Spurgeon, Charles Haddon - Von der stellvertretenden Genugtuung Christi

Spurgeon, Charles Haddon - Von der stellvertretenden Genugtuung Christi

„Auf dass Er allein gerecht sei, und gerecht mache den, der da ist des Glaubens an Jesum.“
Röm. 3,26

„Er ist gerecht, dass Er uns die Sünden vergibt und reinigt uns von aller Untugend.“
1 Joh. 1,9

Wenn die Seele vom Bewusstsein ihrer Schuld ernstlich niedergedrückt wird, wenn Schrecken und Unruhe über die unvermeidlichen Folgen ihrer Sünde sie erfassen, da fürchtet sich die Seele vor Gott. Zwar erbebt sie zu solcher Zeit vor jeder Eigenschaft der Gottheit, aber ganz besonders fürchtet der Sünder die Gerechtigkeit Gottes. „Ach!“ - spricht er zu sich selbst - „Gott ist ein gerechter Gott, und wenn dies so ist, wie kann Er mir meine Sünden vergeben? Denn meine Missetaten schreien laut nach Strafe, und meine Übertretungen fordern, dass Gottes Rechte mich zu Boden schlage. Wie ist es möglich, dass ich errettet werde? Ja, wäre Gott ungerecht, so möchte Er mir vielleicht vergeben; aber ach, so ist es nicht, sondern seine Gerechtigkeit ist eine furchtbare Wahrheit. „Er misst Gerechtigkeit nach dem Bleilot und Geradheit nach der Schnur.“ Er ist der Richter des ganzen Erdbodens und lässt jedem sein Recht widerfahren. Wie kann ich also seinem gerechten Grimm entrinnen, von welchem Er gegen mich entbrannt ist?“ Fürwahr, wir müssen gestehen, dass der Sünder ganz recht hat, wenn er fühlt, dass dies eine sehr schwierige Frage ist. Die Gerechtigkeit Gottes ist in sich selbst eine große Schranke für die Erlösung der Sünder. Da gibt es nun kein andres Mittel, diese Schranke zu überschreiten oder sie zu entfernen, als dies eine, welches euch heute durch das Evangelium unsres Herrn Jesu Christi verkündigt werden soll. Es ist wahr: Gott ist gerecht. Es predigts euch das alte Sodom, wie Gott Feuer und Schwefel vom Himmel regnen ließ über die Missetat der Menschen. Es predigts euch die in der Sündflut ersäufte Welt, wie Gott die Schleusen der Brunnen der großen Tiefe öffnete und die rauschenden Wasser hervorströmen und alles, was da lebte, verschlingen ließ. Es predigts euch die Erde, welche einst ihren Schlund öffnete, als Korah, Datan und Abiram sich gegen Gott empörten. Es predigens euch die begrabenen Städte Ninives und die zerstreuten Trümmer von Tyrus und Sidon, dass Gott gerecht ist und auf keinen Fall die Schuldigen verschont.

Und, was das Erschütterndste von allem ist, es predigts euch der Hölle unergründlicher Pfuhl, welch ein gewaltiges Strafgericht Gott über die Sünden der Menschen verhängt. Könnte nur das Stöhnen und Ächzen, könnten die Seufzer und das Angstgeschrei der von Gott verdammten Geister zu euren Ohren dringen, sie würdens euch bezeugen, dass Gott nicht ein Gott ist, der die Schuldigen ungestraft lässt, und der Missetat, Übertretung und Sünde übersieht, sondern welcher jeden zu strafen droht, der sich widersetzt, und welcher der Gerechtigkeit für jede Verletzung derselben volle Genüge widerfahren lassen will. Ja, der Sünder hat ganz recht, wenn er davon überzeugt ist, dass Gott gerecht ist, und er hat recht, wenn er daraus den Schluss zieht, dass Gott wegen seiner Gerechtigkeit die Sünde bestrafen muss. O Sünder! Wollte Gott deine Sünde nicht bestrafen, so hätte Er aufgehört, das zu sein, was Er allezeit gewesen ist: der streng Gerechte, der wandellos Redliche. Noch nie seit der Schöpfung der Welt ist eine Sünde unbedingt und ohne Sühnopfer verziehen worden. Noch nie ist vom großen Richter des Himmels eine Übertretung vergeben worden, ohne dass das Gesetz volle Genugtuung empfangen hätte. Ja, du hast recht, o überführter Sünder, dass es immer und ewig bis ans Ende so bleiben wird: dass jede Übertretung ihre gerechte Vergeltung finden, jede Missetat ihre Streiche empfangen, jede Sünde ihre Verdammnis ernten wird. Aber da spricht nun der Sünder: „Wehe, so bin ich ja ausgeschlossen vom Himmel. Wenn Gott gerecht ist und die Sünde bestrafen muss, was soll ich da anfangen? Es schreitet die Gerechtigkeit, gleich einem schwarzen Engel, über die Straße der Barmherzigkeit, lechzend nach Blut und geflügelt zum Verderben stellt sie mit gezücktem Schwerte sich mir in den Weg, und droht mich hinterwärts zu treiben hinein in den Abgrund des Todes und des ewig brennenden Pfuhls.“ Sünder, du hast recht; so ist es. Wäre nicht das Evangelium vorhanden, welches ich jetzt dir predigen will, so wäre die Gerechtigkeit deine Widersacherin, deine unwiderstehliche, rechtmäßige, unersättliche Feindin. Sie kann es nicht dulden, dass du in den Himmel eingehest, denn du hast gesündigt, und gestraft muss sie werden, diese Sünde, und geahndet muss sie werden, diese Übertretung, so lange Gott Gott bleibt - der heilige, der gerechte Gott.

Ist es also unmöglich, dass der Sünder errettet werden kann? Hierin liegt eben das große Rätsel des Gesetzes und die gewaltige Entdeckung des Evangeliums. Staune, o Himmel, bewundere es, o Erde: gerade jene Gerechtigkeit, die sich dem Sünder in den Weg stellte und verhinderte, dass ihm vergeben wurde, ist versöhnt worden durch das Evangelium Jesu Christi; durch das teure Sühnopfer, das auf Golgatha dargebracht worden ist, ist der Gerechtigkeit Genugtuung geleistet worden, und seitdem hat sie ihr Schwert in die Scheide gesteckt und kein Wort zu sagen gegen die Vergebung des bußfertigen Sünders. Ja, noch mehr! Diese Gerechtigkeit, welche einst so zornig war, deren Antlitz leuchtete wie der Blitz, und deren Stimme dem Donner glich, sie ist jetzt des Sünders Sachwalterin und rechtet selbst mit ihrer gewaltigen Stimme mit Gott, dass, wer nur immer seine Sünden bekennt, Verzeihung finden und von all seiner Untugend gereinigt werden soll.

Unsre Aufgabe ist nun für diesen Morgen, zuerst auf Grund des ersten Textes: „dass Gott allein gerecht sei, und gerecht mache den, der da ist des Glaubens an Jesum,“ zu zeigen, wie die Gerechtigkeit nicht mehr des Sünders Feind in sei; und sodann zweitens, dass die Gerechtigkeit des Sünders Sachwalterin geworden ist, gemäß unsrem zweiten Texte, „dass Gott treu und gerecht ist, dass Er uns die Sünden vergibt und reinigt uns von aller Untugend.“

Aber hier muss ich eine Warnung aussprechen. Ich werde nämlich diesen Morgen nur zu solchen sprechen, welche ihre Schuld fühlen, und welche bereit sind, ihre Sünde zu bekennen. Denn für diejenigen, welche ihre Sünde immer noch lieben und ihre Schuld nicht anerkennen wollen, gibt es keine Verheißung des Erbarmens und der Gnade. Ihnen eröffnet sich der grauenvolle Blick in die Zukunft des Gerichts. „Wer wider die Strafe halsstarrig ist, wird plötzlich verderben ohne alle Hilfe.“ Die Seele, welche eine solche Seligkeit nicht achtet, kann nicht entfliehen; kein Hintertürchen ist zum Entfliehen offen gelassen für sie. Hätte der Herr uns nicht dazu gebracht, dass wir das Bedürfnis nach Erbarmen fühlen, hätte Er uns nicht genötigt, zu bekennen, dass, wenn Er uns nicht Barmherzigkeit widerfahren ließe, wir gerechterweise vergehen müssten, und, was noch mehr ist, hätte Er uns nicht dazu bereitwillig gemacht, uns jeder Bedingung, die Er aufstellen würde, zu unterwerfen, wenn wir nur überhaupt errettet werden könnten, so wäre dieses Evangelium, über welches ich jetzt predigen will, nicht das unsrige. Aber wenn wir von unserer Sünde überzeugt sind, und vor dem Donner des göttlichen Grimmes erzittern, so wird jedes Wort, welches ich jetzt zu euch reden werde, voll von Ermutigung und Trost für euch sein.

I.

Also zum Ersten: Wie ist die Gerechtigkeit beseitigt worden? Oder vielmehr: Wie ist ihr solche Genugtuung geleistet worden, dass sie der göttlichen Rechtfertigung des Sünders nicht mehr im Wege steht?

Die eine Antwort darauf ist diese: Der Gerechtigkeit ist Genugtuung geschehen durch den stellvertretenden Tod unsres hochgelobten Herrn und Heilandes Jesu Christi. Als der Mensch sündigte, verlangte das Gesetz, dass er bestraft werden müsse. Die erste sündige Tat wurde von Adam begangen, welcher das ganze Menschengeschlecht vertritt. Als nun Gott die Sünde strafen wollte, da fand Er in seinem unendlichen Geiste einen segensreichen Ausweg, indem Er nicht sein Volk strafte, sondern nur ihren Vertreter, das Bundeshaupt, den zweiten Adam. Durch einen Mann, und zwar den ersten Menschen, ist es geschehen, dass die Sünde in die Welt gekommen ist, und der Tod durch die Sünde, und durch einen zweiten Mann, den zweiten Adam, den Herrn, der vom Himmel gekommen ist, ist diese Sünde getragen worden; von Ihm wurde die Strafe für die Sünde erduldet, von Ihm wurde der ganze Grimm des Himmels ertragen. Und durch diesen zweiten Vertreter der Menschheit, Jesum, den zweiten Adam, ist Gott jetzt bereit und willig, auch dem Nichtswürdigsten unter den Nichtswürdigen Vergebung zu schenken und selbst den Gottlosen zu rechtfertigen, und zwar kann Er dies tun ohne die geringste Verletzung seiner Gerechtigkeit. Denn, beachte es wohl, als Jesus Christus am Kreuz litt, da litt Er nicht für seine Sünde. Denn Er hatte ja keine Sünde, weder Erbsünde, noch Tatsünde. Er hatte durchaus nichts verbrochen, was Ihn unter den Fluch des Himmels, oder über seine heilige Seele und seinen reinen, vollkommenen Körper Schmerz und Qual hätte bringen können. Was Er litt, das litt Er als Stellvertreter. Er starb - „der Gerechte für die Ungerechten, auf dass Er uns zu Gott brächte.“ Wären seine Leiden die Strafe seiner eignen Schuld gewesen, so wären sie ohne Wirkung und Geltung für die sündige Menschheit geblieben. Aber weil Er durch seinen Tod nicht seine eignen Sünden büßte, weil Er bestraft wurde für eine Schuld, die Er nicht selbst auf sich geladen hatte, noch überhaupt auf sich laden konnte, sondern für eine Schuld, welche andre aufgehäuft hatten, darum lag in seinem Leiden ein Verdienst und eine Kraft, durch welche einerseits dem Gesetze Genugtuung verschafft, andrerseits Gott die Möglichkeit gegeben wurde, die Sünden der Menschheit zu vergeben.

Wir wollen jetzt in Kürze sehen, in welch vollkommener Weise dem Gesetze Genugtuung geschehen ist.

1) Zuerst lasst uns die hochwürdige Stellung ins Auge fassen, welche das Schlachtopfer einnimmt, das sich selbst der göttlichen Gerechtigkeit zur Sühne darbrachte. Die Menschen hatten gesündigt, das Gesetz forderte die Bestrafung der Menschheit. Aber Jesus, der ewige Sohn Gottes, wahrer Gott vom wahren Gotte, den frohlockende Engel in heiligen Lobgesängen von Ewigkeit her besingen, der der Liebling war im Reiche seines Vaters, der erhöht worden ist über Mächte und Gewalten und der einen Namen hat, der über alle Namen ist, Er stieg herab und wurde ein Mensch, wurde geboren von der Jungfrau Maria, in eine Krippe gelegt, lebte ein Leben voller Leiden und musste in dem qualvollsten Todeskampfe die Bitterkeit des Sterbens schmecken O, denkt nur an die wunderbare Person Jesu Christi, der da war „wahrer Gott vom wahren Gotte,“ König der Engel, Schöpfer, Erhalter und Herr des ganzen Weltalls, und, fürwahr, ihr müsst einsehen, dass durch seine Leiden dem Gesetze eine größere Sühne geboten wurde, als sie ihm in den Leiden aller Menschen, die je lebten, verschafft worden wäre. Hätte Gott das ganze Menschengeschlecht vernichtet, wären all die Welten, die im Äther kreisen, als ein einziges mächtiges Brandopfer dem Gesetze zur Sühne dargebracht worden, es wäre das alles nicht von der rechtfertigenden Kraft gewesen, die in Jesu Tode liegt. Denn der Tod aller Menschen und Engel würde ja nur der Tod und das Leiden sterblicher Kreaturen gewesen sein, aber da Christus starb, unterzog sich ja der Schöpfer selbst der Marter, es war der göttliche Erhalter der Welt, der am Kreuze hing. Es liegt in der Gottheit solche Majestät, dass all ihr Tun von unermesslichem Werte ist; und als Christus ausgelitten hatte, als Er sein ehrwürdiges Haupt neigte zum Todesschlummer, als Er sein Sternendiadem niederlegte, um eine Dornenkrone auf seine Stirn drücken zu lassen, als seine Hände, die einst das Zepter des Weltalls geführt hatten, an den Kreuzesstamm genagelt, als seine Füße, die vordem die Wolken bewegten, an das Holz befestigt wurden, da wurde dem Gesetze eine solch ehrenvolle Genugtuung geleistet, wie sie ihm nimmer zu teil geworden wäre, wenn auch das ganze Weltall im verzehrenden Weltbrande in Flammen aufgegangen und auf ewig vernichtet worden wäre.

2) An zweiter Stelle lasst uns das Verwandtschaftsverhältnis wohl erwägen, in welchem Jesus Christus zu dem großen Richter des Weltalls stand, und wir werden wiederum sehen, dass dem Gesetze hierdurch volle Genüge geleistet worden ist. Wir wissen von Brutus, dass er der unbeugsamste aller Gesetzgeber war, und dass vor ihm kein Ansehen der Person galt, wenn er auf dem Richterstuhl saß. Die edelsten römischen Senatoren werden vor Brutus gezogen, werden ihres Verbrechens überführt, und siehe, Brutus verdammt sie, und erbarmungslos werden sie von den Liktoren fortgerissen, auf dass das über sie verhängte Urteil vollstreckt werde. Gewiss, ihr müsst diese Gerechtigkeit an Brutus bewundern. Aber gesetzt nun, des Brutus eigner Sohn würde vor den Richterstuhl gezogen, - und so geschah es in Wirklichkeit, - schaue im Geiste hin auf den Vater, welcher auf dem Richterstuhle sitzt und staune, wenn er auch jetzt erklärt, dass vor seinem Richterstuhle alle gleich seien, und wären es seine eignen Kinder. Und kannst du die Furchtbarkeit des Gedankens fassen, wenn ich dir sage, dass nun der Sohn wirklich vom Vater verhört wurde und den Verdammungsspruch aus des Vaters eigenem Munde vernehmen musste! Vor des Vaters Augen wird er gefesselt, während dieser Vater als unerbittlicher Richter dem Henker (Liktor) befiehlt, den Sohn zu peitschen, und endlich ausruft: „Führe ihn ab und brauche das Beil!“ Da siehst du es, wie der Römer sein Vaterland mehr liebt als seinen Sohn, und wiederum die Gerechtigkeit mehr denn jene beiden.

„Ja, wahrlich,“ spricht die Welt, „Brutus ist gerecht.“ Nun, sage ich, hätte Gott jeden von uns, einen nach dem andern, oder das ganze Geschlecht auf einmal, verdammt, so würde sicherlich seine Gerechtigkeit eine Genugtuung davon gehabt haben. Aber seht!' Gottes eigner Sohn nimmt die Sünden der Welt auf sich und tritt so schuldbelastet hin vor seinen Vater. Er ist nicht schuldig für seine Person, sondern der Menschheit Sünden lasten auf seinen Schultern. Der Vater verdammt seinen Sohn, Er gibt Ihn preis der Geißel der Römer, gibt Ihn preis dem Hohn der Juden, gibt Ihn preis dem Spotte der Krieger und dem Übermut der Priester. Er überliefert seinen Sohn dem Henker und befiehlt ihm, Ihn an den Kreuzesstamm zu nageln. Aber das war noch nicht genug. Da die Menschen zu schwach sind, all die Rache, die Gottes Gerechtigkeit forderte, an ihrem eignen Stellvertreter zu nehmen, schlägt Gott selbst seinen Sohn. Oder wie, seid ihr betroffen über diesen Ausdruck? Er ist schriftgemäß. Lest nur das dreiundfünfzigste Kapitel des Jesaja, und ihr werdet den Beweis dafür finden: - „Der Herr wollte Ihn also zerschlagen; Er wurde von Gott geschlagen und gemartert.“ Als Er von jedermann Misshandlungen erfahren, als der Verräter Ihn aufs tiefste verwundet, als Pilatus und Herodes, als Juden und Heiden alle nach Kräften ihr Ärgstes an Ihm getan hatten, da zeigte es sich, wie menschliche Kraft zu schwach war, um volle Rache an Ihm zu nehmen, und da nahm denn der Vater selbst sein Schwert, und rief: „Wohlan, erhebe dich, o Schwert, gegen meinen Hirten, gegen den Mann, der mein Nächster ist!“ Und Er schlug Ihn mit schwerem Streiche, wie wenn Er sein Feind gewesen wäre, wie einen gemeinen Verbrecher, wie den verruchtesten Übeltäter - und Er schlug Ihn wieder und immer wieder, bis jener furchtbare Schrei von des sterbenden Erlösers Lippen sich losrang: „Eli, Eli, lama asabtani?“ - Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen? Fürwahr, wenn Gott seinen Sohn, und solch einen Sohn schlägt, seinen einzigen, hochgeliebten Sohn, dann hat die Gerechtigkeit mehr als ihr gebührt, mehr, als sie selbst verlangen konnte, denn Christus hat sich freiwillig selbst zum Opfer gegeben.

3) Weiter lasst uns nun auf einen Augenblick erwägen, wie furchtbar die Todeskämpfe waren, die Christus erleiden musste, und zwar, bedenkt es wohl, erleiden anstatt aller armen bußfertigen Sünder, aller derer, welche ihre Sünden bekennen und an Ihn glauben. Nehmt ihr aber diese Todeskämpfe recht zu Herzen, so werdet ihr sehen, warum die Gerechtigkeit sich dem Sünder nicht in den Weg stellt. Kommt also die Gerechtigkeit heute zu dir und spricht: „Sünder, du hast gesündigt, siehe, hier bin ich, um dich zu strafen!“ - so antworte also: „Gerechtigkeit, du hast all meine Sünden bestraft. Alles, was ich erdulden sollte, hat mein Jesus für mich erduldet. Es ist wohl wahr, ich selbst für meine Person schulde dir eine größere Schuld, als ich zu bezahlen vermag, aber auch das andre ist wahr, dass ich dir in Christo nichts schuldig bin; denn alles, was ich schuldig war, ist nun bezahlt, jeder Heller, der kleinste Kupferpfennig ist abgetragen, es bleibt kein Deut mehr, den ich dir schuldig wäre, du rächende Gerechtigkeit Gottes.“ Aber wenn die Gerechtigkeit dich immer noch verklagt, und dein Gewissen dir Vorwürfe macht, so gehe und nimm die Gerechtigkeit mit dir nach Gethsemane, und dort bleibe stehen mit ihr und schaue im Geiste deinen Heiland, niedergebeugt vom tiefsten Seelenschmerz, sieh', wie sein ganzes Haupt, seine Haare, seine Kleider von Blut triefen. Die Sünde war die Presse, der Schraubstock, welcher sein Blut aus jeder Ader presste und Ihn in das Purpurgewand seines eignen Blutes hüllte. Vermagst du diesen Mann dort anzuschauen? Kannst du es hören sein Stöhnen, sein Schmerzensgeschrei, sein ernstliches Bitten, seine markdurchbohrenden Klagen und seine Tränen? Schaue nur hin auf den geronnenen Schweiß, wie er mit seiner blutigen Farbe den erstarrten Boden rötet, mächtig genug, den Fluch zu lösen! O, fasse ihn recht - diesen furchtbaren Verzweiflungskampf, in welchem deines Heilandes Geist in der Ölkelter Gottes zermalmt wurde, völlig zerbrochen, völlig zertreten unter den Füßen der Gerechtigkeit; ist das nicht genug? Befriedigt dich dies noch nicht? Selbst in der Hölle fände die Rache keine solch gerechte Würdigung, als im Garten Gethsemane. Und ist die Gerechtigkeit noch nicht befriedigt, so führe sie in den Saal des Pilatus. Sieh diesen Menschen, vor Gericht geführt, angeklagt, beschuldigt der Aufwiegelung und Gotteslästerung. Folge Ihm hin zu den Kriegsknechten, die Ihn anspeien, siehe, wo man Ihm ins Antlitz schlägt, wie man eine Dornenkrone auf sein Haupt setzt, wie man zum Hohn Ihn mit Purpur bekleidet, und wie man zum Spott ein Rohr statt des Zepters Ihm reicht! O Gerechtigkeit, schaue Ihn nur an, diesen Mann, und wenn du meinst, dass Er ist „Gott, hochgelobt in Ewigkeit“, und dass Er trotzdem alles dies erleidet, um deinen Forderungen gerecht zu werden, wirst du dich damit noch nicht genügen? Willst du deine Stirn immer noch runzeln? O, so komm mit mir nach Gabatha. Er wird gegeißelt. Stehe still, o Gerechtigkeit, und lausche auf die Geißelhiebe, auf diese blutigen Streiche, und indem dieselben niederfallen auf seinen geduldigen Nacken, um tiefe Furchen drein zu graben, kannst du gewahren, wie ein Peitschenhieb nach dem andern ein Stück seines zitternden Fleisches von seinem armen entblößten Rücken losreißt? Bist du dennoch nicht zufrieden, Gerechtigkeit? Was soll dich denn da überhaupt zufriedenstellen? „Nichts, als sein Tod,“ spricht die Gerechtigkeit. So komm denn mit mir und sieh', wie der schwache, erschöpfte Mann durch die Straßen gejagt wird, sieh', wie man Ihn auf den Gipfel von Golgatha treibt, Ihn auf den Rücken wirft und ans Kreuz nagelt. O Gerechtigkeit, kannst du den Anblick seiner verrenkten Gliedmaßen ertragen, indem sein Kreuz aufgerichtet wird? Bleib' bei mir, Gerechtigkeit, sieh' wie Er weint und seufzt und schreit, betrachte seine Seelenkämpfe! Vermagst du sie zu lesen, diese Schreckensgeschichte, die sich in dieses Fleisch und Blut einhüllt? O, komm und horche, Gerechtigkeit, auf dass du seinen Schrei: „Mich dürstet!“ vernimmst, auf dass du siehst, wie ein brennendes Fieber Ihn verzehrt, bis Er trocken ist wie eine Scherbe und seine Zunge an seinem Gaumen klebt. Und zuletzt, o Gerechtigkeit, sieh' wie Er sein Haupt neigt und stirbt. „Ja, nun bin ich zufriedengestellt,“ spricht die Gerechtigkeit „,ich weiß nicht, was ich noch verlangen könnte, ich bin völlig zufrieden; meinen äußersten Forderungen ist noch mehr als volle Genüge geschehen.“

Und muss ich nicht auch zufrieden sein? Bin ich auch schuldig und unwürdig, so kann ich doch darauf mich berufen, dass dieses blutige Opfer hinreicht, um Gottes Forderungen an mich zu befriedigen. Ja, ich habe den frohen Glauben, ich kann sagen:

„Fest erfasset Dich mein Glaube,
Teurer Heiland, reich an Huld,
Büßend lieg' ich hier im Staube
Und bekenne meine Schuld.“

„Jesus, ich glaube, dass Du all Deine Leiden für mich erduldet hast, und ich glaube, dass sie größer gewesen sind, als nötig war, um mir meine Sünden zu vergeben. Im Glauben werfe ich mich an Deinem Kreuze nieder und klammere mich daran.“ Das ist meine einzige Hoffnung, mein Schutz und mein Schild. Es kann nicht sein, Gott kann mich jetzt nicht zerschmettern. Die Gerechtigkeit selbst verhindert dies. Denn da der Gerechtigkeit einmal Genüge geleistet worden ist, so würde sie zur Ungerechtigkeit, wenn sie noch mehr forderte. Muss es jetzt nicht einem jeden, dessen Seele erweckt worden ist, klar in die Augen springen, dass die Gerechtigkeit der Vergebung des Sünders nicht länger im Wege steht? Gott kann gerecht sein und uns dennoch zugleich lossprechen von unsren Sünden. Er hat in Christo unsre Sünde gestraft, warumsollte Er zweimal strafen für ein Vergehen? Christus ist für des ganzen Volkes Sünde gestorben, und wenn du im Gnadenbunde bist, so bist du einer vom Volk Christi. Verdammt kannst du nicht werden, leiden und dulden für deine Sünden kannst du auch nicht. Da Gott nicht ungerecht sein und zwei Abzahlungen für eine Schuld verlangen kann, so kann Er die Seele nicht vernichten, für welche Jesus gestorben ist. Aber, wendet mir da vielleicht jemand ein, da gibst du die Allgemeinheit der Erlösung preis. Allerdings gebe ich sie preis. Denn ich bin überzeugt, dass davon nichts im Worte Gottes steht. Eine Erlösung, welche nicht loskauft, ist weder meiner Predigt wert, noch eures Zuhörens. Christus hat jede Seele losgekauft, welche errettet ist; nicht mehr und nicht weniger. Jeden Geist, der im Himmel gesehen werden wird, hat Christus erkauft. Hätte Er auch die in der Hölle befindlichen losgekauft, hätten sie nicht dahin kommen können. Er hat sein Volk erkauft mit seinem Blute, und dies Volk allein wird Er mit sich bringen. „Aber wer gehört zu seinem Volk?“ Du gehörst zu ihm, wenn du deine Sünden bereust. Wenn du Christum anziehen willst, dass Er dein ein und alles sei, so bist du ein Teil von Ihm. Es müsste denn der Gnadenbund zu einer Lüge, es müsste Gott ungerecht und die Gerechtigkeit zur Ungerechtigkeit, und die Liebe zur Grausamkeit und Christi Kreuz zur leeren Einbildung werden, ehe es möglich wäre, dass du verdammt würdest, wenn du an Jesum glaubst.

Auf diese Weise also hört die Gerechtigkeit auf, eine Feindin der Seelen zu sein.

II.

Unser zweiter Text sagt, dass Gott nicht allein gerecht sei, sondern er fügt noch etwas Weiteres hinzu. Er lautet: „Wenn wir unsre Sünden bekennen, so ist Er treu und gerecht, dass Er unsre Sünden vergibt und reinigt uns von aller Untugend.“ Wenn ich diesen Text richtig verstehe, sagt er nichts andres als dies: Dass es eine Tat der Gerechtigkeit seitens Gottes ist, dem Sünder, welcher ein Bekenntnis seiner Sünden vor Gott ablegt, zu vergeben.

Also merkt wohl! Es ist nicht gesagt, dass der Sünder Vergebung verdiene, das ist unmöglich. Die Sünde kann nichts andres verdienen, als Strafe, und die Reue ist kein Sühnopfer für die Sünde. Nicht als ob Gott durch irgend welche in seiner Natur begründete Notwendigkeit gezwungen wäre, jedermann, der Reue zeigt, zu vergeben; die Reue an und für sich selbst hat ja nicht die Wirksamkeit und Kraft, um sich die Vergebung von Seiten Gottes zu verdienen. Und nichtsdestoweniger ist es wahr, dass Gott, weil Er gerecht ist, jedem Sünder, welcher seine Sünde bekennt, vergeben will. Täte Er es nicht, wenn ein Sünder dazu geführt würde, treulich und feierlich ein Bekenntnis seiner Sünden vor Gott abzulegen und sich Christo anheim zu stellen, vergäbe Gott dann nicht, dann - lasst mich das kühne, aber vom Texte gerechtfertigte Wort aussprechen - dann wäre Gott nicht der Gott, wie Er im Worte Gottes beschrieben wird, Er wäre ein ungerechter Gott, das aber sei ferne, das darf nicht sein und kann nicht sein. Aber wie nun? Ist es wahr, dass es die Gerechtigkeit selbst wirklich fordert, dass jede Seele, welche Reue zeigt, Vergebung finde? So ist es. Dieselbe Gerechtigkeit, welche sich das eine Mal mit flammendem Schwert uns entgegenstellte, gleich dem Cherubim im Alten Testament, der den Weg zum Baum des Lebens bewahrte, geht das andre Mal Hand in Hand mit dem Sünder. „Sünder,“ spricht sie „,ich will mit dir gehen. Wenn du gehst, um die Verzeihung zu erwirken, so will ich mit dir gehen und sie dir erwirken. Einst sprach ich gegen dich, aber jetzt bin ich dermaßen zufriedengestellt durch das, was Christus getan hat, dass ich mit dir gehen und deine Sachen führen will. Ich will jetzt meine Rolle ändern. Mit keinem Worte will ich mich deiner Vergebung entgegenstellen, sondern ich will mit dir gehen und dieselbe fordern. Es ist nichts andres, als ein Akt Gerechtigkeit, dass dir Gott jetzt vergibt.“ Und so geht denn der Sünder hin mit der Gerechtigkeit, und was hat die Gerechtigkeit zu sagen? Sie sagt: „Gott muss dem reuigen Sünder vergeben, so wahr Er gerecht ist, und so wahr Er hält, was Er zugesagt hat.“

Ein Gott, welcher sein Versprechen brechen wollte, wäre nicht gerecht. Wir glauben nicht einmal den Menschen, welche uns belügen. Ich habe einige Leute kennen gelernt, die von so weicher Gemütsart waren, dass sie niemals etwas abschlagen konnten, vielmehr antworteten sie immer, so oft sie um etwas gebeten wurden, mit Ja. Aber wenn sie das, was sie zusagten, später nicht erfüllten, so ernteten sie dafür den Ruf der Charakterlosigkeit. Nicht so Gott. Er ist weder so weichherzig, dass Er mehr zusagen sollte, als Er halten könnte, noch so vergesslich, dass auch nur ein einziges Versprechen aus seiner Erinnerung entschlüpfen sollte. Jedes Wort, das Gott ausspricht, wird erfüllt werden, sei es ein Beschluss, eine Drohung oder eine Verheißung. Sünder, gehe hin zu Gott mit dem Bekenntnis auf deinen Lippen: „Herr, Du hast gesagt: „Der, welcher seine Sünde bekennt und ihr entsagt, soll Gnade finden,“ ich bekenne meine Sünde und entsage ihr, Herr, gib mir Gnade!“ O, zweifle nicht, dass Gott sie dir geben wird. Du hast ja seine eigne Verbürgung, seine eigne Verschreibung in deinen Händen. So nimm denn dieses Unterpfand, nimm diese Verschreibung und tritt hin vor den Thron der Gnade, und diese Schuldverschreibung (Obligation) soll nicht eher gestrichen werden, bis sie bezahlt (akzeptiert) ist. Du wirst sehen, das Versprechen wird bis auf den kleinsten Buchstaben erfüllt werden, mögen deine Sünden auch noch so schwarz sein. Gesetzt, das Versprechen, das du empfangen hast, wäre dieses: „Wer zu mir kommt, den will ich nicht hinausstoßen.“ „Aber,“ spricht das Gesetz „,du bist einer von den größten Sündern, die je gelebt haben.“ „Ja, aber die Verheißung sagt: „Wer kommt,“ und ich komme ja und berufe mich auf die Verheißung.“ „Aber du bist ein Gotteslästerer gewesen.“ „Ich weiß es, aber die Verheißung lautet: „Wer kommt,“ und ich komme ja, und mag ich auch ein Gotteslästerer sein, ich berufe mich auf die Verheißung.“ „Aber du bist ein Dieb gewesen und hast deinen Nachbar betrogen und deine Nebenmenschen beraubt.“ „Ja, das habe ich getan, aber die Verheißung sagt: „Wer zu mir kommt, den will ich nicht hinausstoßen,“ ich berufe mich auf die Verheißung. Es verlautet durchaus nichts über die sittliche Beschaffenheit in der Verheißung, sie spricht einfach: „Wer kommt,“ und ich komme, und wäre ich schwarz wie der Teufel, dennoch ist Gott getreu, und ich berufe mich auf die Verheißung. Ich bekenne alles, was gegen mich gesagt werden kann. Kann Gott untreu sein und eine suchende Seele von sich fortschicken, ohne seine Verheißung erfüllt zu haben? Nimmermehr!“ -

„Aber,“ spricht einer „,du hast viele Jahre so gelebt; dein Gewissen hat dir oft Vorwürfe gemacht, und du hast dich ebenso oft gegen das Gewissen verhärtet, nun ist es zu spät.“ „Aber ich habe die Verheißung: „Wer kommt,“ - es ist dabei keine Zeit festgesetzt - „wer kommt;“ ich komme, und Du, o Gott, kannst Dein Versprechen nicht brechen!“ Rufe nur Gott an im Glauben, und du wirst sehen, dass Er ebenso gütig gegen dich sein wird, als sein Wort. Machst du auch schlechter sein, als sich mit Worten aussprechen ließe, so muss doch Gott, solange Er gerecht ist, ich wiederhole es noch einmal, sein eigenes Versprechen erfüllen. Gehe und bekenne deine Sünden, vertraue auf Jesum Christum, und du wirst Verzeihung finden.

Aber, wiederum hat Gott nicht allein das Versprechen gegeben, sondern nach unserm Texte ist auch der Mensch veranlasst worden, demselben gemäß zu handeln, und damit wird der Gerechtigkeit Gottes eine doppelte Verpflichtung auferlegt. Gesetzt, du gäbest jemandem ein Versprechen, dass du unter der Bedingung, dass jener dir irgend etwas leistet, ihm etwas andres dafür gewähren wollest. Nun stelle dir vor, jener Mann müsste etwas tun, was seiner eignen Natur ganz zuwider wäre, was ihm selbst ganz widerstrebte, aber er täte es, dennoch, weil er erwartete, großen Segen dadurch zu ernten, meinst du, du wollest nun sagen, du habest den Mann nur anlocken wollen, so zu handeln, und ihm dabei große Kosten verursacht und ihm Sorge und Mühe gemacht, und willst dich nun von ihm wenden und sprechen: „Ich will nichts von dem Versprechen mehr wissen, ich habe es nur versprochen, um zu bewirken, dass du so und so handelst, jetzt ist es nun gut, und meiner Verbindlichkeit will ich nicht nachkommen?“ Wie, würde sich der Mann nicht herumdrehen und dir ins Antlitz sagen, dass du niederträchtig seist, da du ihm ein Versprechen gegeben und ihn verleitet habest, etwas zu tun, ohne dann dein Versprechen zu halten? Nun, Gott hat gesagt: „Wenn wir unsre Sünden bekennen und auf Christum vertrauen, sollen wir Gnade finden.“ Ihr habt es getan, ihr habt das demütigste und aufrichtigste Sündenbekenntnis abgelegt und erklärt, dass ihr nur auf Christi Blut und Gerechtigkeit euer Vertrauen setzen wollt. Nun, im Glauben an jene Verheißung seid ihr erst in die Lage versetzt worden, diese Erklärung zu machen. Meint ihr nun, dass Gott, nachdem Er euch durch so viele Seelenqualen und Geisteskämpfe hindurch zur Reue über eure Sünde, zur Aufgabe aller Selbstgerechtigkeit und Hingabe an Christum gebracht hat, späterhin sich abwenden und euch sagen könnte, Er habe es nicht so gemeint, wie Er gesprochen? Das kann nicht sein, das kann nicht sein! Gesetzt, du wärest im Begriff, einen Mann in Dienst zu nehmen und sprächest zu ihm: „Entsage deiner bisherigen Stellung, gib sie auf, komm und nimm ein Haus in der Nähe, wo ich wohne, ich will dich dann zu meinem Diener annehmen.“ Gesetzt nun, er täte es, und du sprächest dann: „Es freut mich um deiner selbst willen, dass du deinen Herrn verlassen hast, dennoch will ich dich nicht in Dienst nehmen.“ Was würde dir der Mann sagen? Er würde sagen: Ich habe meine Stellung aufgegeben in Treu und Glauben auf dein Versprechen, und nun brichst du es!„ O, nimmermehr kann es vom allmächtigen Gott heißen, dass Er dem Sünder, welcher im Glauben auf seine Verheißung gehandelt hat, sein Versprechen nicht hielte. Gott hört auf, Gott zu sein, wenn Er aufhört, Erbarmen mit der Seele zu haben, welche Verzeihung sucht durch das Blut Christi. Nein, Er ist ein gerechter Gott. „Er ist getreu und gerecht, dass Er uns unsre Sünden vergibt und reinigt uns von aller Untugend.“

Werfen wir noch einen Blick auf dies Verhältnis. Gottes Gerechtigkeit verlangt es, dass der Sünder Vergebung findet, wenn er die Gnade sucht, und zwar aus dem Grunde, weil Christus gestorben ist, um jeder suchenden Seele Vergebung zu verschaffen. Ich halte es für einen Grundsatz, der keines Beweises bedarf, sondern an sich klar ist, dass Christus alles, wofür Er gestorben ist, zu eigen haben will. Ich kann nicht glauben, dass das, was Er mit dem Kaufpreise seines Blutes, seiner Seufzer, seiner Tränen vom Vater erkaufte, Ihm dieser nicht mitgeben will. Nun, Christus ist gestorben, um Vergebung der Sünden für alle die zu erwerben, die an Ihn glauben; meint ihr nun, der Vater werde Ihn dessen berauben, was Er so teuer erkauft hat? Nein, Gott wäre ungetreu gegen seinen eignen Sohn, Er würde seinem geliebtesten und eingeborenen Sohn seinen Eid brechen, wollte Er nicht jeder Seele, welche durch Jesum Christum, unsern Herrn, zu Gott kommt, Vergebung, Friede und Heiligkeit verleihen. O, ich wollte, ich könnte es mit einer Donnerstimme allenthalben predigen: Gott ist gerecht, und dennoch rechtfertigt Er den, der an Ihn glaubt. Gott ist gerecht, dass Er uns unsre Sünden vergibt, wenn wir sie bekennen, Er ist gerecht, dass Er uns reinigt von aller Untugend.

III.

Nun zum Schluss. Ich muss jetzt eine kurze Erklärung geben von den zwei großen Pflichten, welche in den zwei Texten gelehrt sind. Die erste Pflicht ist Glaube - „wer da glaubt an Christum;“ die Pflicht des zweiten Textes ist Sündenbekenntnis - „wenn wir unsre Sünden bekennen.“

Ich will mit dem Sündenbekenntnis beginnen. Erwarte nicht, dass dir Gott deine Sünden vergeben wird, wenn du sie Ihm zuvor nicht bekennst, nicht nach der allgemeinen Bekenntnisformel eines Gebet- oder Kommunionbuches, sondern nach dem besonderen Bekenntnis deines eignen innersten Herzens. Du brauchst nicht vor einem Priester oder irgend einem Menschen deine Sünden zu bekennen, es sei denn, du habest ihn beleidigt. In dieser Beziehung, wenn du jemanden beleidigt hast, söhne dich mit ihm aus und bitte ihm alles ab, was du gegen ihn verbrochen haben kannst. Es ist ein Zeugnis eines edlen Sinnes, wenn du den andern bitten kannst, dir zu verzeihen, was du an ihm gefehlt hast. Allemal, wenn die Gnade in dein Herz einzieht, wird sie dich bewegen, jedes Unrecht, welches du mit Wort oder Tat einem deiner Mitmenschen angetan hast, wieder gut zu machen, und du kannst nicht von Gott erwarten, dass dir vergeben wird, wenn du nicht zuvor deinen Mitmenschen verziehen hast und bereit bist, dich mit denen auszusöhnen, welche jetzt deine Feinde sind. Es ist das ein schöner Zug im Charakter eines wahren Christen. Von John Wesley habe ich gehört, dass er auf den meisten seiner Reisen von einem Menschen begleitet wurde, der ihn sehr lieb hatte und, wie ich glaube, aus Liebe zu ihm bereit gewesen sein würde, für ihn zu sterben. Doch war es ein Mann, von einer sehr hartnäckigen, halsstarrigen Gemütsart, und Wesley war vielleicht auch nicht immer der freundlichste Herr. Bei einer Gelegenheit sagte er zu diesem Manne: „Joseph, schaffe diese Briefe auf die Post.“ „Ich will sie nach der Predigt hinschaffen.“ „Schaffe sie jetzt hin, Joseph,“ sprach Wesley. „Ich möchte Sie gern predigen hören, Herr, und es wird noch hinreichende Zeit sein, sie nach dem Gottesdienste auf die Post zu tragen.“ „Ich bestehe darauf, dass du jetzt gehst, Joseph.“ „Ich will jetzt nicht gehen.“ „Du willst wirklich nicht?“ „Nein, Herr.“ „So sind wir geschiedene Leute,“ sprach Wesley. „Gut, Herr.“

Nach dieser Unterredung verstrich eine Nacht. Beide Männer pflegten frühzeitig aufzustehen. Den nächsten Morgen um vier Uhr wurde der widerspenstige Bediente angeredet: „Nun, Joseph, hast du dir überlegt, was ich gesagt habe - dass wir uns trennen müssen?“ „Ja, Herr.“ „Und müssen wir uns wirklich trennen?“ „Ganz wie es Ihnen beliebt, Herr.“ „Willst du mich um Verzeihung bitten, Joseph?“ „Nein, Herr.“ „Du willst. nicht?“ „Nein, Herr.“ „Nun, so will ich dich um Verzeihung bitten, Joseph!“ Der arme Joseph war den Augenblick zu Tränen gerührt, und sie waren wieder ausgesöhnt. Wenn einmal die Gnade Gottes in ein Herz eingezogen ist, da sollte der Mensch auch bereitwillig für jedes Unrecht, was er seinem Nebenmenschen angetan hat, von diesem Vergebung erbitten. Es ist ja nichts Unrechtes, wenn man einen Fehltritt gegen seinen Nächsten diesem eingesteht und für das Unrecht, was man ihm getan, ihn um Verzeihung bittet. Wenn du deine Gabe auf dem Altar opferst und wirst dort eingedenk, dass dein Bruder etwas wieder dich habe, so lass dort vor dem Altar deine Gabe, und gehe zuvor hin und versöhne dich mit deinem Bruder, und alsdann komm und versöhne dich mit Gott. Du musst vor Gott deine Sünden bekennen. Tue dies demütig und aufrichtig. Du kannst nicht jede Übertretung herzählen, aber du sollst keine verheimlichen wollen. Wenn du eine einzige Sünde verhehlst, so wird ein Mühlstein um deinen Hals gehängt werden, der dich hinabzieht in den tiefsten Höllenpfuhl. Bekenne es, dass du nichtswürdig bist deiner Natur nach, dass du böse bist in deinem Handeln, dass gar nichts Gutes in dir wohnt. Lege dich so tief als möglich in den Staub am Schemel der göttlichen Gnade und bekenne, dass du ein verlorener Sünder wärest, wenn nicht Gott mit dir Erbarmen hätte.

Die nächste Pflicht ist dann der Glaube. Wenn du nun so im Staube liegst, richte dein Auge auf Christum und sprich: „Bin ich auch noch so schwarz und muss ich auch bekennen, dass ich die Hölle verdient habe, so glaube ich doch, dass Jesus Christus auch für mich, den reuigen Sünder, gestorben ist; und weil Er nun gestorben ist, so starb Er eben darum, dass der Bußfertige nicht sterben sollte. Ich glaube, dass Deine Verdienste groß sind; ich glaube, dass in Deinem Blute eine mächtige Kraft liegt, und mehr noch als das, ich setze mein ewiges Heil aufs Spiel, und doch ist es kein Wagnis, ich setze mein ewiges Heil auf das teure Verdienst Deines Blutes. Herr Jesu, ich kann mich ja selbst nicht erlösen. So wirf denn den äußersten Saum Deines in Deinem Herzblute gefärbten Kleides der Gerechtigkeit über mich. O komm, nimm mich in Deine Arme; komm, hülle mich in Dein Purpurgewand und sage mir, dass ich der Deine bin. Ich will auf nichts andres vertrauen, als auf Dich allein. Auf nichts, was ich je tat oder noch tue, will ich mein Vertrauen setzen. Ich verlasse mich einfach und völlig auf Dein mächtiges Kreuz, an welchem Du einst für die Sünder starbst.“

Meine lieben Zuhörer, sollte immer noch einer zweifeln, dass er nach solch einem Bekenntnis und solchem Glauben verloren gehen könne, so versichere ich, dass es weder möglich, noch wahrscheinlich ist. Ihr seid errettet, errettet auf Zeit und auf Ewigkeit. Eure Sünden sind vergeben, eure Missetaten sind hinweg genommen. In diesem Leben werdet ihr versorgt, gesegnet und behütet werden. Die Sünde, in der ihr noch gefangen seid, wird besiegt und überwältigt werden, und ihr werdet am Ende der Tage sein Antlitz schauen in ewig dauernder Herrlichkeit, wenn Er kommen wird in der Herrlichkeit seines Vaters und alle seine heiligen Engel mit Ihm. „Wer an den Sohn Gottes glaubt, hat das Leben und kommt nicht in das Gericht.“ „Wer an den Herrn Jesum glaubt und getauft wird, der wird selig werden, wer aber nicht glaubt, der wird verdammt werden.“

Schließlich nur noch eins. Ich habe es versucht, euch einfältig und vollständig die Geschichte zu erzählen, wie Gottes Gerechtigkeit Genugtuung erhalten und des Sünders Freundin geworden ist, und ich hoffe, es wird auch Frucht bringen, denn wo immer das Evangelium einfältig gepredigt wird, da wird es nie vergebens gepredigt. Nun lasst uns nach Hause gehen und beten, dass wir unsern Heiland recht erkennen mögen. Lasst uns auch für andre beten, dass sie Ihn erkennen lernen mögen. Wenn ihr von eurer Sünde überzeugt seid, meine Lieben, so verliert keinen Augenblick. Geht, so bald ihr nach Hause kommt, in euer Kämmerlein, schließt die Tür zu, geht allein zu Jesu, und da wiederholt euer Sündenbekenntnis und bezeugt euren Glauben an Christum von neuem. Dann werdet ihr den Frieden mit Gott erlangen, den diese Welt nicht geben kann, den sie aber auch nicht aus euren Herzen zu reißen vermag. Euer unruhiges Gewissen wird Ruhe finden, eure Füße werden auf einem Felsen stehen, und ein neues Loblied wird aus eurem Munde aufsteigen zu ewigem Preise.

„O glaube nur, voll froher Freud',
Dass Gott mit schwerem bitt'ren Leid
Für dich seinen Sohn geschlagen.
Und wird Er in seiner gerechten Huld
Verdammen dich ob der Sündenschuld,
Die Christus für dich getragen?

Vollständ'ge Sühn' hast Du verschafft,
Den letzten Heller dargebracht
Für das, was Dein Volk schuldet,
Nicht werd' ich jetzt vom Grimm verzehrt,
Gottes Gerechtigkeit mir Schutz gewährt
Und das Blut, das Christus vergossen.

Du hast mir, Heiland, Freiheit erworben,
Du bist an meiner Statt gestorben,
Hast getragen des Vaters Grimm.
Nicht ungerecht ist Gott erfunden,
Nicht fordert Er von Christi Wunden,

Und dann auch von mir die Sühn'.
So ziehe denn Fried' in mein Herz hinein,
Es hat ja der Hohepriester dein
Dir Freiheit und Friede gezeigt.
Nicht brauchst du zu fürchten den zürnenden Gott.
Es hat dein Jesus im blut'gen Tod
Sein Haupt auch für dich geneigt.“ 

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