebensborne des reinen Evangeliums, aus welchem die glaubende Seele die Kraft schöpfen soll, den Kampf zu führen gegen „den alten bösen Feind, der uns auf ewig der wahren Freiheit, des wahren Friedens, des wahren Heiles berauben will. Es gehet ja wohl, meine lieben Freunde, daß diejenigen, welche die schwere Zeit der Unterdrückung unseres Vaterlandes noch mit erlebt haben, uns Jüngeren sagen, wir wüßten die Güter des Friedens und der Freiheit gar nicht recht zu würdigen, weil wir die Noth des Krieges und die Schmach und den Jammer der Knechtschaft nicht mit durchgemacht hätten. Aehnlich möchte auch ich euch heute zurufen, meine lieben evangelischen Brüder und Schwestern: versäumt nicht, euch von der Geschichte belehren zu lassen, von welch gräulichen Mißbräuchen wir durch das gottgesegnete Werk der Reformation befreit worden sind; versäumt nicht, jenes tiefe geistige Elend euch immer und immer wieder zu vergegenwärtigen, damit ihr recht schätzen lernt, was ihr an unserer evangelischen Kirche habt; damit ihr erkennt, wie durch sie ein neues geistiges Leben in die Welt hineingekommen ist, wie dieses Leben selbst der römischen Kirche zu gute gekommen, wie dagegen überall da, wo die römische Kirche, von diesem neuen Leben völlig unberührt, ihre Alleinherrschaft noch behauptet, nicht bloß das religiöse und sittliche, sondern auch das bürgerliche Leben in dem allerkläglichsten Zustande sich befindet. Ja, meine evangelischen Brüder, laßt uns halten, was wir haben, damit uns Niemand unsere Krone nehme! Der treue Gott aber, welcher uns eine feste Burg ist, lasse uns zur Erweckung, Erhaltung und Förderung einer tüchtigen evangelischen Gesinnung auch unser heutiges Reformationsfest gesegnet sein!

Lied: 238, 1. Es wolle Gott uns gnädig sein
Und seinen Segen geben:
Sein Antlitz uns mit hellem Schein
Erleucht' zum ew'gen Leben,
Daß wir erkennen seine Werk',
Was ihm gefällt auf Erden,
Und Jesu Christi Heil und Stärk'
Bekannt den Völkern werden,
Und sie zu Gott bekehren.

Text: Matth. 13, 24-30.
Er legte ihnen ein ander Gleichniß vor, und sprach: Das Himmelreich ist gleich einem Menschen, der guten Samen auf seinen Acker säete. Da aber die Leute schliefen: kam sein Feind, und säete Unkraut zwischen den Waizen, und gieng davon. Da nun das Kraut wuchs, und Frucht brachte; da fand sich auch das Unkraut. Da traten die Knechte zu dem Hausvater, und sprachen: Herr, hast du nicht guten Samen auf deinen Acker gesäet? Woher hat er denn das Unkraut? Er sprach zu ihnen: Das hat der Feind gethan. Da sprachen die Knechte: Willst du denn, daß wir hingehen, und es ausjäten? Er sprach: Nein! auf daß ihr nicht zugleich den Waizen mit ausraufet, so ihr das Unkraut ausjätet. Lasset beides mit einander wachsen, bis zur Ernte; und um der Ernte Zeit will ich zu den Schnittern sagen: Sammelt zuvor das Unkraut, und bindet es in Bündlein, daß man es verbrenne; aber den Waizen sammelt mir in meine Scheuern.

Wenn ich, meine lieben Freunde, für unser Reformationsfest einen Text hätte suchen wollen, ich hätte kaum einen besseren finden können, als den, welcher in diesem für den heutigen 21. Trinitatissonntag bestimmten Texte sich uns von selbst darbietet. Dieses Gleichniß vom Unkraut unter dem Waizen enthält in der That eine treffliche Belehrung über Wesen und Aufgabe unserer evangelischen Kirche. Denn es erinnert uns erstens daran, wie unsere Kirche dadurch entstanden ist, daß treue Knechte des Herrn den guten Samen ausgestreut und gepflegt und ihn geschützt haben gegen das Unkraut, welches der Feind dazwischen gesäet hatte; und es weist uns zweitens darauf hin, wie der Feind auch seitdem nicht abläßt, seinen bösen Samen auszustreuen, und wie ein rechtschaffener evangelischer Christ dagegen sich zu verhalten hat.

I.

Ueber das Wesen unserer evangelischen Kirche belehrt uns das Gleichniß von dem Unkraut unter dem Waizen, indem es uns daran erinnert, wie sie dadurch entstanden ist, daß treue Knechte des Herrn den guten Samen ausgestreut und gepflegt und ihn geschützt haben gegen das Unkraut, welches der Feind dazwischen gesäet hatte. - Die treuen Knechte des Herrn, welche wir als die Stifter und Väter unserer evangelischen Kirche verehren, waren nicht die ersten, welche den guten Samen ausstreuten; vielmehr war dieser nur der durch Gottes Gnade von dem hereingebrochenen Verderben noch errettete Ertrag einer längst ausgestreueten Aussaat. Wer den guten Samen zuerst ausgesäet hatte, das sagt uns Christus selbst, wenn er in demselben Capitel, welchem unser Text entnommen ist, zur Erklärung unseres Gleichnisses seinen Jüngern sagt: Des Menschen Sohn ist's, der da guten Samen säet. Der Acker ist die Welt. Der Feind, der das Unkraut säet, ist der Teufel. Als diese Welt aus der Schöpferhand des Gottes der Allmacht, Weisheit und Liebe hervorgegangen und der nach Gottes Ebenbilde geschaffene Mensch in sie hineingesetzt war, da ist sie ein gutes Land, ein Garten Gottes gewesen. Aber der Feind hat gleich im Anfange Unkraut unter den Waizen gesäet. Dadurch, daß der Mensch sein sinnliches und selbstsüchtiges Gelüste über den heiligen Willen seines Gottes stellte, ist das böse Unkraut der Sünde entstanden und immer üppiger emporgewachsen. Der Zaun des Gesetzes, womit Gott sein auserwähltes Volk schützend umgab, und die scharfe Pflugschaar der Buße, womit er die im Dienste der Welt verhärteten Herzen aufriß, die konnten wohl den Boden auf eine kräftige neue Aussaat vorbereiten; aber selbst den guten Samen auszustreuen, das vermochten sie nicht; sondern, wie der Herr uns belehrt: „Des Menschen Sohn ist's, der da guten Samen säet.“ Und, wie er uns in dem Gleichnisse, welches unserem heutigen vorausgeht, sagt, so ist dieser gute Same das Wort Gottes. Das ewige Wort, welches im Anfange bei Gott war und zu aller Zeit Gottes unsichtbares Wesen belebend und erleuchtend in der Welt offenbarte, ist in Jesu von Nazareth Fleisch geworden, damit von ihm aus neues Licht und Leben die in Finsterniß und Schatten des Todes versunkene Welt durchdringe. Das theure, selige Wort des Evangeliums: daß in seinem eingeborenen Sohn Gott selbst in der ganzen Fülle seiner Wahrheit und Gnade sein Volk heimgesucht habe, ist durch die Apostel in alle Welt hinausgetragen worden, und wo dieser gute Same auf ein gutes Land fiel, da gieng er auf zu erquickenden Früchten. Die Gemeinde Christi, von welcher geschrieben steht (Apostelg. 2. 42. 4, 32): „Sie blieben beständig in der Apostel Lehre und in der Gemeinschaft und im Brodbrechen und im Gebet. Der Menge aber der Gläubigen war Ein Herz und Eine Seele . . . Und mit großer Kraft gaben die Apostel Zeugniß von der Auferstehung des Herrn Jesu, und war große Gnade bei ihnen allen“, - diese Gemeinde war eine Hütte Gottes unter den sündigen Menschen, in ihr war mitten in der argen Welt ein lieblicher Garten Gottes wieder hergestellt. - Aber es gelang dem Feinde, auch in diesen Garten Gottes sein Unkraut wieder hineinzusäen. Juden und Heiden, welche zum Christenthum übergiengen, schleppten in die christliche Gemeinde ihre jüdischen und heidnischen Irrthümer ein. Die Juden hauptsächlich eine falsche Gesetzlichkeit, die sich nicht bequemen will zu dem Bekenntnisse, daß wir allzumal Sünder sind und des Ruhmes mangeln, den wir vor Gott haben sollten, und welcher darum auch die evangelische Lehre eine unverständliche und harte Rede bleibt (Eph. 2“ 8): „Aus Gnaden seid ihr selig worden durch den Glauben, und dasselbige nicht aus euch, Gottes Gabe ist es; nicht aus den Werken, auf daß sich nicht Jemand rühme.“ Und die Heiden hauptsächlich eine falsche Freiheit, welche die Lehre von der Gnade Gottes gegen die Sünder auf Muthwillen ziehet und an die Stelle der Freiheit, womit uns Christus von der Knechtschaft der Sünde befreiet hat, vielmehr die Freiheit der sündigen Willkür und des Fleisches setzt. So ist es gekommen, daß schon der Apostel Paulus bittre Klagen führen muß, nicht allein über die offenbaren Feinde im Judenthum und Heidenthum, sondern auch über falsche Brüder innerhalb der christlichen Gemeinde selbst. Und je mehr die Gemeinde wuchs, je mehr namentlich das Christenthum auch zur äußerlichen Herrschaft und zu Gunst und Schutz bei den Großen dieser Welt gelangte, je mehr, weil das Läuterungsfeuer der Verfolgungen und Leiden nicht mehr brannte, bloße Namenchristen in die Gemeinde eintraten; desto mehr wucherte auch das Unkraut von mancherlei Irrlehren und Sünden in der Kirche auf. Es haben sich gegen dieses Verderben manche treue und wackere Hirten und Pfleger der Gemeinde kräftig und mit dem rechten Mittel gewehrt, d. h. mit dem Schwerte des Geistes, welches ist das Wort Gottes. Im Allgemeinen aber haben sie nicht, wie die Knechte in unserem Gleichnisse, an den Herrn der Kirche selbst die Frage gerichtet: „Willst du denn, daß wir hingehen und das Unkraut ausjäten?“ Sie haben sich die Antwort, welche er dort gibt, nicht zu Herzen genommen - „Nein, auf daß ihr nicht zugleich den Warzen mit ausraufet, so ihr das Unkraut ausjätet.“ Sie haben in menschlicher Ungeduld und auch in menschlicher Herrschsucht sich das Gericht angemaßt, welches der Herr sich selbst vorbehalten hat; und so ist mit dem Unkraut auch viel guter Waizen ausgerissen, es ist im Kampfe gegen die Ausschreitungen der Freiheit die evangelische Freiheit selbst zu Grunde gerichtet worden. Ganz besonders haben die Priester der römischen Kirche das Wort des Apostels Petrus, dessen Nachfolger doch ihr Oberhirte sich nennen läßt, sich nicht merken wollen (1. Pet. 5, 1. 3): „Weidet die Herde Christi, so euch befohlen ist, und sehet wohl zu, nicht gezwungen, sondern williglich, nicht um schändlichen Gewinnes willen, sondern aus Herzensgrunde; nicht als die über das Volk herrschen, sondern werdet Vorbilder der Herde.“ Gerade im Gegentheile haben diese Priester sich wenig darum bekümmert, daß sie Vorbilder des christlichen Volkes würden und Genossen seiner Freuden (2. Kor. 1, 24), indem sie ihm das Evangelium von Gottes Gnade in Christo predigten, als eine Kraft, selig zu machen alle, die daran glauben; wenn sie nun über das Volk herrschen konnten! Den Zaun ihrer mannichfaltigen gesetzlichen Bestimmungen richteten sie zwar mit großem Eifer auf, damit ihre Kirche von dem Unkraut wirklicher oder vermeintlicher Ketzereien bewahrt bleibe. Daß nun aber auch auf dem so geschützten Boden der gute Same des Gotteswortes gepflegt und immer auf's neue ausgestreuet werde, damit er in einem wahrhaft christlichen Volke in der Kraft eines lebendigen Glaubens zu Früchten rechtschaffener Gerechtigkeit heranwachse, das machte ihnen keine Sorge. Und so ist die Gemeinde des Herrn, welche unter der Pflege seiner Apostel zu einem Garten Gottes erblühet war, unter den Händen solcher Nachfolger wieder zu einer Wüste geworden. - Darum hat denn Gott der Herr selbst zum zweitenmale sein Wort erfüllt (Ez. 34, V. 11): „Siehe, ich will an die Hirten, und will meine Herde von ihren Händen fordern, und will's mit ihnen ein Ende machen. Siehe, ich will mich meiner Herde selbst annehmen und sie suchen,“ Gott der Herr hat in Luther und Melanchthon, und in den Gehülfen ihrer Arbeit an der Gemeinde, sich rechtschaffene Hirten und treue Knechte erweckt. Und was haben denn diese gethan? Nicht neue Lehren haben sie verkündigt, und nicht haben sie, als gefährliche Neuerer, alte wohlerworbene Rechte angetastet; sondern die alte, theure Lehre des reinen Evangeliums von Christo haben sie' nur von den verderblichen Neuerungen gereinigt, mit welchen die römische Kirche wider das ewige göttliche Recht sie verhüllt hatte. Den alten, guten Samen des theuren Wortes von der Gerechtigkeit, die aus dem Glauben an Christum kommt, des seligen Wortes, in welchem sie selbst den Frieden für ihre heilsbegierigen Seelen und die Befreiung aus dem todten Werkdienst der, römischen Kirche gefunden hatten, - diesen Samen haben sie mit treuer Hand ausgestreut, haben ihn gepflegt, zumal in dem Herzen des heranwachsenden Geschlechtes, und haben ihn geschützt gegen das ringsum noch wuchernde Unkraut, welches zur Zeit, ,da die Leute schliefen,„ der Feind zwischen den Walzen gesäet hatte. So stritten sie mit dem Worte der Wahrheit und in der Kraft Gottes mit Waffen der Gerechtigkeit zur Rechten und zur Linken (2. Kor. 6, 7); zur Rechten gegen das Unkraut der falschen Gesetzlichkeit und Werkgerechtigkeit, welches die römische Kirche pflegte, und zur Linken gegen das Unkraut fleischlicher Freiheit, mit welchem falsche Brüder den Garten der evangelischen Kirche verunreinigen wollten. Und der Beistand und Segen des Herrn ist mit seinen Knechten gewesen. Ein in lebendigem Glauben an Christum verbundenes evangelisches Volk, eine in den Lehren des Heiles wieder unterwiesene christliche Jugend erblühte um sie wieder wie ein neuer Garten Gottes. In der Freude seines Herzens hat darüber unser Luther einmal an den Kurfürsten Johann von Sachsen geschrieben: ,M ist fürwahr solches junge Volk in Ew. Kurfürstlichen Gnaden Land ein schönes Paradies, desgleichen in der Welt nicht ist; und solches Volk bauet Gott in Euren Schooß zum Wahrzeichen, daß er Euch gnädig und günstig ist, als sollt' er sagen: Wohlan, lieber Herzog Johannes, da befehle ich dir meinen edelsten Schatz, mein einstiges Paradies, du sollst Vater über sie sein; denn unter deinem Schutz und Regiment will ich sie haben und dir die Ehre thun, daß du mein Gärtner und Pfleger sein sollst.“

II.

Und doch, meine lieben Freunde, hat Luther zu derselben Zeit, da er des Segens der wieder lebendig gewordenen evangelischen Predigt so innig sich freute und wie er in einem seiner gewaltigen Lieder bezeugt, seinem Gott so herzlich dankte, daß der Winter vergangen war und die hervorbrechenden zarten Blümlein wieder den neuen Frühling bezeugten, doch hat er in demselben Kampf- und Siegesgesang des evangelischen Glaubens, in welchem er Gott als die feste Burg preist, die den neu gegründeten Gottesgarten der evangelischen Kirche durch alle Noth hindurchretten werde, auch sagen müssen:

Der alt' böse Feind
Mit Ernst er's jetzt meint,
Groß Macht und viel List
Sein grausam Rüstung ist!

Und dieß weist uns darauf hin, meine lieben evangelischen Brüder und Schwestern, daß auch seitdem der Feind nicht abgelassen hat, seinen bösen Samen auszustreuen, und daß es die Pflicht eines rechtschaffenen evangelischen Christen ist, den guten Samen in dem Gottesgarten unserer Kirche gegen das wuchernde Unkraut zu schützen. - Luther hat bei den so eben angeführten Worten seines Liedes zunächst an den feindseligen Haß gedacht, in welchem die römische Kirche mit allen Mitteln der Macht und List die junge Kirche des reinen Evangeliums verfolgte. Und was da gegen das Evangelium und gegen seine treuen Bekenner gesündigt worden ist, das steht zum Theil mit blutigen Buchstaben eingetragen in die Bücher der Geschichte, und wahrlich, diese Bücher werden aufgeschlagen liegen am Tage des Gerichts. Da stehet geschrieben, wie in den Ländern, in welchen die römische Kirche ihre Oberherrschaft behauptete, in Italien, in Spanien, in Frankreich, gegen die Bekenner des Evangeliums gewüthet worden ist mit Feuer und Schwert, mit Verbannung und Kerker. Es stehet dort geschrieben, wie in unserem deutschen Vaterlande, in welchem die Predigt des Evangeliums den lebendigsten und allgemeinsten Anklang gefunden hatte, durch den blutigen Haß der Feinde der Gottesgarten des Evangeliums an vielen Orten wieder in eine Wüste verwandelt worden ist; und wie durch diese Verfolgungen von Seiten der undeutschen, römischen Kirche, und nicht, wie die alte Lüge lautet, durch die Reformation, unser deutsches Volk zerrissen worden ist, welches im besten Zuge war, einstimmig zu der evangelischen Lehre sich zu bekennen. Als dann nach blutigen Kämpfen die protestantischen Staaten Deutschlands ihren Bekenntnisse sein Recht und seine Freiheit errungen hatten; da konnte der Feind freilich nicht mehr mit großer Macht und offenbarer Gewalt gegen die evangelische Kirche streiten; aber mit viel List setzt er seinen Kampf bis heute fort, und es würde uns nichts helfen, wenn wir läugnen wollten, daß er es auch nicht vergeblich thut. Alle seine Macht und List müßte freilich zu Schanden werden an uns, wenn wir alle das in der That und Wahrheit wären, was unser Namen eigentlich besagt, überzeugungsvolle, lebendige Bekenner der evangelischen Grundlehre, daß in keinem Andern Heil, auch kein anderer Name den Menschen gegeben ist, darin sie können selig werden, denn Jesus Christus. Aber auch in unserer evangelischen Kirche selbst hat der alte, böse Feind, der mit seinen Versuchungen nicht ruht, so lange wir in dieser Zeitlichkeit leben, viel, viel Unkraut unter den Waizen gesäet. Es liegt in dem Wesen der evangelischen Kirche, daß in ihr das christliche Volk nicht, wie es in der römischen Kirche geschieht, als ein Volk der Unmündigen, von der Geistlichkeit auf das strengste überwacht wird. Die evangelische Kirche muthet einem jeden ihrer Bekenner zu, daß er über den Grund seines Glaubens sich selbst verantworten könne. Sie wirft ihm etwas auf sein eigenes Gewissen, und weil sie der Vortheile evangelischer Freiheit sich erfreuen will, so muß sie auch deren Mißbrauch mit in den Kauf nehmen. Und solcher Mißbrauch ist ja leider in unserer Kirche offenbar genug. Es gibt Protestanten, welche die evangelische Freiheit nicht in der Freiheit suchen, damit uns Christus befreiet hat, sondern in der Freiheit, damit die fleischliche Willkür sich selbst befreit, und welche gegen jedes höhere Gesetz protestieren, das den natürlichen sündigen Willen des Menschen in eine heilsame Zucht nehmen will. Ich will damit nicht sagen, daß es in dieser Beziehung in der römischen Kirche besser wäre. Im Gegentheil: gerade durch ihre starre Gesetzlichkeit hat sie in den Ländern, in welchen durch die Predigt des Evangeliums ein tieferes religiöses Bedürfniß noch nicht geweckt worden ist, den schroffsten Gegensatz des ungläubigen Hohnes gegen Religion und Christenthum hervorgerufen. Aber sie übt doch auch über die ihr innerlich Entfremdeten noch eine gewisse äußerliche Zucht aus, und indem sie innerhalb der sie eigentlich vertretenden Priesterschaft nicht die geringste Abweichung von ihren alten Satzungen duldet, steht sie in einer festen, unwandelbaren Abgeschlossenheit da. Diese verfehlt denn auch ihren Eindruck auf unselbstständige Gemüther nicht, und so lassen sich manche, welche die frische Luft evangelischer Freiheit nicht vertragen können, wieder in das alte knechtische Joch fangen. - Was sollen wir nun thun als rechtschaffene evangelische Christen, um unsere Kirche zu schützen gegen das Unkraut, welches von außen in sie hinein wuchert, und welches auf ihrem eigenen Boden erwächst? Die Frage der Knechte in unserem Evangelium: „Willst du denn Herr, daß wir hingehen und es ausjäten?“ liegt ja auch uns so nahe. Und in der That gibt es protestantische Länder, in welchen man diese Frage sich selbst bejaht und der römischen Kirche Gleiches mit Gleichem vergolten hat, indem man ihr dort die freie Religionsübung versagte. Aber mit Recht wird das je mehr und mehr als etwas mit den Grundsätzen der evangelischen Kirche nicht Verträgliches anerkannt. Auf der anderen Seile mag die gläubige, oder vielmehr eine kleingläubige, Ungeduld Manchen zu dem Wunsche veranlassen, daß die falschen, die evangelische Freiheit mißbrauchenden Brüder gleich aus der Gemeinschaft der Kirche möchten ausgestoßen werden. Aber laßt uns, wenn solche Wünsche uns anwandeln, vielmehr der Antwort unseres Herrn auf jene Frage eingedenk sein: „Nein, auf daß ihr nicht zugleich den Waizen mit ausraufet, so ihr das Unkraut ausjätet!“ Wie will auch unser blödes Auge erkennen, ob nicht in dem, der uns als ganz verwerflich erscheint, doch noch ein guter Keim ist, der unter der Pflege brüderlicher Liebe und unter der zur Buße treibenden wunderbaren Führung und Züchtigung des Vaters im Himmel noch heranwachsen kann, daß er die Früchte rechtschaffener Buße und Gerechtigkeit hervorbringe? Darum sollen wir das Gericht dem Herrn überlassen. Aber ihr fragt mich noch einmal: „Das sollen wir lassen; aber was sollen wir denn thun?“ Nun. Geliebte, ich dächte, wir können zur Erhaltung und Förderung unserer evangelischen Kirche nichts Besseres thun, als dasselbe, was ihre Väter einst zu ihrer Gründung gethan haben: den guten Samen der evangelischen Wahrheit ausstreuen und Pflegen mit treuer Hand, damit er durch seine eigene Kraft im Kampfe mit dem Unkraut sich behaupte und es immer mehr von dem Boden unserer Kirche verdränge. Dazu aber ist vor Allem nöthig, daß dieser Same befruchtend und ein neues Leben erweckend auch in unser eigenes Herz gefallen sei. Ist das bei uns allen der Fall? O, Geliebte, wenn nur alle die evangelischen Christen, die heute im Hause ihres Gottes versammelt sind, diese Frage vor seinem Angesichte aufrichtig bejahen könnten, es müßte besser stehen um unsere theure Kirche! Aber den Zug in unserem Gleichnisse, wonach der Feind kam, da die Leute schliefen, straft uns um unsere eigne Sünde. Weil auch wir schlafen, darum hat der Feind so viel Unkraut unter den Waizen säen können. O laßt uns wachen, Geliebte, damit wir mit offenen Augen erkennen, welch unschätzbares Kleinod uns in dem theuren, werthen Worte des reinen Evangeliums anvertraut ist, der keimkräftige Samen alles wahren Heiles im zeitlichen und im ewigen Leben, und damit wir allezeit zu seiner Verteidigung gerüstet seien mit Waffen der Gerechtigkeit zur Rechten und zur Linken, mit dem Schild des Glaubens, damit wir auslöschen können alle feurigen Pfeile des Bösewichts, und mit dem Schwerte des Geistes, welches ist das Wort Gottes (Eph. 6, 16.)

Du aber, allmächtiger und barmherziger Gott, der du uns berufen hast zum Glauben an dein seligmachendes Evangelium, erwecke in deiner Gemeinde den Geist jener ersten Zeugen deiner wieder erwachten Wahrheit. Heilige uns alle in der Wahrheit, dein Wort ist ja die Wahrheit, und lasse die Kirche, die auf dein reines, heiliges Wort gegründet ist, wachsen und gedeihen zu deiner Ehre! Amen.