Tauler, Johannes - Achtundzwanzigster Brief.

Tauler, Johannes - Achtundzwanzigster Brief.

Eine Uebung, durch die fünf Wunden in die Gottheit zu gehen.

In Christo Jesu wünsche ich euch seine fünf wesentlichen Tugenden und verklärte, vollkommene Tagreisen in seine fünf Wunden zu dem ewigen, goldenen Jubeljahr in dem göttlichen Rom, das ist: Liebe in göttlicher Einigkeit.

Nun der Weg durch die Wunde des linken Fußes ist eine begierige Sterbung unserer Sinnlichkeit, Natürlichkeit und unordentlicher natürlicher Luft, bis in die Gebrauchung göttlicher Lust.

Der Weg durch die Wunde des rechten Fußes ist ein kräftiges Durchdringen in Gott durch alle auswendigen Zufälle und Widerwärtigkeiten, mit geduldigem Ausharren, zu Dank und Lob des überwesentlichen Gutes, das Gott selbst ist.

Der Weg durch die Wunde der linken Hand ist eine wirkliche Uebung aller Tugenden in demüthigem Gehorsame und in Unterworfenheit seiner selbst gänzlich unter Gott, und dasselbe mit Uebungen zu erfolgen nach Treibung und Mahnung des heiligen Geistes, und in allem inwendigen Darben und Mangeln inwendiger Süßigkeit und Empfindung, in Gedräng und in Leiden seiner selbst gänzlich den Untergang zu thun, in Zeit und in Ewigkeit, mit rechter Gelassenheit, und der ungemessenen Hoheit des göttlichen Willens (der uns unbekannt ist) anzuhängen.

Der Weg durch die Wunde der rechten Hand ist eine abgeschiedene, ledige Armuth des Geistes, einfach ohne Bilder und Formen mit wesentlicher Liebe eindringend in die überklare, lautere, überwesentliche Einheit Gottes.

Der Weg durch die Wunde des Herzens ist, durch die heiligen Sakramente, nach Gehorsam der heiligen Kirche, mit allen äußerlichen, guten Werken, und inwendig mit hitzigen Begehrungen und weiselosen Uebungen reichlich sich selbst mit wirksamer Liebe verehren, einbrennen und verbrennen, in wesentlicher Liebe verschmelzen, in sich selbst gebräuchlich und abgründlich einsinken, ohne alle Mittel in empfindbarem Unterschiede, in die dunkle Stille göttlicher, überwesentlicher Einigkeit.

Wer nun diese vorher genannte Lehre fruchtbar haben und behalten will, der soll sie dreimal innerlich ansehen bei Tag und Nacht. Das erste Ansehen soll seyn in einer benöthigen, reuigen Erkenntniß, sich Gott bestimmt und ausdrücklich schuldig geben, wie er dieser Lehre zuwider gelebt habe.

In dem andern Ansehen soll er Gott ernstlich mahnen seiner würdigen Verdienste, seiner lieben, reichen Wunden, und demüthig um die vorhergenannten Tugenden bitten, ausdrücklich.

In dem dritten Ansehen soll sich der Mensch in die heiligen fünf Wunden kehren, und mit hitziger Begehrung und mit stürmender Liebe, mit allen Kräften, Herz, Seele und Gemüth in Gott dringen, durch die Himmelspforten der verklärten Wunden unsers Herrn Jesu Christi.

Wer sich diese Uebungen zu Nutzen machen will, der befleiße sich, daß er sich mit aller Andacht in diese Uebung gebe, einmal in der Nacht, einmal des Morgens frühe, und einmal des Abends; denn durch die Uebung kommt die Kunst, aus dem Fleiße wachset die Tugend, und der Begehrung wird Gnade gegeben und der großen Siebe das ewige Leben, denn unser Herr sprach: Wer bittet, der empfängt, wer sucht, der findet, und wer klopft, dem wird aufgethan. Daraus folgt auch, daß demjenigen, der dieses nicht thut, es auch nicht zu Theil wird; denn was nichts kostet, das gilt auch nichts. Wer Liebe will haben, muß Liebes auch lassen. Amen.

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