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Ahlfeld, Friedrich - Zeugnisse - Seelen zu retten ist unsere erste Aufgabe im neuen Jahre.

(Am Neujahrstage 1855.)

Die Gnade unseres Herrn und Heilandes Jesu Christi, die Liebe Gottes des Vaters, und die Gemeinschaft des heiligen Geistes sei mit euch Allen. Amen.

Text: Ev. St. Joh. Kap. 4, V. 34-36:
Jesus spricht zu ihnen: Meine Speise ist die, dass ich tue den. Willen des, der mich gesandt hat, und vollende sein Werk. Sagt Ihr nicht selbst: Es sind noch vier Monate, so kommt die Ernte? Siehe, ich sage euch: Hebt eure Augen auf, und seht in das Feld, denn es ist schon weiß zur Ernte. Und wer da schneidet, der empfängt Lohn, und sammelt Frucht zum ewigen Leben, auf dass sich mit einander freuen, der da sät, und der da schneidet.

Wir treffen, in Christo Jesu geliebte Gemeinde, am Neujahrsmorgen den Herrn mit seinen Jüngern am Jakobsbrunnen bei Sichem. An einem Brunnen stehen oder sitzen sie zusammen, und doch geht ein ganz verschiedener Strom durch ihre Seelen. Die Jünger sind in der Stadt gewesen und haben Speise gekauft. Sie sind hungrig vom langen Wege. Ihre Gedanken beziehen sich allzumal auf irdische Nahrung. Sie ermahnen den Herrn: „Rabbi, iss!“ Sie selbst wollten auch gern essen. Der Herr hat während ihrer Abwesenheit ganz andere Arbeit gehabt. Ein samaritisches Weib war zum Brunnen gekommen, um Wasser zu schöpfen. Jesus hatte mit ihr ein Gespräch angeknüpft von dem lebendigen Wasser, welches in Jedem, der es trinkt, ein Brunnen wird, der in das ewige Leben quillt. In diesem Gespräch waren sie fortgeschritten, bis das Weib sein Bekenntnis ablegte: „Ich weiß, dass der Messias kommt, der da Christus heißt. Wenn derselbige kommen wird, so wird er uns Alles verkündigen.“ Da legte denn der Herr auch sein Bekenntnis ab: „Ich bin es, der mit dir redet.“ Kaum hatte das Weib dies Wort vernommen, so eilte sie hinein in ihre Stadt, um die Erfüllung der alten Hoffnung den Leuten zu verkündigen und sie herauszurufen, damit sie selbst sähen und hörten. Der Herr sieht ihr nach. Dies heilsbegierige Weib ist ihm ein Vorbild auf die Heilsbegierde der Samariter und anderer Völker. Seine Seele ruht in der Zukunft, wo sie kommen werden von Morgen und von Abend und von Mittag und von Mitternacht, um in das Reich Gottes einzugehen und mit Abraham, Isaak und Jakob zu Tische zu sitzen. Diese Zukunft erfüllt seine Seele; er hat seine Freude an den Scharen der erretteten Sünder.

Da habt ihr den doppelten Strom in den Herzen der kleinen Schar neben dem einen Brunnen am Neujahrstage der Samariter. Es war ihr Neujahrstag; denn zu ihnen war der gekommen, welcher spricht: „Siehe, ich mache Alles neu.“ Durch unsere Seelen, in dem Herrn geliebte Gemeinde, geht heute auch ein solcher doppelter Strom. Welches sind heute die meisten Anfangsgedanken des neuen Jahres in euren Herzen gewesen? So weit sie sich nicht auf eure Person und eure Familie im engen Kreise beschränkten, sind es meist Brot- und Friedensgedanken gewesen. Ihr habt gedacht, ihr habt auch wohl gebetet: „Wenn nur Gott der Herr im neuen Jahre eine reichlichere Ernte beschert, als im verwichenen! Wenn nur im neuen Jahre das tägliche Brot leichter zu erringen ist, als im verwichenen! Wenn er nur ein Jahr des Friedens schafft, oder doch den Krieg der Völker nicht von jenem äußersten Gliede Europas nach seinem Herzen, d. h. nach unserem Vaterlande, herüberkommen lässt!“ Frieden und Brot wollten wir haben. Und leise, wie das Bächlein Siloah, floss neben jenem Strome noch ein anderes Wässerlein. Einsam wie Einer neben Zwölfen, wie der Herr neben den Jüngern, erhob sich in dem von der Welt und ihren Sorgen erfüllten Herzen der Gedanke und auch wohl das Gebt: „Herr, möge es doch ein gesegnetes Jahr in deinem Reiche werden! Mögen sie doch in Scharen herzukommen und unter den Zweigen des aus dem Senfkorn erwachsenen Baumes Schatten und Ruhe suchen! Möge es für die Schlafenden in der Kirche ein Jahr der Erweckung und Bekehrung, und für die Bekehrten ein Jahr der Erquickung und Förderung werden!“ Das sind die beiden Ströme unter uns. Aus welchem von beiden wollen wir nun heute schöpfen? Wenn wir Erquickung oder eine Zuversicht auf die neue Zeit haben wollen, suchen wir umsonst in dem erstern. Da gibt es Nichts denn Ungewissheit, Vermutung und Sorge. Wir bleiben dabei: „Trachtet am ersten nach dem Reiche Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch solches Alles zufallen.“ Trachtet für euch danach, trachtet auch für Andere danach. Wo die Seele gerettet ist, da ist auch für den Leib gesorgt. Wo die ewigen Güter errungen sind, wird es auch an dem irdischen Bedarf nicht fehlen. Wir stellen daher unserer ersten Predigt im neuen Jahre den Satz voran:

Seelen zu retten, ist unsere erste Aufgabe im neuen Jahre.

Wir erbauen uns an diesem Gedanken in folgender Ordnung:

  1. Die Liebe Christi dringet uns dazu;
  2. Gelegenheit und Mittel sind uns dazu gegeben;
  3. Wir sammeln dann Frucht in das ewige Leben.

Barmherziger Herr und Heiland, du hast hier auf der Erde deine Hütte, deine Arche, in welche du die Seelen aus der Wildnis und aus der Flut der Welt erretten willst. Du hast droben deine heilige hochgebaute Stadt, in welche du sie aus aller Anfechtung, aller Sünde und allem Tode heraus retten willst. Ach segne das Jahr im heiligen Geist, dass recht Viele von denen, die draußen sind, zu deiner Hütte kommen, und dass recht Viele von denen, welche drinnen sind, den Frieden unter dem Schirme deiner Gerechtigkeit schmecken. Segne das Jahr mit deiner Gnade, dass Keiner von unserer Gemeinde, der aus der streitenden Kirche hinweggeht, den Weg des Verderbens gehe, sondern Alle anlangen vor deinem Gnadenthrone. Dazu gib deinem Worte Kraft, deinen Dienern Treue, deiner Gemeinde offene Ohren. Und wenn wir denn also zugreifen nach den himmlischen Gütern, dann wollest du uns in Gnaden die irdischen dazu schenken. Unser täglich Brot gib uns heute, gib auch Hausfrieden und Landfrieden und Völkerfrieden. Ach Herr, hilf doch, dass sich die Leute dein liebes Christgeschenk: Friede auf Erden,“ nicht selbst zertreten und verderben. Ziehe sie durch deinen Frieden auch in diesen Frieden. Amen.

I. Die Liebe Christi dringet uns dazu.

Seelen zu retten, ist der Sohn Gottes in die Welt gekommen. Der Tag, wo diese rettende Liebe in die Welt eintrat, liegt eben erst hinter uns. Wie der Herr später am Kreuze seine Arme nach beiden Völkern, nach Israel und der Heidenwelt ausbreitet, so tut er es auch schon in der Krippe. Die Hirten, als Vertreter des Volkes Israel, und die Weisen aus dem Morgenlande, als Vertreter der Heiden, beugen ihre Knie vor ihm. Seine Liebe, die sich für uns ins Elend gab, hat sie herbeigezogen. Und dieselbe Liebe setzt auch in unserem heutigen Texte das Heilswerk fort. Hier können wir recht erkennen, wie brünstig sie war. Durstig war er zu dem Brunnen gekommen. Sein erstes Wort an das samaritische Weib lautete: „Gib mir zu trinken!“ Als er aber im Gespräch in ihre Seele hineingegangen war und ihre Empfänglichkeit erkannt hatte, da erwähnt er kein Wort wieder von seinem Durste. Ihn dürstet mehr nach dem Heil dieser Seele, denn nach Wasser. Und als seine Jünger wiedergekommen waren, Speise mitgebracht hatten und ihn zum Essen nötigten, da antwortet er: „Das ist meine Speise, dass ich tue den Willen des, der mich gesandt hat, und vollende sein Werk.“ Ihn hungerte mehr nach den Seelen der Völker, als nach Brot. Der selige Hinblick auf die Zukunft, wo die Völker eingehen würden in das Reich Gottes, war seine Freude und Speise. Daher trieb es ihn denn auch, seines Vaters Werk zu vollenden, das Himmelreich fest zu gründen und den Völkern den Zugang zu bereiten. Und ob es dabei ging durch Spott und Hohn, durch Verrat und Verleugnung, durch Kreuz und Tod: die Liebe zu unsern Seelen gab ihm die Kraft und die Treue dazu. Er hat sein Werk vollendet bis in den Tod, die Auferstehung, die Himmelfahrt und die Ausgießung des heiligen Geistes. Die Völker konnten endlich eingehen und sind eingegangen.

Und du, Kind Gottes, du Glied an dem Leibe deines Herrn und Heilandes, du weißt, dass in dir derselbe Pulsschlag klopfen soll, wie in dem Haupte und Herzen. Sehnsucht nach deinem eigenen Heile und nach dem Heile deiner Brüder soll die wahrste und innerste Regung deiner Seele sein. Siehe, heute geht das neue Jahr an. Worin besteht denn seine wesentliche Neuheit? Etwa in der neuen Zahl, dass wir fortan schreiben 1855? Also in der Fünf bestände die ganze Neuheit? Das wäre ein armes neues Jahr! Oder darin, dass die Erde einen neuen Kreislauf um die Sonne antritt? Das ist auch nichts sonderlich Neues. Sie läuft ja wieder den alten Weg, den sie von der Schöpfung her gelaufen ist. Und wenn der Sonnenschein sich wieder lagert auf die Erde, so wird er doch von Wolken und Nacht und Winter wieder verjagt. Und wenn die Auen grünen und die. Felder dick stehen von Korn, und die Blumen blühen wie alle Jahre, so geht doch der Herbstwind auch wieder darüber. Das Alles ist zwar neu, aber auch alt und alternd und sterbend. Selbst die erlösende Barmherzigkeit Gottes wird nichts Neues tun. Sie wird dir nur die alte Erlösung, so in Christo Jesu geschehen ist, von Neuem nahe bringen. Von Neuem wird dir das Leben und Sterben deines Heilandes vor der Seele hindurchgeführt, von Neuem wird dir das alte Wort verkündigt, von Neuem werden die alten Sakramente gespendet werden. Wiederum wird der heilige Geist suchen, wie er in deiner Seele dem Worte Wohnung machen könne. Aber es ist das alte Wort, und es sind seine alten Wege. Was ist nun neu, und wodurch wird das Jahr ein neues Jahr? Nur der neue Glaube und die neue Liebe sind neu. Sie sind ja in dir noch nicht dagewesen. Sie welken und vergehen auch nicht, wie das bisschen Neuheit in der Natur und in der Jahreszahl. Darum, du Liebe, du aus dem Herrn geborene Liebe, feire deinen Neujahrstag. Gehe auf aus der Kammer des Glaubens wie der Morgenstern aus dem Dunkel, in das man nicht sehen kann. Mache dich auf und streife die Selbstsucht ab. -

Kurfürst Joachim Friedrich von Brandenburg (gest. 1608) hatte die Gewohnheit, sich jeden Morgen, ehe er aus seinem Schlafzimmer ging, von einem Edelknaben deutlich die Worte aus dem 139. Psalm vorlesen zu lassen: „Erforsche mich, Gott, und erfahre mein Herz; prüfe mich und erfahre, wie ich's meine. Und siehe, ob ich auf bösem Wege bin, und leite mich, Herr, auf ewigem Wege.“ Heute ist der Morgen des neuen Jahres. Das Jahr ist eben aus seiner Kammer gegangen, und du auch. Nun erforsche dich selbst. Wohin gehen deine Wünsche im neuen Jahre? Sind sie zuerst hinausgegangen auf irdisches Wohlergehen, so bist du auf bösem Wege. Sind sie bei dir stehen geblieben, und hast du deine Brüder in deinen Wunsch und in dein Gebt nicht mit eingeschlossen, so sind sie wieder auf bösem Wege. Lass sie ausgehen, lass sie emporsteigen zu dem Herrn, dass er dich selbst in dem neuen Jahre fester an sein Herz nehme, dass er dich fester gründe im Glauben und dich treuer mache in seiner heiligen Nachfolge. Bitte ihn, dass er im neuen Jahre recht viele schlafende Christen zum Leben erwecke und bekehre, und dass er auch aus der Heidenwelt und aus dem Volke Israel recht viele Seelen einführe in die Hütte seiner Gnade. Wo wir eine gewonnene, bekehrte Seele finden, da ist wirklich ein neues Jahr, da ist ein neues, unverwelkliches Leben. Bitte ihn, dass er dir für das neue Jahr Kraft gebe, treuer zu werden in der Rettung und heiligen Zucht deiner eigenen Seele. Und wie er dort arbeitete um das Heil der Samariter, so wolle er dich auch arbeiten lassen um das Heil der Deinen. Wenn eine Seele gewonnen und in sein Buch eingeschrieben ist, so ist damit mehr geschehen, als wenn du viele tausend Taler in dein Buch eingetragen hättest. - Worauf willst du das neue Jahr und die ganze Zukunft deines Hauses und unseres Volkes gründen? Gründest du sie auf Güter, auf glückliche Verhältnisse in Handel und Wandel, auf ein gutes Geschäft, auf eine gute Wendung des Kriegslaufes in Europa, auf Bündnisse der Fürsten, so sind dies Alles wandelbare Säulen. Die einzige Säule, welche die neue Zeit trägt, ist die Barmherzigkeit Gottes; und diese trägt sie um der Auserwählten willen. Je mehr Christen hienieden wandeln, welche gläubige Hände zum Gnadenthrone emporheben, um so sicherer sind wir eines gesegneten Jahres. Ihre Zahl zu mehren, Seelen zu retten, soll daher deine erste Aufgabe sein.

II. Gelegenheit und Mittel sind uns dazu gegeben.

So wir Jemand aus den Fluten retten wollen, müssen wir ein festes Ufer haben, an das wir ihn bergen. So wir Jemand aus Sturm und Wetter retten wollen, müssen wir ein festes Haus haben, in welches wir ihn bringen. Der Herr ist unser Ufer, er ist unser festes Haus. Zu sich selbst wollte er die Samariter ziehen, an sich selbst wollte er sie im Glauben binden. Er will Alle annehmen, die demütig und gläubig zu ihm kommen. Auch dieses Jahr lädt er ein: „Kommt her zu mir, Alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken. Nehmt auf euch mein Joch und lernt von mir, denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig: so werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen.“ Da ist die Hütte. Wer im Glauben in dieselbe eingegangen ist, der ist geborgen. Es ist ja nichts Verdammliches an denen, die in Christo Jesu sind, die nicht nach dem Fleisch, sondern nach dem Geist wandeln. Die dem Herrn angehören sollen nimmermehr umkommen und Niemand soll sie aus seiner Hand reißen. Da ist die Gelegenheit, wohin du sie bergen kannst. Es müssen sich aber auch solche Seelen finden, die in dies heilige Zelt gerettet werden wollen. Als der Herr mit dem samaritischen Weibe geredet hatte und von ihr über Samaria, über die ganze Erde hin in die Zukunft hinausblickte, sprach er zu den Jüngern: „Sagt ihr nicht: Es sind noch vier Monate, so kommt die Ernte?“ Er redet mit denen, die nur an irdisches Brot dachten, von der irdischen Ernte. Er bedeutet sie, wie diese an eine bestimmte Zeit gebunden ist, und wie sie für jenes Jahr noch weit hinauslag. Er trifft damit auch dich, der du heute nur Nahrungs- und Ernte- und Kriegs- und Friedensgedanken hast. Die Ernte hat ihre Zeit, sie liegt noch weit draußen, und wie lang und weit die Sünde der Menschen den Krieg hinspinnen wird, das wissen wir nicht, darüber bekommst du auch am neuen Jahre keine Antwort und keine Gewissheit. Dann geht er aus ihren Gedanken herüber in seine Gedanken: „Hebt eure Augen auf und seht in das Feld, denn es ist schon weiß zur Ernte.“ Klingt es doch wie Spott auf die Jünger in seinem Munde. Es ist aber keiner. Während jene nur das schwarze, frischbestellte Feld sehen, aus welchem sich kaum die ersten Keime herausgearbeitet hatten, sieht der Herr die Welt, das weite Feld, wo die Völker als die Ähren standen und sich danach sehnten, in die Scheuer, in das Reich Gottes eingesammelt zu werden. Solche Sehnsucht lag damals in den Völkern. Die Einwohner von Sichem strömen auf die Nachricht eines Weibes, das in der Stadt nicht in sonderlicher Achtung stehen konnte - sie hatte fünf Männer gehabt, und der, welchen sie jetzt hatte, war nicht ihr Mann heraus, um den Herrn zu sehen. Sie bitten ihn dann, dass er bei ihnen bliebe. Er blieb auch zwei Tage, und Viele glaubten, nun nicht mehr um der Rede des Weibes willen, sondern weil sie selbst gehöret und erkannt hatten, dass dieser wahrlich war Christus, der Welt Heiland. Und wie die Samariter, so ergreifen nachher auch die Heiden in dem großen römischen Reiche die Gnade. Vierzig Jahre nach der Himmelfahrt des Herrn waren christliche Gemeinden über die drei alten Erdteile verbreitet. Von Arabien bis nach Spanien, von der Küste Afrikas bis hinauf nach Makedonien und Rom lobten die Völker den großen Gott, dass er die Gnade und Wahrheit in seinem Sohne offenbart hatte. Das Wort des Herrn war erfüllt. Das Feld war in der Tat weiß zur Ernte, und die Völker hatten sich gern einernten lassen.

Teure Gemeinde, ist denn hier unter uns das Feld auch weiß zur Ernte? Ihr möchtet wohl fragen: „Was soll das heißen? Sind wir denn nicht allzumal schon eingeerntet in die Scheuer, in die Kirche Jesu Christi?“ Ja, liebe Gemeinde, ihr habt Recht mit solcher Gegenfrage. Aber zwischen drinnen und drinnen ist ein großer Unterschied. Du kannst in der Kirche sein, und dein Herz ist doch in der Welt; du kannst ein Christ heißen, und gehörst doch Christo nicht an. Du kannst zu der streitenden Kirche gehören, und wirst doch kein Glied der triumphierenden sein. Viele tragen den Namen der Christen; aber wenn sie nach ihrem Wesen benannt würden, müssten sie Kinder der Welt und der Bosheit heißen. Viele sind berufen, aber Wenige sind auserwählet. Das Feld ist bei uns weiß zur Ernte, wenn die Berufenen eine herzliche Sehnsucht fühlen, aus dem Namenchristentum heraus in eine wahre Verbindung mit ihrem Herrn zu kommen. Ist es unter uns so? Ist das Feld weiß zur Ernte? Wir können antworten: „Ja.“ Gott der Herr hat die alte bequeme Ruhe der Christenheit stören lassen. Unfriede und Aufregung geht durch die Völker. Der alte Mensch möchte sich so gern sein Schlummerlied wieder singen: „Geh, verdiene und gewinne, mache dir einen guten Tag, iss und trink, sei gutes Muts, gräme dich nicht, nach Gott, dem Gewissen und der Ewigkeit frage nicht viel. Mags hernach kommen wie es will.“ Aber Gott lässt ihm keine Ruhe. Kaum hat er den ersten Vers ausgesungen, kaum hat er ein Jahr so durchgesungen, so stört ihm Gott die Melodie und rüttelt ihn aus der Ruhe. Erst hat er uns aufgerüttelt durch Revolutionen, dann ist er gekommen mit schwerer Krankheit, und im verwichenen Jahre hat er einen Krieg beginnen lassen, dessen Ende noch Niemand absehen kann. Indem der alte sichere Grund unter den Füßen wankt, fühlen die friedlosen Völker, dass sie einen heiligen unwandelbaren Grund haben müssen. Das ist kein anderer, denn der Eckstein, den der Hölle Pforten nicht bewältigen können. Das Feld ist weiß zur Ernte. Über ein halbes Jahrhundert hindurch hatte man den eingebornen Sohn Gottes von seinem Throne gestoßen und einen weisen, trefflichen Menschen aus ihm gemacht. Da konnte man Anfangs im Staate und im Hause noch leben, denn das Abendroth der untergegangenen Sonne war noch übrig, ein Rest der alten Zucht, welche geboren war unter der Majestät dieses Königs der Ehren, waltete noch im Volk. Als aber ein neues Geschlecht aufkam, dass Nichts mehr von dem Heiligen Gottes wusste, da rissen die Bande in allen Gebieten des Lebens. Ein weiser und trefflicher Mann ist kein allgegenwärtiger Herr und Heiland. Menschenweisheit kann. kein gottseliges Leben im Volke gründen. Zur Verleugnung der angestammten Selbstsucht gibt nur der Kraft, der sich selbst entäußerte und gehorsam ward bis zum Tode, ja bis zum Tode am Kreuz. Da seufzt Mancher, der den Schaden kennt: „Ach wenn doch der alte Glaube, diese heilige Mauer, nicht niedergerissen wäre! Ach wenn sie doch recht bald wieder aufgebaut werden könnte!“ Ich habe Väter das Bekenntnis ablegen hören: „In mir selbst ist der Glaube an den eingebornen Sohn Gottes zu tief erschüttert, ich kann mich nicht zurückfinden; aber meine Kinder sollen darin erzogen werden.“ Das Feld ist weiß zur Ernte.

Ferner, teure Gemeinde, hat es innerlich nie ein friedloseres Geschlecht gegeben als unser Geschlecht. Du kannst Leute finden, die dieser Welt Güter im Überfluss haben, die sich keinen Wunsch zu versagen brauchen, und die zu Zeiten doch das Bekenntnis ablegen: „Ich bin unaussprechlich arm. Unter aller Fülle ist eine leere, hohle Stelle, die nicht ausgefüllt werden kann, und in die, genau betrachtet, alle meine Freude versinkt.“ Du kennst die hohle Stelle. Der Friede mit Gott fehlt. Wer die hohle Stelle nur erst fühlt, bei dem ist das Feld weiß zur Ernte. Ja es ist weiß. Siehe auf die liebe Kinderwelt. Wo dieser Jesus Christus, der Sohn Gottes, der ein Kindlein ward wie sie selber, in seiner Lieblichkeit verkündigt wird, da greift sie zu und freut sich, wie sich eben die Kinder freuen auf den heiligen Christ. heiligen Christ. Das Feld ist weiß zur Ernte. Siehe die Alten an, welche die Welt mit ihrer Treulosigkeit um einen guten Teil ihres Lebens betrogen hat! Fragt euch, ihr Väter und Mütter, bei denen das Feld noch in einem andern Sinne weiß geworden ist zur Ernte: was seht ihr, wenn ihr auf das Leben zurückschaut? Einen Trümmerhaufen. Dort Strafen eurer Sünden, dort getäuschte Hoffnungen, dort Lieblosigkeit und Treulosigkeit, dort hundert vereitelte Pläne; aber mitten drin das unzerbrochene Kreuz und die ganze Liebe Christi. Nicht wahr, das Feld ist weiß zur Ernte? -

Weiß ist es endlich auch in der Heidenwelt. Nie haben die Heiden mehr nach dem Herrn gefragt, als in unsern Tagen. Oft klingen ihre Fragen gar dringlich und brünstig. Ein Häuptling im westlichen Afrika hatte den Segen gesehen, den die Predigt eines Missionars in einem andern Stamme gewirkt hatte. Er bat wiederholt vergebens um einen Arbeiter in seinem Volke. Endlich trat er reisefertig vor den Missionar und erklärte ihm, er solle ihm nur Briefe mitgeben, denn nun sei er selbst bereit, nach England hinüberzuschiffen, um sich einen Mann Jesu Christi zu holen. Da ist das Feld weiß. Und was wollen wir tun? Wir haben das Mittel, durch welches allein die Seelen gerettet werden, in der Hand. Der Herr hat in Sichem Nichts getan, als Gottes Wort und sich selbst, den Mittelpunkt dieses Wortes, verkündigt. Dies Wort ist die Angel, welche in die Menschenherzen ausgeworfen wird. Es ist ein Haken daran, welcher im Herzen haftet. Entweder haftet er so, dass ein solches Herz zum Herrn gezogen wird, oder er haftet so, dass sich Galle und Bitterkeit darin erzeugt. Das ist aber nicht Schuld des Wortes, sondern der eigenen Verstocktheit. So lasst uns denn, teure Gemeinde, im neuen Jahre mit rechtem Ernst und rechter Treue das Wort aussäen. Hier in der Kirche ist solche Stätte zur Aussaat. Der Herr gebe uns Dienern am Wort einen rechten Ernst, bei dem heiligen Mittelpunkt zu bleiben und in die Tiefe zu greifen. Er gebe euch Hörern offene Ohren. Er behüte euch, dass das Evangelium Keinem ein Geruch zum Tode werde. Die Schule ist auch solche Stätte der Aussaat. Die Lehrer haben liebliche Frühlingsarbeit, sie haben ein frisches, noch nicht hartgetretenes Ackerfeld. Der Herr schenke ihnen rechte Liebe zu den Kindern, und die rechte Liebe kann nichts Anderes geben, als die teure Botschaft: „Um euch Kinder ist Jesus Christus ein Kind geworden; damit ihr Kinder Gottes würdet, ward er ein armes Menschenkind.“ Die Schule ist nichts Anderes, denn eine Erziehungsanstalt zur lebendigen Kindschaft Gottes. Endlich, ihr Eltern, ihr Vormünder, ihr Lehrherrn, sät auch in den Häusern fleißig aus. Versäumet ja die Übergangsjahre vom Knaben- zum Jünglingsalter und vom Mädchen- zum Jungfrauenalter nicht. Wenn ihr da nicht sät, dann sät der Feind Unkraut in die Seelen. Gleichgültig kann Niemand zwischen dem Reiche Gottes und dem Reiche des Teufels hingehen. Es kann auch dereinst Niemand auf dem Scheidewege zwischen Himmel und Hölle stehen bleiben. Die verlornen Seelen werden endlich, wenn auch nicht weiß, doch grau zur Ernte. Sie werden auch geerntet, aber nicht in die Scheuern des Herrn. - Darum lasst uns allen Fleiß dazu tun, dass Jung und Alt hier in die Scheuern eingehe, und der Herr sie dereinst in seine ewigen Scheuern aufnehmen könne. Wir haben von solcher Arbeit den reichsten Segen.

III. Wir sammeln damit Frucht in das ewige Leben.

Ja wir nähren uns damit, dass wir solchen Willen Gottes vollbringen, schon hier. Der Herr spricht: „Das ist meine Speise, dass ich tue den Willen des, der mich gesandt hat, und vollende sein Werk.“ Meine liebe Gemeinde, das ist ein gar besonderes Wort. Wie kann ich mich damit speisen, dass ich den Willen Gottes vollbringe? Und doch hat es seine tiefe Wahrheit. Wenn ich still den Willen Gottes tue, wie er mir in meinem Berufe obliegt, so stehe ich damit in Gott, in seinem Willen, in seiner Gnade. Ich ruhe in ihm, und bin wohl versorgt. Daher gibt auch die demütige Treue gegen Gott allewege einen so seligen Frieden. Bei allem eigenen Willen, bei allen eigenen Plänen ist der Erfolg ungewiss; hier ist er gewiss Diese selige Ruhe und Genüge bleibt nicht aus. Bei jeder andern Aussaat liegt die Ernte weit draußen. Jene Samariter mussten noch vier Monate auf die Ernte warten. Du musst oft noch länger auf den Erfolg deiner Unternehmungen warten. Hier kommt der heilige Erntesegen gleich, die Friedensgarben wachsen in der Seele. Das ist dein Teil, wenn du deine eigene Seele gerettet hast. Darum sollte dich nach der Vollbringung des göttlichen Willens noch mehr hungern und dürsten, als nach dem irdischen Brote. Treibst du aber an Andern die Heilsarbeit, so hast du dennoch auch den Segen davon. Du kannst Andere nicht strafen, ohne dich selbst zu strafen. Du kannst Andern Jesum Christum nicht predigen, ohne ihn dir selbst zu predigen. Du kannst Andere im Gebt nicht vor den Herrn bringen, ohne dich selbst mitzubringen. So wächst du mit jeder Seele und freust dich in jeder Seele. Das seligste Freudenfest ist aber der Tag oder die Zeit, wo sie abgelöst oder abgeschnitten wird von der Welt. Der Herr versteht unter diesem Worte nicht etwa den Tod. Er meint es vielmehr so: jede Seele, welche hinlebt in ihren Sünden, ist eine Frucht zum ewigen Verderben. Sie hängt noch fest und grün am Stamme der Welt. An ihr arbeitet nun der heilige Geist durch seine Werkzeuge, durch seine Knechte. Selten wird ihr die Welt mit einem Male verleidet. Nur langsam wird sie locker an ihrem Zweige. Endlich wird sie abgelöst und abgeschnitten. Sie wächst im Glauben an an den Baum des Lebens. Sie ist nun keine Frucht mehr zum Verderben, sondern gesammelt zum ewigen Leben. Da gibt es Freude; denn wer den Sünder bekehrt von dem Irrtum seines Weges, der hat einer Seele vom Tode geholfen, und wird bedecken die Menge der Sünden.

Und wer freut sich da? Zuerst der große Säemann, der selbst eine Aussaat des Himmels auf die Erde war, und der dann mit seinem Leben und Worte, mit seinen Gebeten und Tränen und mit seinem Blute gesät hat. Es freuen sich auch weiter mit einander der da sät und der da schneidet. Oft haben Vater oder Mutter oder Lehrer oder Seelsorger Gottes Wort in das Herz eines Kindes gesät; aber es wollte noch nicht aufgehen. Sie wurden von ihm getrennt, und ein Anderer setzte ihr Werk fort. Geht dann unter seiner Arbeit der Same auf, und reift die Seele dem Herrn zu, so freuen sich der da säte und der da erntete noch hier. Oft aber nimmt der Herr den ersten Säemann auch weg in seine ewige Heimat. Ein anderer Arbeiter hat die Freude, solche Seele vollends von der Welt abzulösen. Da freut sich denn der heimgegangene Anfänger des Werkes mit dem, der es hier fortgesetzt hat. Da ist kein Neid. Beide haben das Werk Christi getrieben. Dieser dankt, dass Jener das gute Werk begonnen, und Jener dankt, dass es Dieser vollendet hat. Beide aber danken dem Herrn, der ihnen die Kraft dazu gegeben hat. Dass sich endlich die Seele, welche aus einem Kinde des Verderbens ein Kind des ewigen Lebens geworden ist, selbst freut, bedarf kaum der Erwähnung. Denn so sich Andere ihrer freuen, muss sie sich wohl selbst ihres Herrn freuen. Und dahinter liegt immer noch das Wort, dass sie eine Frucht ist zum ewigen Leben, wo sich mit einander freuen werden Alle, die mit einander gearbeitet haben. Nun, teure Gemeinde, kann ich euch meinen Wunsch für das neue Jahr aussprechen. Möge der große Säemann Jesus Christus sich an recht vielen reifen und weißen Ähren in dieser Gemeinde freuen. Möge von dem, was die Diener des Herrn vor uns hier gesät haben, recht Vieles zu wahrer Reife gedeihen, auf dass sie sich im Reiche der Herrlichkeit mit den Knechten, welche noch in der Arbeit stehen, freuen können. Möge unser Wort und das Wort der jetzigen Lehrer und der Eltern und sonstigen Pfleger auf einen so guten Boden fallen, dass es wenigstens unter einer späteren Hand einmal zur reifen Frucht werde, auf dass wir uns mit diesen dereinstigen Nachfolgern freuen. Mögen recht Viele hier sein, die sich in dem neuen Jahre Gottes ihres Heilandes freuen und rühmen lernen: „Mir ist Barmherzigkeit wiederfahren, ich habe den Herrn gefunden.

In meines Herzens Grunde
Dein Nam' und Krenz allein
Funkelt all' Zeit und Stunde,
Des kann ich fröhlich sein.
Erschein' mir in dem Bilde
Zum Trost in meiner Not,
Wie du, Herr Christ, so milde
Dich hast geblut zu Tod.“

Zu diesen himmlischen Gütern schenke uns, du treuer Herr, auch deine Hilfe in irdischer Not. Errette von Krankheit und behüte vor Krankheit. Errette uns von der teuren schweren Zeit und gib das tägliche Brot; stelle den Frieden unter den Völkern wieder her, und wenn dies Jahr unser letztes sein sollte, gib uns ein selig Sterbestündlein. Das Alles wollest du uns tun um deiner Barmherzigkeit willen. Amen.