Anselm von Canterbury - Gebet 7 - Für die Freunde.

Jesu Christe, du holdseliger und gnädiger Herr, der du eine Liebe bewiesen, wie die Niemand größer, Niemand eben so groß zu hegen vermag, du brauchtet dem Tode nicht den Sold zu bezahlen, und hat doch deine fromme Seele für deine Knechte, die gesündigt haben, zum Opfer gegeben, ja selbst für deine Mörder gebetet, um sie also zu deinen Brüdern, um sie gerecht zu machen, und sie mit deinem barmherzigen Vater und mit dir zu versöhnen. Darum hast du auch, o Herr, deinen Freunden das Gebot gegeben, daß sie eine eben so starke Liebe erweisen sollen, wie du. O Herr, wie bist du so gut! Wie vermag ich nur deine unausdenkliche Liebe dir genugsam zu danken? Womit soll ich nur deine unermeßliche Wohlthat dir vergelten? Uebersteigt doch die süße Gabe deiner Güte alles Danken. Ueberragt doch die Größe deiner Wohlthat alle Vergeltung. Was also kann ich dir zur Vergeltung geben, dir, der du mich schuft und mich neu geschaffen hast? Du bist der Herr, mein Gott, und bedarfst meiner Gaben nicht. Denn dein ist der Erdkreis und Alles, was darinnen ist. Was also vermag ich armer Bettler, ich, ein Wurm von Staub und Asche, dir meinen Gott Anderes zur Vergeltung zu bieten, als einen herzlichen Gehorsam gegen dein Gebot? Es ist aber dein Gebot, daß wir uns unter einander lieben sollen.

Diesem deinem Gebote, der du als Mensch und Gott, als Herr und Freund so gut bist durch und durch, begehrt dein demüthiger und unnützer Knecht Gehorsam zu leisten. Du weißt, o Herr, daß ich ein heißes Verlangen trage nach der Freundlichkeit und Gütigkeit, nach der Liebe, die du befiehlt. Nach ihr sehne ich mich, sie suche ich, um ihretwillen klopft und ruft dein armer Bettler an der Thür deiner Barmherzigkeit. Und so weit ich schon aus deiner freigebigen Hand, die so gern und umsonst gibt, dies köstliche Almosen empfangen durfte, habe ich jeden einzelnen Menschen in dir und um deinetwillen lieb, wenn auch noch nicht in dem Grade, als ich sollte und gern wollte, darum bete ich für sie alle um dein Erbarmen. Da aber deine Liebe gar Viele in ganz sonderlicher Weise der Liebe meines Herzens befohlen hat, so spüre ich gegen sie eine noch wärmere Zuneigung, und möchte brünstigere Fürbitte für sie einlegen. So will denn, du frommer Gott, dein Knecht mit ganzem Ernst für seine Freunde beten, aber meine Sünde will mich hindern denen, die ich liebe, diesen Liebesdienst zu thun. Denn wenn ich nicht fertig werde für mich Vergebung zu erbitten, mit welcher Stirn darf ich mir herausnehmen dich für Andere um Gnade anzuflehen? Und wenn ich voll Angst und Sorge nach Andern ausschaue, die mich bei dir vertreten sollen, wie darf ich mit Zuversicht um Andrer willen vor dich treten? Was soll ich nur thun, o Herr, mein Gott, ja was soll ich thun? Du befiehlt mir für jene zu beten, und, weil ich sie liebe, will ich es auch, aber da mein Gewissen mich mahnt um meine eigene Sünde zu sorgen, scheue ich mich für Andere meine Stimme zu erheben. So muß ich wohl lassen, was du gebietet, weil ich that, was du verbietet? Oder soll ich gerade, weil ich ohne Scheu dein Verbot mißachtete, mit doppelter Treue dein Gebot befolgen? Vielleicht, daß mein Gehorsam meinen Ungehorsam gut machen, meine Liebe die Menge meiner Sünden bedecken kann.

So bitte ich denn, du frommer treuer Gott, für die, die mich lieben um deinetwillen, und die ich liebe in dir; ich bitte für sie um so brünstiger, je mehr ihre Liebe zu mir und meine zu ihnen in deinen Augen eine ungefärbte ist. Also thue ich, o lieber Herr, nicht weil ich gerecht, und ohne Sorge um meine Sünden bin, sondern, weil die Liebe, die ich fühle, mich besorgt um Andere macht. Ach liebe du sie, du Urquell der Liebe, der du mir die Liebe in ihnen befiehlt und gibt. Und wenn mein Gebet es auch nicht werth ist, ihnen Segen zu bringen, weil es ein Sünder dir darbringt, so müsse es ihnen dennoch frommen, weil es auf deinen Befehl geschieht. Um deinetwillen also, du Schöpfer und Spender der Liebe, um deinet-, nicht um meinetwillen wollest du sie lieben, und schaffen, daß sie hienieden von ganzem Herzen, ganzer Seele und ganzem Gemüthe dich lieben, und darum nur, was dir gefällt und ihnen selber heilsam ist, wollen, reden und thun. Nur allzu lau, o Herr, ist mein Gebet, weil meiner Liebe es allzusehr an Gluth gebricht. Du aber, der du so reich bist an Erbarmen, ach miß ihnen deine Wohlthat nicht nach der Lauigkeit meiner Inbrunst zu, sondern gleich wie deine Güte alle menschliche Liebe übersteigt, so müsse auch dein Gewähren weit hinausgehen über mein Bitten und Verstehen. So thu ihnen und gib ihnen, o Herr, was nach deinem Rathe ihnen zum Besten dient, und laß sie also allezeit und allenthalben deiner Leitung und deinem Schutze befohlen sein, bis sie eingehen zu deiner ewigen Ruhe und Herrlichkeit, der du lebest und regierest in Ewigkeit. Amen.