Arnd, Johann - Wie ein Mensch durch's Gebet die Weisheit Gottes suchen soll - Capitel XI.

Man darf Gott nicht zu gewissen Zeiten anbeten, sondern mag ihn alle Stunden ansprechen, wofern sich der Mensch nicht selber verhindert.

Jes. 49,8.; 55, 6. 2 Cor. 6, 2.: Jetzt ist die angenehme Zeit; jetzt ist der Tag des Heils. Suchet den Herrn, weil er zu finden ist; rufet ihn an, weil er nahe ist.

Daß wir Etwas vom Orte wiederholen: wie selig ist der Mensch, der im Reiche Gottes ist! Denn er hat den Schatz in sich, er sei, an welchem Orte der Welt er wolle. Wer aber wegen Unglaubens nicht im Reiche Gottes ist, der bleibt ausgeschlossen, ob er schon mit andern Christen Predigt hörte, und Sacrament brauchte. Denn der Ort seliget noch verdammet keinen, sondern Glaube oder Unglaube, welches im Herzen der Menschen, im Geist vollbracht wird. Ein Christ sei, wo er wolle, so hat er die Gnade, Absolution und Vergebung der Sünden bei sich; denn Christus ist in ihm.

2. Aber dies ist nicht zu verstehen, daß man das mündliche Predigtamt verachte, sondern zum Trost allen frommen Herzen, daß sie in Noth, Krankheit, fremden Orten in Christo sind, und nicht draußen. Deßgleichen wird es gesagt zum Schrecken der Gottlosen und Unbußfertigen. Ob sie schon mitten in der Versammlung der Christen sind, dennoch sind sie ausgeschlossen vor Gottes Augen. Denn ein jeder Ungläubiger schließt sich selbst aus, und beraubt sich des Schatzes in ihm. Also hilft einem gottlosen, ungläubigen Kranken gar nicht das Sacrament, Priester, Papst, wenn er gleich mitten in der Kirche ist, so er nicht glaubt. Glaubt er aber, so schadet ihm Nichts, ob er in der Türkei, Tiefe des Meers, ohne Priester und Sacrament stirbt. Denn er hat Christum, den rechten Priester, das Reich Gottes in sich, wie solches Christus genugsam bezeugt, Joh. 4, 21. Luc. 17, 21. Matth. 24, 23.

3. O elende Leute, die ihre Seligkeit suchen bei sterblichen Menschen, an leiblichen Ort binden, auf das Auswendige sehen! Wie viel Tausende thun das, und verlieren darüber den Schatz in ihnen! Aeußerliche Dinge sind nur Mittel, die man nicht verachten soll; aber sie sind nicht der Schatz selber, sondern Christus und Gott; der kann auch ohne Mittel kommen, wenn wir die nicht können haben.

4. Wir kommen alle an einem gewissen Ort zusammen, in der Kirche, damit wir uns einmüthiglich ermahnen und erinnern der Gegenwärtigkeit Gottes, rufen ihn an für das gemeine Anliegen und Noth, üben uns in andern göttlichen Sachen; Alles unserthalben, daß wir arme, blinde Menschen erweckt werden, sehen und verstehen lernen, wie Gott an keinem Ort verschlossen sei, den „die Himmel nicht begreifen können“, 1 Kön. 8, 27. „der höher ist denn die Himmel, tiefer denn die Hölle, breiter als die Erde“, wie Hiob 11, 8. 9. sagt.

5. Wie sich's nun verhält mit dem Ort: Also auch mit der Zeit, an welche Gott mit seiner Ewigkeit nicht verbunden, weil er immer unwandelbar bleibt, höret eine Zeit, wie die andere. Ein irdischer Herr hört nicht allewege, ja gar selten. Jetzt schläft er, dann jagt er, oder hat etwas Anders zu thun; wird oft verhindert. Unsern Gott aber hindert die Welt nicht; er sieht alle dinge in einem Blick, hört, weiß Alles, auch deine Gedanken, ehe du geboren bist, Ps. 139, 2. „zählt die Haare deines Haupts“, Matth. 10, 30. „Tausend Jahre sind vor ihm wie Ein Tag“, und hinwieder, Ps. 90, 4.

6. Er nimmt weder zu noch ab, hat weder Zeit noch Ort, ist immer bereit zu helfen und zu geben, stehet alle Augenblicke vor unserer Thüre, wartet, wenn ihm aufgethan wird, Offenb. 3, 20. Seine Zeit ist allezeit; aber unsere Zeit ist nicht allezeit. Halten wir stille im Glauben, so werden wir bald erhört. „Ach, Herr Gott! wie reich tröstest du, die gänzlich sind verlassen! Der Gnaden Thür' steht nimmer zu; Vernunft kann das nicht fassen rc.“

7. Zeitliche Dinge bringen Veränderung in unserem Gemüthe, halten uns ab vom innigen Gebet. Darum müssen wir vergessen Zeit, Ort und aller Creaturen. Das ist, wie die Deutsche Theologie Cap. 30. sagt: „Du mußt verlassen hie und da, dies und das, heut und morgen, und ganz in einen Stillstand kommen, aller deiner Kräfte und Gemüths, wenn du betest.“ So bricht solcher Sabbath an in deinem Herzen; du ruhest von allen zeitlichen Sorgen und Gedanken, und Gott kommt alsdann mit seinem Wort aus der Höhe; da wirst du gewahr und schmeckest die Treue, Güte und Wahrheit Gottes, wie sie lange zuvor auf dich wartete, ehe du ihn kanntest.

8. Da mußt du bei dir mit Mose, (2 Mos. 34, 6) sagen: „Ach Herr! du bist treu, gnädig, barmherzig, langmüthig, voller großer Güte, kommst Allen zuvor ehe sie bitten. Da wirst du dich verwundern, daß du aus eigener Blindheit deinem lieben Gott eine solche Unvollkommenheit angedichtet hast, als müßte er durch Ceremonien, Geschrei und Gebet erst erweckt und ermuntert werden, oder als dürfte Gott deines Gebets und langer Worte; so er doch dein Herz gesehen, und alle Gedanken gemerket, ehe du geboren warest, Ps. 139, 2.

Gebet um Erkenntniß, daß man Gott an allen Orten und zu allen Zeiten anbeten könne.

O allmächtiger, ewiger, gütiger Gott und Vater! deine Güte und Wahrheit ist höher denn der Himmel, tiefer als der Abgrund, breiter denn die Erde; vor dir sind alle Oerter Ein Ort, alle Zeiten Eine Zeit. Du bist über alle Oerter und Zeiten; durchdruckst, durchdringst und erfüllst Alles; bist mir näher, denn ich mir selber bin; kommst mir mit deiner Gnade zuvor; liebest mich armen Sünder, ehe ich solches erkenne. Lehre mich durch deinen Geist solches Alles mit Ernst betrachten; so werde ich dir, o allwissender, allgegenwärtiger Vater! hinfort aus meiner Unwissenheit nicht zumessen, als müßte ich dich durch mein Geschrei erst erwecken, hin und her laufen, dich suchen und zu gewisser Zeit anreden; sondern ich werde verstehen, daß dich die wahren Anbeter finden an allen Orten und Zeiten, und deine Güte gegenwärtig, Niemand aber derselben genieße, noch deine Süßigkeit schmecke, er werde denn durch das heilige Gebet von dir dazu ermuntert und erweckt. Daß ich nun hiezu kommen möge, wollest du durch deinen Heiligen Geist selber in mir wirken und geben. Amen.