Preiswerk, Samuel - Davids Leben und Persönlichkeit.

Preiswerk, Samuel - Davids Leben und Persönlichkeit.

Die Nennung Davids in einer Reihe von Lebensbildern aus dem Kreise der Propheten bedarf vielleicht einiger einführenden Worte der Erklärung. Wenn es sich überhaupt um hochbegabte, an Frömmigkeit ausgezeichnete, bibelgeschichtlich bedeutsame Männer handelte, so würde niemand anstehen, für David einen der ersten Plätze einzuräumen, und das alte Sprichwort lautet freilich nicht: ist David auch unter den Propheten? Aber er ist doch in unserm Munde und unserer Vorstellung uns vorwiegend als der „König“ David bekannt. Auch nimmt er in der That unter den hervorragenden Männern des alten Bundes nicht in der Weise eine prophetische Stellung ein, wie dies bei einem Elia oder Jesaja der Fall war; er ist nicht als gottgesendeter Redner vor dem Volke aufgetreten, und hat kein zusammenhangendes - größeres oder kleineres - Buch der Weissagung hinterlassen. Dennoch ist seine Erwähnung in der Reihe, ja fast an der Spitze der Propheten nicht nur zu rechtfertigen, sondern er bildet geradezu ein nothwendiges Bindeglied in dieser Kette.

Einmal rühren von ihm her eine Anzahl wichtiger, wesentlich prophetischer Psalmen und Aussprüche, und dann hängt hiemit ein fernerer Umstand eng zusammen, auf welchen wir das Hauptgewicht zu legen haben: er hat nicht nur und nicht vorwiegend Weissagung gesprochen, sondern Weissagung gethan und gelebt; seine ganze Persönlichkeit und geschichtliche Stellung war eine prophetische, sein Wesen, Wirken und Dasein ein prophetisches. Auf ihn in dieser seiner eigenthümlichen Stellung geht die gesammte Weissagung Israels zurück als auf die Grundlage und das Vorbild des Zukünftigen; an ihn knüpft sie ihre weitest reichenden Verheißungen von dem Gesalbten des Herrn, der in göttlicher Vollendung das sein werde, was David in menschlicher Unvollkommenheit und trotz menschlichen Sünden dargestellt hatte. Hiebei ist endlich zu beachten, daß dieser Mann nicht etwa bloß durch die Fügung der Umstände und der Zeitverhältnisse, so zu sagen ohne sein eigenes Wissen, eine solche Stellung einnahm, welche nachher die Propheten nur benützt und allegorisiert hätten für ihre Zwecke, sondern er ahnte und schaute selber eine Zukunft und die Erfüllung eines Ideales, welche hoch über seine eigene Person hinausreichte und welcher er mit bewußtem Willen zustrebte; und eben dadurch, daß er sich mit solcher geistiger Selbstthätigkeit an dem großen Rathschlusse Gottes betheiligte, wuchs er über die Stufe einer bloß vorbildlichen zu einer bewußt prophetischen Persönlichkeit.

Dies ist der Gesichtspunkt, von welchem aus die biblische Berichterstattung den Mann auffaßt und darstellt. Wir ersehen das nicht sowohl aus Reflexionen, die angestellt wären über den Charakter, die Gedanken und Pläne Davids; das ist überhaupt nicht die Art der biblischen Geschichtschreibung; sie giebt vielmehr die Thatsachen in schmuckloser - wenn man will: trockener - und streng wahrheitstreuer Erzählung. Die Auswahl aber der hervorgehobenen Thatsachen, sowie das Maß der Ausführlichkeit in ihrer Schilderung richtet sich nach ganz andern Gesetzen, als denen der gewöhnlichen Geschichtschreibung. Was in dieser letztern von hervorragender Wichtigkeit wäre, das tritt hier nicht selten entschieden in den Hintergrund, während das betont wird, was - weltgeschichtlich vielleicht höchst nebensächlich - von Bedeutung ist für den Entwicklungsgang der Offenbarung Gottes. Dieses allgemeine leitende Gesetz biblischer Geschichtschreibung finden wir denn auch durchgängig beobachtet in den Berichten über Davids Person und Leben. So sind, um ein Beispiel anzuführen, seine gewaltigen Eroberungen, die ihm den ganzen Länder-Complex von der ägyptischen Grenze bis an den Euphrat unterwarfen, kaum flüchtig angedeutet neben der ausführlichen Schilderung seiner - weltgeschichtlich viel unbedeutenderen - Verfolgungszeit unter Saul. So ist seine außerordentliche Begabung, sein Feldherrn- und sein staatsmännisches Talent, seine Dichter-Größe nur gelegentlich zu merken, wogegen sein Gottvertrauen, seine Buße in anschaulichen Zügen uns geschildert wird. Nicht auf seine Stellung vor und zu der Welt kommt es hier an, sondern auf seine Stellung vor und zu Gott dem Herrn und seinem Reiche.

Wenn wir nun aber darauf ausgehen, einigermaßen ein Gesammtbild des ausgezeichneten Mannes zu gewinnen, so fühlen wir nach unserer Weise doch das Bedürfniß, ihn mit seinem Charakter und Lebenslaufe zunächst von der rein menschlichen Seite her aufzufassen und uns zu vergegenwärtigen; wir werden dann mit um so mehr Verständniß weiter eintreten können auf seine höhere Bedeutung, seine prophetische Stellung im Reiche Gottes.

Wir begegnen dem Sohne Isais des Bethlehemiten, dem jüngsten unter acht Brüdern, zuerst aus Anlaß seiner Salbung durch Samuel zum künftigen Nachfolger des von Gott verworfenen Saul. Diese sinnbildliche Handlung war jedoch nicht etwa eine Aufforderung zu alsbaldigem Antritt der Königswürde, sondern sie bildete eine vorläufige weissagende Anzeige und die Berufung und Berechtigung Davids, dereinst das Scepter zu ergreifen, dann, wenn Zeit und Verhältnisse ihn zum Throne führen würden. David blieb auch vor der Hand was er gewesen: Hirte bei seines Vaters Heerde. Es war das auf niederster Stufe die erste Vorschule für den Mann, der hernach mit königlichem Hirtenstabe sein Volk hüten und selber wieder ein Vorbild werden sollte auf den einen guten Hirten. Dieser Beruf hat auch dazu gedient, manche Eigenschaften bei ihm auszubilden, die ihm für seine spätere Laufbahn zu statten kamen, und er hat aus dieser Periode, wo in dem Jünglinge der Mann zu reifen beginnt, einen reichen Schatz geistiger Kraft und Frische mitgenommen, theils als die Frucht stillen Nachdenkens, theils als tief unmittelbare Gemüthseindrücke. Es ist nicht anders möglich, als daß seine Salbung durch Samuel bei aller äußerlicher, einstweilen ununterbrochenen Gleichförmigkeit seines Lebens dennoch eine große Bewegung in seiner Gedankenwelt muß geweckt haben, namentlich auch in religiöser Hinsicht; wir werden aus diesen Punkt in einem spätern Zusammenhange zurückkommen müssen. Eins aber dürfen wir hier nicht übergehen: die freundliche Zugabe des Hirtenlebens, die Musik, welche der junge David mit eben so viel Liebe als großer Begabung gepflegt hat.

Sein liebliches Saitenspiel war die nächste Veranlassung, daß er den beschränkten Familienkreis und die stillen Hürden verließ, um den König Saul zu erheitern, wenn der böse Geist der Schwermuth denselben verdüsterte. Hier gieng natürlich dem jungen Hirten eine ganz neue Welt auf, und wir sehen aus seinem spätem Benehmen, wie er mit klarem und kräftigem Geiste die neuen Verhältnisse durchdrungen und in sich verarbeitet hat. Diese Versetzung an den königlichen Hof, welche in der Folge durch noch engere Bande befestigt wurde, hat ihm für seine nachmalige Stellung in ähnlicher Weise zur Schule gedient, wie einst dem Mose seine Bildung am Hofe Pharaos.

Doch scheint sein Aufenthalt in Sauls Umgebung vorläufig noch kein ganz bleibender gewesen zu sein, denn wir sehen ihn einige Zeit hernach vom väterlichen Hause aus die Brüder im Lager besuchen. Damals lag Israel wider die Philister zu Felde1), aber vergebens hatte Saul bis jetzt selbst seine Tochter demjenigen versprochen, welcher mit dem herausfordernden gewaltigen Goliath den Zweikampf bestehen würde. Und der Muth, den keiner der Kriegsleute hatte, fand sich in dem Hirten, welchem auch Bär und Löwe nicht ungestraft in die Heerde einbrechen durfte; wozu sich weder Schwert noch Spieß erheben wollte, das geschah durch den starken Arm und das sichere Auge des schleuderfertigen Jünglings ohne Schild noch Panzer.

Hiemit ist für Davids Lebensgang eine entscheidende Wendung eingetreten. Er hat sein glänzendes Meisterstück als Kriegsmann gemacht, und das Kriegswerk ist fortan sein Beruf; dazu gehört auch, daß er nun seine bleibende Stellung am Hofe Sauls einnimmt, der ihn mit Mißtrauen und steigender Eifersucht betrachtet. Aber selbst die Hinterlist, womit Saul den Heldenmuth Davids zu seinem Verderben benützen wollte, wurde diesem zu einer weitern Stufe seines raschen Aufsteigens. Trotz dem gegebenen Versprechen hatte der Besieger Goliaths die älteste Tochter des Königs nicht erhalten; jetzt ließ ihm Saul die zweite verheißen, wenn er statt der üblichen Morgengabe die Trophäen von hundert Philistern bringe. David, der zuerst aus Demuth den Wink ablehnen wollte, wurde aber nicht nur von dem übermächtigen Feinde nicht erschlagen, wie Saul gehofft hatte, sondern kehrte mit der doppelten Zahl der verlangten Siegeszeichen heim; und Michal, dem jungen Helden in Liebe zugethan, wurde sein Weib. Und ihr Bruder Jonathan, der schon nach dem Falle des Riesen mit David Freundschaft geschlossen und Kleider und Waffen getauscht hatte, blieb weit entfernt von Mißgunst, freute sich vielmehr mit edler Bewunderung über das Glück und das steigende Ansehen des Mannes, von dem er doch wußte, daß er einst statt seiner sollte König werden. So stand David, mit Liebe und hohem Vertrauen von dem Volke geehrt, eng verbunden mit dem Königshause, auf einer vor kurzem noch ungeahnten Höhe. Es fehlte ihm noch die eigentliche Schule der großen Männer: die Schule des Unglücks. Sie ließ nicht auf sich warten.

In dem stäts verdüsterten Könige weckte das rasch blühende Glück und Ansehen des gefürchteten und darum ihm verhaßten Eidams den höchsten Ingrimm und den endlichen Entschluß: er muß sterben. Eine rasche Wendung rettete David von dem Speere, welchen Saul im Ausbruche des lang gehegten Grolles nach ihm schoß; eine List der Michal verhalf ihm zur Flucht aus seinem eigenen Hause, dessen Thüre die Schergen des Königs bewachten. Mit Einem Schlage war das häusliche Glück, die glänzende Stellung und die daran sich knüpfende noch glänzendere Aussicht zertrümmert, David ein Flüchtling. Samuel, zu welchem er floh, konnte für den Augenblick durch die Macht des Geistes ihn schützen vor der Gewalt; aber seines Bleibens war hier nicht; vergeblich war auch die edelmüthige Vermittlung Jonathans, der selber mit genauer Noth dem Speere des wüthenden Vaters entgieng und bei der geheimen Zusammenkunft mit David das verabredete Zeichen zur Flucht geben, mit schmerzlichem Abschied den Freund entlassen mußte. Was dieser, ehe er seinen Fuß weiter setzte, mit Samuel geredet, wird uns nicht berichtet; wir dürfen annehmen, daß die Rathschläge und Ermahnungen des greisen Propheten von gewichtigem Einfluß werden gewesen sein auf sein ferneres Verhalten. Bei dem Priester Ahimelech erhielt der hungernde wehrlose Flüchtling die Schaubrote zur Nahrung, zur Waffe das Schwert Goliaths - eine eigenthümliche Erinnerung aus glücklicheren Tagen, zugleich eine kräftige Ermunterung zu Muth und Vertrauen. Als der Verfolgte Sauls sucht er Schutz bei dessen Feinde, dem Philisterkönig in Gath; aber dem Besieger Goliaths begegnet dort Mißtrauen und Groll, und er ist froh, mit einer List, indem er sich wahnsinnig stellt, wieder zu entkommen, und sucht nun Bergung in den Klüften und Wüsten des südlichen Judäa. Hier sammelt sich um ihn eine Anzahl von Männern, die ebenfalls aus ihrer Heimat geflohen sind, theils vor der gewaltthätigen Regierung Sauls, theils aus andern Ursachen. Verfolgt, verrathen, treulos überfallen und dennoch immer anwachsend, steht die Schaar mit ihrem kühnen, besonnenen Hauptmann oft am äußersten Rande des Untergangs, findet endlich in dem philistäischen Ziklag einen festern Wohnsitz bis zum Tode Sauls. Auf diesem. dunkeln Hintergrunde glänzt um so heller die Gestalt des eben so edeln als tapfern David, der dem wehrlos in seine Gewalt gegebenen Todfeinde den Zipfel des Mantels abschneidet, ihm Spieß und Becher aus dem Zelte holt, und der die Gemüthsbewegungen einer solchen Drangsalszeit in ergreifenden Liedern ausströmt.

Es waltet über der ganzen bisherigen Lebensperiode Davids ein eigenthümlicher Duft, ein - wenn der Ausdruck erlaubt ist: romantischer Zauber, wie er der Jugendgeschichte der Menschen und der Völker eigen ist. - Das geistige und religiöse Leben, welches später auf diesem Grunde sich erbauen soll, bildet hier erst den Hintergrund, und voran tritt die Entfaltung der leiblichen und der seelischen Kräfte, Körperstärke, Muth, Festigkeit, ritterlicher Adel der Gesinnung, nicht zu vergessen die Blüte dieser Lebensstufe: Freundschaft und Liebe. Es liegt gewiß hierin eine der Ursachen, warum uns das Bild Davids von Jugend an so sehr anspricht und uns gerade von dieser Seite besonders lebhaft eindrücklich bleibt, und es hat ja bekanntlich Hebel die Episode von Nabal und Abigail zu einer seiner lieblichsten Dichtungen, einer Parodie im guten Sinne, verwerthet in seinem „Statthalter von Schopfheim“. - Aber gerade der Seitenblick auf die Helden-Geschichten und -Sagen anderer Völker muß uns mit hoher Achtung für die biblische Erzählung erfüllen; ihr Jüngling mit der Schleuder im Terebinthenthale ist kein jung Roland im Ardennerwalde; ihr David auf seinen Kriegszügen und seiner Brautwerbung ist kein hörnener Siegfried; um den Begründer ihrer Königsmacht flicht sich kein Mythenkranz wie selbst noch um einen Karl den Großen; sie hat der Versuchung widerstanden, das Große ins Fabelhafte auszumalen, und in ihrem schmucklosen knappen Gewande bietet sie uns die Züge schlichter, nüchterner, geschichtlicher Wahrheit.

David hatte sich gehütet, gewaltsam den Weg zum Throne sich zu bahnen; jetzt kam die Zeit, wo er die Frucht seines edeln Verhaltens ernten sollte. Ein neuer Feldzug gegen die Philister endete mit einer unglücklichen Schlacht, in welcher Sauls drei Söhne sielen, er selber sich in sein Schwert stürzte. - Hiemit hat sich für David wieder ein Blatt seiner Geschichte gewendet, und es war nun der Augenblick erschienen, daß die von Samuel ertheilte Salbung zur Erfüllung kommen sollte. Der Thron stand leer, Jonathan war todt, der nächste und wichtigste Stamm, Juda, war der bisherigen unglücklichen Regierung müde, kam hingegen dem längst geachteten und geliebten Stammesgenossen entgegen und setzte ihn in Hebron zum König ein. Das geschah, nach unserer Zeitrechnung, im Jahr 1155 vor Christi Geburt. Aber wahrlich, es kam nun dem erst dreißigjährigen David zu gute, daß er in einer solchen Schule der Schläge und Wechsel des Schicksals gereift war und fest geworden an unerschrockenem Muthe, umsichtiger Klugheit, reicher Lebenserfahrung; denn es war eine Aufgabe, vor der ein mancher zagend zurückgetreten wäre, die ihm nun mit der Krone auferlegt wurde. Das noch nicht einmal fertig gezimmerte Schiff des israelitischen Königreichs hatte bereits schwere Stürme zu bestehen; die Philister hatten mit der Schlacht, in welcher Saul fiel, einen großen Sieg errungen, und Israel lag ohnmächtig zu Boden.

Als Saul seinen ersten Feldzug gegen die Philister unternahm, hatten diese das Volk so systematisch entwaffnet, daß im ganzen Lande nicht nur kein Schwert und Spieß, sondern auch kein Schmied zu finden war. Nur der König und sein Sohn hatten eigentliche Waffen; das übrige Kriegsvolk müssen wir uns als eine Art Landsturm denken, auch hinsichtlich des Mangels an Organisation; es gab kein eigentliches Heer, sondern wenn ein Krieg zu führen war, ließ der König die Mannen aufbieten, die dann zusammenströmten und einigermaßen unter Hauptleute verteilt wurden, aber auch ebenso, wenn es übel gieng, auseinanderstoben; das war so recht die Zeit, wo eine einzelne Heldenkraft einen ganzen Feldzug entscheiden konnte. In der Hauptsache standen die Dinge bei Davids Regierungsantritt noch so; doch hatte er an den Männern, die mit ihm aus der Verbannung nach Hebron zogen, einen tüchtigen Kern kriegsgeübter Leute, an ihrer Spitze die drei Söhne seiner Schwester Zeruja, namentlich den gewaltigen (aber auch gewaltthätigen) Joab. Zu dieser verhältnißmäßigen Schwäche nach außen kam aber noch die viel schlimmere Verwirrung im Innern.

Der Stamm Juda hatte David anerkannt; die sämmtlichen nördlichen Stämme (das spätere Reich Ephraim) hingegen hielten zu dem Gegenkönig Isboseth, dem Sohne Sauls, einem persönlich unbedeutenden Manne, der aber an seines Vaters Feldhauptmann Abner eine starke Stütze hatte. Ueber sechs Jahre dauerte diese innere Spaltung, bis Abner zu dem an Macht und Ansehen immer wachsenden David übergieng und Isboseth ermordet ward. Eben bei jenem Anlaß sehen wir, wie beschränkt damals noch die Macht Davids im eignen Lande war. Joab ermordete den übergetretenen Abner, und David mußte es laut bekennen, daß ihm die Söhne Zeruja zu mächtig seien, als daß er sie bestrafen könnte, und konnte nur durch öffentliche Klage und förmliches Leidtragen es an den Tag legen, daß er an der Uebelthat rein sei. Aber auch nach seiner Anerkennung durch die übrigen Stämme hatte der Krieg im eigenen Lande noch kein Ende: die ungemein feste Burg in Jerusalem war noch im Besitze der eingebornen Jebusiter. David eroberte sie. Jetzt erst hatte er ein Land, ein Volk, eine Hauptstadt und eine Königsburg; jetzt erst war er König Israels.

Sofort begann er nun für Sicherheit, Festigkeit und Ordnung seines Reiches zu sorgen. Jerusalem wurde befestigt, auf dem Zionshügel eine königliche Hofburg gebaut. Aber zu solchem Palaste konnte das noch rohe, meist nur Ackerbau und Viehzucht treibende Israel die erforderlichen Leute nicht liefern. Der König der schon damals blühenden Handelsstadt Tyrus, Hiram, sandte Holz- und Stein-Arbeiter, welche den Königsbau zu Jerusalem ausführten. 2) Zugleich richtete David sein Augenmerk auf den darniederliegenden Gottesdienst, holte die Bundeslade, die noch von Samuels Zeiten her im Hause Abi-Nadabs stand, nach Jerusalem, und stellte sie in eine eigens errichtete Zelthütte. 3) Die Verwaltung der zur Regierung nöthigen Aemter (wir würden sagen: der verschiedenen Ministerien) ward geeigneten Männern übertragen, so z. B. das Kriegswesen dem Joab, die Staatskanzlei dem Josaphat. Im Lande blieb die Stammes-Eintheilung mit ihren Stammfürsten und Geschlechter-Häuptern bestehen und wurde zum Rahmen einer geordneten Verwaltung benützt, indem David namentlich für Einführung einer geregelten Rechtspflege, dieser wesentlichen Stütze und Wohlthat eines Reiches, besorgt war. Den eigenen Hof- und Haushalt ordnete er nicht ohne den unglücklichen Sohn Jonathans, Mephiboseth, königlich zu versorgen.

Aber auch nur diese Grundlinien eines richtigen Staatswesens, so mangelhaft sie noch waren, erforderten nicht bloß eine Anzahl von Jahren, sondern wurden in ihrer Ausführung erst noch vielfach unterbrochen und aufgehalten durch eine Reihe von Kriegen nach außen. Vor allem waren es die Philister, welche diesem Aufblühen und Erstarken des so lange zinspflichtig gehaltenen Israel nicht unthätig zusehen wollten. Gleich nach der Eroberung der Burg in Jerusalem unternahmen sie zwei starke Angriffe gegen die aufstrebende Macht Davids, und wurden von diesem geschlagen, das zweite Mal so gründlich, daß sie sogar ihre Götterbilder im Stiche ließen, welche von den Siegern verbrannt wurden; und dennoch bedurfte es einige Zeit später einer wiederholten Niederlage dieser Feinde, um Israel von ihrem Joche völlig und bleibend zu befreien, obschon auch dann noch die Kämpfe gegen sie und ihre riesenhaften Recken sich mehrmals wiederholten. Außer den Philistern sahen aber auch die andern umwohnenden Völker mit Neid, Besorgniß und altem Volkshasse auf das junge heranwachsende Reich. Moab eröffnete, von Südosten her, den Reigen ihrer Angriffe; nach dessen Ueberwindung drangen Davids siegreiche Waffen bis an den Euphrat ostwärts, und machten ihm nach Nordost die mächtigen Syrer von Damascus nach gewaltigen Schlachten zinsbar, während im Süden auch Edom gebrochen und durch Besatzungen im Zaume gehalten ward. So wurde Davids Name ein weithin geachteter und gefürchteter, und reiche Schätze strömten von den tributpflichtig gewordenen Völkern herbei; noch wichtiger aber war die Lage, welche das so erweiterte Reich Israel innchatte, sowohl in Bezug auf politische Machtstellung als auf die Blüte des Handels; mit einem Fuße stand es am rothen, mit dem andern am Mittelmeer, seine rechte Hand beherrschte die wichtige mesopotamische Wasserstraße, seine linke faßte Damascus, den uralten Stapelplatz der asiatischen Caravanen. - So hat David mit starkem Arme und sicherm Blicke dem Aufschwung seines Volkes die Grundlage und den Anstoß gegeben, wie er hernach unter Salomo zur herrlichen Entfaltung kam in Macht, Reichthum und Cultur Israels. Der letzte bedeutende Krieg nach außen, den David führte, war gegen die Ammoniter (im Ostjordan-Lande) gerichtet nebst ihren Bundesgenossen, den Syrern. Seine Macht war aber schon so fest begründet, sein Heer so kriegsgeübt, zugleich seine Person so wichtig für die Regierung des großen Reiches, daß er - ohnehin nicht mehr so jugendlich kräftig und an ein bequemeres Leben gewöhnt - ruhig zu Jerusalem blieb, seinem Feldherrn Joab die Führung überließ, und erst den letzten Sturm auf Rabbath-Ammon befehligte, um des Sieges Ehre zu pflücken und sich die Krone des überwundenen Königs aufzusetzen.

Es war aber ein schuldiges Haupt, auf das er sie setzte. Dem Manne, den kein Unglück gebeugt und kein Feind besiegt hatte, dem war die Sicherheit und das Wohlleben zum Fall gerathen; und das war auch hier der Fluch der bösen That, daß sie fortwirkend immer neues Uebel gebären mußte. Der Ehebruch mit Bathseba hatte weiter zu dem überdachten Mord an Uria geführt, und David hatte damit einen furchtbaren Keim des Unheils in sein eigenes Haus gepflanzt. Die Mehrzahl der Frauen, sowie die ganze morgenländische Hofhaltung verhinderte zudem ein rechtes Familienleben. Herzliche Eltern- und Geschwisterliebe konnte da nicht wohl gedeihen. Das arge Beispiel des Vaters fand an Amnon eine noch ärgere Nachahmung, welche zu blutiger Rache durch Absalom führte, und dieser Brudermörder wurde hinwieder dem zürnenden Vater tief entfremdet. Von diesem Sohne sollte den alternden König ein entsetzlicher Schlag treffen. Es scheint, daß trotz den eifrigen Bestrebungen Davids noch manches zu wünschen blieb in einem der allerdings schwierigsten Zweige der Verwaltung, in der Rechtspflege. Diese Mängel benützte (und übertrieb natürlich) Absalom, dem eine ungewöhnlich schöne Gestalt und ein einnehmendes Wesen zu Hülfe kam, und er wußte sich mit heuchlerischer Schlauheit die Gunst eines großen Anhanges zu verschaffen, wobei ihm die alte, nie ganz erloschene Eifersucht der nördlichen Stämme gegen Juda zu statten kam. Er brachte es zum offenen Aufruhr. David floh aus Jerusalem bis jenseits des Jordans, wo Absalom in großem Entscheidungskampfe Schlacht und Leben verlor. Noch mußte aber ein zweiter Aufruhr der zehn Stämme bekämpft werden, der endlich mit der Tödtung des Aufrührers Seba durch seine eigenen belagerten Anhänger sein Ende fand.

David benützte die wieder erlangte Macht, um das unterbrochene Werk der Organisierung seines Reiches zu vollenden; er verordnete Amtleute und Richter im Lande, Aufseher für die einzelnen Zweige der Domänen-Verwaltung u. s. w. ; ganz besondere Aufmerksamkeit widmete er dem Cultus und den Leviten; hier waren umfassende neue Einrichtungen nöthig, weil ja künftig ein stehender Tempel die wandernde Hütte ersetzen und in jenem der Gottesdienst ein entsprechend reicherer werden sollte, zu dessen Verherrlichung der König das allerbeste beitrug in seinen heiligen Liedern, welche der Einführung von Musik und Gesang erst eine kräftige Lebensfähigkeit verliehen. Doch durfte er ob all den schönen Werken des Friedens nicht vergessen, daß er zahlreiche und mächtige Vasallen habe und jederzeit das Schwert müsse ziehen können. In dieser Hinsicht traf er eine Einrichtung, die uns einigermaßen an Scharnhorsts preußische Wehrverfassung mahnt; jeden Monat hatten 24,000 Mann den Dienst in Jerusalem (und vielleicht zum Theil in einigen andern festen Plätzen des Landes), welche nach Ablauf ihrer vier Wochen durch eine andere solche Schaar abgelöst wurden und den ganzen Rest des Jahres für ihre häusliche Arbeit frei hatten. Auf diesem Wege machte er es möglich, beständig über ein kriegsfertiges Heer von 300,000 Mann verfügen zu können, ohne doch den Werken des Friedens so bedeutende Arbeitskräfte zu entziehen, und mit Vermeidung der Uebelstände stehender Truppen.

So konnte er auf dem letzten Reichstage, den er hielt, seinem Sohn und Nachfolger Salomo ein starkes, blühendes, wohlgeordnetes Reich und mit dem Modelle des künftigen Tempels auch reiche Vorräthe an Material übergeben, und legte nach einem siebenzigjährigen thatenvollen Leben, nach einer vierzigjährigen gewaltigen und gesegneten Regierung sein Haupt mit Ehre und Frieden zur Ruhe.

Es würde uns aber zu einem auch nur einigermaßen vollständigen Ueberblick über diese großartige Persönlichkeit ein wesentlicher Zug fehlen, ja das ganze Bild würde ein nicht nur mangelhaftes, sondern geradezu schiefes werden, wenn wir nicht auf eine noch besonders bedeutsame Eigenschaft Davids etwas genauer einträten. Bei all den großen und schönen Seiten, die wir im Bisherigen kennengelernt, haben wir doch das Beste noch nicht genannt, das was recht eigentlich die Triebfeder seines Wesens und den letzten Grund seiner mächtigen Erfolge ausgemacht hat, nämlich seinen frommen Sinn (den er als ein schönes Familien-Erbtheil empfangen hatte, wie das Buch Ruth andeutet). Alle die bisher bezeichneten Anlagen und Fähigkeiten waren ihm freilich unerläßlich für die Erfüllung seiner Aufgabe, und bloß ein frommes Gemüth hätte nicht ausgereicht; aber ohne das letztere hätte alle seine übrige Tüchtigkeit ihn nicht vermocht zum Ziele zu führen. Die verfehlte Laufbahn Sauls ist der tatsächliche Beweis dafür. Die biblische Erzählung hebt auch diese Gesinnung Davids mit sichtlicher Sorgfalt hervor als den wichtigsten Zug seines Charakters, der auf des Mannes ganze Lebensanschauung - somit auf sein gesammtes Wirken und Wandeln von maßgebenden, entscheidendem Einfluß gewesen; sie weist auch wiederholt bei einzelnen recht deutlichen Fällen darauf hin, wie das rasche und glückliche Emporsteigen, die mannigfache Bewahrung und Errettung Davids nicht nur so eine natürliche Folge seiner Klugheit und Tüchtigkeit war, sondern den letzten gewichtigsten Grund in seinem Verhältniß zu Gott habe, welchem entsprechend „der Herr mit ihm war“. Diese Frömmigkeit bestand nicht in nebenher laufenden Gefühlen und Ceremonien, sondern bildete den eigentlichen Nerv des inneren Lebens und dadurch auch der Handlungsweise Davids; sie war wirklicher Glaube, welcher den unsichtbaren Gott erfaßte, als sähe er ihn, und seinen Verheißungen in ferne Zukunft hinaus traute mit gewisser Zuversicht, - Glaube, welcher sich lebenskräftig äußerte in seinen beiden wesentlichen praktischen Merkmalen: Vertrauen und Gehorsam gegen Gott. Gott war ihm ein lebendiger, ein wirklicher und naher Gott, mit welchem er Ernst machte.

Neben den geschichtlich erzählten Thaten und Reden Davids, aus denen wir unsere Schlüsse zu ziehen haben auf die Gesinnung, fließt uns noch ein anderer reicher Quell recht unmittelbar aus seiner innersten Seele in seinen Liedern, welche das Psalmbuch uns aufbewahrt hat. Durch diese wird uns gleichsam der Vorhang von dem innersten Heiligthum seines Herzens gehoben und uns ein Blick in dasselbe eröffnet. Hier zeigt es sich denn auch recht deutlich, wie der Gedanke an Gott sein ganzes geistiges Leben durchleuchtet, wie er alle Dinge unter den Brennpunkt dieses seines geistigen Lichtes rückt. So wie ein Christ alle seine Angelegenheiten im Gebete mit seinem Herrn bespricht, so hat David auf seiner Stufe, obwohl ihm ein solcher Zugang noch nicht offen stand, sich und seine Sache jeweilen unter die Augen des lebendigen Gottes gestellt. Dem entsprechend haben auch die meisten von ihm uns überlieferten Lieder die Form des Gebetes.

Dieser Gesinnung Davids, die natürlich auch ihre ersten Ansätze und ihre Entwicklung haben mußte, begegnen wir so frühe als wir überhaupt Nachrichten von ihm besitzen. Schon als Hirtenjüngling hat er nach seiner eigenen (in ihrer demüthigen Einfachheit doppelt ergreifenden) Erzählung, das reißende Gethier, das in seine Heerde einbrach, angegriffen und erschlagen im kindlichen Vertrauen auf den Gott, der stärker, als Bär und Leu, ihm beistehe. - Zum Kampf mit Goliath hat ihn nicht sowohl die Aussicht auf Ruhm und königlichen Lohn gereizt (wie ihm denn auch der letztere vorenthalten ward, ohne daß er sich darob grämte), sondern der heilige Ingrimm darüber, daß jener Heide dem lebendigen Gott Hohn spreche; und den Muth zu dem Wagstücke hat er nicht aus der eigenen Kraft und Geschicklichkeit geschöpft, sondern aus dem Vertrauen auf den in die Wirklichkeit eingreifenden Arm dieses Gottes. So hat es für ihn auch keine Freundschaft geben können anders, als da der Herr mitten inne stand. Aus derselben Quelle fließt ihm die Weisheit, daß er während seines Lebens am Hofe sich so klüglich hielt, tapfer und siegreich in den beständigen Kämpfen gegen die Philister, treu und unantastbar in der Mitte der schmeichelnden und ihn hinterrücks verleumdenden Höflinge, deren Zungen das böse Feuer in Saul schürten, bis es zum Ausbruch kam, deren verkörpertes Bild uns in dem boshaften Verräther Doeg vor Augen steht. Da nun David aus dem eigenen Hause wie ein Dieb entrinnen muß, da schüttet er seines Herzens Angst und Klage aus vor seinem Gott: (Ps. 59) „Errette mich, mein Gott, von meinen Feinden, und schütze mich vor denen, so sich wider mich setzen; denn siehe, sie lauern auf meine Seele, ohne meine Schuld laufen sie und bereiten sich; erwache, mir zu begegnen, und siehe darein. “ - In seinem Gott findet er die Gewißheit, daß seine Feinde ihre Strafe finden werden, während er jetzt schon in sicherm Glauben spricht: „ich aber will von deiner Macht singen, und des Morgens rühmen deine Güte, denn du bist mein Schutz und meine Zuflucht am Tage meiner Noth; ich will dir, mein Hort, lobsingen, denn du, Gott, bist mein Schutz und mein gnädiger Gott. “ Da erbraust seine Harfe über Doeg: (Ps. 52) „was trotzest du denn, du Tyrann, daß du kannst Schaden thun, so doch Gottes Güte noch täglich währt? Deine Zunge trachtet nach Schaden und schneidet mit Lügen wie ein scharfes Scheermesser; du redest lieber Böses denn Gutes, und Falsch denn Recht. Darum wird dich Gott auch ganz und gar zerstören, dich hinraffen und wegreißen aus der Hütte und ausrotten aus dem Lande der Lebendigen. Und die Gerechten werdens sehen und sich fürchten, und werden sein lachen: Siehe, das ist der Mann, der Gott nicht für seinen Trost hielt, sondern verließ sich auf seinen großen Reichthum und war mächtig Schaden zu thun. Ich aber werde bleiben wie ein grüner Oelbaum im Hause Gottes, verlasse mich auf Gottes Güte immer und ewiglich. Ich will dir ewiglich danken, daß du es wohl gemacht, und will harren auf deinen Namen, denn deine Frommen haben Freude daran. “ Und als „ihn die Philister griffen zu Gath“ und vor den König brachten mit der einem Todesurtheil gleichkommenden Erinnerung an den Fall Goliaths: „das ist der David, des Landes (künftiger) König, von dem sie sangen am Reigen und sprachen: „Saul schlug tausend, David aber zehntausend“ - da vernehmen wir den Aufruf zu Gott aus dem Munde des glaubensstarken Verlassenen, an dessen Platz ein anderer wohl verzweifelt wäre: (Ps. 56) „Gott, sei mir gnädig, denn Menschen wollen mich verschlingen, täglich streiten sie und ängsten mich;“ und wie Oel auf stürmische Wellen ergießt sich über seine geängstete Seele die tröstliche Zuversicht in Gott: “ wenn ich mich fürchte, so hoffe ich auf dich; du hast meine Flucht gezählet; fasse meine Thränen in deinen Schlauch; ja, sie stehen in deinem Buche. Auf Gott hoffe ich, und fürchte mich nicht; was können mir Menschen thun?„ Gott hat ihn errettet, und abermals ertönt sein Lied, jetzt in freudigem Danke, wo andere des Dankes vergessen oder gar sich selber die Ehre zugemessen hätten; ja, er ruft es auch allen andern Elenden zu, mit ihm zu danken und an der erfahrenen augenscheinlichen Hilfe Gottes ihren Glauben und ihre Gottesfurcht zu stärken: (Ps. 34) „Erhebet mit mir den Herrn, und lasset uns miteinander seinen Namen erhöhen; da ich den Herrn suchte, antwortete er mir, und errettete mich aus aller meiner Furcht; da dieser Elende rief, hörete der Herr, und half ihm aus allen seinen Nöthen; der Engel des Herrn lagert sich um die her, so ihn fürchten, und hilft ihnen aus; schmecket und sehet, wie freundlich der Herr ist; wohl dem, der auf ihn trauet!“

Aber eben hier drängt sich uns ein Bedenken auf, das wir nicht mit Stillschweigen übergehen dürfen. Ich meine jedoch nicht etwa die geistige Freiheit, mit welcher David sich vom Priester Ahimelech, in Ermanglung andern Brotes, die Schaubrote aus dem Heiligthume geben ließ, weil es vor Gott eben so heilig und wohlgefällig sei - oder noch mehr - wenn eines Menschen, und zumal seines Gesalbten Leben erhalten, als wenn eine Form des Cultus streng beobachtet werde. Wir wissen ja, wie Christus selber hierüber geurtheilt hat. Hingegen hat David gerade auf jener Flucht nach Nob und von da nach Gath in einer Weise gesprochen und gehandelt, die sich mit unsern Begriffen von Gewissenhaftigkeit und Wahrhaftigkeit nicht recht reimen will. Er hat in Nob dem Priester Ahimelech über seine auffallende Erscheinung eine unklare Auskunft gegeben, welche neben der Wahrheit vorbeistreifend diesen sollte glauben lassen, er sei auf einer ungewöhnlich eiligen geheimen Sendung des Königs begriffen, (l Sam. 21,2. ) Die Verstellung, als sei er wahnsinnig geworden,4) durch welche er aus der gefährlich werdenden Zuflucht bei Achis loskam, war - wenn auch nicht mit ausgesprochenen Worten - doch eine unwahre Aeußerung. Nehmen wir des Zusammenhangs wegen sein etwas später fallendes Verhalten gegen denselben Achis hier gleich mit dazu: er hat mit seiner Schaar in der philistäischen Stadt Ziklag eine zeitweilige Wohnstätte gefunden, und bekriegt von da aus in häufigen Streifzügen die alten heidnischen Canaaniter-Stämme der Umgegend; den König Achis aber läßt er glauben, er habe Israel angegriffen, als wäre er ein Bundesgenosse der Philister, indem er ihm immer doppelsinnig berichtet, er sei „gegen den Süden Judas“ ausgezogen, und dabei mit Strenge dafür sorgt, daß jenem der wahre Sachverhalt nicht bekannt werde; so ist auch, als er zuletzt von Achis gar zum Krieg gegen Saul mit aufgeboten wird, seine Antwort ebenso zweideutig als seine ganze dermalige Stellung. — Was uns nun hiebei auffällt, ist nicht die Beobachtung, daß ein großer Mann auch seine schwachen Seiten und seine Fehler hat; auch nicht, daß wir dergleichen selbst bei einem frommen Manne antreffen; und ebenso wenig, daß die biblische Erzählung selber das alles ungeschminkt berichtet, denn wir wissen ja schon, daß sie uns „nicht rationalistische Tugendhelden“, sondern einfache wahre Geschichte erzählt und wirkliche Menschen schildert mit der Unbestechlichkeit einer zuverläßigen Berichterstattung. Was uns beim Blick auf die eben genannten Vorfälle stößt, besteht vielmehr darin, daß hier offenbar die Erzählung nicht, wie in andern Fällen, mehr oder minder stark andeutet, da habe man es eben mit einem Mißtritt ihres Helden zu thun, und daß David selber ebensowenig sich irgendwie im Unrecht zu fühlen scheint, vielmehr gerade in den Psalmen aus jener Zeit sich als den Frommen im Gegensatz zu den gottlosen Feinden unter Gottes Schutz stellt, und ganz getrost sagt: „solches weiß ich, daß Gott für mich ist. “ Es ist wahr, daß sich selbst mancher Christ dergleichen Listen und vieldeutige Ausfluchtsreden, wie sie hier David zur Last fallen, unter Umständen unbedenklich erlaubt, aber es ist doch nicht zu leugnen, daß sie sich vor dem Richtstuhl einer ernsten christlichen Sittenlehre nicht rechtfertigen lassen, und daß ein vom Geiste Jesu Christi erleuchtetes Gewissen sie sich nicht zu gute halten könnte. Aber diesen Maßstab dürfen wir eben hier, ein volles Jahrtausend vor Christus, nicht anlegen. Derjenige, welcher von sich bezeugte: ich bin die Wahrheit - der war eben noch nicht erschienen, und weder sein Wort noch sein Vorbild leuchtete in den Geist und das Gewissen der damaligen Zeit. Wenn die Sonne am hellen Himmel steht, so sehen wir die Dinge klar und scharf; aber in der Morgendämmerung erkennen wir nur erst das Näherliegende, und auch das mehr nur in seinen größern Umrissen. Am damaligen Himmel stand nun erst das Dämmerlicht der mosaischen Gebote, und beleuchtete die zunächstliegenden Hauptsätze der sittlichen Forderungen in ihren gröbern Umrissen; die feinern Züge entzogen sich noch dem Blicke. Und selbst dieses mangelhafte Licht war damals noch durch vielfache Wolken verdunkelt. War man doch kaum recht über die Zeit der Richter hinaus, wo oft Jahrzehnte hindurch ein jeder in Israel „that was ihn recht däuchte“; war doch Saul selber nach einem kurzen guten Anlaufe mit dem Beispiel eines schlimmen Abweges vorangegangen. Da bedurfte es schon eines heiligen und festen Ernstes, eines eigentlichen Glaubensmuthes, um Gottes Rechte und Gebote zu halten, wie sie in dem Gesetze Moses, zunächst nur seinem buchstäblichen Verständnisse nach, gegeben waren. Wer da, wie David, keinem andern Gotte neben dem Herrn diente, seinen geschworenen Eid heilig hielt, seine Eltern ehrte (die er während seiner Verfolgungen sorglich in Sicherheit brachte im Lande Moab), für den Gottesdienst eifrig war, dem Nächsten ehrlich das Seine ließ, der ragte schon eines ganzen Hauptes über alles Volk hervor an sittlicher Größe. Todtschlag, Ehebruch, das fiel David (später) schwer aufs Gewissen; aber in den vorhin berührten Fällen einer noch mangelhaften Wahrheitsstrenge war sein Auge noch nicht neutestamentlich geschärft; er sah darin lediglich eine eben so erlaubte Kriegslist, als wenn er bei Gelegenheit die Feindesschaaren in einen Hinterhalt lockte. Und eben die Aufnahme der hiebei entstandenen Psalmen unter die heiligen Schriften der damaligen Zeit bestätigt den Eindruck, den uns die Haltung des geschichtlichen Berichtes macht, daß nämlich die zarteren Forderungen einer nur in Christo möglichen sittlichen Schärfe damals noch völlig unberechtigt gewesen wären, daß sie vielmehr, wie noch manches andere, zu den Dingen gehören, welche einstweilen unter göttlicher Geduld übersehen wurden. So, auf seiner Stufe vor Gott wandelnd, so weit ihm dieser eben geoffenbart war, erscheint uns David denn auch in der übrigen kümmerlichen und drangsalsvollen Flüchtlingszeit. Unter Druck und Gefahren, wo mancher eben so kräftige Geist wohl hätte erliegen oder zum gewaltthätigen Unrecht greifen mögen, hält er leidend aus und bleibt dennoch ungebeugt, weil er die Geduld und den Muth immer neu erfrischen kann in dem Vertrauen auf seinen Gott und dessen Verheißungen. Daß er seinen erbitterten und selbst wortbrüchigen Verfolger nicht antasten will, dazu hätte der natürliche Edelmuth schwerlich ausgereicht; es hält ihn die heilige Scheu vor der Person des Königs, welcher doch ein - wenn auch abgewichener - Gesalbter des Herrn ist. Es flammt wohl die natürliche Heftigkeit und Leidenschaft bei ihm auf in dem lodernden Zorn über Nabals schnöde Antwort, aber Abigail trifft die rechte Stelle, wenn sie ihm ans Gewissen redet, daß er nicht dereinst als König eine Blutschuld darauf habe. Sogar für seine Wander- und Kriegszüge geht er nicht bloß mit seiner Klugheit zu Rathe, sondern läßt durch Abjathar den Herrn um sein ja oder nein fragen. Und bei der Nachricht von Sauls Tode sehen wir ihn entrüstet den Amalekiter sofort zum Tode verurtheilen, der sich einzuschmeicheln hoffte mit der Angabe, er habe den König getödtet, sehen ihn erschüttert durch das Gericht Gottes, das über Saul hereingebrochen, hören seine ergreifende Klage um den gefallenen Freund und den Gesalbten des Herrn. Aber nach der Krone streckt er auch dann nicht eigenmächtig oder ungeduldig die Hand aus; er geht nach Hebron erst nach einer ausdrücklichen Weisung durch den Mund des Herrn.

Wie er sich und seine Sache mit gehorsamem Glauben in Gottes Hand gelegt hat, das spiegelt sich denn auch in seinen Psalmen ab; verrathen, wie ein Wild gejagt bis in die Felsen der Steinböcke, und in der Höhle sich bergend hat er dem Herrn seine Noth geklagt (Ps. 54. 57) und ihn um seinen Schutz angerufen: „Hilf mir, Gott, durch deinen Namen, schaffe mir Recht durch deine Gewalt und sei mir gnädig, Gott sei mir gnädig, denn auf dich trauet meine Seele, und unter dem Schatten deiner Flügel nehme ich Zuflucht bis daß das Unglück vorübergehe. “ Und so tröstlich ist für ihn diese Zuflucht gewesen, so fest sein Vertrauen auf den Gott, der „Gebet höret“, daß er (wie auch schon in den frühern Psalmen) diese selben Lieder, die mit dringendem Hilferuf anheben, beschlossen hat mit Lob und Dank für die Errettung, die doch erst sein Glaube schaute und erfaßte: „Siehe, Gott stehet mir bei, der Herr erhält meine Seele. - Mein Herz ist bereit, Gott, mein Herz ist bereit, daß ich singe und lobe!“ Wenn er, hungrig vielleicht und ermattet und in die Zukunft wie in die einbrechende Nacht blickend, sich niedergelegt und gerufen: (Ps. 4) „Erhöre mich, wenn ich rufe, Gott meiner Gerechtigkeit, der du mich tröstest in Angst“ - so hat er doch getrost die Augen geschlossen, denn „du erfreuest mein Herz mehr, als wenn jene viel Korn und Most haben; ich liege und schlafe ganz mit Frieden, denn du allein, Herr, hilfst mir, daß ich sicher wohne. “ Und gegen die Verleumdungen seiner Feinde hat er Berufung eingelegt mit seinem guten Gewissen bei dem Gott, von dem er wußte (Ps. 11): „seine Augen sehen, seine Augenlider prüfen die Menschenkinder“ - und gesprochen: (Ps. 7) „Herr, habe ich solches gethan, ist Unrecht in meinen Händen, habe ich Böses vergolten denen, die friedlich mit mir lebten, oder die, so mir ohne Ursache feind waren, beschädigt, so verfolge der Feind meine Seele, und trete mein Leben zu Boden, und lege meine Ehre in den Staub. Stehe auf, Herr, in deinem Zorn wider die Wuth meiner Feinde, und wache auf zu mir, der du das Recht verordnet hast. “

Es ist eine erhabene Macht, eine unbezwingliche Gewalt des Glaubens, die in solchen Liedern von dem innern Leben dieses Mannes Zeugniß giebt; und eben so groß ist daneben der demüthige Ernst, womit er sich selber prüfend in das Licht der Augen Gottes stellt.

Wir sehen aus That und Wort, wie der ganze Mann mit seinem ganzen Leben durchleuchtet war von seinem frommen Sinne; der Krieg wird ihm zum Kampf um Gottes Ehre, Unglück und Unrecht zur Glaubensprüfung, das Lied zum Gebete. Dabei können wir nicht übersehen, daß hier ein Umstand noch von besonderem Einfluß gewesen, nämlich seine Salbung durch Samuel, deren Folgen je länger je deutlicher hervortreten. Fassen wir dieselben in einigen kurzen Sätzen zusammen. Erstlich waren von da an ganz Israels Augen auf David gerichtet; die Frommen, unter dem zwiefachen Joch Sauls und der Philister, sahen auf ihn als den gottgefälligen und rechten Gesalbten des Herrn mit Freude und Hoffnung, die Gottlosen aus demselben Grunde mit Haß und Schrecken; sodann hatte er von da an ganz besondere Verheißungen für seinen Glauben, ganz besondere Pflichten für seinen Gehorsam, und zu beidem Licht und Stärkung des Geistes Gottes, der über ihn gekommen war; er ward sich daher auch immer klarer seiner bedeutsamen Stellung bewußt als das Haupt, in welchem der gesammte bessere Theil des Volkes seine Einheit und seinen Ausdruck fand, zugleich als der sichtbare Träger und Vermittler der Verheißungen Gottes. Darauf fußt sein Gottvertrauen in besonderem Sinne, und von hier aus ist er erleuchtet und gehoben vom Geiste Gottes bis zur eigentlichen Weissagung über sein und seiner Feinde endliches Loos. In dieser Weise spinnen sich allmälig die Fäden an, die immer fester und enger werden bis der Königs- und Propheten-Mantel gewoben ist, der ihn von Hebron an bekleiden soll; der fromme Mann wird zum Mann Gottes - dann ist er äußerlich und innerlich gereift für seinen großen Beruf vor Gott.

Es ist ein gewaltiger Mann, auf den wir schließend noch einen letzten Blick werfen, ein Mann von seltener Größe, verschiedene Gaben in sich vereinend, deren jede einzeln genügt hätte, hin groß und berühmt zu machen; an Tapferkeit der erste Held, im Kriege der erste Feldherr seiner Zeit und das Haupt eines ganzen Ordens von Helden, bewährte er sich zugleich als ausgezeichneter Staatsmann von weitem und durchdringendem Blicke, von praktischem Talent für Einrichtung und Verwaltung des Staatswesens, von scharfer Menschen- und Geschäftskenntniß; denselben Mann lernen wir kennen als den größten Dichter seines Volks, lernen wir schätzen und lieben durch den Adel seiner Gesinnung, die Tiefe und Wärme seines Gemüths. Und was mehr ist als all dieses: dieser Mann war aufrichtig fromm; je mächtiger seine Persönlichkeit, je stärker seine Seele, je schärfer und heller sein Geist sich uns zeigt, um so größer erscheint er über das alles in seiner schlichten, ernsten, demüthigen Gottesfurcht, seinem Kindesund Heldenglauben. Ja, er hat auf gewaltigen Schultern sein Volk emporgehoben zu Kraft, Sitte und Bildung; aber was mehr ist als dieses: er hat es einen Schritt vorwärts geführt in seinem hohen Berufe, Gottes Volk zu sein.

Vorträge über die Propheten
Gehalten auf Veranstaltung eines christlichen Vereins
Vor Zuhörern aus allen Ständen
Basel
Bahnmaier’s Verlag
1862

1)
Und vielleicht war eben der Ausbruch des Kriegs Veranlassung zu der Heimkehr Davids gewesen; obschon er die Ehrenstelle eines königlichen Waffenträgers bekleidete, war er der Waffenführung unkundig, und als seine Brüder zum Heer mußten, war er zu Hause um so weniger entbehrlich. - Daß Saul sich nachgehends erkundigt, weß Sohn der Knabe sei, beweist zunächst nur, daß derselbe genauer nach dessen Familienverhältnissen gefragt habe, da er ihm nun seine Tochter geben sollte. Uebrigens wäre es auch sehr begreiflich, wenn der geistig-unruhige und von schweren Sorgen umdrängte König den Jüngling überhaupt nicht wieder erkannt hätte, als dieser nach einer Zeit der Abwesenheit in anderer Kleidung (und vielleicht auch mit verändertem Aussehen, vollerem Bartwuchs u. dgl. ) wieder vor ihm erschien.
2)
Es ist unbekannt, ob den Hiram persönliche Zuneigung bewogen habe, oder (vielleicht neben dieser) politische Rücksichten, vielleicht gegen die mächtigen und gefährlichen Philister.
3)
Wahrscheinlich auf dem Zion, da der Moria erst später zum Tempelberg wurde.
4)
Wenn es wirklich nur Verstellung war und nicht mehr oder minder wahrhaft ein temporäres Erliegen des Geistes in der furchtbaren Lage, was allerdings auch nicht geradezu undenkbar ist.
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