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Ahlfeld, Friedrich - Zeugnisse - Die Bitterkeit der Welt darf das Herz des Christen nicht verbittern.

(Am Sonntage Reminiscere 1855.)

Die Gnade unseres Herrn und Heilandes Jesu Christi, die Liebe Gottes des Vaters, und die Gemeinschaft des heiligen Geistes sei mit euch Allen. Amen.

Ev. St. Luca Kap. 9, V. 54-56:
Es begab sich aber, da die Zeit erfüllt war, dass er sollte von hinnen genommen werden, wandte er sein Angesicht stracks gen Jerusalem zu wandeln. Und er sandte Boten vor ihm hin, die gingen hin und kamen in einen Markt der Samariter, dass sie ihm Herberge bestellten. Und sie nahmen ihn nicht an, darum, dass er sein Angesicht gewendet hatte, zu wandeln gen Jerusalem. Da aber das seine Jünger, Jakobus und Johannes, sahen, sprachen sie: Herr, willst du, so wollen wir sagen, dass Feuer vom Himmel falle, und verzehre sie, wie Elias tat? Jesus aber wandte sich, und bedrohte sie und sprach: Wisst ihr nicht, welches Geistes Kinder ihr seit? Des Menschen Sohn ist nicht gekommen, der Menschen Seelen zu verderben, sondern zu erhalten.

Der heutige Tag, in dem Herrn geliebte Gemeinde, heißt Reminiscere, d. h. „Gedenke doch.“ Daran, dass der Herr unserer gedenkt in Gnaden, hängt unser Heil und Leben, das ist unser wahrer Lebensfaden. Ja gedenke, Herr, an deine Barmherzigkeit und an deine Güte, die von der Welt her gewesen ist. Gedenke nicht der Sünden meiner Jugend und meiner Übertretung; gedenke aber meiner nach deiner Barmherzigkeit, um deiner Güte willen. Soll nun, teure Gemeinde, der Herr unserer gedenken nach seiner Barmherzigkeit, so dürfen wir ihrer auch nicht vergessen, so müssen wir ihrer auch gläubig gedenken. Und da steht unter Allem, was er je von Gnade an uns getan hat, obenan, dass er seines eingebornen Sohnes um unseretwillen nicht hat verschont, sondern hat ihn für uns Alle dahingegeben. Die Gedenktage an das bittere Leiden und Sterben unseres Herrn sind gekommen. Wir sind eingetreten in die Passionszeit. Leise kündigt sich das Ungewitter an, welches über den Herrn hereinbrechen soll. Auch unser vorgelesenes Evangelium deutet schon auf dasselbe hin. Die Zeit ist nahe, dass er soll von hinnen genommen werden. Er zieht hinauf gen Jerusalem. Die Samariter, bei welchen er heute einkehren will, sind nicht wie die zu Sichem, bei welchen wir ihn neulich gesehen haben, welche zu ihm herausströmten an den Jakobsbrunnen und ihn hineinholten in die Stadt. Diese wollten ihn nicht einmal aufnehmen, obgleich er sie darum bitten ließ. Er kam in das Seine, und die Seinen nahmen ihn nicht auf. Das Licht schien in die Finsternis, aber die Finsternis hat dasselbe nicht begriffen. Auch die Jünger erscheinen uns hier ähnlich, wie in der Nacht, da der Herr gefangen genommen ward. Im Garten Gethsemane zieht Petrus das Schwert und haut dem Knechte des Hohenpriesters ein Ohr ab. Hier wollen Johannes und Jakobus Feuer auf die Stadt herabbitten, um sie zu verderben. Das war auch schon ein Stück seines Leidens; denn er sah darin, wie wenig seine treuesten Jünger bisher ihn und das Wesen seines Reiches noch erkannt hatten. Wir möchten glauben, dieser Ausbruch ihres Zornes habe ihm weher getan, als die Abweisung von Seiten der Samariter. - Wie aber tritt er selbst uns entgegen? Sein Herz ist schon ausgesprochen in der Art, wie uns die Evangelisten den Vorgang erzählen. Die Stadt, deren Bürger ihn aufnahmen und baten, bei ihnen zu bleiben, Sichem oder Sichar, ist genannt zum ewigen Gedächtnis. Die Stadt, deren Bürger ihn nicht aufnahmen, nennt kein Evangelist. Wie der Herr sie nicht im Zorn in sein Herz schrieb, so sollte sie auch nicht in die Evangelien verzeichnet werden. Der Herr ist überall derselbe. Wie sich seinem großen Leiden gegenüber seine Liebe im hellsten Lichte offenbart, so offenbart sie sich auch dieser Verachtung gegenüber. Bei dem sündlichen Menschen brechen nach dem Maße des Widerspruchs oder der Anfeindung, welche er erfährt, die Zornesflammen hervor.

Bei Christo bricht nach dem Maße der Feindschaft die Flamme der Liebe hervor. Wie der Stein das Feuer aus dem Stahl schlägt, so schlägt Anfeindung und Widerspruch das Feuer aus den verborgenen Tiefen des Herzens heraus. Nur ist das Feuer im Stahl einerlei Feuer; aber aus dem Herzen des Menschen kann zweierlei Glut kommen, entweder das verzehrende Feuer des Grimms und der Rache, oder das belebende Feuer der um so innigeren Liebe. Herr Jesu Christ, wir bitten dich, verkläre uns in dein heiliges Wesen. Gieß aus das Feuer deiner heiligen Liebe. Schreibe mit tiefer Schrift, schreibe mit deinem teuren Blute das Wort in unsere Herzen: „Liebet eure Feinde; segnet die euch fluchen; tut wohl denen, die euch hassen; bittet für die, so euch beleidigen und verfolgen, auf dass ihr Kinder seit eures Vaters im Himmel.“ Lass uns unter der Kälte, Verachtung und Feindschaft der Welt nicht erkalten, noch zu Bitterkeit und Zorn entzündet werden. Herr Herr, wir wandern nach dem Jerusalem, das droben ist, wir wallen zu dir. Du bist die Liebe. Wo wir fallen aus dieser heiligen Liebe, irren wir vom Wege ab und gehen rückwärts. Darum wollest du überall, wo uns die Welt kalt anweht, und wo unser natürlicher Mensch gar große Lust hat, Gleiches mit Gleichem zu vergelten, neben uns stehen, uns halten, strafen, aufrichten und in dir befestigen und stärken. Du wollest uns heiligen durch und durch, und unser Geist ganz samt Seele und Leib müsse unsträflich erhalten werden auf deine herrliche Zukunft. Du bist getreu; aus Liebe hast du uns berufen, vollende uns in der heiligen Liebe. Amen.

Wir behalten uns aus unserem heutigen Texte für unsere weitere Andacht den Grundgedanken:

Die Bitterkeit der Welt darf das Herz des Christen nicht verbittern.

Indem wir unserem Texte nachgehen, teilen wir uns dieses Wort nach folgender Ordnung:

  1. Die Welt kann nicht anders, denn gegen Christum streiten;
  2. Der Gesetzesmensch möchte Gleiches mit Gleichem vergelten;
  3. Der Christ siegt durch die tragende Liebe.

I. Die Welt kann nicht anders, denn gegen Christum streiten.

Teure Gemeinde, Ostern ist nahe. Das rechte Osterlamm will zu dem Feste nicht fehlen. Der Herr kommt von Galiläa, er hat sein Angesicht gewandt, stracks gen Jerusalem zu wandeln. Sein Weg führt ihn mitten durch das Land der Samariter. Er will nicht wie die pharisäischen Juden um dasselbe herumgehen, denn er ist auch ein Heiland für dieses Volk. Da sendet er denn etliche von seinen Jüngern voraus, ihm in einem Flecken die Herberge zu bestellen. Unter diesen Jüngern waren die Brüder Johannes und Jakobus, denen er früher den Namen der Donnerskinder gegeben hatte. Aber die Einwohner jenes Fleckens nehmen ihn nicht auf, weil er sein Angesicht gewandt hatte zu wandeln gen Jerusalem. Wir können uns darüber kaum wundern. Die Samariter hatten zwar aus der Zeit der Väter her die fünf Bücher Mose behalten, aber die heilige Wahrheit derselben vermischt mit allerlei heidnischen Zusätzen. Wie sie selbst ein Mischvolk waren aus Israeliten und Heiden, so war auch ihr Glaube ein Gemisch aus Judentum und Heidentum. Gegen die Stadt Jerusalem, wo der Tempel des großen Gottes stand, vor welchem ihr eigener Tempel verblichen und in Trümmer zerfallen war, hegten sie einen bitteren Hass. Die Priester und Pharisäer hatten durch Hochmut, Bitterkeit und Spott dieses Feuer noch geschürt. Spricht sich doch selbst Sirach über dieses Volk so aus: „Zweierlei Volk bin ich von Herzen Feind; dem dritten aber bin ich so gram, wie sonst keinem: den Samaritern, den Philistern und dem tollen Pöbel zu Sichem.“ Weil nun der Herr hinaufzog nach diesem Jerusalem, wo die Ehre des Gottes thronte, den die Samariter verachtet hatten, wollten sie ihn nicht aufnehmen. Teure Gemeinde, das Leben jedes lebendigen Christen ist ein Hinaufziehen nach Jerusalem, nach dem Jerusalem, das droben ist. Von der Zeit an, wo du dich aufrichtig bekehrt zu dem Herrn deinem Gotte, hast du auch dein Angesicht gewandt, stracks zu wandeln gen Jerusalem. Durch den Glauben sind wir schon droben; im Glauben sind wir Bürger der himmlischen Gottesstadt. Nun soll nur der Glaube völliger und das Leben ein Wandel in demselben werden. Jedes Wachstum im Glauben und in der gottseligen Erkenntnis ist eine Station, die wir auf dem Wege zurückgelegt haben. Jede Verleugnung unserer selbst, jede Befestigung in der Gottseligkeit und in der Nachfolge des Herrn ist wiederum eine Station. Wir langen an in der seligen Gottesstadt, wenn wir in einem gläubigen Sterben die letzte große Station zurückgelegt haben. Es ist wahr, der letzte Berg vor dem himmlischen Zion ist der steilste und sauerste. Aber alle Mühe und Not wird überschwänglich vergolten durch die Freude, wenn der Christ sagen kann: „Ich bin da, ich bin daheim.“ Der Herr wischt den Schweiß von der Stirn und die Tränen von den Augen, er zieht die Dornen aus den Füßen und heilt die alten Wunden und Striemen in einem Augenblick.

Und wenn zuletzt ich angelangt bin
Im schönen Paradies,
Von höchster Freud' erfüllt wird der Sinn,
Der Mund von Lob und Preis,
Das Hallelujah reine
Spielt man in Heiligkeit,
Das Hosianna feine
Ohn' End' in Ewigkeit.

Aber der Weg nach dieser hohen Gottesstadt führt auch für jeden Christen durch der Samariter Land. Wir sahen dort ein Gemisch von der alten göttlichen Offenbarung und von mancherlei heidnischem Wesen. Ist es nicht in unzähligen Christenherzen ebenso? Einiges will man beibehalten von der heiligen Wahrheit der Schrift; Anderes will man wegwerfen und Menschensatzung und Dienst des eigenen Ich an dessen Stelle setzen. Wenn wir unser Glaubensbekenntnis ansehen, so gehen alle die, welche im Leichtsinn des Lebens das tiefere Schuldbewusstsein verloren haben, gern mit bis zum ersten Artikel. An Gott den Vater, den allmächtigen Schöpfer Himmels und der Erden, wollen sie wohl glauben. Kommen wir aber an den zweiten Artikel, an den wesentlichen Sohn Gottes, der von Ewigkeit beim Vater war und dann Mensch, und mit der menschlichen Natur in Verbindung Gottmensch geworden ist: dann geht es, wie einst mit dem Heere Gideons: es bleibt ein großer Teil zurück. Sie machen sich einen andern Christus, sie mischen Gottes Gedanken und ihre Gedanken zusammen, wie jene Samariter. Kommen wir hinüber an den dritten Artikel, wo dem Menschen alles eigene Verdienst genommen und alle Hoffnung auf die Gnade hingewiesen wird, da scheidet sich wieder ein Teil vom Heere. Der Hochmut will sie nicht klein werden lassen. Sie wollen sich selbst und ihrem Verdienst einen Teil ihrer Seligkeit zuschreiben, sie mischen wieder Göttliches mit Menschlichem und Sündlichem. Und geht es dann endlich an die heilige Tat heran, soll der Christus für uns ein Christus in uns und an uns werden, sollen wir unsern Willen und unsere liebsten Gelüste mit ihm in den Tod geben, dann bleibt noch einmal ein großer Haufe stehen. Er will wohl dem Willen Gottes in Etwas Gehör geben, er will aber dem eignen Willen sein Recht vorbehalten. Christum rühmen ist leicht, aber mit Christo sterben ist schwer. „Herr Herr“ sagen ist leicht, aber ihn wahrhaftig zum Herrn in sich werden lassen, das ist schwer.

So nun ein Christ in ganzem Glauben und in treuem Ernst der Heiligung stracks hinaufwandelt nach dem himmlischen Jerusalem, wird er überall solchen Seelen begegnen, welche, obschon mitten in der Kirche, doch Welt bleiben wollen. Sie werden mit ihm umgehen, wie jene Samariter mit dem Herrn. Will er ihnen das ganze Heil verkündigen, so nehmen sie ihn nicht auf. Macht er Ernst mit der Buße, hat er sein Angesicht gewandt, stracks gen Jerusalem zu wandeln, so lachen sie seiner. Sie sagen ihm: „Du übertreibest es, du ertötest die Freude im Leben; man muss leben und leben lassen; du verstehst deinen eigenen Vorteil nicht; wir können mit dir nicht eine Straße ziehen.“ Sie gehen auch noch weiter. Sie überschütten ihn mit Hohn und Spott. Er muss ein Narr sein in ihren Augen. Es kann auch nicht fehlen, dass sie ihm hie und da Hindernisse auf seiner Pilgerfahrt in den Weg legen. Sie können aber nicht anders. Kein Wesen kann seine Natur verleugnen. Der natürliche Mensch vernimmt Nichts vom Geiste Gottes; es ist ihm eine Torheit, und er kann es nicht erkennen. Die Finsternis muss das Licht hassen. Der Herr hat seinen Jüngern ihr Loos vorher verkündigt. Er spricht in seinem hohenpriesterlichen Gebet: „Ich habe ihnen gegeben dein Wort, und die Welt hasst sie, denn sie sind nicht von der Welt, wie denn auch ich nicht von der Welt bin.“ So wird sie zu allen Zeiten die hassen, welche aus dem Geist geboren und im Geist lebendig geworden sind. Wundere dich nicht, wenn es dir auch ergeht, wie es dem Herrn vor jener ungenannten Stadt ergangen ist. Hüte dich aber, dass du dich nicht versündigest wie unsere beiden Jünger.

II. Der Gesetzesmensch möchte Gleiches mit Gleichem vergelten.

Sobald die Jünger die abweisende Antwort bekommen hatten, wallte ihr Herz in ihnen auf. Ihren Herrn hatten die Samariter verachtet, und die Jünger fühlten sich mit verachtet. Wir können in diesem Zorne nicht scheiden, wie weit er der Ehre des Herrn galt und wie weit er aus der Verletzung der Boten hervorging. Die Jünger eilten zurück zu dem Herrn. Sie mögen den Rückweg zu ihm schneller vollendet haben, als den Hinweg zu jener Stadt. Da stehen sie nun vor ihm, erzählen die Geschichte und schließen sie mit der Frage: „Herr, willst du, so wollen wir sagen, dass Feuer vom Himmel falle, und verzehre sie, wie Elias tat.“ Seht, liebe Gemeinde, es ist ein Glaube bei ihnen. Sie glauben ja, dass sie durch ein Gebet im Namen des Herrn Feuer auf jene Stadt herabrufen können. Es ist auch einiges Verständnis von dem Herzen des Herrn da. Sie wagen es nicht, von ihm solche Bitte zu verlangen. Sie haben das klarere oder unklarere Bewusstsein, dass er es nicht tut. Hier wäre nun der Übergang zu sich selbst so leicht gewesen. Tut es der Herr nicht, dann darf es der Jünger auch nicht; darf es das Haupt nicht, dann darf es das Glied auch nicht. Das neue Leben in uns ist ja Christus in uns. Was der Herr in seiner Person nicht tat, kann auch der Christus nicht tun, welcher in uns Gestalt gewonnen hat. Aber der Zorn trieb sie aus dem neuen Bunde heraus in den alten. In demselben neunten Kapitel, aus welchem unser Text genommen ist, steht auch die Verklärung Christi geschrieben. Auf dem Verklärungsberge waren dem Herrn und den Jüngern Moses und Elias erschienen. Elias scheint von dort den Söhnen Zebedäi besonders im Gedächtnis hangen geblieben zu sein. Sie mochten sich nach dieser Erscheinung mit ihren Gedanken in seiner Geschichte ergangen haben. Darum wollten sie die Bürger jener Stadt strafen, wie Elias die Hauptleute des Königs Ahasja mit ihren Scharen gestraft hatte. Er hatte dem abgöttischen Könige Ahasja, welcher in seinem Saal durchs Gitter gefallen war und schwer krank lag, verkündigen lassen, dass er um seiner Abgötterei willen von diesem Krankenlager nicht wieder aufstehen, sondern sterben würde. Da sandte der König einen Hauptmann über Fünfzig samt diesen Fünfzig hin, den Elias zu holen. Elias saß auf einem Berge. Der Hauptmann sprach zu ihm: „Du Mann Gottes, der König sagt: du sollst herabkommen.“ Elias antwortete dem Hauptmann: „Bin ich ein Mann Gottes, so falle Feuer vom Himmel und fresse dich und deine Fünfzig.“ Da fiel Feuer vom Himmel und fraß ihn und seine Fünfzig. Also erging es auch einem zweiten Hauptmanne mit seinen Fünfzig. Der dritte redete anders mit dem Propheten. Er bat: „Du Mann Gottes, lass meine Seele und die Seele deiner Knechte, dieser Fünfzig, vor dir Etwas gelten.“ Da ist Elias mitgegangen und hat dem Könige mündlich verkündigt, was er ihm früher durch Boten hatte sagen lassen, nämlich dass er sterben würde. Und er starb. Nach den Ordnungen des alten Bundes war der Prophet in seinem Recht. Ein Mann Gottes war er jenem Könige und seinen Hauptleuten, und doch wollten sie Gericht halten über den Mann Gottes, welcher nur seines Herrn Befehle ausgerichtet hatte. Sie trieben in dem „Manne Gottes“ Spott mit Gott selbst. Wundert euch nicht, dass Gott durch seinen Knecht solche Strafe übt. Sagt nicht: „Das ist Gottes unwürdig.“ Gott ist ebenso gut ein Gott der Gerechtigkeit wie der Liebe. Er streckt nach seiner unerforschlichen Weisheit dort den Arm der Gerechtigkeit und hier den Arm der Barmherzigkeit aus. Der alte Bund war ein Bund der Gerechtigkeit. Er war gegründet auf Gegenseitigkeit: „Wenn ihr bleibt in allen meinen Satzungen und danach tut, will ich euch ein gnädiger Gott sein. Wenn ihr aber abfallt und andern Göttern dient, will ich meinen gewaltigen Arm über euch ausrecken und euch züchtigen, wie ihr es verdient habt.“ Der gerechte Gott kann auch einen Bund der Gerechtigkeit gründen. Er hat ihn gegründet, damit unter demselben die Sehnsucht nach dem Bunde der Gnade im Volke Israel erwachsen sollte. Wundert euch auch nicht über den alten Propheten. Es möchte Mancher sagen: „Von diesem Elias erzählt uns die Schrift so viele Züge der helfenden Liebe, und hier steht er da und tötet die Männer im plötzlichen Gericht.“ Er ist ein Knecht Gottes. Der Knecht eifert für die Ehre seines Herrn. Ein Knecht muss bleiben in seinem Dienst. Ein Knecht hat nicht am Herzen des Vaters geruht, wie ein Kind Gottes. Klagest du aber: „Wie kommen die Leute, die Kriegsknechte dazu, dass sie um der Sünde ihres Herrn willen sterben müssen?“ so lies das erste Kapitel im zweiten Buch der Könige. Jede der drei Scharen hat einen eigenen Geist, der sich in dem Hauptmanne ausprägt. Die beiden ersten haben nach dem ganzen Klange des Wortes in ihrem Herzen Teil an der Sünde des Königs. Sie treiben ihr Werk mit Freuden. Die dritte aber ist nur gegangen, weil Jedermann seiner Obrigkeit untertan sein soll. Ihre Herzen waren nicht bei ihrem Beruf. Endlich ist aber auch der König selbst nicht ohne seine Strafe geblieben, denn er starb nach dem Worte des Herrn, das Elia geredet hatte.

Wundern können wir uns nur über die Jünger, dass sie noch so wenig eingegangen waren in den Geist des neuen Bundes. Und noch mehr müssen wir uns über uns selbst wundern. Wenn wir Jemand anriefen in seinen Sünden, wenn wir ihn ermahnten, umzukehren und dem Herrn die Ehre zu geben, und er achtete nicht darauf, sondern warf das Wort spöttisch weg, dann war unser Herz auch flugs voll von Bitterkeit. Lasst uns einmal prüfen, was uns dabei eigentlich am Wehesten tat. Waren wir verdrossen darüber, dass er den Herrn verachtete, oder dass er uns, seine Boten, verachtete? Wir werden bei ehrlicher Erforschung überall finden, dass ein Stück von gekränkter Eitelkeit mit dabei war. Es tat uns oft weher, dass er uns und unser Wort, denn dass er den Herrn und sein Wort verwarf. Daraus entzündete sich denn auch ein falsches Feuer wie bei den Jüngern. Wenn wir auch nicht gerade Feuer vom Himmel herabrufen wollten, so meinten wir doch, die Strafe Gottes über einen Solchen würde nicht lange ausbleiben. Was geht uns denn die Strafe Gottes an? Die ist Gottes Sache. Er wird sie senden, wenn er seine Zeit ersehen hat. Uns geht die Seele an, welche am Rande des Verderbens wandelt. Und wenn du dann einen solchen Verirrten kalt oder hart behandeltest, wenn du durch sein Feuer auch in dir das Feuer des Zornes anzünden ließest, dann begingest du ein doppeltes Unrecht. Hast du je gehört, dass Feuer mit Feuer gelöscht worden ist? Ebenso wenig wird auch das Feuer in der Seele, der Zorn oder der Hass, mit Feuer gedämpft. Die Waffen unserer evangelischen Ritterschaft sind nicht fleischlich. Denke dir, der Herr hätte zu jener Frage der Jünger mit Ja geantwortet: „Ja, ihr sollt bitten, dass Feuer herniederfalle und verzehre den Flecken mit seinen Leuten.“ Denke dir, der Herr hätte mit den Zwölfen vor der brennenden Stadt und ihren getöteten Bürgern gestanden! Du würdest sagen: „Das ist Christus nicht mehr, ich kenne ihn nicht mehr.“ Ebenso bist du, und wenn auch das verzehrende Feuer gegen deinen Nächsten nur still in deinem Herzen brennt, kein Christ mehr. wenn es herausschlägt in wilden, unheiligen Zorn, dann kann dein Bruder neben Dich treten und dir sagen: „Jetzt bist du kein Christ mehr.“ Am Tiefsten endlich müssen wir uns darüber betrüben, dass die christliche Kirche Jahrhunderte lang nicht gewusst hat, welches Geistes Kind sie ist. Tausende von den sogenannten Ketzern sind im Mittelalter unter dem Schwerte und auf dem Scheiterhaufen umgekommen, weil sie nicht glauben wollten, wie die damalige Kirche glaubte. Unzählige rote Indianer sind nach der Entdeckung Amerikas hingemordet, weil sie einen Glauben nicht annehmen wollten, von dem sie nicht das Geringste verstanden. Und noch einmal sind in den Tagen der Reformation unzählige Protestanten mit allerlei Martern zum Tode gebracht worden, weil sie bleiben wollten in der Freiheit, zu der sie Christus befreit hatte, und weil sie sich nicht wieder wollten in das knechtische Joch fangen lassen. Wenn doch jene Glaubensrichter mitgestanden hätten vor der samaritischen Stadt! Wenn sie doch nur einmal mit Ernst und Glauben unser Kapitel gelesen hätten! Sie müssten erkannt haben, dass der Herr an jener Stätte alles Blutvergießen um des Glaubens willen für immer untersagt hat. Der Herr wolle unsere Kirche vor solcher Verirrung in Gnaden behüten! Eine treue Mutter trauert über die verirrten Kinder, sucht sie mit aller Liebe und mit allem Fleiß; aber sie entbrennt über sie nicht in Grimm und schlägt sie nicht tot. Mag der Geist des Herrn, mag seine Kampfesweise in unserer Kirche bleiben!

III. Der Christ siegt durch die tragende Liebe.

Schaue hinein in unser Evangelium. Zuerst straft der Herr die Jünger für ihren tödlichen Zorn. „Wisst ihr nicht, welches Geistes Kinder ihr seit?“ Nun welches Geistes denn? Nicht Kinder des eifernden Gesetzesgeistes, welcher aus der Majestät und Gerechtigkeit Gottes auch Macht empfangen hatte, die Widerspenstigen zu töten. Ihr seit Kinder des neuen Bundes, Kinder der Liebe, die des eingebornen Sohnes um unseretwillen nicht hat verschont. Ihr seit Kinder der Liebe, die für uns mit dem Tode gerungen, sich für uns zu Tode geblutet hat; Kinder der Liebe, die wohl das eigene Blut für uns vergossen, aber kein fremdes Blut für sich vergießen lassen wollte. Ihr seit geboren aus dem Herzen Gottes, aber nicht getan unter seinen gewaltigen Arm. Ihr seit zum neuen Leben geboren aus jenem Christus, in dem die Liebe völlig geworden ist. Welcher Verstand möchte wohl eine größere Völligkeit der Liebe ersinnen, denn dass sich der Heilige und Reine hingibt und die Schuld, die Strafe, die Seelenangst und den Tod seiner Feinde auf sich nimmt, auch die Seelenangst, die sie für diesen Mord hätten fühlen sollen. Wenn der Herr bittet: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun,“ dann zittert durch seine Seele auch die Sorge um diese Schuld des Volkes Israel, dann trägt er auch die Sünde, die ihn selbst in den Tod gebracht hat. Das ist der äußerste Gipfel der Liebe. Aus dem Geiste, welcher in diesem Christus wohnte, bist du geboren. Diese Liebe Gottes und Christi ist ausgegossen in unser Herz durch den heiligen Geist, welcher uns gegeben ist. vergiss nicht, welches Geistes Kind du bist! Wenn aber der Herr zur Stunde in dir schläft, und der Zorn über seinem Lager freies Spiel übt, was willst du dann tun? Ein alter Heide gibt dem Zornigen den Rat, er solle ja in der ersten Aufwallung Nichts reden, sondern erst alle Knöpfe an seinem Kleide zählen oder alle Buchstaben des A-B-C hersagen. Das ist für einen Heiden ganz gut. Die Wellen legen sich unterdessen etwas, und die ruhige Überlegung gewinnt Raum. Was aber soll der Christ tun? Schon alte treue Jünger des Herrn haben den Rat gegeben, ehe man in der Aufwallung des Zornes ein Wort spreche, solle man ein Vaterunser beten. Das ist mehr, als die Knöpfe am Kleide zählen oder die Buchstaben hersagen. Da rufe ich die Liebe meines Heilandes herunter in mein Herz. Da kommt die Bitte vor: „Führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Übel,“ und der Zorn ist auch Versuchung und Übel. Da kommt ferner die Bitte vor: „Dein Reich komme.“ Also bitte ich: „Lieber Herr, nimm du das Regiment in meinem Herzen in die Hand. Bändige dasselbe unter dein freundliches und mächtiges Steuer.“ Haben wir dieses teure Gebt in Andacht durchgebetet, dann kommt sicher auch Etwas von unserem weiteren Texte in die Seele: „Des Menschen Sohn ist nicht gekommen, der Menschen Seelen zu verderben, sondern zu erhalten.“ Die Sanftmut, mit welcher der Herr die Lieblosigkeit der Samariter trug, hat sicher mit geholfen, die eine oder die andere Seele unter ihnen zu retten. Als später, nach der ersten blutigen Verfolgung zu Jerusalem, mehrere Jünger nach Samarien flohen und dort das Evangelium verkündigten, fanden sie bei diesem Volke eine offene Tür. Da mag auch Mancher von denen mit eingegangen sein, welche die Jünger hier ihrem Zorne opfern wollten. Der milde Herr, der nicht wiederschalt, da er gescholten ward, nicht drohte, da er litte, kam ihnen wieder ins Gedächtnis. Und du, hilf auch Menschenseelen erhalten. Du hilfst schon, wenn du dich selbst überwindest. Du erhältst deine Seele. Du erhältst damit aber auch zugleich schon die andere; denn im Zorn stoßen wir sie häufig von dem Herrn weg. Hilf aber auch, indem du ihnen den Herrn nahe bringst. Und du kannst ihn deinem Feinde kaum näher bringen, als wenn du trotz seiner Bitterkeit in einfältiger Liebe ihm zu brüderlicher Hilfe bereit bist. Da steht der Herr selbst vor ihm. Ja er ist es selbst, denn in dir hast du solche Kraft und Verleugnung nicht. Christus wirkt sie in dir. So möge der Herr der Barmherzigkeit, der der Menschen Herzen lenkt wie Wasserbäche, unsere Seelen umgestalten, unsern Zorngeist wegnehmen, und seine Sanftmut und Demut hineinlegen. Er kann es. Er hat es an dem Johannes getan. Im heutigen Evangelio verdient er samt seinem Bruder Jakobus den Namen „Donnerskinder“ noch mit vollem Recht. Und nun schlag dir, wenn du heute Nachmittag oder heute Abend still daheim sitzt, einmal seinen ersten Brief auf und lies ihn durch. Er quillt aus einem Herzen, in welchem die Liebe heimisch geworden ist. Der ganze Grundton des Briefes ist aus der Liebe geboren. Auch der Zorn und der Donner, welcher in dem Briefe rollt, geht aus der Liebe hervor. Es tut dem Jünger zu wehe, er kann es nicht tragen, dass die Welt das angebotene Heil verscherzt und die es suchen noch von dem Heilswege weglocken will. Die gewöhnliche Anrede im Briefe lautet: „Ihr Lieben.“ Außerdem zeichnet er uns die Liebe in ihrem Ursprunge und in ihrem Wesen überaus trefflich. „Gott ist die Liebe, und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott, und Gott in ihm. Lasst uns ihn lieben, denn er hat uns zuerst geliebt.“ Von der brüderlichen Liebe sagt er: „Wer seinen Bruder liebt, der bleibt im Licht, und ist kein Ärgernis in ihm. Meine Kindlein, lasst uns nicht lieben mit Worten, noch mit der Zunge, sondern mit der Tat und mit der Wahrheit. Daran haben wir erkannt die Liebe Christi, dass er sein Leben für uns gelassen hat; und wir sollen auch das Leben für die Brüder lassen.“ Über den Hass richtet er so: „Wer da saget, er sei im Licht, und hasset seinen Bruder, der ist noch in Finsternis. So Jemand spricht, er liebe Gott, und hasset seinen Bruder, der ist ein Lügner. Denn wer seinen Bruder nicht liebt, den er sieht, wie kann er Gott lieben den er nicht sieht? Wer seinen Bruder hasset, der ist ein Totschläger, und ihr wisst, dass ein Totschläger nicht hat das ewige Leben bei ihm bleibend.“ Endlich zeigt er noch, welche Stellung die rechte Liebe zu Gott hat: „Furcht ist nicht in der Liebe.“ In seinem hohen Alter, wo er zu längerer Rede zu schwach geworden war, soll er der Gemeinde gewöhnlich weiter Nichts gesagt haben als: „Kindlein, liebt euch unter einander.“ Natürlich ermahnte er damit zu der aus dem Herrn geborenen Liebe, welche das ewige Heil des Bruders im Auge hat, ihn nicht etwa in träger Weichlichkeit in seiner Sünde dahingehen lässt, sondern ihn mit herzlicher Ermahnung Fürbitte und Hilfe bauet und fördert in seinem Heile. Nun vergleicht einmal das Donnerskind mit dem lieben Alten, der uns in dem Briefe und in der obigen Erzählung entgegentritt. Nicht wahr, er weiß nun, welches Geistes Kind er ist? Und du, in dem es bei jeder Verlegung, welche dir dein Nächster zufügt, noch glüht und brennt, denke daran, dass du ein Jünger desselben Herrn, und dass du aus demselbigen Geist geboren bist. Bitte deinen Herrn, dass er seine größte Liebeszeit, sein Leiden und Sterben, an dir segnen wolle, dass der Mensch des Zorns in dir ersterbe, und du dich bald in jenem Briefe des Johannes wiederfindest. Herr, das schenke uns Allen aus Gnaden. Amen.