Hebräer - Kapitel 10

(Leander van Eß)

1 Denn da das Gesetz nur ein Schattenbild der zukünftigen Güter, nicht die wahre Gestalt der Dinge darstellt, so kann es auch durch die Opfer, welche alle Jahre die nämlichen sind, und die man unaufhörlich darbringt, die Opfernden nimmermehr vollkommen beruhigen.
2 Würden sonst die Opfer nicht aufgehört haben, wenn die Opfernden ein für allemal gereinigt, keine Gewissens-Unruhe der Sünde wegen mehr gehabt hätten?
3 Aber gerade wird durch jene Opfer das Andenken an die Sünde jährlich erneuert;
4 denn unmöglich kann Blut von Stieren und Widdern Sünden tilgen.
5 Deßwegen sagt er bei seinem Eintritt in die Welt: Opfer und Gaben verlangst du nicht; mir aber hast du einen Leib bereitet;
6 Brandopfer für die Sünde gefallen dir nicht;
7 darum sprach ich: Siehe, ich komme (im Gesetzbuch steht von mir geschrieben) zu thun. o Gott! deinen Willen!
8 Nachdem er zuerst gesagt hat: Opfer und Gaben, Brandopfer für die Sünde willst du nicht, sie gefallen dir nicht (welche doch dem Gesetze gemäß dargebracht wurden),
9 so sagt er: Siehe! ich komme, o Gott! deinen Willen zu thun. Er hebt das Erstere auf, um das Zweite festzusetzen.
10 Nach diesem Willen sind wir durch die Aufopferung des Leibes Jesu Christi ein für allemal gereinigt.
11 Ferner mußte jeder Priester stehend seinen täglichen Dienst verrichten, und wiederholt die nämlichen Opfer darbringen, welche nimmermehr die Sünden tilgen können:
12 er aber, nachdem er ein einziges Sündopfer gebracht, sitzet auf ewig zur Rechten Gottes,
13 und erwartet hinfort, bis seine Feinde zum Schemel ihm zu Füßen gelegt werden.
14 Denn mit Einem Opfer hat er die Geheiligten auf ewig vollendet.
15 Dieß bezeuget uns auch der heilige Geist. Denn nachdem er zuvor gesagt hatte:
16 Dieß ist der Bund, den ich einst mit ihnen machen werde, sagt der Herr: Meine Gesetze will ich einprägen ihren Herzen; in ihren Sinn will ich sie schreiben,
17 und nicht mehr gedenken will ich ihrer Sünden und Uebertretungen.
18 Wo aber diese vergeben sind, da braucht es keines Opfers mehr für die Sünden.
19 Weil wir denn, Brüder! durch das Blut Jesu das frohe Recht zum Eingang in das Allerheiligste haben,
20 auf einem neuen und lebendigen Wege, welchen er uns durch den Vorhang, das ist durch seinen Leib eingeweiht hat;
21 und weil wir einen so erhabenen Priester über das Haus Gottes haben,
22 so lasset uns hinzutreten mit aufrichtigem Herzen und vollem Glauben, wie besprengte am Herzen, befreit vom bösen Gewissen, und am Leibe gewaschen mitreinem Wasser;
23 und lasset uns unverrückt festhalten das Bekenntniß der Hoffnung; (denn treu ist der, welcher die Verheißung gegeben,)
24 und aufmerksam seyn, um uns einander zur Liebe und zu guten Werken zu ermuntern.
25 Nicht versäumen wollen wir unsere Zusammenkünfte, wie Manche die Gewohnheit haben, sondern uns ermahnen, und dieß um so mehr, je näher ihr jenen Tag heranrücken sehet.
26 Denn sündigen wir vorsätzlich, nachdem wir zur Erkenntniß der Wahrheit gelangt, so ist kein Opfer mehr übrig für die Sünden,
27 unserer wartet vielmehr ein schreckliches Gericht, ein Feuereifer, der die Widerspenstigen verzehren wird.
28 Schon wer das Gesetz Moses übertrat, der mußte ohne Gnade auf die Aussage zweier oder dreier Zeugen sterben.
29 Wie viel härtere Strafen, bedenkt es selbst, wird der verdienen, welcher den Sohn Gottes mit Füßen tritt, und das Blut des Bundes, wodurch er geheiligt, unrein achtet, und den Geist der Gnade beschimpft?
30 Wir kennen ja den, welcher sagt: Mein ist das Strafrecht, ich will vergelten, spricht der Herr! und wieder: Der Herr wird sein Volk richten.
31 Schrecklich ist's, in die Hände des lebendigen Gottes zu fallen.
32 Denket aber an die erste Zeit eurer Erleuchtung, wo ihr einen so schweren Kampf der Leiden kämpftet,
33 indem ihr einerseits unter Schmach und Bedrückungen zur Schau gestellt, Anderseits Antheil nahmet, wenn andere ebenso behandelt wurden.
34 Denn ihr hattet Mitleiden mit den Verhafteten und ertruget frohen Muthes den Raub eurer Güter, weil ihr wußtet, daß ihr eine bessere und bleibende Habe besitzet.
35 Lasset daher euer Vertrauen nicht fahren, dem eine große Belohnung bevorsteht.
36 Den Geduld ist euch unentbehrlich, um den Willen Gottes zu erfüllen und das Verheißene zu erlangen.
37 Und es ist nur noch eine ganz kurze Zeit, so wird der kommen, welcher kommen soll und nicht verziehen.
38 Mein Gerechter lebt durch den Glauben, aber wenn er abläßt, so wird meine Seele keinen Gefallen an ihm haben.
39 Wir aber gehören nicht zu denen, die zu ihrem Verderben kleinmüthig werden, sondern zu denen, welche durch Glauben ihre Seele retten.