Tholuck, August - Glaubens-, Gewissens- und Gelegenheitspredigten – Joh. 15, 1-4.

Tholuck, August - Glaubens-, Gewissens- und Gelegenheitspredigten – Joh. 15, 1-4.

Warum sind solche Christen unter uns so selten, auf die man mit Fingern weisen kann und sagen: „Seht, das ist ein Mensch, in dem Christus Gestalt gewonnen hat“ das war unsere Frage im letzten Gottesdienste. Ich habe nach der einen Seite die Antwort gegeben: weil die meisten von uns zu wenig bei sich selbst nach den Früchten fragen. Laßt mich heut nach der andern Seite die Antwort geben: weil wir zu wenig täglich neuen Zufluß von Saft und Kraft für die Wurzel unseres Lebens suchen.

Das laßt uns erkennen nach den Worten des Herrn Joh. 15,1-4.

Ich bin ein rechter Weinstock, und mein Vater ein Weingärtner, Einen jeglichen Reben an mir, der nicht Frucht bringet, wird er wegnehmen; und einen jeglichen, der da Frucht bringet, wird er reinigen, daß er mehr Frucht bringe. Ihr seid jetzt rein um des Worts willen, das ich zu euch geredet habe. Bleibet in mir und ich in euch. Gleichwie der Rebe kann keine Frucht bringen von ihm selber, er bleibe denn am Weinstock, also auch ihr nicht, ihr bleibet denn in mir.

Täglich neuen Zufluß an unserer Lebenswurzel von Christi Saft und Kraft, das gehört dazu, wenn Christus Gestalt in uns gewinnen soll. Seht, wie unser Text uns lehrt:

  1. Damit wir Frucht bringen, dazu ist Christus uns vom Vater gegeben;
  2. um Frucht zu bringen müssen wir Reben werden an ihm, welches geschieht durch den Glauben an sein Wort;
  3. um Frucht zu bringen, müssen wir in ihm bleiben, welches geschieht durch Treue in unserem Wandel;
  4. um Frucht zu bringen, müssen die Ranken abgeschnitten werden, welches geschieht in der Leidensschule des Vaters.

Damit wir Frucht bringen, dazu ist uns Christus vom Vater gegeben.

Dasselbe Thema, das wir aus vielen Sprüchen Pauli vernehmen, lehrt uns auch dieses Kapitel Johannis. Frucht bringen, Frucht bringen, das ist nicht bloß Gottes Wille an uns, das ist auch Gottes Ehre durch uns. Darin wird mein Vater geehrt, daß ihr viele Frucht bringet. Sonne, Mond und Sterne, Feld, Wald und Wiese sind zu Gottes Ehre geschaffen und sie preisen Gott den Herrn. Doch was ist aller dieser Lobpreis gegen den, wenn die von Natur wilde Menschen-Rebe durch die in ihr winkende göttliche Gnadenkraft allmählig je mehr und mehr sich mit edlen Früchten der Gerechtigkeit bekleidet zu Ehren Gottes des Vaters. Zu keinem andern Zwecke als zu diesem ist Christus uns gegeben. Indem er den Vater den Weingärtner nennt, sich den Weinstock und uns die Reben, welche Früchte bringen sollen, spricht er aus, daß der Vater ihn nur zu dem Zwecke in seinem Weinberge, d. i. im Reiche Gottes gepflanzt hat, damit wir viele Früchte bringen.

Er sagt aber auch, daß es ein rechtes Fruchtbringen gar nicht gäbe ohne ihn. Ohne mich könnet ihr nichts thun. nämlich keine von den Früchten bringen, die der Vater eigentlich fordert. Davon kann der Sinn nicht seyn, daß auch ohne Christus überhaupt es keine andern als böse Werke gebe, daß gute Werke überhaupt nicht gethan werden könnten von Juden und Heiden. War nicht auch Israel ein Weinberg Gottes, der Frucht bringen sollte? wie es beim Propheten heißt: „Mein Lieber hatte einen Weinberg an fettem Orte, den hatte er verzäunt, verwahret und edle Reben hinein versenket, daß er Trauben brächte“. Heißt es nicht auch vom Heiden Cornelius: „Dein Gebet ist hinaufgekommen in das Gedächtniß vor Gott“. Gebete aber und Werke, die zu Gott hinaufkommen, müssen auch von ihm herab gekommen - müssen in Gott gethan seyn. Rechte Früchte können dies allerdings noch nicht seyn; denn sich selbst nennt Christus den rechten Weinstock, ein anderer als der rechte Weinstock kann nun auch die rechten Früchte nicht bringen. Die Opfer, die außer der Gemeinschaft mit Christo Gott gebracht werden, sind meistentheils nicht Früchte, sondern Werke. Werke werden gearbeitet, Früchte wachsen: zu Werken treibt der Mensch sich, die Früchte treiben ihn; Werke sind Kunstproducte, sittliche Früchte sind Naturproducte. Und wieviel stehen die Wirkungen der Natur über denen der Kunst! Was die Kunst geräuschvoll und langsam würkt, stückweise und im Schweiße des Angesichtes, schafft leise und leicht die Natur auf einmal und alles in Einem. Gnade nämlich, die solche Geistesfrucht winkt, ist ja eine höhere Natur. Wofern auch außer Christo Frucht gebracht wird aus innerm Triebe, ist es der reine, lautre Trieb dankbarer Gegenliebe, der Liebe, die uns zuerst geliebt, oder schmeckt man nicht vielmehr in den meisten von jenen Früchten noch die Wasser des ungereinigten Naturwillens? - Sind solche Christen hier, deren innerster Mensch darauf hingeht, ein solcher Fruchtbaum zu werden zur Ehre Gottes des Vaters, an dem jeder Zweig und jeder Ast mit Früchten der Gerechtigkeit behangen? O, ergreift es nur im Glauben, daß gerade solchem Herzensverlangen, wo es unter Menschen sich findet, Gott schon entgegengekommen ist. Für Menschen mit diesem Herzensverlangen hat er den Weinstock gepflanzt, welcher heißt Jesus Christus. -

Etliche nun sind unter Euch, die lange genug an sich treiben, um gute Früchte zu bringen, und es ist ihnen nicht gelungen und gelingt ihnen heut noch nicht. Und wenn einmal ein gut Werk abgezwungen ist, da ist die Frucht so sauer, daß sie ihnen selbst nicht schmeckt und daß wir kein Wohlgefallen daran haben, geschweige Gott. Leicht und freudig möchten wir unsere guten Werke thun, wir möchten auch, daß nicht bloß unsere Werke gut wären, sondern die Natur, welche die Werke treibt. Bei allem Verlangen, Früchte zu bringen, fühlen wir uns an der Wurzel zu trocken, wir möchten einen täglich neuen Zufluß von Saft und Kraft an der Wurzel: wir möchten Menschen werden, die nicht bloß zum Guten sich zu treiben brauchen, die dazu getrieben werden. Nun, so werdet Reben am Weinstock Christi; der Rebe treibt sich selbst nicht zur Frucht, er wird getrieben; denn Saft und Kraft vom Weinstock stießt in ihn ein. Da fängt es zu wallen und zu gähren im Innern an und die Frucht ist da, ehe man es selbst merkt. Solche Früchte zu bringen dazu ist Christus vom Vater allen denen als Weinstock gegeben, die danach verlangen.

Wie kann ich aber ein Rebe werden an diesem Weinstock? so fragst du. Die Antwort auf diese Frage muß in den Worten unsers Textes enthalten seyn: „Ihr seid rein um des Wortes willen, das ich zu euch geredet habe“, denn unmittelbar darauf ist vom Bleiben in ihm die Rede: „Bleibet in mir und ich in euch.“ „Ihr seid rein um des Wortes willen. hierin muß liegen, daß sie schon dadurch zu Reben an ihm geworden sind, daß sein Wort in ihnen ist. Heißt dies, daß sie sein Wort gefaßt hatten? Ach wie wenig hatten sie das noch recht gefaßt - der Geist sollte ja noch kommen und sein Wort in ihnen verklären. Darin also, daß sie sein Wort gefaßt hatten, darin kann es nicht liegen, wohl aber darin, daß sein Wort sie gefaßt hatte, wie Petrus spricht: „Wo sollen wir hingehen, du hast Worte des ewigen Lebens!“ So hatten sie in seinem Worte ewige Lebenskraft geschmeckt. Wie das sie an ihn gefesselt hatte, das zeigen schon die Worte: „Wo sollen wir hingehen?“ Kein anderer Meister genügt ihnen mehr. Für den Meister wollen sie ihr Leben lassen - nicht bloß der feurige Petrus: „mein Leben will ich für dich lassen“, sondern selbst der kleinmüthige Zweifler Thomas: er ist gewiß überzeugt, daß sie in Judäa in den offnen Tod gehen und doch ruft er aus: „Lasset uns mit ihm ziehen“. Die so an ihn gekettet sind für Leben und für Sterben, muß das Wort die nicht gewaltig ergriffen haben? Mit Christus eins geworden seyn auf Leben und auf Sterben, heißt das nicht ein Rebe an ihm geworden seyn? Nun liegt das Wort in ihnen als ein noch unentfalteter Keim, aber welche Welt von neuen Ueberzeugungen und Antrieben schlummert darin! Nur eine einzige hat sich erst hell und bestimmt daraus entfaltet; das ist eben die die Petrus ausspricht: „Du bist der Sohn des lebendigen Gottes“. Das ist der einzige Glaubensartikel, den sie klar erkennen, daß sie jetzt einen Heiland haben. Was liegt aber auch in dem Einen Artikel! Von der Entfaltung des Wortes hängt nicht- ab, ob es eine Kraft sei: haben wir doch so eben gesehen, welche Kraft schon in dem unentfalteten Worte liegt. Spricht nicht auch der Herr: „Wenn ihr Glauben hättet als ein Senfkorn. Einen schwachen d. i. einen mit dem Zweifel noch ringenden Glauben kann er mit diesem Senfkorn nicht meinen, heißt es doch bei Jacobus: „ein Zweifler meine nicht, daß er vom Herrn etwas empfangen werde. den Kind er glauben muß er meinen, der tief ist wie des Kindes Auge und fest ist wie des Mannes Herz. So erklärt sich denn auch, was sonst so dunkel erscheinen will, wie der Herr einen so außerordentlichen Werth auf ihren Glauben an das Wort legt, daß er spricht: „Ihr seid rein um des Wortes willen das tief in euer Herz gefallen“ - wie er auch dort beim Fußwaschen redet: „Wer rein ist wie ihr, der bedarf nicht, denn daß ihm die Füße gewaschen werden“. Der Kern ihres Menschen war damit neu geworden, aus dem Kern konnte nun der neue Lebenssaft durch alle Adern fließen. Was heißt also ein Rebe werden an Christo? Das Wort, daß er unser Heiland ist, also in's Herz fassen, daß nun kein anderer Meister dir genügen kann, daß du mit ihm eins wirst auf Leben und Sterben. Darum es auch ein ganz ander Ding ist, wenn einer Jünger worden ist eines theologischen Meisters oder eines Philosophen: dadurch wächst noch keiner mit dem Meister zusammen auf Leben und auf Sterben ,- sind doch in der Regel die Meister selbst nicht einmal mit ihrem eignen Worte zusammengewachsen auf Leben und Sterben! Dagegen der Gläubige mit Jesu Wort also zusammenwächst, weil der Kern und Stern dieses Wortes eben der ist, daß er der Heiland ist und man dann sofort das ewige Leben zu schmecken anfängt. Christen find wir, wie die Frau den Namen des Mannes trägt und nicht Christianer, denn wir sind Fleisch von seinem Fleisch und Bein von seinem Bein.

Um Früchte zu bringen, müssen wir in ihm bleiben, welches geschieht durch Treue in unserm Wandel. „Bleibet in mir und ich in euch, wer in mir bleibet und ich in ihm, der bringt viele Frucht.“ - Ist sein Heilandswort eine solche Heilandskraft, so müssen wir auch darin bleiben, damit diese Heilandskraft in uns bleibe. Ist's am Anfange nur noch ein unentwickelter Keim, so muß er sich entwickeln, und entwickeln kann er sich nur wenn wir darin bleiben: gefaßt werden von seiner Wirkung, das war unsere Wiedergeburt, das Bleiben im Wort, das ist unsere Erneuerung und Heiligung. Mit der Aufnahme des Wortes ist die Erneuerung noch nicht gegeben, sie ist ausdrücklich abhängig gemacht von dem Bleiben und Bekleiden im Wort: „So ihr bleiben werdet in meiner Rede, werdet ihr die Wahrheit erkennen und die Wahrheit wird euch frei machen“. Freiwerden von dem alten Sündenbann, das ist also die eine Frucht des Bleibens in ihm - die Erhörlichkeit unserer Gebete, das ist die andere: „So ihr in mir bleibet und meine Worte in euch bleiben, werdet ihr bitten, was ihr wollt und es wird euch widerfahren.“ Nach Seinem Willen bitten, das lernt man ja nur in dem Maaß als Sein Wille in uns regiert.

Meine Freunde, wäre dieses Wort aus der Welt, es würde ja gar nicht soviel Mühe kosten, sich in dasselbe hinein zu leben. Aber es ist ein Wort aus einer andern Welt, ein Wort, das mit Fleisch und Blut in Widerspruch steht; darum dauert es so lange ehe man sich hineinlebt.

Das ist das wunderbare Ding,
Erst dünkt's dem Kinde zu gering,
Und dann zerglaubt ein Mann sich dran
Und stirbt wohl eh' er's glauben kann.

Sollte es denn nicht manchem von euch auch so gehen, daß ihr Augenblicke habt, wo die bekanntesten und gemeinsten Worte des Evangeliums, die ihr im Katechismus gelernt habt, so ganz und gar wieder ans eurem Gesichtskreis entschwinden, daß sie zu andern Zeiten wieder als ganz neue Wahrheiten vor eurer Seele auftauchen? Nehmt das einfache Gnadenwort: „Wer zu mir kommt, den werde ich nicht hinausstoßen“ - wie manchmal geht einer Monate herum im Grämen und Schämen, hält alle Gründe sich vor, warum gerade er nicht zu Christo kommen kann und plötzlich tritt es wie ein ganz neues Evangelium vor seine Seele: „Wer zu mir kommt, den werde ich nicht hinausstoßen.“

Wie bleibt man nun im Worte des Herrn und wie bleibt es in uns zu immer weiterer Entfaltung? Dies Bleiben muß zunächst von uns den Ausgang nehmen; denn „bleibet in mir und ich in euch“ heißt es. Ebenso wie es dort heißt: „nahet euch zu Gott, so nahet er sich zu euch“. Die wachsende Treue und Wachsamkeit in unserm Wandel ist es, durch die wir im Worte bleiben. Hier zwar hat der Herr nichts darüber gesagt, wohl aber an einem andern Orte, wo er von dem Bleiben des Saamens des Wortes in uns spricht und vor dreierlei warnt: vor den zerstreuten, vor den wetterwendischen und vor den getheilten Herzen. Er spricht in dem Gleichniß von den Vögeln die der Arge fliegen läßt, die den Saamen wieder wegholen, diese Vögel sind die Zerstreuungen, diese Warnung gilt den zerstreuten Herzen. O Mensch, der du deine Seligkeit suchst, glaube es nur: das Wort Gottes das du in dir trägst, hat dir noch viel zu sagen und zu offenbaren; deine fortwährenden Zerstreuungen aber lassen es ja gar nicht still um dich werden, sodaß das Gottesorakel in dir zu Worte kommen könnte. Der Schütze, der des Zieles nicht fehlen will, drückt das eine Auge zu, damit die ganze Kraft in dem andern zusammenbleibe: drück' das Auge zu, mein Bruder, das immer nur lustig in die weite Welt hinausschaut, damit die Kraft in deinem himmlischen Auge gesammelt bleibe! Weiter ermahnt der Herr im Gleichniß vom Säemann, daß der Keim tiefe Wurzeln haben muß, weil sonst wenn Trübsal und Verfolgung kommt, die Wurzel abstirbt, mit der das Wort in deinem Herzen haftete. Da warnt der Herr vor dem wetterwendischen Herzen, das, wenn es auch sonst in dem Worte bleibt, doch in der Anfechtung von dem Worte weicht. Einem solchen nun geht auch die tiefste reinigende und die höchste tröstende Kraft des Wortes nicht auf. Beim Psalmisten heißt es: „die Zeugnisse des Herrn sind meine Rathsleute“: wer in der Anfechtung die Zeugnisse des Herrn zu seinen Rathsleuten macht, erst der erfährt die wunderbar reinigende Kraft des Wortes und die himmlisch tröstende Kraft desselben. Gottes Wort, spricht Luther, ist ein Kräutlein, das gerieben werden muß, wenn es recht duften soll. O in solchen Stunden, wo die Seele zwischen Himmel und Erde schwebt, wo die Erde dich ausgestoßen hat und der Himmel dich nicht aufnehmen will - was man in solchen Stunden von den Kräften des Worts erfährt, wenn man sich daran anklammert! - Endlich und das ist das wichtigste, warnt der Herr vor dem getheilten Herzen, wenn er von dem Saamen des Wortes spricht, der unter die Dornen gesäet ist, die nicht ausgerottet werden, also daß die Sorge dieser Welt das Wort erstickt. Und das ist eigentlich der Fall bei den meisten, die im Worte nicht bleiben. Wir können nicht zweien Herren dienen. Entweder du hast Eine Sorge, die alle andern bei dir austreibt, das ist die Sorge um das Seligwerden - und so soll's seyn, oder die andern Sorgen überwuchern diese eine und ersticken damit das Wort in deinem Herzen, so daß es auch zu keinem Bleiben und Bekleiden im Weinstock kommen kann.

Dies Bleiben und Bekleiben am Weinstock, es ist aber eine so schwere Aufgabe, daß wir von uns selbst es auch gar nicht können. Da giebt uns nun das Wort des Herrn die Versicherung, daß auch ein Anderer dabei helfen will. Um Frucht zu bringen, müssen die Wasserschößlinge abgeschnitten werden, und das ist's, was der Weingärtner, der himmlische Vater, thut. Alle Pflanzen, die der himmlische Vater gepflanzt, die pflegt er auch. O es steht ein väterliches Auge aufgeschlagen über jeder jungen Christenpflanze! Das ist der Trost von uns Seelenpflegern, wenn wir manche noch so schwache Pflänzlein, denen so viele Ranken die Kraft wegsaugen, aus unserer Pflege entlassen müssen, so viele die noch so fahrlässig sind in Wachsamkeit und Treue. Aber es giebt noch einen Seelenpfleger, der über alle Seelenpfleger auf Erden ist und eine Schule, die höher ist als alle hohen Schulen mit ihrer Unterweisung im Wege des Heils. Es giebt eine Schule, welche die eigentliche hohe Schule aller Christenmenschen ist und das ist die Leidens schule, wo er selbst der himmlische Vater der Lehrmeister ist. Gäbe es die nicht, die Ranken, die an die Reben ansetzen, würden doch wieder die Reben überwuchern und ihnen die Kräfte aussaugen, die aus dem edlen Weinstock fließen. Da schwingt nun der himmlische Vater sein Winzermesser, sie abzuschneiden, wenn er seine rechte Stunde ersehen, und das sind alle jene Sorgen im Gleichnisse, die die Eine Sorge um das Seligwerden zu ersticken drohen. Weib und Kinder sind wohl ein edles Gut, Jugendkraft und Gesundheit, Besitzthum und Ehre sind wohl edle Güter und doch - schlägt die Kraft des Weinstocks, welche die Reben nähren soll, da hinein, so sind sie nichts weiter als Ranken, in die das Winzermesser hineinfährt, mögen gleich blutige Thränen darüber fließen: besser mit Thränen säen und mit Freuden erndten als mit Freuden säen und mit Thränen erndten. Dem Gold nützt der Hammer, dem Manne der Jammer, dem Weine das Scheiden, dem Menschen das Leiden, wie unsere Alten gesagt haben. O unter euch, ihr Jünglinge mit den Anfängen des Glaubens, wie viele Reben, die noch ganz mit Ranken bedeckt sind, da die Kraft Jesu hineinschlägt, die viel mehr Frucht treiben sollte. Wie viele, die wenn sie nach den Früchten bei sich fragen, nur erschrecken und an sich verzagen können. Aber ihr, die ihr's aufrichtig meint, geht nur hin mit getrosten Blicken in die Zukunft; wenn der himmlische Vater seine Stunde bei euch ersehen, wird er euch in seine hohe Schule nehmen und sein Winzermesser euch erfahren lassen. Es wird euch manche Thräne auspressen, aber haltet stille: je mehr die Ranken darunter fallen, desto mehr werdet ihr Frucht bringen. Unvergeßlich ist es mir, was der selige Mann, dessen Andenken noch jetzt nicht unter euch ausgestorben ist, was der selige Knapp, an dessen Stelle ich ans dieser Universität getreten, mir einst sagte, als ich, damals selbst noch ein Jüngling, ihm die Frage vorlegte: ob er wohl auch unter den Jünglingen seiner Pflege, die dem Dienste der Kirche sich geweiht, Jünger des Herrn zählte? Wehmüthig lächelnd trat er zur Seite, kam wieder, einen Pack mit Briefen in der Hand, und sprach: „hier ist mein Trost, in den Briefen derer, in welchen ich mit Thränen den Saamen gestreut und in denen er aufgegangen ist, theils in der eignen Leidensschule, theils an den Leidens und Sterbebetten Anderer.“

O Herr, ohne den wir nichts thun können, auch keine Frucht bringen, die unserm himmlischen Vater wohlgefiele, mach uns nur zu rechten Reben an dir, gieb von deiner Kraft und deinem Safte, tilg an uns die Ranken aus! Unserer Seele ganzes Verlangen geht nur dahin, daß wir ganz dein eigen werden, so wollen wir dir gerne still halten, wenn das Reinigen auch noch so weh thut. Ach, wenn wir nur das Eine erlangen, wenn wir unserm himmlischen Vater nur viele Frucht bringen. Dazu hilf, Herr Jesu. Amen.

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