Waldenser - Eine andere Auslegung der Waldenser und Albigenser des Gebets des HErrn.

Waldenser - Eine andere Auslegung der Waldenser und Albigenser des Gebets des HErrn.

Mit wenig Worten viel beten.

Als einstens eine fromme Tochter zu dem heiligen Augustino kam, und ihn ersuchte, daß er sie sollte beten lehren, gab er ihr zur Antwort, sie sollte nur nicht viel Worte machen, aber darum doch nicht weniger beten, sondern bey ihm guten Vorsatze, und in dieser Richtung des Gemüths beharren, denn man könne mit wenig Worten viel beten, wenn das Gebet ernstlich ist. Viel beten ist daher nichts anders, als mit überflüßigen Worten dasjenige fordern, was man zur Leibes Nahrung und Nothdurft von nöthen hat: oder mit einer langen Anständigkeit und Zuneigung des Hertzens um dasjenige anhalten, was man gerne hätte: Alles dieses aber läßt sich besser durch Thränen als Worte bewerckstelligen, sintemalen GOtt, der bis in das Inwendige des Hertzens siehet, sich lieber durch einen Seufzer, und durch Thränen, so aus dem Hertzen kommen, als durch tausend Worte erbitten läßt. Allein, heute zu Tage sind die meisten den Pharisäern ähnlich, vor welche Christus dorten seine Junger warnete, ihnen hierin nicht gleich zu seyn. Man dencket, man würde viel eher erhört, wenn man viel Worte machte, und so unter dem Vorwand des Gebets viele Zeit vergeblich zubringet. Hiob sagts, und die Erfahrung bestätigt es, daß der Mensch in seinem gantzen Leben nicht immer in einerley Gemüths-Beschaffenheit sich befinde, sondern bald dieses, bald jenes lieber zu thun geneigt sey: So ist dann auch niemand im Stande, Tag und Nacht unverrückt im Gebet auszuhalten, es sey denn, daß er darinnen durch eine gantz ausserordentliche Gnade GOttes unterstützet werde. Ist aber das Hertze nicht bey dem Gebet, so gehet die Zeit, so man darüber anwendet, verlohren, und das Gebet ist umsonst. GOtt verlangt auch über dieses, von denen, so ihm dienen sollen, noch andere Pflichten, die theils auf das Leibliche, theils auf das Geistliche gerichtet sind, und womit der Mensch entweder für sich selbst, oder für seinen Nächstes etwas gutes schaffen, dabey aber das Hertze beständig zu GOtt gerichtet haben soll. Wer demnach sein gantzes Wesen nach dem Willen und Worte GOttes einzurichten sich bestrebt, der ist in einem immerwährenden Gebete begriffen. Alles was wir gutes thun, hat die Eigenschaften eines Gebets an sich. Alles Gebet aber, das sowohl im Alten als Neuen Testament aufgezeichnet stehet, stimmet mit diesem Gebet, davon wir ietzo handeln, überein: und kein Gebet kann vor GOtt angenehm und gefällig seyn, so es nicht in demselben begriffen ist. So soll demnach ein jeder Christ allen Fleiß anwenden, das Gebet, welches uns JEsus selbst gelehret hat, zu lernen und recht zu verstehen.

Warum und wie GOtt unser Vater heisse.

Es ist aber an dem, das GOtt einen Gefallen an dem haben müsse, den er erhöret, und daß dieser auch das Gute, so er aus der Hand des HErrn empfangen hat, mit danckbarem Hertzen erkennen solle. Der Undanck ist einem dürren Winde gleich, der die Quelle der göttlichen Barmhertzigkeit austrocknet. Wenn du also von deinem GOtt was bitten willst, so überlege zuvor bey die selbst die vielen und grossen Wohlthaten, so du schon von ihm empfangen hast. Sind ihrer zu viel, daß du dich nicht auf alle besinnen, noch sie zählen kannst, so erinnere dich nur wenigstens der eintzigen überschwenglichen Gnade, die er dir verstattet, ihn deinen Vater zu nennen. Freylich ist er überhaupt der Schöpfung nach Vater über alles, was er geschaffen; der Anordnung nach, weil er jedes an seinem Orte weißlich geordnet hat; der Erhaltung nach, weil er alle Geschöpfe erhält, und keines davon, folglich auch dich nicht umkommen läßt. Aber besonders ist er der Vater seiner vernünftigen Geschöpfe, vermöge der Erlösung, da er sie durch das theure Blut seines Sohnes, als eines unbefleckten Lammes, erworben und erkauft; Er ist es auch, vermöge des Unterrichts, da er sie durch seine Propheten, seinen Sohn und andere Lehrer unterrichten, und die wieder auf den Weg des Lebens, davon sie durch Adams Fall gewichen waren, weisen läßt: Und dann endlich auch vermöge der Züchtigung, durch welche er uns noch in diesem Leben zu bessern sucht, damit wir nicht einmal dort ewig sterben dürfen.

Dein Name werde geheiliget.

Dein Name, der deinen Christen so tröstlich, denen Juden, Heiden und allen Gottlosen hingegen so schrecklich ist, und von dem der Prophet sagt: HErr, unser Herrscher, wie herrlich ist dein Name! O unser Vater im Himmel, wir bitten dich, daß dein Name, der an sich selbst so heilig ist, auch von uns mit einem reinen Hertzen, Verleugnung der Welt und unsers eigenen Fleisches und Blutes, und mit brünstiger und anhaltender Liebe zu dir geheiligt werden möge: und daß wir alle insgesamt, die wir nach deinem Namen, den wir haben, und von welchem wir Christen heissen, so heilig leben mögen, als dieser Name heilig ist. Verleihe zu dem Ende, daß er in uns wohne, und wir dadurch der Gerechtigkeit und Heiligkeit uns bestreben mögen.

Dein Reich komme.

Der du dieses liesest, wisse, daß der Vater zwey Reiche habe, das eine der Herrlichkeit und ewigen Seligkeit, das andere der Gnade und christlichen Tugenden. Diese zwey Reiche sind so genau mit einander verbunden, daß kein Mittelraum darzwischen ist, als der Augenblick des Todes. Jedoch gehet, der Göttlichen Ordnung zufolge, das Reich der Gnade vor dem Reich der Herrlichkeit her. So und zwar dergestalt, daß alle die, so in dem ersten gelebet, auch Theil an dem andern haben sollen; zu dem Besitz des letzteren niemand gelangen könne, der nicht in dem ersteren gestanden. Daher vermahnet JEsus seine Jünger, am ersten nach dem Reiche GOttes und seiner Gerechtigkeit zu trachten, das heißt, im Glauben, in der Hoffnung, in der Hoffnung, in der Liebe, und in allen andern GOtt wohlgefälligen Tugenden treu erfunden zu werden. Da du nun aber ohne den kräftigen Beystand von oben her hierzu nicht gelangen kannst, so lehret dich JEsus beten:Unser Vater im Himmel, dein Reich komme auch in uns, damit wir in dir in einem heiligen Leben, und mit einem von der Welt gantz abgekehrten Hertzen dienen mögen.

Dein Wille geschehe auf Erden wie im Himmel.

Man kann hier auf der Welt nichts bessers noch seligers lieben, verlangen noch thun, als von gantzem Hertzen und Gemüthe sich bestreben, den Willen GOttes zu thun, wie ihn die Engel im Himmel thun. Den Willen GOttes thun heißt aber nichts anders, als sich selbst verleugnen, seinem eigenen Willen gäntzlich entsagen, und alles Tichten und Trachten des Hertzens nach der Vorschrift des göttlichen Gesetzes und der Lehre des Evangelii anstellen, und dieses nicht allein in Ansehung des innerlichen, sondern auch des äusserlichen Wandels. Ferner, den Willen GOttes thun, heißt eben so viel, als mit dem allen, was GOTT sowohl in bösen als guten Tagen mit uns vornimmt, willig und gerne zufrieden seyn. Viele suchen sich damit zu entschuldigen, daß sie nicht wissen, was der Wille GOttes sey: aber dieses ist ein schändlicher Selbstbetrug, sintemalen uns der Wille GOttes in seinem Worte klar und deutlich genug geoffenbaret ist, welches sie nicht lesen und verstehen wollen. Paulus sagt zu dem Ende: Stellet euch nicht dieser Welt gleich; sondern verändert euch durch Verneuerung eures Sinnes, auf daß ihr prüfen möget, welches da sey der gute, der wohlgefällige, und der vollkommene GOttes Wille, und an einem andern Orte: das ist der Wille GOttes nemlich, eure Heiligung. Es ist also kein kleines und geringes Werck, wann es gerne und mit Eifer soll vollbracht werden. JEsus giebt es deutlich genug seinen Jüngern theils mit Worten, theils mit seinem eigenen Vorbild zu verstehen, daß sie ihren eigenen Willen brechen, den Willen GOttes aber in allen Dingen ihre Regel und Richtschnur seyn lassen sollten, wann er zu ihnen sagt: Ich suche nicht meinen Willen, sondern des Vaters Willen, der mich gesandt hat. Ja so gar, als er sich an sein grosses Leiden begab, und bereits alle Martern die auf ihn warteten, vor Augen sahe, betete er war als ein Mensch: Vater, willst du, so nimm diesen Kelch von mir, setzte aber auch bald dazu: doch nicht mein, sondern dein Wille geschehe. Demnach haben auch wir täglich bey allen Dingen zu beten: Vater, dein Wille geschehe, in uns, und durch uns, und an uns, so wie er im Himmel von den Engeln geschiehet; das heißt, mit allem Ernst und Eifer, unablässig, ohne falsche und irdische Absichten, in einem durchaus geheiligten Wandel, in Unterthänigkeit gegen unsere Obern, und in Geringschätzigkeit der guten und bösen Tage in der Welt.

Unser täglich Brodt gib uns heute.

Hier kann gar füglich zweyerley Brodt verstanden werden: das Leibliche sowohl als das Geistliche. Durch das leibliche Brodt wird Essen, Kleider und alles dasjenige verstanden, was zur Leibes Nahrung und Nothdurft gehöret, und ohne welches wir in diesem armen elenden Leben nicht bestehen können. Das geistliche Brodt aber ist das Wort GOttes und der Leib Christi JEsu: Denn ohne dieses kann die Seele nicht leben. Dis ist das Brodt, davon der Heiland sagt: wer von diesem Brodt essen wird, der wird leben in Ewigkeit. Dieses Brodt kann niemand geben, als GOtt selbst: Darum sollen wir ihn darum demüthig und hertzlich anrufen, und sprechen: Vater, verleihe uns deine Gnade, daß wir unser täglich Brodt ehrlich und redlich verdienen, es mäßig gebrauchen, dich hertzlich dafür loben und dancken, und auch den Armen davon wohlzuthun, und mitzutheilen nicht vergessen mögen. Vor allen Dingen schaffe es also, daß wir es nicht in Wollüsten verzehren, und uns deine Strafen dadurch zuziehen mögen. Denn der Prophet Ezechiel sagt, daß leiblicher Ueberfluß, Müßiggang und Spielen, Ursach an der Bosheit, Gottlosigkeit und Sünde Sodoms gewesen: welches vor GOtt ein solcher Greuel gewesen, daß er Feuer und Schwefel vom Himmel auf sie regnen lassen, und ihre Stadt umgekehret hat. Von dergleichen sündlichem Gebrauch des Leibes Nahrung redet ein gewisser Weiser also: Weiche Kleider tragen, und alle Tage herrlich und in Freuden leben, spielen, müßig gehen, und allzulange schlafen, mästet den Leib, nähret die Wollust, schwächet den Geist, und führet die Seele in den Tod: dahingegen ein schlechter Tisch, fleissige Arbeit, ordentlicher Schlaf, und geringe Kleidung, reiniget die Seele, zähmet den Leib, tödtet die Geilheit, und stärket den Geist.

Das geistliche Brodt ist das Wort GOttes. Von diesem Brodt sagt der Prophet: Dein Wort erquicket mich : Und der liebste Heiland selbst: Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Es kommt die Sunde, und ist schon jetzt, daß die Todten werden die Stimme des Sohnes GOTTes hören, und die sie hören werden, die werden leben. Die Erfahrung überzeuget uns von dieser Wahrheit. Wie mancher, der in seinen Sünden schon todt und erstorben ist, wird nicht durch die Predigt des göttlichen Wortes wieder auferweckt und lebendig gemacht, da er durch dasselbe zur Busse, durch die Busse aber zum Leben gelanget? Dieses Brodt der heiligen Schrift erleuchtet die Seele, nach dem Zeugniß Davids, dein Wort erleuchtet die Seele, und machet klug die Einfältigen, das heißt, die Elenden und Gedemüthigten; indem es ihnen anzeigt, was sie thun oder lassen, fürchten und meiden, oder hoffen und ergreiffen sollen. Dis Brodt schmeckt der Seele süsser als Honig, darum sagt die Sulamith zu ihrem geliebten Bräutigam im Hohenliede: Laß mich hören deine Stimme, denn deine Stimme ist süsse. Die andere Gattung des geistlichen Brodts ist der Sohn GOttes selbst, und sein Fleisch und Blut im heiligen Abendmahl. Denn wer dasselbe würdiglich genießt, der empfängt nicht nur Gnade, sondern geistlicher Weise JEsum Christum selbst, in welchem alle Schätze der Weisheit verborgen liegen.

Vergib uns unsre Schulden, wie wir unsern Schuldigern vergeben.

Es muß keinem Menschen schwer fallen, seinem Nächsten seine Fehler zu vergeben, Denn gesetzt, man könnte alle Beleidigungen, so von allen Menschen angethan sind, zusammen nehmen, und auf eine Wagschale legen: so würden diese doch alle zusammen noch lange nicht so schwer seyn, als eine einige, ja als die allergeringste Sünde, mit welcher wir unsern GOtt beleidiget haben. Allein, hier ist es eben, wo sich der Stoltz im höchsten Grade zeigt: Der arme Mensch will solches nicht erkennen, und lieber selber vor GOtt ein Schuldner bleiben, als seinen Schuldigern vergeben. Ein wahrer Christ ist gantz anders gesinnt: Er vergibt nicht nur seinen Schuldigern gerne, sondern betet auch für sie zu GOtt, daß dieser ihnen ebenfalls Gnade für Recht erzeigen, ihnen das Unrecht zu erkennen geben, dabey aber auch Busse zu thun verleihen wolle, damit sie der ewigen Verdammnis entgehen mögen. Er achtet alles Unrecht, so ihm angethan wird, als einen Traum und Schatten, begehrt sich auch daher nicht zu rächen, noch Böses mit Bösem zu vergelten; sondern segnet die so ihm fluchen, und sucht durch einen liebreichen und vertraulichen Umgang sie noch ins künftige zu gewinnen. Inzwischen bleibt es doch dabey, daß, wer sich dünckt zu gut zu seyn, seinem Schuldiger zu vergeben, auch nimmermehr zu hoffen habe, daß GOtt ihm seine Schuld vergeben werde: sondern es wartet allbereit die ewige Verdammniß auf ihn; denn so lautet der klare Ausspruch des göttlichen Wortes: Es wird ein unbarmhertzig Gericht über den ergehen, der nicht Barmhertzigkeit gethan hat. Denn so wie du gegen deinen Schuldener gesinnt bist, eben so und nicht anders ist es auch dein GOtt gegen dich, so, daß du nichts bessers in diesem Stücke von ihm zu hoffen hast.

Führe uns nicht in Versuchung.

Man darf GOtt nicht bitten, daß er alle Versuchung von uns abwenden wolle, sintemalen der Apostel Paulus es ausdrücklich bezeuget, es werde niemand gekrönet, er habe denn recht redlich wider den Teufel, die Welt und sein eigen Fleisch und Blut gekämpft: und Jacobus sagt, selig ist der Mann, der die Anfechtung erduldet, denn nachdem er bewähret ist, wird er die Krone des Lebens empfahen. Da wir aber der Gewalt des Teufels, ohne die Gnade GOttes nicht genugsam Widerstand thun können: so haben wir ohne Unterlaß mit wahrer Hertzens-Andacht zu beten, daß GOTT uns dergestalt mit seiner Kraft aus der Höhe beystehen wolle, daß wir in denen Versuchungen nicht unterliegen, sondern den Sieg erhalten, und die Krone des Lebens davon tragen mögen. Der Teufel findt in diesem Fall kein Gehör bey GOtt, wohl aber ein rechter Christ, denn, wie Paulus sagt: Gott ist getreu, der uns nicht lässet versuchen über unser Vermögen, sondern machet, daß die Versuchung so ein Ende gewinne, daß wirs können ertragen.

Sondern erlöse uns von dem Uebel.

Das heißt, erlöse uns von dem bösen Eigenwillen der Sünde, und von den zeitlichen und ewigen Plagen des Satans, damit wir seinen unsichtbaren Netzen und Fallsticken die er uns geleget hat, entgehen mögen. Amen! dieses Wort deutet eine sehnliche Begierde an, dasjenige in seiner Erfüllung zu sehen, warum man gebeten hat, und heißt so viel als, ja, es geschehe also, es werde wahr! und kann demnach gar füglich zu einer jeglichen Bitte gesetzt werden.

Quelle: Leger, Johann - Johann Legers allgemeine Geschichte der Waldenser

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