Singh, Saddhu Sundhar - Schmerz und Leiden

Singh, Saddhu Sundhar - Schmerz und Leiden

1. In der Welt gibt es geistlichen wie leiblichen Schmerz. Geistlicher Schmerz folgt aus der Sünde und Trennung von Gott, während leiblicher Schmerz von irgendeiner körperlichen Krankheit oder Verletzung kommt. Alle lebendigen Geschöpfe leiden in dem Maße, wie ihre Sinnesorgane entwickelt sind, aber nicht so sehr wie der Menschen, dessen Empfindungen und höheren Verstandeskräfte sein Vermögen zu leiden ungeheuerlich erhöhen; denn wenn immer er sich vorstellt, er habe Schmerz, dann wird sein tatsächliches Leiden in demselben Maße vermehrt.

Gewöhnlich sind die Zähne, Klauen und Schnäbel der Raubvögel und Raubtiere derart, daß ihre Opfer ihnen kaum entkommen können: die Beute wird ohne übermäßige Schmerzen sofort getötet und bleibt vor dem Leiden bewahrt, das folgt, wenn sie verwundet entkäme. Auch das Gift der Schlangen und giftigen Insekten dringt ins Blut und ruft solche Betäubung hervor, daß der Tod ohne Schmerz erfolgt.

In der Natur - von ein paar außergewöhnlichen Umständen abgesehen - tritt der Tod für gewöhnlich ohne übermäßige Schmerzen ein, denn zur Zeit des Todes sind die Opfer entweder durch die Wirkung des Gifts oder durch die Erschütterung der Wunde nur noch halb bei Bewußtsein. Kurzum, ihre Lage ist nicht so schlimm, wie wir sie uns oft vorstellen, aber Schmerz und Leiden als die Folge eines körperlichen oder geistigen Übels sind in der Tat qualvoll.

2. Schmerz und Leiden sind oft nötig, damit unser geistliches Leben fortschreite und wachse, und Gottes Wille ist nicht, wir sollten ihm stets entfliehen. Viele Dinge erscheinen dem Geschmack bitter und schlecht und nützen uns doch sehr. Wir dürfen sogar so weit gehen, daß wir sagen: jedes Gift und widerlich bittere Ding wirkt bei dem einen oder anderen Leiden als Heilmittel. Wir nennen sie Gifte, weil wir ihre wirklichen Heilkräfte nicht kennen, aber Gott hat ein jedes geschaffen, damit es irgendeinen besonderen Zweck erfülle, und das vermögen sie auch. Doch da wir nicht wissen, wie sie angewendet werden müssen, gebrauchen wir sie oft zu unserem Schaden. Gott hat nichts geschaffen, das in sich schädlich oder schlecht wäre, oder das, wenn richtig gebraucht, irgendeinem seiner Geschöpfe schaden könnte. Gleicherweise sollen alle Schmerzen und Leiden dem geistlichen Leben helfen, daß es wachse und sich vertiefe (Röm. 8,18). Giftige und unheilvolle Wirkungen treten in unserem Leben nur ein, wenn wir die Kräfte und Fähigkeiten, die Gott gegeben hat, mißbrauchen, vor allem durch Ungehorsam.

3. Schmerz und Leiden helfen nicht nur, einen Menschen zum geistlichen Leben zu erwecken, sondern dienen auch denen, die ihm in seiner Not beistehen; denn sie geben auch ihnen Gelegenheit, jene besonderen Eigenschaften zu üben, die sie selber nötig haben, damit sie zur Vollkommenheit heranwachsen. Und der wirkliche Sieg besteht nicht darin, daß wir vor Schmerz und Leiden oder Tod und übel bewahrt würden, sondern daß wir durch Gottes Gnade Schmerz in Ruhe, Kreuz und Tod in Leben und Böses in Gutes verwandeln. Aus diesem Grunde allein werden wir in diesen Krieg , und Kampf gestoßen; denn „wir müssen durch viel Trübsal in das Reich Gottes eingehen“ (Apg. 14,22). Den wahren Wert der Ruhe können wir nur würdigen, wenn wir den Schmerz kennengelernt haben; den Wert des Süßen erst, wenn wir das Bittere geschmeckt haben; den Wert des Guten nur, wenn wir das Böse gesehen haben; den Wert des Lebens erst, wenn wir durch den Tod hindurchgegangen sind. Deshalb ist es Gottes Wille: ehe wir mit ihm in sein Reim eingehen, um uns seiner ewig zu erfreuen, sollen wir durch all diese leiden hindurchgehen und durch unsere eigene Erfahrung eine lehre für die Ewigkeit gewinnen.

4. Während die Perle langsam gestaltet wird, hat die Perlauster große Leiden zu erdulden. Wenn die Mutter der Perle, die Perlmutter, gequält wird, weil irgend ein Lebewesen eingedrungen ist - ein bohrender Schmarotzer, ein Wurm, ein Fischlein, ein Sandkorn oder etwas anderes Anorganisches -, und wenn sie sich selbst nicht befreien kann: dann macht das Weichtier das, was es reizt, notgedrungen dadurch unschädlich, daß es dieses in einen Gegenstand der Schönheit verwandelt. Perlen werden durch Schmerz und leiden erzeugt. Doch wenn man sie nachlässig behandelt, wird ihr Glanz zerstört. Ihr Reiz, den sie einem besonderen Oberflächenspiel des Lichts verdanken, kann zerstört werden, wenn sie mit Fett, Tinte oder einem ähnlichen Stoff befleckt werden. Mitunter sind in alten Gräbern mit dem Leichnam auch Perlen bestattet worden, aber auch sie sind zerfallen und haben ihren Staub mit dem des Toten vermischt. Ebenso steht es mit unserem geistlichen leben: gleich der mit Schmerzen geborenen Perle kann es ohne Schmerz und leiden nicht schön werden. Und selbst wenn wir jenen Zustand der Schönheit erreicht haben, bleibt doch noch zu befürchten, wir möchten aus jenem hohen Stande fallen und unseren Glanz verlieren, wenn wir nicht stets mit demütigem und dankbarem Herzen in Liebe dem Herrn anhangen (1. Kor. 10,12). Deshalb ist es nötig, daß wir beständig warnen und beten.

5. Wie Diamanten und andere Edelsteine durch Hunderttausende von Jahren in der Werkstatt der Natur durch Hitze, Kälte und Druck hindurchgehen, ehe sie ihre vollkommene Schönheit erreichen, so müssen auch wir durch Schmerz und leiden hindurchgehen, ehe wir vollkommen werden können. Und obgleich die Chemiker Diamanten und andere Edelsteine künstlich herstellen können, so sehen wir doch, wenn wir sie sorgfältig prüfen, ihre Mängel. So können auch wir nicht an einem einzigen Tage solche Vollkommenheit erreichen, daß wir keine Mängel mehr an uns haben; sondern nur dadurch, daß wir beständig in der Nähe und Gegenwart unseres himmlischen Vaters leben, werden wir vollkommen, wie er vollkommen ist.

6. Regen und Sturmwinde mögen zerstörerisch erscheinen, doch sind sie wirklich Segnungen in Verkleidung, denn sie räumen allerlei tödliche Keime von Seuchen und Krankheiten fort und bringen uns Gesundheit. Ebenso bringen uns der Wind des Heiligen Geistes (Joh.), 8) und der Sturmstoß des Schmerzes und Leidens geistliche Gesundheit und Segnung. - Die Sonnenhitze zieht Wasserdampf empor und gestaltet ihn zu Wolken, die dann als Regen wieder zu uns kommen. So spendet uns auch die Sonne der Gerechtigkeit dadurch Leben, daß sie Ströme lebendigen Wassers in unser geistliches Leben hereinfließen läßt.

7. Sehr viele Menschen wissen nicht: die Sehnsucht des Herzens in dieser und der anderen Welt kann nur in Gott gestillt werden. Einige unter ihnen - Philosophen sowohl wie Sittenlose und Verbrecher - haben, wenn es ihnen nicht gelang, irgendwelche Befriedigung in der Welt zu finden, alle Hoffnung fahren lassen und versucht, allem dadurch ein Ende zu machen, daß sie sich selbst das Leben nahmen. Im äußersten Gegensatz dazu sehen wir wahre gläubige Christen. Sie leiden viel in dieser Welt, denn je weiter sie in ihrer geistlichen Erfahrung wachsen, um so größere Schwierigkeiten erstehen. Der Weltlichgesinnte kann das überhaupt nicht verstehen; so hilft er ihnen nicht, sondern bekämpft und verfolgt sie. Dennoch verfallen sie nicht dem Selbstmord der Verzweiflung; denn gerade darin, daß sie allem weltlichen Ehrgeiz absagen, finden sie Frieden in der Gemeinschaft mit Gott. Aber obgleich alle geistliche Sehnsucht des Menschen in Gott gestillt wird, verlangt er doch nach der Freundschaft und dem Mitgefühl seiner Mitmenschen. Und wo dieses unmittelbare , Verlangen nach menschlicher Gemeinschaft nicht befriedigt ist, da stillt Christus, der da beides ist: Gott und Mensch, sein , Verlangen nach Gemeinschaft wie seine geistliche Sehnsucht. Denn sein Verstehen der Schwierigkeiten und Leiden des Menschen entspringt nicht nur seinem göttlichen Wesen, sondern auch seiner persönlichen Erfahrung, da er selbst als Mensch gelitten hat. Und deshalb kann er jetzt mit allen Menschenkindern ganz mitfühlen und ihnen vollkommen helfen.

8. Geistlich gesinnte Menschen leiden in dieser Welt (2. Tim. 3, 12), denn sie werden mißverstanden von anderen, die die Wahrheit nicht zu würdigen vermögen und durch die Sünde ihr Wesen verkehrt und ihr geistliches Erkenntnisvermögen abgetötet haben. Wenn Menschen dieser Art einen guten Menschen treffen, entdecken sie: sein Wesen läßt sich mit dem ihren nicht vereinen; sie fühlen sich wie von selbst dazu getrieben, daß sie ihm gegenüber eine feindselige Haltung einnehmen. Aber wenn jener Mann, dessen Gefühl und Gewissen empfänglich sind für Gott, mit einem Gleichgesinnten in Berührung kommt, dann erkennt er das Gottesleben, das in diesem wirkt, und fühlt sich zu ihm hingezogen.

Das Leben des wahren Christen gleicht dem Sandelholz: dieses teilt der Axt, die es spaltet, seinen Wohlgeruch mit, fügt ihr aber keinen Schaden zu. Gott hatte Heinrich Seuse angekündigt: „Du wirst den Verlust deines guten Nachens öffentlich erleiden, und wo du nach Liebe und Treue ausschaust, da wirst du Verrat und Leiden finden.“ Das hat sich in der Erfahrung sehr vieler Christen wiederholt. In dieser Welt mußten alle gottesfürchtigen Propheten und Apostel und auch der Herr selber leiden. Wer nun dem Leiden entfliehen will, der muß die Wahrheit verleugnen, sein Gesicht von Gott abwenden und Freundschaft schließen mit der Welt. Andrerseits ist es ein großes Vorrecht, mit dem Herrn selber an der „Gemeinschaft seiner Leiden“ (Phil. 3, 10) teilzuhaben. Wer an dem Leiden seines Herrn wahrlich teilhat, wird, wenn der bestimmte Tag kommt, schließlich in die ewige Herrlichkeit eingehen und mit ihm herrschen (2, Tim. 2,12).

9. Ehe wir das uns bestimmte Ziel erreichen, müssen wir durch Schmerzen, Leiden und Versuchung gehen. Alle diese Zwischenstufen sind notwendig zum Wachstum unseres geistlichen Lebens und für unser künftiges Wohl; deshalb will Gott, wir sollen sie durchschreiten. Wenn Gott das für uns nicht so geplant hätte, dann hätte er es nicht von uns gefordert. Aber wenn er es fordert - wer sind wir, daß wir ihm widerstehen? Hierzu ist nichts mehr zu sagen. Was auch immer uns beschieden ist, wir sollen es gern annehmen und in unserem Herzen keinerlei Zweifel Rauch geben; denn der Zweifel errichtet eine Schranke zwischen uns und Gott und macht uns dadurch unfähig, uns seiner Gegenwart und Gemeinschaft zu erfreuen.

Solange wir in der Welt leben, müssen wir Schmerz und leiden erdulden. Die Biene sammelt nicht nur Honig, sondern sie hat zu einem besonderen Zweck auch einen Stachel. Die Domen an der schönen und duftenden Rose erfüllen eine ganz bestimmte Aufgabe. Auch Paulus hat einen Pfahl im Fleisch, damit irgend ein großer und weiser Plan erfüllt werde. So müssen auch wir diese Prüfungszeiten durchleben, damit jene ewige Absicht, zu der hin wir geschaffen worden sind, erfüllt werde.

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