Riggenbach, Christoph Johannes - Amos und Hosea - 1

Riggenbach, Christoph Johannes - Amos und Hosea - 1

(Die beiden Vorträge wurden mündlich gehalten, erscheinen aber hier in einer etwas erweiterten Gestalt. )

I. Die Zeit der Propheten Amos und Hosea.

Sollen wir das Wirken der Propheten Amos und Hosea verstehen, so müssen wir vor allem ihre Zeit überhaupt ins Auge fassen. Es waren diese beiden Propheten wie Elias und Elisa vornehmlich berufen, im Königreich Israel zu wirken. Welches sind die Jahreszahlen ihres Lebens?

An der Spitze der Schriften, die wir von ihnen haben, lesen wir zunächst von Amos, daß er weißagte zur Zeit Usia, des Königes Juda (welcher regierte von 809 bis 758 vor Christi Geburt), und daneben Jerobeams des Sohnes Joas, des Königes von Israel (das ist Jerobeams II, 825 bis 784 vor Christo). Darnach muß sein Wirken zwischen 809, da Usia den Thron bestieg, und 784, da Jerobeam starb, gefallen sein. Viel genauer können wir den Zeitpunkt nicht bestimmen; denn wenn auch Amos selber angiebt, er habe die ersten Gesichte zwei Jahre vor dem Erdbeben gesehen (Am. 1,1), (geschrieben muß er das später haben), so wissen wir zwar noch aus Sacharja (14,5), wie die Erinnerung an diese Schreckenstage nachdauerte; aber auch an dieser Stelle wird nur gesagt, daß jenes furchtbare Ereignis in der Zeit des Usia vorgefallen sei; in welchem Jahr aber, das wird uns auch dort nicht näher angegeben. Wenn nach Amos (6, 2) die Städte Hamath und Gath noch als selbständig zu betrachten sind, also jenes noch nicht von Jerobeam (2. Kön. 14,25. 28), dieses ebensowenig von Usia besiegt (2. Chron. 26,6), so läßt uns dies auf die Anfangszeit der beiden Könige schließen; ein ganz genaues Datum können wir aber auch so nicht gewinnen. Wir sagen darum von Amos nur ungefähr: er habe ums Jahr 800 geweißagt. Von seiner Person ist uns nichts weiteres mitgetheilt, als was er selber sagt, daß er ein Hirte von Thekoa im Lande Juda war und kein gelehrter Prophetenschüler (1,1; 7,14).

Hosea sodann, der Sohn Beeri, sonst wissen wir nichts von ihm, nennt uns als die Könige, unter denen er auftrat, gleichfalls die beiden, Usia und Jerobeam II. Wir werden ihn aber als einen jüngern Zeitgenossen des Amos ansehen müssen, wenn wir beachten, daß er zwar von den Königen Israels den einzigen Jerobeam nennt, dem Usia dagegen noch drei andere der Könige von Juda, nämlich Jotham, Ahas und Hiskia, folgen läßt.

Es sind die gleichen drei, unter welchen Micha weißagte; und Jesaja ist sogar noch unter Usia zum Propheten berufen worden, freilich erst kurz vor dieses Königs Tode (Jes. 6,1), somit später als Hosea, weil 26 Jahre später als Jerobeams Tod. Darnach ist Hosea ein älterer Zeitgenosse von Jesaja und von Micha.

Gar lange vor dem Tode Jerobeams wird auch Hosea nicht aufgetreten sein; denn wenn seine Wirksamkeit bis in die Zeit des Hiskia währte, so müssen wir bedenken, daß zwischen Jerobeams Tod (784 vor Christo) und Hiskias Regierungsantritt (725) ein Zeitraum von 59 Jahren liegt. Also muß schon nach diesen Angaben die prophetische Wirksamkeit des Hosea sich über wenigstens 60 Jahre erstreckt haben. Hat somit der Prophet ein hohes Alter erreicht, so fielen seine Lebensjahre, je mehr ihrer wurden, immer mehr in eine schwere, schreckliche Zeit. Vier Jahre vor Hiskia hatte Hosea, der letzte Regent des Zehnstämmereiches, den Thron bestiegen; nach neun Jahren seiner Herrschaft eroberten die Assyrer seine Hauptstadt Samarien und machten dem Reich Israel ein Ende (721). Ob der Prophet dieses Gericht, das er im Geiste geschaut, auch mit den Leibesaugen noch sah, das wissen wir nicht. Das aber ist sicher: wenn seine Tage sich bis in die Zeit des Hiskias erstreckten, so hat der Prophet Hosea noch das Aufkommen des Königs Hosea, des letzten Herrschers in Ephraim erlebt.

Mit diesen Andeutungen habe ich bereits etwas anderes als bloße Datumsangaben, ich habe bereits die Beschaffenheit jener Zeiten berührt. Es waren Zeiten des traurigen Verfalls. Das würden wir zwar nicht meinen, wenn wir an die beiden zuerst genannten Könige denken. War doch Usia laut dem zweiten Buch der Chronik (Cap. 26) ein mächtiger Fürst, der in den 52 Jahren seiner Herrschaft wider Philister, Araber, Ammoniter siegreich kämpfte, der Elath am rothen Meer wieder zu Juda brachte, der weit und breit berühmt und gefürchtet war, der durch Festungsbauten, durch Verstärkung des Heeres, durch Erfindung von Kriegswerkzeugen die Macht seines Reiches mehrte, der auch durch Werke des Friedens als Brunnengraben, sowie Förderung der Viehzucht und des Ackerbaus die Wohlfahrt seines Volkes zu heben suchte, so daß es an nichts zu fehlen scheint, was an eines Königes Walten mag rühmlich sein. Ebenso berichtet das zweite Buch der Könige (14,25-28), daß Jerobeam II noch einmal einen Aufschwung des Zehnstämmereiches zu Stande brachte, sodaß es größer ward als je, denn er gewann mehr als je dazu gehört hatte, die ganze Grenze von Hamath und Damaskus an bis zum todten Meere.

Und dennoch gleich nach seinem Tode begann der jähe Sturz des nördlichen Reiches. Wenn die Zahl seiner Regierungsjahre (2. Kön. 14, 23) nicht auf einem Schreibfehler beruht, wie deren mehr als einer in diesen Zahlen vorkommt, so ergiebt uns die Vergleichung der verschiedenen Zeitangaben, daß gleich sein Sohn Sacharja erst nach etwa 11 Jahren den Thron einnehmen konnte, und schon nach 6 Monaten denselben sammt dem Leben verlor. Denn in rascher Folge kam ein Usurpator nach dem andern auf; ein Einfall der Assyrer folgte dem andern; und 63 Jahre nach dem Tode des mächtigen Jerobeam war sein Reich unwiederbringlich dahin.

Was war die Ursache dieses Falles? wer nur auf das Aeußere sieht, der erfährt es wohl, aber er versteht es nicht, wie ein so hoher Schwung und ein so tiefer Sturz so nahe können beisammen sein. Wer achtsamer aufmerkt, fängt an zu lernen, daß nicht alles Macht ist, was den Schein davon hat. Ein äußerer Aufschwung kann das Auge blenden, das nicht tieferblickt, und ihm die tiefsitzende Wurzel des Unheils verbergen. Diese aber fehlte nicht in den beiden Reichen, am wenigsten in Ephraim. Worin bestund sie?

Lassen wir noch einmal die Zahlen sprechen. Mit dem Jahr 975 begann die unselige Trennung der zwei Reiche. Das Reich Israel oder Ephraim, aus zehn Stämmen bestehend, viel reicher an Hilfsquellen, dauerte 254 Jahre und hatte während dieser Zeit 19 Könige aus neun verschiedenen Dynastien; die durchschnittliche Dauer jedes Königshauses betrug hiemit etwa 28 Jahre, die Regierungszeit jedes Königes im Durchschnitt 13 bis 14 Jahre. Das geringere Reich Juda hingegen behauptete seine Existenz 337 Jahre, mehr als die Hälfte länger denn das nördliche Reich, zu schweigen von der Herstellung nach der babylonischen Gefangenschaft; seine Könige entstammten alle dem Hause Davids; es waren ihrer achtzehn mit einer mittleren Regierungsdauer von 21 1/2 Jahren. Das ist kein bloßer günstiger Zufall; das hat seine Ursache, die auch wohl zu finden ist. Wir merkens, wenn wir dazu nehmen, daß von den 19 Königen Ephraims 8 in einem Aufruhr durch Mörderhand fielen, von den 18 Königen Judas dagegen nur drei durch Mörder aus dem eigenen Volk dahingerafft wurden und zwar von diesen dreien zwei in jenen Zeiten, als der Geist des Hauses Ahabs das Haus Davids angesteckt hatte, und nur einer (Amon) in späterer Zeit, dessen Mörder aber sogleich, obwohl des Königs Wandel nichts weniger als löblich gewesen war, durch einmüthige Erhebung des Volks den Lohn ihrer Unthat fanden.

Diese wenigen Züge zeigen uns, aus welcher Quelle die unaufhörliche Verwirrung im nördlichen Reich entsprang. Das kam her nicht nur der Zeit nach, sondern auch der Ursache nach von jener ersten That des Frevels, welchem das Reich Ephraim seinen Ursprung verdankte: dem Aufruhr unter Anführung Jerobeams des Sohnes Nebats.

Aber treten wir mit diesem Urtheil nicht in einen Widerspruch gegen die Aussagen der Schrift? Daß Jerobeam sollte König der zehn Stämme werden, das wurde ihm ja durch den Propheten Ahia von Silo ausdrücklich geweißagt (1. Kön. 11,29ff. ) Und nachdem der Aufruhr in Sichem ausgebrochen, des Königs Rentmeister Adoram ermordet, Rehabeam eilends geflüchtet war, und er nun in Jerusalem seine Kriegsmacht sammelte, zu versuchen, ob er die Abtrünnigen wieder unterwerfen könne: da trat zu ihm Semaja, der Mann Gottes, mit den Worten: so spricht der Herr: Ihr sollt nicht hinaufziehen und streiten wider eure Brüder, die Söhne Israel. Denn solches ist von mir geschehen (1. Kön. 12,24). Hier sagt der Prophet, daß die Empörung der zehn Stämme von Gott geschehen sei; und wir sagten vorhin, sie sei der Frevel gewesen, unter dessen Fluch das Reich Ephraim als unter einem unheilbaren Siechthum gelitten habe. Wie geht das zusammen?

Dennoch ist beides wahr und besteht auch eines wohl mit dem andern. Wir berühren damit freilich das tiefste dunkelste Geheimnis, nämlich die Frage, wie Gottes Walten und der Menschen Thun, vornehmlich ihr böses Thun, mit und in einander bestehen könne. Aber gerade die Geschichte, von der wir reden, kann uns Licht in dieses Dunkel geben.

Im Namen des Gottes Israels war dem Jerobeam seine künftige Herrschaft geweißagt worden. Das sollte eine Züchtigung des Abfalls sein, wozu den König Salomo der Reichthum und die Ehre dieser Welt, die Nachgiebigkeit gegen seine heidnischen Frauen, die Weisheit, die zur Thorheit wurde, verleitet hatte. Nur ein Stamm außer Juda sollte um Davids willen dem Rehabeam verbleiben. Sonst bekam Jerobeam einem Salomo gegenüber dieselbe Verheißung, wie seiner Zeit David gegenüber Saul.

Aber Jerobeam war kein David (1. Kön. 14,8). Er wußte nichts von der heiligen Scheu, mit der sich dieser gehütet hatte, den Gesalbten des Herrn, der doch sein treuloser Verfolger war, anzutasten. Er wußte nichts von der Geduld, mit der ein David wartete, bis die Verheißung Gottes ihm auch auf einem göttlichen Weg in Erfüllung gienge. Jerobeam vielmehr versuchte schon gegen Salomo einen Aufruhr anzuzetteln, und gegen Rehabeam stellte er sich sofort wieder an die Spitze der Bewegung.

Von dem Abfall der zehn Stämme sagt nun freilich der Prophet: das sei vom Herrn geschehen. Aber sagt er damit: die den Aufruhr erregt, hätten wohl gethan? proklamiert er die Revolution als ein heiliges Recht des Volkes? O nein, von ferne nicht! Nur Rehabeam soll wissen, daß er einem göttlichen Gericht unterlegen sei, und soll nicht durch Widerstreben gegen dasselbe das Uebel ärger machen. Aber der Lenker der Völker braucht zum Gericht über die Sünde der Menschen, insonderheit eines Königes und seines Volkes, wenn er es durch Menschen vollzieht, nicht immer gerechte Menschen, sondern gar manchmal mißt er einem Frevler durch eines andern Frevel die Vergeltung zu.

In diesem Fall hatte der ganze Verlauf eine höchst natürliche Seite gehabt: in der Ueppigkeit der Salomonischen Herrschaft war mit dem Reichthum die Hoffart des Volks und mit dem Aufwand das Missvergnügen über den Druck der Steuern gewachsen; der einreißende Götzendienst hatte die Zucht gelockert, das Gefühl für den wahren Beruf Israels untergraben, den Gemeingeist geschwächt, der alten Eifersucht Ephraims gegen Juda Nahrung gegeben; und so war auch der verblendete und ohnmächtige Uebermuth Rehabeams und seiner jungen Genossen nichts als die reife Frucht des Abfalls im Königshause Davids. Es war das natürliche Ergebnis dieser Elemente, und war dennoch ebendann ein Gericht vom Herrn, daß Volk und König zusammenstießen, wie es geschah. Was sich längst im Stillen auf beiden Seiten bereitet hatte, das brach nun aus. Was der Mensch säet, das muß er ernten; sie redeten, wie wir es lesen; sie hörten nicht auf das Wort des Friedens, sondern nach des Herzens Bitterkeit nur auf die bittern Worte. So kam es zu dem nie mehr geheilten Bruch. Das war vom Herrn geschehen. Er reizte die Blinden, zu thun nach ihrer Blindheit, auf daß sie die Frucht der Blindheit ernteten.

Bei Jerobeam aber und seinem Volke mußte sichs nun vollends entscheiden, ob sie den Rath des Herrn auch im Sinne des Herrn, oder ob sie ihn im bösen Eigenwillen vollzogen; ob sie ihm dienten wie ein strenger aber gerechter Richter, oder aber wie ein gewaltthätiger Frevler, der nur nach seinen und keineswegs nach Gottes Zwecken fragt. Die Entscheidung ließ nicht lange auf sich warten.

Kaum war Jerobeam König geworden, so gedachte er bei sich selbst: das Königreich wird wieder zum Hause Davids fallen. So dies Volk hinauf zieht, zu opfern im Tempel des Herrn zu Jerusalem, so wird das Herz dieses Volkes sich auch wieder zu ihrem Herrn Rehabeam wenden, und sie werden mich erwürgen. Und was ersinnt er dagegen für eine Hilfe? Weil er keinen Glauben hat, kein Vertrauen auf Gott, keinen Gehorsam gegen sein Wort, so sucht er sein Heil in vermeinter Staatsklugheit. Er trachtet den Riß zwischen Israel und Juda zu einem völligen, unheilbaren zu machen. Nicht nur politisch, sondern auch gottesdienstlich sollen sie fortan getrennt sein. Die alte Neigung zum Bilderdienst, die seiner Zeit sogar einen Aaron mitgerissen hatte, frischt er wieder auf: in Bethel und in Dan, im Süden und im Norden seines Reiches stellt er zwei goldene Kälber oder Stiere auf. Das ist deine Gottheit, die dich aus Aegypten geführt hat! mit diesen Worten Aarons bezeugt er dem Volke, daß er nicht die Anbetung eines fremden Gottes einzuführen gedenke, sondern in dem Bilde des starken Thieres ihm nur ein Sinnbild von der Macht des Gottes Israels wolle vor Augen stellen. Aber es war doch ein erster Schritt zum Heidenthum. Schon zu seinen Zeiten kam dazu die Verehrung von Geistern oder Untergöttern, welche Luther Feldteufel nennt (2 Chron. 11, 15). Und auch die Verehrung der Kälber war, wie wir von Aarons Zeit her wissen, viel sinnlicher und weltlicher als der echte Gottesdienst Israels.

Zudem zog der erste Schritt noch manchen andern nach sich. Die Priester und Leviten wollten sich zu der vom König befohlenen Korruption nicht hergeben; so verstieß sie Jerobeam, und da sie sich nach Juda zogen, und mit ihnen noch viele andere gottesfürchtige Leute (2. Chron. 11,13-17), verlor Jerobeam manche seiner besten Unterthanen. Er ersetzte aber die Priester, indem er Leute von allen Enden des Volks zum Amte seiner Stiftung weihen ließ. Auch die Festzeit änderte er und räucherte selbst am Altar zu Bethel. Solches that Jerobeam, obwohl ihm gesagt war, daß zur Strafe der Abgötterei das Reich vom Sohne Salomos gerissen werde (1. Kön. 12 u. 13).

Das ist die Sünde Jerobeams, des Sohnes Nebats, womit er Israel sündigen machte. Jetzt war es offenbar geworden, wie fern er von dem Sinne dessen war, der ihn berufen hatte. Er hatte ein Gotteswerk in argem Menschensinn ausgeführt, befleckt und verderbt. Darum mußte derselbe Ahia von Silo, der ihn berufen, zum harten Boten für ihn werden: So spricht der Herr: siehe ich will Unglück über das Haus Jerobeams führen. Ich will seine Nachkommen ausfegen wie man Koth ausfeget, bis es ganz mit ihm aus sei. Wer von Jerobeam stirbt in der Stadt, den sollen die Hunde fressen; wer aber auf dem Felde stirbt, den sollen die Vögel des Himmelsfressen; denn der Herr hats geredet (1. Kön. 14,10. 11). Ja zum ersten Mal durch Ahia, 250 Jahre bevor es geschah, wird nun die Drohung ausgesprochen (V. 15): der Herr wird Israel schlagen, gleichwie das Rohr im Wasser bewegt wird, und wird Israel ausreißen von diesem guten Lande, das er ihren Vätern gegeben hat, und wird sie über den Strom (das ist: den Euphrat) streuen.

Ist es jetzt nicht deutlicher, wie das Gericht über Rehabeam von Gott kam, und gleichwohl auch diejenigen, die es ausgeführt hatten, dem Gerichte Gottes ihrerseits wieder anheimfielen? Ein göttliches Gericht war in ungöttlichem Sinn vollzogen worden. So war nun freilich Jerobeam von Gott zum König erhoben worden, aber in einer Weise, wie später das Wort des Herrn durch Hosea lautet (13,11): Ich gab dir einen König in meinem Zorn. Daher blieb nun dem Volk als ein Fluch, der nicht weichen wollte, der Geist des Aufruhrs, der doppelte Abfall von seinem Gott und vom Hause Davids. Was Wunder, wenn der Anstifter dieser doppelten Abtrünnigkeit einen Samen damit ausstreute, dessen Aufgehen sein eigenes Haus dahinraffte. Hatte Jerobeam keinen Sinn der Zucht und Gottesfurcht in seinem Volk zu pflanzen gesucht, sondern ihm nur das Beispiel des glücklichen Aufruhrs gegeben, so kehrte sich nun der Aufruhr Baesas gegen den Sohn Jerobeams.

Diesmal stützte sich der Empörer nicht einmal auf das Wort eines Propheten. Hingegen traf ihn nach vollbrachter That die Drohung Jehu, des Sohns Hanani: Ich will dein Haus setzen wie das Haus Jerobeams, des Sohnes Nebats. Wer von Baesa stirbt in der Stadt, den sollen die Hunde fressen, und wer von ihm stirbt auf dem Felde, den sollen die Vögel des Himmels fressen (1 Kön. 16,3. 4). Und siehe, mit dem gleichen Recht oder Unrecht, wie Baesa gegen den Sohn Jerobeams, erhob sich Simri wider Baesas Sohn und schlug ihn todt. Warum sollte dieser Feldoberste nicht ebensogut als jener sich auf den Thron schwingen können? Etwas mehr Berechtigung hatte Omri, den das Volk dem neuen Usurpator gegenüber zum König ausrief. Sein Haus aber trieb den Frevel höher als alle bisherigen. Die Heidin Isebel, welche Omris Sohn Ahab zum Weibe nahm, gieng von der Verehrung der Kälber zum offenen Baalsdienst über, und zwar nicht bloß im Sinne der Duldsamkeit gegen heidnischen Götzendienst, sondern im Sinn der Unduldsamkeit und blutigen Verfolgung gegen die echte Gottesanbetung.

Wohl gelang es den Helden Gottes, Elias und Elisa, den Baalsdienst mit seinen Greueln wieder um seine Herrschaft zu bringen. Aber über die Frevel Ahabs ergieng doch abermal das Wort des Herrn durch Elias: Ich will dein Haus machen wie das Haus Jerobeams, des Sohnes Nebats, und wie das Haus Baesa, des Sohnes Ahia, um des Reizens willen, damit du mich erzürnt und Israel sündigen gemacht hast. Wer von Ahab stirbt in der Stadt, den sollen die Hunde fressen, und wer auf dem Felde stirbt, den sollen die Vögel unter dem Himmel fressen (1. Kön. 21, 22. 24; 2. Kön. 9, 9).

Wir wissen, daß es der furchtbare Jehu, der Sohn Josaphat, des Sohnes Nimsi war, der von Gott schon durch Elia bestimmt war (1. Kön. 19,16) und dann durch einen Boten des Elisa die Berufung empfieng, daß er als Rächer des mannigfachen Frevels das ganze Haus Ahabs vertilgen sollte (2. Kön. 9). Wir wissen, wie er es that, einem rasenden Sturme vergleichbar. Es ist etwas Schreckliches um dieses Treiben Jehu, des Sohnes Nimsi. Es ist zum Entsetzen, wie er die Häupter der 70 Ahabssöhne auf zwei Haufen legen läßt. Es ist furchtbar, wie er dem Baal besser dient als seine Vorgänger, indem er ihm zu den Opfern die sämmtlichen Baalspriester schlachten läßt.

Ja es ist furchtbar, aber es ist eine Majestät in diesem Schrecklichen. Die Hinrichtung eines jeden Verbrechers ist furchtbar; oder um ein großes Beispiel zu nehmen: die Vernichtung der napoleonischen Armee in Rußland ist schauderhaft bis in alle Einzelheiten; aber wer beugt sich nicht der Majestät dieses göttlichen Gerichtes? Und Jehu stund mehr als alle seine Vorgänger im Bewußtsein der Verantwortlichkeit dessen, was er that, in der Beugung vor dem gewaltigen Ernste Gottes, in der Anerkennung des gerechten Gerichts und der Erfüllung aller prophetischen Worte. Daß Joram, der Sohn Ahabs, gerade bei Naboths Acker getroffen fällt; daß Isebel an der Mauer Jesreels von den Hunden gefressen wird; daß überhaupt kein Wort des Herrn auf die Erde gefallen, das der Herr geredet hat wider das Haus Ahabs (2. Kön. 10,10), das erschüttert ihn selbst und er betont es mit Nachdruck. Und wie er den gefährlichen Kampf wider die Baalspriester unternimmt, will er dem frommen Jonadab, dem Sohne Reahabs, seinen Eifer zeigen um die Ehre des Herrn (V. 16). Darum wird ihm auch die Verheißung: weil du willig gewesen bist, am Hause Ahabs alles zu thun, was in meinem Herzen war, sollen dir auf dem Stuhl Israel sitzen deine Kinder bis ins vierte Glied (V. 30).

Bis ins vierte Glied! warum nicht weiter? Jehu hatte mit furchtbarem Muthe den Kampf gegen das Königshaus und die Baalspriester durchgekämpft. Aber völlig und von ganzem Herzen wandelte er doch nicht im Gesetze des Herrn, des Gottes Israels. Denn er ließ nicht von den Sünden Jerobeams, der Israel hatte sündigen gemacht. Das war der Riegel, den er nicht zu brechen wagte. Das war die alte Tradition, die allzustark mit den Wurzeln des Reiches Ephraim verwachsen war, als daß nicht der Politiker fragen sollte: was wird mein Volk dazu sagen, wenn ich dieses Herkommen antaste? wie wird mein Thron bestehen, wenn ich dieses Wagnis unternehme? So giebt es Dinge in der Politik und besonders in der politischen Behandlung der Religion, worin ein unseliger Schritt, der vor Jahrhunderten gethan wurde, fast unmöglich rückgängig zu machen ist. Wie schwer wird es z. B. den römisch- oder griechisch-katholischen Regierungen, zu einer gerechten Behandlung der Evangelischen überzugehen. Ein solches Brechen mit der alten Ueberlieferung kann im gottlosen Revolutionsgeist geschehen, welcher dann die alte Religion zugleich mit der neuen verfolgt, wie es die Franzosen vor 70 Jahren thaten. Sonst kann es einzig vermöge einer sittlichen Stärke, oder höher hinauf vermöge einer Kraft des Glaubens, des Vertrauens, der rückhaltlosen Ergebung an Gott vollbracht werden, wie sie nicht nur bei Königen, sondern überhaupt unter den Menschen selten sich findet.

Jehu hatte diesen Glauben nicht. Darum sank er von der Höhe seines Berufs herunter. Hier war der Punkt der letzten Entscheidung erreicht. Auch nach dem mächtigen Wirken eines Elias und Elisa kam es nicht zu einer völligen Umkehr auf Gottes Wege. Das ward verhängnisvoll schon für Jehu selber. Sogar im Aeußern wich der Segen von ihm. Der rasende Treiber, vor welchem zwei Könige nicht gestanden waren (2. Kön. 10,4), verlor das ganze Land östlich vom Jordan, und konnte nicht stehen vor der Uebermacht Hasaels, des Königes von Syrien. Und unter seinem Sohn Joahas ward die Kriegsmacht Israels auf 50 Reiter, 10 Wagen, 10,000 Mann Fußvolks heruntergebracht (2. Kön. 13,7). Ich tödtete eure junge Mannschaft durch das Schwert und ließ eure Pferde gefangen wegführen. Noch bekehretet ihr euch nicht zu mir, so spricht der Herr durch Amos zu dem Volke (4,10). Wenn dabei der König von Syrien Israel machte wie Staub beim Dreschen (2. Kön. 13,7), so straft dies Amos als den höchsten Frevel derer von Damaskus, daß sie Gilead mit eisernen Dreschwagen gedroschen (1,3), nämlich die Besiegten damit zermalmet haben; das zeigt uns, bis zu welchem Grad von Grausamkeit die Schreckensherrschaft der Eroberer in dem unglücklichen Landestheile stieg. Einen Aufschwung nahm dann Israel unter Joas, dem Sohn des Joahas; wie ihm Elisa verheißen, gewann derselbe den Syrern einen Theil der verlorenen Städte wie- 'der ab; vollends aber sein Sohn Jerobeam II stellte das Reich Israels her, so groß und größer als je gewesen war. Aber immer wieder kehrt die Klage über jeden dieser Könige: Er that, was dem Herrn übel gefiel, und ließ nicht ab von allen Sünden Jerobeams, des Sohnes Nebats, der Israel sündigen machte.

So verscherzte auch das Haus Jehu den dauernden Segen Gottes, und es kam nun auch für diese Dynastie die Zeit, wo ein Amos dagegen aufstand mit den Worten: so spricht der Herr: Ich will mit dem Schwert mich über das Haus Jerobeams machen (7,9). Ja bei Hosea droht der Herr: Es ist noch um ein kleines, so will ich die Blutschulden in Jesreel heimsuchen über das Haus Jehu, und wills mit dem Königreiche des Hauses Israel ein Ende machen (1,4). Also die gleiche That der Ausrottung des Hauses Ahab, die früher ihr Lob aus Prophetenmund empfangen, wird jetzt als schwere Blutschuld bezeichnet, und wiederum eines nicht im Widerspruch gegen das andere. Es war von Niemand als vom Hause Jehu selbst verschuldet, daß es vom ersten zum zweiten kam. Wenn die Fürsten ihrem Volk keinen Sinn der Gottesfurcht vor Augen stellten, so blieb von jener Blutthat nicht der Eindruck eines furchtbaren Gottesgerichts, sondern nur das Andenken an das schaudervolle Gemetzel, das den glücklichen Empörer zum Throne geführt. Nicht als ein Richter, sondern als ein Räuber stand er da; und sein Haus traf die späte aber gerechte Vergeltung.

So gieng es denn nach dem Tode Jerobeams II jählings hinunter. Wie die Hand des mächtigen Feldherrn nicht mehr das Zepter hielt, löste die Ordnung sich auf. Von den sechs letzten Königen ist nur einer, Menahem, im Besitz seiner Herrschaft eines natürlichen Todes gestorben. Hier braucht den Fürsten nicht mehr wie den frühern Königshäusern ein Prophet den Untergang zu drohen; die Auflösung ist an sich selber rasch und augenscheinlich. Die Leute müssen sagen: wir haben keinen König, denn wir fürchten den Herrn nicht, was kann uns der König nun helfen? Sie reden leere Worte, schwören falsch, schließen Bündnisse. So bricht wie giftiges Kraut auf den Furchen das Gericht hervor (Hos. 10,3. 4). Ja wie der Verrath im Finstern schleicht und den Königsmord ausbrütet, wird meisterhaft von Hosea geschildert (7,3ff. ): Durch ihre Bosheit erfreuen sie den König und durch ihre Lüge die Fürsten. Sie sind allesammt Ehebrecher, wie ein Ofen glühend, den der Bäcker heizt, und dann ausruht nach dem Kneten des Teigs, bis er durchsäuert ist. Es ist unsers Königs Tag, da sind die Fürsten krank von Glut des Weines. Er strecket seine Hand aus mit den Spöttern. Sie aber haben ihr Herz wie einen Ofen vollgestopft mit Hinterlist. Die ganze Nacht schläft ihr Bäcker (der Anstifter der Verschwörung), des Morgens brennt es lichterloh. Sie glühen alle wie ein Ofen, zu fressen ihre Richter; alle ihre Könige fallen und ist keiner unter ihnen, der mich anrufe.

Das ist eben das Unheil in Israel, das sind die grauen Haare, die es kriegt, und merkt es nicht (Hos. 7,9): sein doppelter Abfall, von dem es nicht läßt. Sie machen Könige, aber ohne mich; sie setzen Fürsten und ich kenne sie nicht; aus ihrem Silber und Gold machen sie Götzen, auf daß es ausgerottet werde. Dein Kalb, o Samarien, verschmäht er; entbrannt über sie ist mein Zorn, so spricht der Herr. Denn aus Israel ist auch das, vom Werkmeister ist es gemacht, und ist kein Gott. Ja zu Splittern wird werden Samariens Kalb (Hos. 8,4-6). Ephraim ist unterdrückt, zertretenen Rechts, hat vor Gericht verloren, weil es mit Willen gefolgt ist der Menschensatzung (Hos. 5,11). Und wenn es seinen Schaden merkt, wie sucht es die Hülfe so völlig am unrechten Orte! Es sah Ephraim seine Krankheit und Juda seine Wunde, da zog Ephraim hin zu Assur und schickte zum König Jareb, aber er kann euch nicht helfen, noch eure Wunde heilen (Hos. 5,13). Der König Jareb, das bedeutet: der König, der den Rechtsstreit führt, und meint den König von Assyrien; aber er wird ihn führen nicht für euch, sondern wider euch, als ein Werkzeug in Gottes Hand, um Israel zu strafen. Wissen wir doch auch heute, wohin ein Volk geräth, wenn es sich auf die verdächtige Freundschaft des übermächtigen Nachbars verläßt. Das that im Reich Israel zuerst der König Menahem und erkaufte sich mit 1000 Zentnern Silbers des Assyrers Phul gefährlichen Schutz (2. Kön. 15,19).

Aber es blieb nicht einmal beim Buhlen allein mit Assyrien. Ephraim ist wie eine Taube, die sinnlos hin- und herflattert; sie thut so, weil sie ihr Nest nicht findet, die Stätte, wo sie zu Hause wäre; das wäre für Ephraim die Umkehr zu dem lebendigen Gott. Statt dessen rufen sie jetzt Aegypten an, dann laufen sie zu Assur (Hos. 7,11); weiden sich am Wind und laufen dem Ostwind nach, schließen mit Assur einen Bund und bringen Balsam nach Aegypten (Hos. 12,2); spielen also ein doppeltes Spiel betrüglicher Politik, kriechen vor Assyrien und suchen heimlich in Aegypten Hilfe wider den nördlichen König, wie wir es von dem letzten israelitischen Regenten, von Hosea lesen, daß er dem Salmanasser von Assyrien zinspflichtig wurde, und zugleich zum König So von Aegypten Boten sandte (2. Kön. 17,3. 4).

Gerade dieses aber zog seinen Untergang herbei; und nun gieng es, wie der Prophet Hosea zuvor gesagt: Die Einwohner Samariens mußten zagen für den Kälberdienst zu Bethaven, das ist zu Bethel, welches aber nicht mehr Bethel, Gotteshaus, sondern Bethaven, Frevelhaus genannt wird. Darüber trauert sein Volk und seine brünstigen Verehrer erbeben darob, daß seine Herrlichkeit hinweggeführt wird. Denn auch das Kalb wird nach Assyrien gebracht, zum Geschenk dem König Jareb; also muß Ephraim mit Schanden stehen und Israel sich schämen über seinem Vornehmen. Dahin ist Samariens König, wie ein Splitter auf dem Wasser; und nun ist Assur ihr König geworden, denn sie wollten sich nicht bekehren. Das hat dich, Israel, zu Grunde gerichtet, daß du wider mich, wider deine Hilfe bist. Ich gebe dir einen König in meinem Zorn und nehme ihn in meinem Grimm (Hos. 10,5-7; 11,5; 13,9. 11). Oder wie der prophetische Geschichtschreiber den Abschnitt schließt: Also wandelten die Kinder Israel in allen Sünden Jerobeams, die er angerichtet hatte, und ließen nicht davon, bis der Herr Israel von seinem Angesichte that, wie er geredet hatte durch alle seine Knechte, die Propheten (2. Kön. 17,22. 23).

Das Urtheil: er that, was dem Herrn übel gefiel, und wandelte in den Sünden Jerobeams, des Sohnes Nebats, kehrt mit unerbittlicher Eintönigkeit durch die ganze Reihe jener Könige wieder; bei mehr als einem derselben wird kaum etwas anderes hinzugefügt. Interessant zu sein ist nicht der Charakter dieser Geschichtschreibung. Wer mit seinem Dichten und Trachten im Vergänglichen lebt, findet seine Wißbegierde keineswegs befriedigt. Wer an den Reiz der Romane gewöhnt ist, findet diese Speise unschmackhaft. Wer aber anfängt zu merken, worauf das heilige Schriftwort abzielt, der lernt verstehen, warum die Beurtheilung eines Regenten gerade auf den einen Punkt allen Nachdruck legt. Mag er sonst Großes oder Kleines geleistet haben, so ist doch dies allein das Bleibende, nur darin steht der dauernde Gehalt seiner Amtsführung: ob er sein Volk in dem, was Bestand hat, gefördert habe, oder aber nicht. Von hier aus gesehen, gewinnt jene Eintönigkeit einen furchtbaren Ernst: jener Grundschaden des ersten Königs und der ganzen Reihe erwies sich als die Ursache des Untergangs zum Nimmeraufstehn.

Dem gegenüber schloß das Reich Juda Kräfte des Lebens in sich, die durch die schwersten Gebrechen nicht völlig überwuchert wurden. An Zahl der Bevölkerung war es das geringere Reich. Noch später, als Ephraim durch die Kämpfe mit Syrien schon hart war mitgenommen worden, konnte Joas von Samarien dem König Amazia von Juda, der ihn zum Krieg herausforderte, die stolze Warnung zukommen lassen: der Dornstrauch im Libanon sandte zur Ceder im Libanon und ließ ihr sagen: gieb deine Tochter meinem Sohn zum Weibe. Aber das Wild im Libanon lief über den Dornstrauch und zertrat ihn. Warum ringest du nach Unglück, daß du fallest, und Juda mit dir? Und der Ausgang des Kampfes entsprach diesen Worten (2. Chron. 25). Schon von Anfang der Trennung her hatte die fortwährende Reibung zwischen beiden Reichen besonders Juda Nachtheil zugefügt. Noch viel drohender wurde der innere Schaden, als der sonst so treffliche Josaphat einen falschen Frieden mit Israel suchte (vgl. 2 Thron. 19,2), und sich mit dem gottlosen Haus Ahabs verschwägerte, wodurch er den Greueln der Abgötterei den Weg in das Haus Davids bahnte und dieses an den Rand des Abgrunds brachte. Aber durch Gottes Gnade überstund es die Gefahr; und so blieb die Herrschaft, wie die Propheten verheißen, so lange das Reich bestund, beim Hause Davids.

Schon das war ein unendlicher Vorzug Judas vor Ephraim. Im Altherthum überhaupt war eine so lange daurende Erblichkeit der Herrschaft in Einem Königshause fast ein Wunder zu nennen. Es ist freilich mit der Legitimität noch nicht alles geleistet, und die völlig guten Könige bildeten auch im Hause Davids nur die Minderzahl. Aber auch die schlechten konnten das Reich nicht so bald bis auf den Grund zerrütten, und zwar zunächst schon deßhalb nicht, weil sie doch die rechtmäßigen Fürsten waren. Mochten sie arg abirren und großes Verderben stiften, so riß doch nicht der Nimmersatte Geist der Empörung ein, der, wenn er einmal ein Volk bis ins Mark durchfressen hat, auch die bessern Regenten zu den schlimmen Künsten eines gewaltsamen und trüglichen Regierens nöthigt. Die Vielen, die oft so unbedacht in das Geschrei wider das Königthum aus Gottes Gnaden einstimmen, bedenken allzusehr nur den möglichen Misbrauch dieses hohen Bekenntnisses und allzuwenig den unheilbaren Schaden, den ein Volk erleidet, wenn aus den Herzen der Geist der Treue gegen die Obrigkeit schwindet, und statt der Anerkennung von Gesetz und Ordnung aus freiwilligem Geiste nur diejenige Ordnung noch möglich ist, die mit eiserner Faust behauptet wird.

Vor dieser innern Zerrüttung war Juda noch bewahrt geblieben. Es hielt seinem Königshaus die Treue, und was damit zusammenhängt: es hielt auch im Ganzen, wenigstens im Vergleich mit Ephraim, am echten Glauben und Gottesdienste fest. Wohl riß durch den und jenen König ein Abfall ein zu dem Götzendienst mit seinen Grausamkeiten und Zuchtlosigkeiten, und auch des Volkes Neigung gieng nur zu sehr dahin. Dann wurde es aber wieder als Abfall erkannt. Das Strafwort der Propheten fand Gehör. Der König und die Mehrzahl des Volkes bereuten und kehrten sich auf den bessern Weg. Ein Asa schritt sogar gegen seine götzenfreundliche Mutter ein um des Greuelbildes willen, das sie gemacht (1. Kön. 15,13). Unter demselben König schwur das ganze Volk mit Freuden: wer nicht den Herrn, den Gott Israels, suchen würde, der sollte sterben (2. Chron. 15,14. 15). Diesen Sinn zu befestigen ließ der Sohn des Asa, der treffliche Josaphat, durch alle Städte eine Anzahl auserwählter Fürsten, Priester und Leviten ziehen, um das Volk im Gesetz zu unterweisen, und setzte Richter, denen er die Weisung gab, das Gericht dem Herrn zu halten und nicht den Menschen (2. Chron. 17 u. 19).

Es konnte doch von manchem dieser Könige heißen: er that, was dem Herrn wohlgefiel. So lautet der Ausspruch selbst über solche Fürsten, welche wie Asa zuletzt für ihre eigene Person bedenklich sielen. Das Urtheil meint auch nicht das rein persönliche Verhalten des Königes, sondern den Charakter seines Regiments: welches Erbe er in religiöser Beziehung seinem Volk hinterlassen; ob er in diesem innersten Hauptstück ein rechter Mehrer des Reichs gewesen sei; ob seine Führung des Amts das ihre beigetragen, diesen Grundstock des sittlichen Bewußtseins und des unverfälschten Glaubens aufrecht zu halten. Wir bedenken es schwerlich genugsam, von welcher hohen Wichtigkeit das sei. Wo ein solches heilsames Erbe in einem Volk noch lebendig ist, da können wohl schwere Fehltritte vorkommen, da können Hohe und Niedere weit abirren; aber es ist eine Verirrung und darf sich nicht wie etwas Berechtigtes brüsten; das Gefühl in den Leuten ist noch nicht so stumpf, daß der Abfall nicht als ein Abfall empfunden würde; die Verkündiger der Wahrheit können sich dafür auf das bessere Bewußtsein des Volkes selbst berufen; die Rückkehr zu Gottes Ordnung ist im öffentlichen Gewissen als das Rechte gestempelt. So wars in Juda, so lange nicht ein Ahas und noch ärger ein Manasse die Gottesfurcht gründlich zerrüttet hatten. Giebt uns doch auch das Buch des Propheten Joel ein Beispiel, wie willig sich in jener früheren Zeit das Volk im Reich Juda zu einem Bußtag rufen ließ.

Zu diesem bessern Stand trug insonderheit die Priesterschaft das Ihrige bei. Denn nicht nur das Königthum stand in Juda noch besser als in Ephraim, sondern ebenso der Stand der Priester. Da begegnet uns die edle Gestalt eines Jojada, der dem jungen, von der grausamen Großmutter bedrohten Joas das Leben rettet, und so das Haus Davids und sein Reich vor dem Untergang bewahrt, den verderbten Tempel und Gottesdienst wieder herstellt (2. Kön. 11 u. 12). Da vernehmen wir bei der furchtbaren Heuschreckenverwüstung die Klage Joels, daß das Speisopfer und Trankopfer vom Hause des Herrn hinweggenommen sei, und damit auch die Freude und Wonne, die das Volk sonst im Tempel fand (Joel 1,9. 13. 16). Wir sehen, wie sicher ihm die Voraussetzung steht, daß alles Volk in Uebereinstimmung mit den Priestern seine Anschauung theile, somit daß alles Volk gleich den Priestern in den Dankopfern, die es seinem Gotte bringt, die Krone seiner Freuden finde.

Einen andern Erweis von Kraft und Muth der Priesterschaft erfuhr der mächtige König Usias (2. Chron. 26). Nach all seinen Siegen erhob sich sein Herz zu seinem Verderben, denn er vergriff sich an dem Herrn, seinem Gott, und gieng in den Tempel des Herrn, zu räuchern auf dem Räucheraltar. Aber Asarja, der Priester, gieng ihm nach, und 80 Priester des Herrn mit ihm, mannhafte Leute, stunden wider den König und sprachen: es gebühret dir, Usia, nicht dem Herrn zu räuchern, sondern allein den Priestern, die dazu geheiligt sind. Du vergreifest dich und es wird dir keine Ehre sein vor Gott dem Herrn. Usia, zornig, schalt wider die Priester; aber da fuhr der Aussatz an seiner Stirn heraus, trieb ihn aus dem Tempel, zwang ihn abgesondert zu wohnen, und wich nicht von ihm sein Leben lang.

Wer gewohnt ist, weil ja freilich mancher scheinheilige Misbrauch vorgekommen ist, deswegen nun in allem und jedem Widerstande, den die Vertreter des Heiligen der Staatsgewalt leisten, nichts als pfäffischen Hochmuth und unerträgliche Anmaßung zu erblicken, der wird mit Usia gegen jene Priester zürnen. Wer aber vernünftiger urtheilt, der wird erkennen, wie heilsam selbst dem Königthum eine solche Mannhaftigkeit der Priester war. Der Versuch, ins Priesteramt zu greifen, wie es heidnische Könige thaten, war eine gefahrdrohende Ueberhebung, ein erster Akt der Cäsaropapie, der die größten Verirrungen nach sich ziehen mußte.

Lag dies nicht klar in Jerobeams I. Beispiel vor? der stellte die goldenen Kälber auf und räucherte denselben. Wenn aber die königliche Machtvollkommenheit ihm dazu das Recht gab, wer wollte es einem Ahab wehren, kraft ebenderselben Vollmacht den zweiten Schritt zu thun und den erklärten Baalsdienst mit allen seinen Schändlichkeiten einzuführen? Kein Wunder war es, daß die treuen Priester zu Jerobeams Abfall nicht wollten behilflich sein, und dieser sich genöthigt sah, sich Priester aus allen Enden des Volkes zu suchen. Aber was waren es auch für Creaturen, die er auf diesem Wege gewann?

Hören wir, welche Schilderung Hosea von denselben entwirft: Sie fressen die Sündopfer meines Volks und sind begierig nach ihren Sünden; das heißt, es freut sie, wenn die Sünden recht im Schwange gehen, weil sie dann umsomehr Opfer und Bußen bekommen (4,8); oder anderwärts: der Priester Rotte ist wie die Schaaren, die den Leuten auflauern und morden auf dem Weg nach Sichem (6,9). Oder fassen wir ins Auge, wie der Priester zu Bethel, Amazia, dem Propheten Amos entgegentritt (Am. 7,10ff). Nicht ohne gehässige Entstellung meldet er dessen Weißagung dem Jerobeam als eine unerträgliche Aufruhrpredigt; zu Amos aber spricht er: du Seher, gehe weg und fliehe in das Sand Juda, iß Brot daselbst und weißage daselbst; und zu Bethel weißage nicht mehr, denn es ist des Königes Stift. Ja, in dem Heiligthum, das die eigenmächtige Stiftung des Königs war, dienten diese Priester der Willkür des Königs und seiner Menschensatzungen. So tief war Juda noch nicht herabgedrückt. Es bezeichnet eine Stufe des tieferen Falls, der erst später eintrat, wenn sich der Priester Uria von Ahas befehlen ließ, den ehernen Altar zu beseitigen und einen andern nach dem Maß und Muster eines heidnischen Altars in Damaskus zu errichten, worauf er seine heidnischen Opfer wollte darbringen lassen (2. Kön. 16). Nicht das ist zu tadeln, daß jene 80 Priester dem König Usia widerstunden. Vielmehr das ist arg, was von dem Priester Uria gemeldet wird: und er that alles, was ihn der König Ahas hieß. Früher stand es in Juda noch besser.

Die Entscheidung des Volkes für oder wider sein Heil concentrierte sich endlich darin, ob es das Wort der Propheten annahm oder von sich stieß; und auch darin ist der mächtige Gegensatz zwischen den beiden Reichen nicht zu verkennen. Zwar kann sich in Juda sogar ein Asa hinreißen lassen, den Strafprediger in den Block zu legen (2 Chron. 16,10); ein Amazia droht zum wenigsten dem unwillkommenen Warner (2. Chron. 25,16); ein Joas läßt gar den treuen Sacharja, der seinen Götzendienst gestraft hat, steinigen; ein Frevel um so himmelschreiender, da er ihn wider den Sohn seines Lebensretters begierig (2 Chron. 24,20-22). Aber diese schrecklichen Dinge sind doch einstweilen Ausnahmen im Reiche Juda.

Anders dagegen im nördlichen Reiche. Schon jenen Propheten, der wider den Altar in Bethel weißagt, will Jerobeam greifen lassen, und nur das Strafgericht, das er an seiner Hand zu spüren bekommt, schreckt ihn zurück (1. Kön. 13). Den Amos sodann wagt zwar der feindliche Priester nicht anzutasten, aber er schilt ihn mit bitterm Hohn, als esse er Judas Brot, um gegen Ephraim zu drohen. Darin liegt freilich die unwillkürliche Anerkennung, daß Juda das Land war, wo man die Propheten hörte. Aber Amos muß doch hier persönlich erleben, was er als allgemeine Erfahrung im Reich Israel schildert: So spricht der Herr: Ich habe aus euern Kindern Propheten auferweckt, und aus euern Jünglingen Nasiräer (das ist Gottverlobte, die in freiwilligem Streben nach Gottseligkeit eines nüchternen Wandels sich beflissen). So gebet ihr den Nasiräern Wein zu trinken (ihr wollt nicht leiden, daß andere heiliger leben als ihr selber), und gebietet den Propheten: ihr sollt nicht weißagen. Denn sie hassen den, der im Thore straft, und wer aufrichtig redet, den haben sie für einen Greuel. Darum muß der Verständige zu der Zeit schweigen, denn es ist böse Zeit (Am. 2,11. 12; 5,10. 13). Oder wie Hosea spricht (4,4): man darf nicht schelten noch jemand strafen, denn dein Volk ist wie die, so wider den Priester hadern.

Redet doch Ahab nicht anders von dem einzigen wahrhaftigen Propheten Micha, dem Sohn Jimla, den er gefangen hielt: Ich hasse ihn, denn er weißagt mir kein Gutes, sondern eitel Böses; worauf freilich Josaphat misbilligend erwidert: der König rede nicht also (1. Kön. 22,8). Wie Elias und Elisa bedroht und doch wieder gefürchtet wurden, das wissen wir. Auch sonst etwa findet ein Prophet Gehör, wie jener Oded, welcher die Freilassung der Gefangenen aus Juda bewirkte (2. Chron. 28). Ueberwiegend aber war, daß man ihr Wort in Ephraim nicht leiden wollte. Isebel gar hatte Schaaren derselben ermorden lassen.

Noch viel tödtlicher aber war der Schaden, welcher dem Zeugnis der Wahrheit angethan wurde, wenn der Geist der Lüge sogar die Propheten verführte; und auch dieses äußerste Verderben sehen wir in Israel bereits im Schwang. Den Uebergang dazu bezeichnet uns bereits in Jerobeams Zeit jener alte Prophet, der den Mann Gottes mit einer Unwahrheit von seinem Auftrag wußte abwendig zu machen (1. Kön. 13). Ein Engel hat mit mir geredet durch des Herrn Wort, mit dieser Lüge setzte er seine Verführung ins Werk. Wir hören hier einen Mann von abgestumpftem Gefühl, dem das Heiligste zur leeren Redensart geworden. Ueber ihn kam dann freilich hintennach mit schrecklicher Gewalt der Drang, die Wahrheit zu bekennen.

Aber bereits unter Ahab steht das Verderben der lügnerischen Weißagung in üppiger Blüte (1. Kön. 22). Vierhundert Propheten, die dem Kälberdienst ergeben sind, stehen vor dem König und weißagen Sieg, wie er es wünscht. Aber Josaphat aus Juda vermißt an ihnen das Gepräge der echten Männer Gottes. Da wird jener Micha herbeigerufen, welchem Ahab gram ist. Der Diener, der ihn holt, spricht zu ihm: Siehe der Propheten Reden sind wie aus Einem Munde gut für den König; so laß nun dein Wort auch sein wie das Wort derselben, und rede Gutes. Das ist einer von denen, die meinen: wer wird doch so schroff sein, um einzig eine andere Ansicht zu haben gegenüber so vielen Hunderten? Aber der Knecht Gottes spricht, was sein Herr ihn heißt, weißagt den Tod des Königs, und offenbart unangesehen den Zorn des Ahab und der falschen Tröster, wie Gott einen Lügengeist in den Mund aller dieser Propheten gegeben habe. Wie? sendet der Gott der Wahrheit einen Lügengeist? ja, wie der Aufruhr Jerobeams vom Herrn geschehen ist. Weil sie die Lügen haben wollten, so sollen sie nun damit gestraft sein. Nicht ursprünglich und zuerst von Gott geht es aus, daß er in eines Menschen Herz die Lüge pflanze; aber wo die Lügenneigung schon im Herzen ist, da giebt ers, daß auch der Mund darnach reden muß, auf das Er dadurch sein Gericht vollziehe. Es ist das eine der großartigsten Schilderungen in der ganzen Schrift.

Das sind Verführer, die selbst nicht ins Himmelreich kommen, und andere nicht hineingehen lassen. Von solchen spricht der Herr, wenn er sagt: wehe, wenn euch jedermann wohlredet, wie ihre Väter den falschen Propheten thaten. Mit Bezug auf diese spricht Hosea zum Volke: du sollst bei Tage fallen, und auch der Prophet soll neben dir fallen des Nachts (4,5). Auch dieses Verderben ist erst etwas später in Juda eingerissen. Jesaja und Micha und mehr noch Jeremia haben dagegen zu kämpfen.

So schildern unsere beiden Propheten den Verfall des Königthums, das Verderben in der Priesterschaft, die Zerrüttung des Prophetenstandes im nördlichen Reiche. Was war denn nun die Wirkung dieser schädlichen Einflüsse auf den sittlichen Stand des Volkes überhaupt? Ich schöpfe zwar weniger aus Hosea, dem noch ein besonderer Vortrag soll gewidmet werden; aber Amos, wie zeichnet er uns das Volk? Es ist erschreckend, wenn wir ihn hören. Er beginnt damit, das Gericht über einen Kreis von Nachbarvölkern zu verkündigen: Damaskus, die Philister, Tyrus, Edom, Ammon, Moab sollen nicht über Israels Fall frohlocken; der Richter aller Welt wird um ihrer Frevel willen das Feuer in ihre Paläste senden. Aber eben vor diesem Richter aller Welt stehen Juda und Israel auf gleicher Linie mit jenen Völkern, ja weil in einziger Weise von Gott begnadigt, fallen sie auch vor andern dem Gericht anheim (1,2 bis 3,2). Juda verschmäht das Gesetz des Herrn, hält seine Gebote nicht, sondern läßt sich durch seine Lügengötzen verführen (2,4) Im Süden Judas zu Beerseba ist Abgötterei wie in Israel eingerissen (5,5; 8,14). Dabei leben die Vornehmen auf Zion stolz und sicher wie in Samarien (6,1).

Aber vornehmlich wider Ephraim geht des Propheten Sendung und breitet sich sein Strafwort aus. Sie verkaufen um Geld den Gerechten und den Armen um ein Paar Schuhe. Sie schnappen nach dem Staub der Erde auf dem Haupt der Geringen; so gierig sind sie nach ihrem Gut, daß sie ihnen nicht einmal die Erde gönnen, die sie in der Trauer auf ihr Haupt streuen. Den Weg der Elenden hindern sie. Sohn und Vater gehn zur gleichen Dirne, um meinen heiligen Namen zu entheiligen. Um verpfändete Kleider werfen sie das Loos neben jedem Altar, und den Wein der Gebüßten trinken sie im Haus ihres Gottes (2,6-8). Seht was für Getümmel und Bedrückung in der Stadt ist, Sie wissen nicht gerade zu handeln, häufen Schätze von Frevel und Raub in ihren Palästen, liegen in der Ecke eines Ruhbetts, auf dem Damast ihrer Polster (3,9. 10. 12). Sie verkehren das Recht in Wermuth und die Gerechtigkeit stoßen sie zu Boden (5,7). Sie können es nicht erwarten, bis der Neumond ein Ende habe, daß sie Getreide verkaufen, und der Sabbath, daß sie mögen Korn feil haben, den Epha ringern, den Sekel steigern, die Wage fälschen, den Abfall des Getreides verhandeln (8,4-6). Auch die Frauen in Samarien, die fetten Basankühe, untertreten die Armen, und sprechen zu ihren Herren: bringt her, daß wir trinken (4,1). Denn so thun die Frevler: sie liegen auf Elfenbeinlagern, essen die Lämmer aus der Heerde und die gemästeten Kälber, singen leichtfertig zur Harfe, ersinnen sich Instrumente zum Gesang wie David, trinken Wein aus Schalen, salben sich mit dem feinsten Balsam, und kränken sich nicht um die Wunde Josephs (6,4-6). Denn sie sind stolz und sicher, schieben den bösen Tag weit von sich hinweg (6,1. 3), wollen durch kein Strafwort gestört sein (2,12; 5, 10), rühmen sich, daß der Herr bei ihnen sei (5,14), rufen: wir, Israel, kennen dich (Hos. 8,2), begehren, des Herrn Tag solle nur kommen (Amos 5,18), bringen ihre Opfer des Morgens, ihre Zehnten am dritten Tag, räuchern vom Sauerteig zum Brandopfer - ein unreines Räucherwerk! - verkündigen laut ihre freiwilligen Opfer, thun aber der Sünden viel an den Orten des Götzendienstes (4,4. 5), und zwar nicht nur der Verehrung des goldenen Kalbes, sondern der eigentlichen Abgötterei, die auch, nachdem Jehu den Baalstempel zerstört hatte, von neuem muß eingerissen sein.

In solchen Worten zeichnet der Prophet ihre gewaltthätige Habsucht, die Unterdrückung des Rechts der Armen, das Prassen aus dem Erpreßten, die Sicherheit und Hoffart, die leichtsinnige sich selbst betäubende Frechheit, das falsche Vertrauen auf ihren selbstgewählten Gottesdienst, die unzüchtigen Greuel der Abgötterei, mit einem Wort die innere Verwilderung unter der Decke von äußerer Feinheit, wie sie die Zeiten einer frivolen und sittenlosen Gewaltherrschaft charakterisiert. Darum ruft der Prophet Philister und Aegypter, heidnische Völker, als Zeugen herbei, zu sehen, wie es in Samarien gehe (3,9).

Uebereinstimmend schildert auch Hosea den sittlichen Verfall des Volkes: der Herr hat Ursache zu schelten, die im Lande wohnen, denn es ist keine Treue, keine Liebe, keine Erkenntnis Gottes im Lande. Schwören und Lügen, Morden, Stehlen und Ehebrechen hat überhand genommen, und reicht eine Blutschuld an die andre (4,1. 2). Freilich zeichnet er uns nicht mehr wie Amos den Zustand des trüglichen Scheinfriedens unter Jerobeam II, sondern bereits beginnt nach dessen Tode die schrankenlose Verwirrung auszubrechen: der Dieb steigt ein, draußen streifen Räuberschaaren, Fremde fressen Ephraims Kraft (7,1. 9). Aber schon des Amos Schilderungen wecken die Frage: was kann von alle dem das Ende sein?

Alle Strafgerichte, mit denen Gott sie schon heimgesucht, sind umsonst gewesen (Am. 4,6ff. ). Wie einen Brand aus dem Feuer hat er sie gerissen, aber sie haben sich nicht bekehrt (4,11). Darum schicke dich, Israel, und begegne deinem Gott (4,12). O daß sie ihm begegneten, das Gute liebend, den Herrn von Herzen suchend, sie sollten leben (5, 4. 14). Aber sie thun es nicht. Wie kann denn ihr Treiben etwas anderes als Unheil ernten? Können Rosse auf dem Felsen rennen? kann man mit Ochsen darauf pflügen? (6,12). So kann ich auch mein Auge nur auf sie richten zum Bösen und nicht zum Guten, spricht der Herr (9,4).

So kündet denn der Prophet ein schweres Gericht an. Siehe, ich drücke sie unter sich, wie ein vollbeladener Dreschwagen die Garbe drückt; und das Fliehen soll vergehen dem Schnellen, und der Starke nichts vermögen, und der Held sein Leben nicht erretten (2,13. 14). Ich will die Stadt übergeben mit Allem, was darinnen ist. Und wenn zehn Männer in einem Hause bleiben, sollen sie sterben, und einen jeglichen wird sein Oheim und sein Leichenbestatter nehmen, die Gebeine aus dem Haus zu bringen, und wird sagen zu dem, der noch hinten im Haus ist: ist noch jemand bei dir? und der wird sagen: keiner mehr; da wird er sagen: stille! denn nicht anzurufen ist der Name des Herrn. Denn der Herr schlägt das große Haus in Trümmer und das kleine in Splitter (6,8-11). Er schlägt Winterhaus und Sommerhaus, die elfenbeinernen Häuser wie die andern (3,15). Dann werden die Tempellieder in Heulen verkehrt, ob der Menge der Leichen, die man an allen Orten stillschweigend hinwerfen wird (8,3). Dann wird in allen Gassen Wehklagen sein, wenn ich durch euch hinfahre, spricht der Herr (5,16. 17). Dann sollen auch die Götzenaltäre fallen und ihre Hörner gebrochen werden (3,14).

Die Zerstörung des Kriegs, die Schrecken der Pestilenz, das ist der Inbegriff dieser Drohungen. Und durch wen will Gott dieses Gericht vollziehen? Ich will über euch vom Hause Israel ein Volk erwecken, spricht der Herr, der Gott Zebaoth, das soll euch ängsten von dem Ort an, da man gen Hamath geht, bis an den Bach der Wüste (6,14). Ein Volk! der Prophet nennt keinen Namen. Aber Israel soll aus seinem Lande weg in die Verbannung ziehen (7,17), und zwar weit über Damaskus hinaus (5,27). Das sind die Assyrer, die solches ausrichten. Der Prophet spricht es aus um 80 Jahre bevor es geschah, zu einer Zeit, wo sie noch gar nicht dem Volk Israel näher gekommen waren, und wo dieses sich noch im Vollgefühl seiner Macht befand. Das hat ihm Fleisch und Blut nicht geoffenbart. Wie sicher ihm die schreckliche Wahrheit sei, das spricht er in jenem Gesichte vom Obstkorb aus (8,1. 2). Das Volk ist reif zur Ernte; das Ende ist da. Im Hebräischen haben Kajiz, Ernte, und das Kêz, das Ende, auch noch ähnlichen Klang. Dann werden die hoffärtigen Schlemmer vorangehn müssen unter den Gefangenen, und auch da noch wird das Schwert sie treffen (6,7; 9,4). Dann werden, die früher des Herrn Wort verachtet, vergebens darnach hungern und dürsten, und werden darob verschmachten und nicht wieder aufstehn (8, 11-14).

Wir blicken auf die Vergleichung zurück, von der wir ausgegangen sind, die Vergleichung zwischen Juda und Ephraim. Es sollte uns jetzt klarer vor der Seele stehen, warum das stärkere Reich das schwächere war. Die Macht Ephraims war die üppige Macht des Fleisches, die sich selbst verzehrt. Eine Zeitlang ist es wohl möglich, mit Anspannung aller Kräfte die Energie der Gottverlassenen zu entfalten; eine Zeitlang kann man in Pracht und Prunk sich brüsten und diejenigen, die nicht wachen, bethören; eine Zeitlang, - bis die innere Fäulnis zum Ausbruch kommt. Aber dann, was helfen die Elfenbeinpaläste, was helfen die gebauten und befestigten Städte (vgl. 1. Kön. 22,39), wenn Gott sein Feuer darein wirft?

Da war doch in Juda etwas mehr des rettenden Geistes. Zwar hat Amos auch Juda zu strafen, obgleich seine Sendung nicht diesem Reiche vornehmlich gilt. Hosea hingegen sieht für Juda noch eine Rettung, nicht durch Bogen und Schwert, nicht durch Roß oder Reiter, sondern durch den Herrn ihren Gott, wie es denn auch Hiskias erfuhr (1,7). Hoseas Flehen ist: daß sich nur Juda nicht auch gleich Israel verschulde (4,15). Aber freilich er sieht es kommen, daß auch Juda falle (5,5). Es wird fallen, aber später, langsamer, nicht so jählings; denn es wirken in demselben bewahrende Kräfte, die das Gericht aufhalten. Es wird fallen, aber zum Wiederaufstehn.

Das Fallen nur um zu fallen kann ja nicht das Ende der Wege Gottes sein. Es ist auch bei Amos nicht das Ende seiner Weißagung. Im letzten Capitel lesen wir: Seid ihr Kinder Israel mir nicht gleich wie die Mohren? spricht der Herr. Von Natur oder durch eigenes Verdienst habet ihr gar nichts vor ihnen voraus. Und auch besondre Führungen haben andere Völker wie ihr erlebt: Habe ich nicht Israel aus Aegyptenland geführt und die Philister aus Caphthor und die Syrer aus Kir? Daß euch die göttliche Erwählung und die Ausführung aus Aegypten ein besonderes Vorrecht gäbe, eine Schutzwehr gegen seine Gerichte, das sollt ihr nicht wähnen; eure Sünden haben es verscherzt. Vielmehr sehen die Augen des Herrn auf das sündige Königreich, daß ich es vom Erdboden vertilge; wiewohl ich das Haus Jakob nicht gar vertilgen will, spricht der Herr. Also das sündige Königreich Israel soll vertilgt werden; nicht aber das Haus Jakob ganz und gar. Aber doch siehe, ich will befehlen, und das Haus Israel unter allen Heiden sichten lassen, gleichwie man mit einem Siebe sichtet; und kein Körnlein soll auf die Erde fallen. Also kein wahres Körnlein soll sterben. Aber alle Sünder in meinem Volk sollen sterben, die da sagen: Es wird das Unglück nicht so nahe sein, noch uns begegnen (9,7-10).

Zu derselbigen Zeit will ich die zerfallene Hütte Davids wieder aufrichten und ihre Lücken vermauern und das Abgerissene wieder aufrichten, und will sie bauen, wie sie vor Zeiten gewesen. Also das Reich Davids soll hergestellt werden, das Reich, worin Gerechtigkeit wohnt, ein einiges Reich, und keine Spaltung soll mehr sein. Auf daß sie erben den Ueberrest Edoms und aller Völker, darüber mein Name genannt ist, spricht der Herr, der solches thut (9,11. 12). Das lautet kriegerisch.

Aber nicht umsonst hat der Apostel Jakobus (Apg. 15,16. 17) in diesen Worten den Sieg bezeichnet gefunden, den die Boten des Evangeliums mit dem Schwert des Geistes zu gewinnen anfiengen. Er gebraucht die damals geläufige griechische Uebersetzung, die im Wortlaut vom hebräischen Ausdruck abweicht, ohne jedoch im Wesentlichen den Sinn zu verletzen. Denn auch Amos selber meint keinen mit fleischlichen Waffen erfochtenen Sieg. Den Ueberrest Edoms, des Erb- und Erzfeindes, den Ueberrest der Völker überhaupt sollten die Erlösten des Herrn in Besitz nehmen. Den Ueberrest, dieser Ausdruck, wo er vorkommt, deutet auf die Gerichte Gottes. Wer sich unter dieselben gedemüthigt, sie durch Buße und Glauben überstanden hat, geläutert aus ihnen hervorgegangen ist, der allein gehört zu diesem Ueberrest. Das sind auch einzig diejenigen, über welche der Name des Herrn als ihres Herrn und Gottes genannt ist. Solche sind Israel gleich geworden, der Herr ihr Gott und sie sein Volk; wie zu Israel gesagt wird: alle Völker auf Erden werden sehen, daß der Name des Herrn über dich genannt ist (5 Mos. 28,10). Dem wird der Ueberrest der Heiden gleichgemacht, dem Volke Gottes einverleibt werden.

Das ist der Blick der Glaubenshoffnung, welchen der Prophet allen denen eröffnet, die sich durch sein Strafwort demüthigen lassen. Hier noch einmal und hier im volleren Maße gilt es: das hat er nicht von Fleisch und Blut. Das war göttliche Stärkung für die Drangsalszeiten. Mochte das Sieb der Gerichte Gottes noch so heftig geschwungen werden: wer nur zu den echten Körnern gehörte und nicht als Spreu erfunden wurde, der fiel nicht zur Erde; der gehört am Ende zu den Uebrigen, über welche der Name des Herrn genannt wird. Diese Uebrigen sind sein Eigenthumsvolk. Eben darum lohnt sichs wohl der Mühe auch für diejenigen, die in einer Zeit oder in einem Lande leben, wo es abwärts geht, daß sie nichtsdestoweniger für sich selber und soweit ihr Einfluß reicht, dem Bösen unverdrossen Widerstand leisten. Jede Mutter, die ungeirrt von der Strömung der Zeit ihre Kinder in der Furcht des Herrn zu erziehn bestrebt ist, trägt in ihrem bescheidenen Theil das Ihre bei zur Bewahrung und Mehrung jener heilsamen Kräfte. Sollten aber auch diese Bestrebungen alle nicht mehr als einen Aufschub der Gerichte erreichen, wer will es ermessen, wie viel Segen dadurch Raum gewinnt sich auszubreiten? Und jedenfalls werden zuletzt nur diejenigen, die solche Treue hielten, sich der wiedergebauten Hütte Davids freuen.

Vorträge über die Propheten
Gehalten auf Veranstaltung eines christlichen Vereins
Vor Zuhörern aus allen Ständen
Basel
Bahnmaier’s Verlag
1862

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