Müller, Heinrich - Die Geschichte der Leiden Jesu - 5. Die Kreuzigung Jesu.

Müller, Heinrich - Die Geschichte der Leiden Jesu - 5. Die Kreuzigung Jesu.

Es wurden aber auch hingeführt zween Andere - Uebelthäter -, daß sie mit ihm abgethan würden. Und da sie an die Stätte mit Namen Golgatha kamen, gaben sie ihm Myrrhen im Wein zu trinken - und da er es schmeckte, wollte ers nicht trinken, und nahms nicht zu sich. Allda kreuzigten sie ihn und mit ihm die zween Mörder, einen zur Rechten und einen zur Linken, Jesum aber mitten inne. Da ward die Schrift erfüllet, die da sagt: Er ist unter die Uebelthäter gerechnet. Und es war um die dritte Stunde, da sie ihn kreuzigten. Matth. 27, 33 - 38. Luk. 23, 32. 33. Mark. 15, 23-28. Joh. 19, 18.

Da sie auf Golgatha kamen, kreuzigten sie Jesum und erfülleten, was der Herr (Ps. 22, 17.) klaget: Sie haben meine Hände und Füße durchgraben; ich möchte alle meine Gebeine zählen; sie aber schauen und sehen ihre Lust an mir. Die Kreuzigung war eine schmähliche und schmerzliche Pein. Es ward Niemand mit dieser Pein beleget, als nur die leibeigenen Sklaven bei den Römern. So geringe und verächtlich wird Christus geachtet. Er hat am Kreuze sterben wollen, damit er erfüllte das Vorbild der erhöheten ehernen Schlange im Alten Testament (5 Mos. 8, 15. Joh. 3, 14.) und ein Fluch würde um unserer Sünden willen, wie geschrieben stehet: Verflucht ist, wer am Holze stirbt. 5 Mos. 21, 23. Gal. 3, 13. Tritt hinzu, mein Herz! und schaue deinen Jesum an, wie er am Kreuze hängt. Seine Hände hat er ausgespannt als der rechte Hohepriester, dich mit beiden Händen zu segnen. Er hat sie ausgespannt, dich damit zu umsahen, gleichwie ein guter Freund beide Arme ausstrecket gegen den nothleidenden Freund, daß er ihn aus der Grube errette, damit er nicht umkomme. Liebstes Herz, gieb dich hinein in die ausgespannten Arme Jesu und sage mit Augustin: In den Armen meines Heilandes will ich leben und sterben! Aus Jesu Händen soll und kann mich Niemand reißen! Er läßt sich seine Hände ans Kreuz nageln, daß er dich in dieselbigen zeichne als sein Erlöstes. Nun hast du den Trost, von dem Jesaj. 49, 14-16. stehet: Zion spricht: Der Herr hat mich verlassen. Der Herr hat mein vergessen. Kann auch ein Weib ihres Kindleins vergessen, daß sie sich nicht erbarme über den Sohn ihres Leibes? Und ob sie schon desselbigen vergäße, so will ich doch dein nicht vergessen; siehe, in die Hände habe ich dich gezeichnet. Er lässet seine Hände ans Kreuz nageln, daß du sollst versichert seyn, deines Heilandes Hänle seyen mit dir im Kreuze, seine Gnadenhand, daß sie dich tröste, seine Machthand, daß sie dich stärke und schütze. Er lässet seine Füße ans Kreuz nageln, anzudeuten, daß er im Kreuze wolle Fuß bei dir halten und nicht von dir weichen. Die Wunden, die er für dich empfangen, versichern dich seiner und seines Vaters Liebe; durch sie thust du einen Blick in Gottes Vaterherz und liesest darin die goldenen Worte: Also hat Gott die Welt geliebet, daß er seinen eingeborenen Sohn gab, auf daß Alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben. Joh. 3, 16. Diese offenen Wunden zeugen und rufen: Liebe, Liebe, Liebe! Liebe Gottes über uns Menschen! Nun, mein Herz! es stehen dir ja diese Wunden offen, so gieb dich auch hinein und seufze:

Ach, Jesu Christe, Gottes Sohn!
Der du für mich hast g'nug gethan,
Ach, schließ mich in die Wunden dein,
Du bist allein
Der ein'ge Trost und Helfer mein!

Sprich: Was soll mich scheiden von der Liebe Christi? Trübsal oder Angst? oder Verfolgung? oder Hunger? oder Blöße? oder Fährlichkeit? oder Schwert? In dem Allem überwinde ich weit um Deß willen, der mich geliebet hat. Ich bin gewiß, daß weder Tod noch Leben, weder Engel noch Fürstenthum, noch Gewalt, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes, noch keine andere Kreatur mag mich scheiden von der Liebe Gottes, die in Christo Jesu ist, unserem Herrn.

Sie kreuzigten mit Jesu zwei Uebelthäter und ihn, als ob er der größeste Uebelthäter wäre, mitten inne. Dadurch wurde angedeutet, daß er nunmehr bezahle für aller Menschen Sünden. Es soll kein Sünder in der Welt denken, er müsse in seinen Sünden verzagen, er habe keinen Theil an Christo. Ach, nein! alle Sünder, sie seyen gleich Mörder, Räuber, Ehebrecher und wie sie alle heißen, alle mit einander, so sie Buße thun, finden ihr Heil in den Wunden Jesu. Darum:

Fühlest du die Macht der Sünden,
Wie sie deine Seele binden.
Wie sie dein Gewissen quälen,
Wie der Jammer nicht zu zählen:
So komm mit deinen Ketten:
Wag' es nicht, dich selbst zu retten;
Sieh am Kreuze Jesum hängen,
Er muß deine Fesseln sprengen.

Sünder macht der Heiland selig,
Seine Gnaden sind unzählig;
Er giebt Buße, er giebt Glauben,
Hilft den Lahmen, Blinden, Tauben
Wer sich nur will retten lassen,
Der soll das Vertrauen fassen:
Gnade strömt aus Jesu Wunden,
Gnad' ist auch für mich gefunden.

Und oben zu seinem Haupte hefteten sie die Ursache seines Todes geschrieben. Pilatus nämlich schrieb eine Ueberschrift und setzte sie auf das Kreuz und war geschrieben: Jesus von Nazareth, der König der Juden. Diese Ueberschrift lasen viele Juden, denn die Stätte war nahe bei der Stadt, da Jesus gekreuziget ist. Und es war geschrieben auf ebräische, griechische und lateinische Sprache. Da sprachen die Hohenpriester der Juden zu Pilato: Schreibe nicht: Der Juden König! sondern daß er gesagt habe: Ich bin der Juden König! Pilatus antwortete: Was ich geschrieben habe, das hab' ich geschrieben. Matth. 27, 37. Luk. 23. 38. Mark. 15, 26. Joh. 19, 19-22.

Siehe, mein Herz! obgleich der Heiland mit Händen und Füßen ans Kreuz genagelt war, regierte er doch Pilati Hand und Feder, daß er die Wahrheit schreiben mußte auch wider seinen Willen. Er kann des Bileams Fluch in einen Segen verwandeln; was er will haben geehret, das kann kein Teufel schänden. Es war Alles wahr, was Pilatus schrieb: Jesus von Nazareth, der Juden König. So manches Wort, so mancher Edelstein in der Ehrenkrone Jesu. Muß also das, was Jesu zur Schmach seyn sollte, dazu dienen, daß er erhöhet würde. Ein jedes Wort ist tröstlich und Christo rühmlich. Jesus heißt ein Heiland. Es ist ja in keinem Andern Heil und ist auch kein anderer Name den Menschen gegeben, darinnen wir sollen selig werden, denn allein der Name Jesus. Apostelgesch. 4, 12. Nazareth hat den Namen von grünen Zweigen, und da war Jesus erzogen. Er war aber auch der grüne Zweig aus der Wurzel Jesse (Jesaj. 11, 1.) und der Mann Zemah, unter dem Alles wachsen sollte, der Baum des Lebens. Zachar. 6, 12. Ein König war er, von Ewigkeit geboren, auch in die Zeit gesetzt nach der Menschheit, über die christliche Kirche. Ein König der Juden, sowohl der Juden nach dem Fleisch, als auch der Juden nach dem Geist. Röm. 2, 28. 29. Ist lauter Ehre und Alles rühmlich und löblich. So findet ein Christ in der Schande Ehre, dagegen aber findet die Welt in der Ehre Schande. Die Juden konnten es nicht dahin bringen, daß die Ueberschrift geändert wurde; es mußte dabei bleiben, und es wird dabei bleiben in Ewigkeit: Jesus von Nazareth, der Juden König, auch unser König.

Es war aber die Ueberschrift in dreierlei Sprachen verfasset, in hebräischer wegen der Juden, in griechischer wegen der griechischen Heiden, in lateinischer wegen der Römer. Das erinnert, daß der Tod Jesu der ganzen Welt kund werden sollte. Es sollte aus allen Zungen und Geschlechtern Ein Reich, Eine Kirche gesammelt werden. Ein allgemeiner Heiland muß auch allen Heiden kund werden; so sorget Gott für uns. Jesu müssen sich die Kniee Aller beugen, die im Himmel und auf Erden und unter der Erden sind. Phil. 2, 10. Er muß herrschen, bis alle Feinde zum Schemel seiner Füße gelegt sind.

Herrsch' auch, Herr! in meinem Herzen
Ueber Lüste, Furcht und Schmerzen:
Laß dein Leben in mich fließen,
Laß mich dich im Geist genießen,
Ehren, fürchten, loben, lieben,
Und mich im Gehorsam üben,
Leiden hier mit dir im Streite,
Dort mitherrschen dir zur Seite.

Die Kriegsknechte aber, da sie Jesum gekreuziget hatten, nahmen seine Kleider und machten vier Theile. einem Jeglichen Kriegsknecht einen Theil, dazu auch den Rock. Der Rock aber war ungenähet, von oben an gewirket durch und durch. Da sprachen sie unter einander: Lasset uns den nicht zertheilen, sondern darum loosen. weh er seyn soll, au daß erfüllet würde die Schrift, die da sagt: Sie haben meine Kleider unter sich getheilet und über meinen Rock das Loos geworfen. Solches thaten die Kriegsknechte, und sie saßen allda und hüteten sein. Das Volk aber stund und sahe zu. Und die vorübergiengen, lästerten ihn und schüttelten ihre Köpfe und sprachen: Pfui dich, wie fein zerbrichst du den Tempel Gottes und bauest ihn in drei Tagen! Hilf dir nun selber: bist du Gottes Sohn, so steig herab vom Kreuz! - Deßgleichen auch die Hohenpriester spotteten sein sammt den Schriftgelehrten und Aeltesten und sprachen: Andern hat er geholfen und kann ihm selber nicht helfen. Ist er Christus, der Auserwählte Gottes, der König von Israel, so steige er vom Kreuz, daß wir sehen, so wollen wir ihm glauben. Er hat Gott vertrauet, der erlöse ihn nun, lüstet es ihn, denn er hat gesagt: Ich bin Gottes Sohn! Joh. 19. 23. 24. Matth. 27, 35-43. Mark. 15, 24-32. Luk. 23, 34-36.

Hier ist erfüllet, was der Herr klaget im 22. Psalm: Sie theilen meine Kleider unter sich und werfen das Loos um mein Gewand. Uns aber hat hier Christus das Ehrenkleid wieder erworben, daß wir uns schmücken können mit seiner Unschuld und Gerechtigkeit, daß wir können am jüngsten Tage angethan werden mit weißen Kleidern und Palmzweigen in den Händen. Offenb. 7, 9. Merke auch, wie die Kriegsknechte mit Christo hier gespielet, so spielet die Welt noch heutiges Tages mit Christo in seinen Gliedern. Nackend zieht sie ihn aus und bekleidet sich mit seinen Kleidern. Wie oft giebt ein gutes Herz zur Erhaltung von Kirchen und Schulen; wenn aber ein ungerechter Verwalter kommt, so reißet er dasselbe zu sich und läßt dem Heiland in seinen Gliedern Nichts, zeucht ihn nackend aus. Kirchenraub geschiehet noch täglich in der Welt. Wenn aber dir selbst es also gehet, so denke an Jesum. Du bist nicht besser, denn er. Laß fahren dahin, sie habens keinen Gewinn, das Reich Gottes muß dir doch bleiben. Sonderlich geht es im Kriege oft so; da kommen Pilati Kriegsknechte und theilen die Kleider unter sich, die armen Leute aber müssen nackend und bloß gehen.

Alles, was der Heiland litt, war ihrer Vielen noch nicht genug; sie spotteten seiner und lästerten ihn. So sind die Weltkinder noch immer verbittert auf die Tugend und verkehren nach ihrem verkehrten Sinn und Herzen, was recht und gut gethan und gesprochen worden. Auch der Teufel schießet noch feurige Angstpfeile in die Herzen der Angefochtenen. Wenn sie mit Christo am Kreuze hangen und von Jedermann verlassen sind, da will er ihnen das Vertrauen zu Gott aus dem Herzen reißen und bläset ihnen ein solche Gedanken: „Siehe, du hast dir eingebildet, du wärest ein Kind Gottes; ja wohl; wärest du Gottes Kind, so würdest du nicht so trost- und hülflos seyn. Woher kommt es denn, daß ein Unglück das andere drängt? Woher kommt es, daß du betest, seufzest, weinest, aber Alles vergeblich? Woher kommt es, daß du auf Hülfe hoffest, und die Hülfe bleibt aus? Wäre deine Einbildung nicht falsch, es käme anders.“ Das sind Anfechtungen, die dem Herzen sehr wehe thun. Wenn dir nun dergleichen Gedanken einfallen, so denke, sie kommen vom Teufel. Der Heiland Jesus mußte am Kreuze auch hören: Bist du Gottes Sohn, so steig herab! Ja, wenn mein eigen Herz dawider spricht, bin ich im Glauben, so bin ich Gottes Kind. Gott ist getreuer, als mein Herz, und regiert über mich in Gnade, ob mich gleich dasselbe verdammet. Auf den Gekreuzigten schau, da ist Trost für alle Noth Leibs und der Seele!

Bist du von Leid und Qual bedrängt,
Das laß dich nicht erschrecken;
Dein Herr ist mehr als du gekränkt,
Muß an das Kreuz sich strecken;
Es ist an seinem ganzen Leib,
Vom Haupt bis zu den Füßen,
Kein Theil, der unverwundet bleib,
Um deine Sünd' zu büßen.

Wenn dir die Ehr' gestohlen wird,
Dein Gutes bös vergolten.
Ist's doch nur eine leichte Bürd';
Dein Herr ward mehr gescholten;
Die Nägel waren spitzig g'nug,
Die ihm den Leib durchbohrten,
Doch ist der Hohn, den er ertrug,
Noch bitt'rer ihm geworden.

Macht dir zuletzt den ärgsten Schmerz
Der Stachel im Gewissen,
So zage nicht; nur sey dein Herz
Der wahren Reu' beflissen;
Der Zugang ist dir doch erlaubt
Zum ew'gen Freudenleben,
Weil Christus mit gesenktem Haupt
Den Geist hat aufgegeben.

Jesus aber sprach: Vater, vergieb ihnen, denn sie wissen nicht, was sie thun! Luk. 23, 34.

Hie beweiset er, daß er sey der Hohepriester neuen Testaments, denn er betet da für sein Volk. Da erfüllet er, was Jesajas (53, 11.) hat geweissaget: Er hat für die Uebelthäter gebeten. - Sein Gebet richtet er zu seinem Vater. Vater! sagt er; Gott hat ihn dahingegeben in der Sünder Hände; Gottes Barmherzigkeit hielte sich ja hart wider ihn, und dennoch klopfet er mit dem liebreichen Vaternamen an Gottes Herz: Vater, vergieb ihnen! Liebstes Herz, wenn Gott gleich im Kreuze sein Vaterherz vor dir verbirget, so sollst du doch an seiner väterlichen Güte nicht zweifeln. Er bleibet Vater, auch wenn er stäupet; sein Herz wird nicht verändert, ob sich gleich dein Zustand ändert. Mit dem Vaternamen sollst du in Gottes Herz dringen und ihm vorhalten sein Wort: Ich will euch annehmen und euer Vater seyn und ihr sollt meine Söhne und Töchter seyn. Jerem. 31, 1.

Veil du mein Gott und Vater bist,
Dein Kind du wirst verlassen nicht,
O väterliches Herz!
Ich bin ein armer Erdenkloß,
Auf Erden alles Trostes bloß.

Damit kann man Gott das Herz brechen und abgewinnen. Der Herr betet hier für seine Feinde und erfüllet, was er Matth. 5, 44. 45. selbst gelehret: Liebet eure Feinde, segnet, die euch fluchen, thut wohl Denen, die euch hassen, bittet für Die, so euch beleidigen, auf daß ihr Kinder seyd eures Vaters im Himmel! Christus bittet Gott, daß er seinen Feinden wolle die Sünde vergeben. Hier stehest du, mein Herz! was du deinen Feinden wünschen sollst, nicht Gottes Rache und Gericht, wie gemeiniglich geschieht, nicht den Tod und den Teufel, wie die Welt thut, sondern Vergebung. Ach, Gott! vergieb unsern Feinden, Verfolgern und Lästerern, vergieb ihnen! Was ist dir damit gedienet, wenn Gott deinen Feind zur Hölle verstößt? Du sollst billig Mitleiden mit ihm tragen. Wenn auch alle Menschen in der Welt zusammenträten, einen Verdammten zu beweinen, sie könnten ihn doch nicht genug betrauern, und du wünschest deinem Nächsten die Verdammniß, den Tod und Teufel! Wünsche ihm Vergebung, Gnade und Bekehrung, das ist besser. Der Heiland setzt die Ursache der Bitte hinzu: Denn sie wissen nicht, was sie thun. Sie wußten ja wohl, daß Christus unschuldig litte; Pilatus halte es nicht ein-, sondern mehrmal bezeuget. Dagegen erkannten sie freilich nicht, daß er sey Christus, der Sohn Gottes, der Herr der Herrlichkeit, und daß sie so große Sünde begiengen in seiner Kreuzigung. Noch weniger wußten sie, wie sie durch ihre Sünde dem Rath Gottes zu unserer Seligkeit dienten. Du aber lerne hier: Du sollst deinen Feind, der dich beleidiget, nicht beschuldigen vor Gott, sondern entschuldigen. Du sollst denken und sagen: Siehe, wer weiß, ob er es wissend oder unwissend gethan hat? Wer weiß, ob es ihm nicht leid ist? Die Liebe entschuldiget und kehret Alles zum Besten.

Am Kreuz es Jesu Sorge war,
Zu schützen, die ihn hassen:
Bat, daß sein Gott der bösen Schaar
Wollt' ihre Sünd' erlassen.
Vergieb, vergieb! Sprach er aus Lieb',
O Vater, ihnen allen: Sie wissen nun
Nicht, was sie thun,
In welchen Gräu'l sie fallen!

So lehret er, wie schön es sey,
Die lieben, die uns kränken,
Und ihnen ohne Heuchelei
All' ihre Fehler schenken.
Er zeigt zugleich,
Wie gnadenreich
Und fromm sey sein Gemüthe,
Daß auch sein Feind,
Der's böse meint,
Bei ihm nichts find', als Güte.

Es stund aber bei dem Kreuze Jesu seine Mutter und seiner Mutter Schwester, Maria, Kleophas Weib, und Maria Magdalena. Da nun Jesus seine Mutter sahe und den Jünger dabei stehen, den er lieb hatte, spricht er zu seiner Mutter: Weib, siehe, das ist de„ Sohn. Darnach spricht er zu dem Jünger: Siehe, das ist deine Mutter. Und von der Stunde an nahm sie der Jünger zu sich. Joh. 19, 25-27.

Die nächsten Freunde, die besten Liebhaber Christ! müssen am nächsten unter dem Kreuze stehen. Je näher Christo, je näher seinem Kreuze. Fromme Herzen haben allezeit ihren Becher voll eingeschenkt. Da schaue an Maria, die Mutter des Herrn. Wer wollte anders denken, als daß ihr das Herz geblutet habe, daß ihr ein Schwert durch die Seele gedrungen sey? Sie siehet ihr liebstes Kind, ihren liebsten Sohn, den sie unter ihrem Herzen getragen hat, am Kreuze hangen und darf ihn nicht anreden. Er klagt, sie darf ihn nicht trösten. Er ist verwundet, sie darf ihn nicht verbinden. Er schwimmt im Blute, sie darf ihn nicht abwischen. Er dürstet, sie darf ihn nicht laben, auch nicht mit einem Trunk Wassers. Dennoch aber stellet sie sich nicht ungebärdig, sondern trägt das Kreuz mit Geduld. Sie hat sich ohne Zweifel getröstet mit den Trostworten, die sie aus seinem Munde gehört. Ach, wie gar anders thun wir meistentheils! Kaum hat uns ein rauhes Kreuzlüftlein angewehet, kaum rührt uns eine Angst ans Herz, so fangen wir alsbald an, das Kreuz zu verwünschen; das macht, wir versehen uns nicht mit dem Worte göttlichen Trostes, Maria aber hatte den Trost Gottes im Herzen.

Bei Maria stund auch der Jünger Johannes und schämete sich des Kreuzes Christi nicht. Mein Herz, wenn es dir wohl gehet, so rühmen sich deiner die Freunde, gehet es dir aber übel, so schämen sich deiner Viele. Dennoch aber erwecket Gott oft ein Herz, das dir in der Noth beistehet, und sich deiner annimmt. Jesus sprach zu seiner Mutter: Weib, siehe, das ist dein Sohn! Er nennet sie nicht Mutter, sondern Weib, damit er nicht die Wunden vermehre in ihrem Herzen, und sie den Feinden nicht entdecke, auch darum, weil er ihr jetzt einen andern Sohn geben wollte. Maria, will er sagen, du bist ein verlassen Weib, doch siehe, diesen will ich dir zum Sohne geben, der soll dich trösten und schützen, halte dich nur zu ihm. Die Kirche ist, wie Maria, eine Einsame, eine Wittwe, über die alle Wetter gehen. Aber Gott sorgt dennoch für sie und giebt ihr einen Johannes, der für sie sorgt. Darnach spricht er zu dem Jünger: Siehe, das ist deine Mutter! Er will sagen: Nimm dich ihrer an und pflege sie, als wäre sie deine Mutter. Siehe, so sorgt Gott für die Verlassenen, so sorgt er für Wittwen und Waisen, für welche Niemand sorgen will. David sagt (Ps. 40, 18.): Ich bin arm und elend, aber der Herr sorget für mich. Vater und Mutter verlassen mich, aber der Herr nimmt mich auf. Ps. 27, 10. Ach, wie manche trostlose Wittwe hat der Heiland schon versorget! wie manches arme Waislein hat er schon gespeiset! Wie manches betrübte Herz hat er getröstet! Das thut er noch und thuts durch seine Freunde. Von der Stunde an nahm sie der Jünger zu sich. Wer Jesu Freund ist, nimmt sich der Wittwen und Waisen an und steht den Verlassenen bei. Ach, Herr Jesu, wenn ich auch elend werde und keine Hülfe mehr da ist, so gieb mir einen Johannes, der mich tröste und sich meiner annehme!

Der Herr spricht seine Mutter an,
Die bei Johanne stande,
Tröst't sie vom Kreuz, so gut er kann,
Mit seinem schwachen Munde:
Sieh hin, dein Sohn!
Weib, der wird schon
Mein Amt bei dir verwalten:
Und: Jünger, sieh,
Hier stehet, die
Du sollst als Mutter halten.

Ach, treues Herz, so sorgest du
Für alle deine Frommen,
Du wachst und suchest fleißig zu,
Wo sie in Trübsal kommen.
Trittst auch mit Rath
Und treuer That
Zu ihnen auf die Seiten:
Du bringst sie fort,
Giebst ihnen Ort
Und Raum bei guten Leuten.

Aber der Uebelthäter einer, die da gehenkt waren, lästerte ihn und sprach: Bist du Christus, so hilf dir selbst und uns! Da antwortete der andere, strafte ihn und sprach: Und du fürchtest dich auch nicht vor Gott, der du doch in gleicher Verdammniß bist? Und zwar wir sind billig darinnen, denn wir empfangen, was unsere Thaten. werth sind: dieser aber hat nichts Ungeschicktes gehandelt. Und sprach zu Jesu: Herr, gedenke an mich, wenn du in dein Reich kommst! Und Jesus sprach zu ihm: Wahrlich, ich sage dir, heute wirst du mit mir im Paradiese seyn. Luk. 23, 39-42.

Der Heiland hieng da in der Mitte zwischen den beiden Mördern, als wäre er der größeste Uebelthäter. Hier ist erfüllet, was Jesajas (53, 12.) geweissagt: Er ist unter die Uebelthäter gerechnet. Er trug auch die größten Uebelthaten, denn er hatte ja auf sich genommen die Uebelthat, die Sünde aller Menschen. Der eine Uebelthäter lästert den Herrn, der andere suchet Gnade bei ihm. Ist ein Bild des Reichs Christi. Da wird der Heiland Allen angeboten mit seinem Heil, aber der Eine nimmt ihn an, der Andere verwirft ihn. Ist ein Bild des jüngsten Tages. Da wird der Herr stehen in der Mitten, und zur Rechten wird er haben seine Schäflein, zur Linken die Böcke. Der eine Mörder that eine gar bewegliche Bitte an Christum. Es findet sich bei ihm Alles, was zur wahren Buße gehört. Bei ihm ist 1) Reue über die Sünde. Darum sagt er zu dem andern: „Und du fürchtest dich auch nicht vor Gott, der du doch in gleicher Verdammniß bist? Und zwar wir sind billig darinnen, denn wir empfahen, was unsere Thaten werth sind“, als wollte er sagen: Ich habe diesen Tod wohl verdienet; ich ängstige mich in meinem Herzen und in meiner Seelen; ich erschrecke vor des großen Gottes Gericht und Zorn. Wo nun die Furcht Gottes ist, da ist auch die göttliche Traurigkeit. 2) Findet sich bei ihm der Glaube und zwar ein Wunderglaube. Herr! sagt er, und siehet doch nur einen Menschen am Kreuze hangen, ärgert sich nicht an dem, den alles Volk lästert. Herr, gedenke meiner! sagt er, als wollte er sagen: „Ich verzage nicht, ob ich gleich ein Mörder und großer Sünder bin“, und siehet doch, daß er sterben soll; er trauet Jesu und hört doch, daß er selbst von Gott verlassen ist. Gedenke meiner, sagt er, wenn du in dein Reich kommst! und siehet doch weder Kron' noch Scepter, hält ihn für einen König, bittet ihn und sieht doch ihn selbst in der größten Marter. So scharfsichtig ist der Glaube; er bricht durch alle Nebel und Wolken in Jesu Herz und erkennet ihn. Solches Licht hatte der Geist Gottes in diesem Schächer angezündet. Bei seinem Glauben waren auch 3) die Früchte des Glaubens: das Gebet, er betet zu Christo; die Liebe, denn er straft seinen sündigen Bruder und hat Mitleiden mit Christo; die Geduld, denn er klaget nicht, sondern sagt: Wir sind billig darinnen. Gebet, Liebe und Geduld sind drei schöne Früchte des Glaubens. So verzage nun kein Sünder. Auch die größesten Sünder finden Erbarmung bei Gott. Es verzage Niemand. Wer spät kommt, wird auch eingelassen und aufgenommen. Der Heiland erhört das Gebet des Schächers und giebt mehr, als der Schächer bat. Der Schächer begehrte nur ein gnädiges Andenken, Christus aber versprach ihm das Paradies. Wahrlich, sagt er, ich sage dir: Heute wirst du mit mir im Paradiese seyn. Das ist billig ein großer Trost für alle armen Sünder. Keiner kann sich so grob versündigen, den der Herr nicht gerne wollte annehmen, wann er Buße thut. Weil der Heiland den Schächer so spät hat angenommen, so soll ein Christ nach der Liebe vom Nächsten allezeit eine gute Hoffnung haben, wer weiß, er kann sich bessern. Zwölf Stunden sind am Tage. Wer nicht kommt zur ersten, kann kommen zur zweiten, dritten; wer nicht kommt zur dritten, kann kommen zur sechsten; ja, es stehet noch bis zur zwölften die Gnadenthüre offen. Doch soll Niemand fürwitzig sich darauf verlassen. Nur Ein solches Exempel haben wir in Gottes Wort, das von dem armen Schächer. Ein Exempel, sage ich, damit nicht Viele sich darauf verlassen. Wenn Jemand Gift zu sich nähme und es würde ihm nicht schaden, da wirst du es ihm wohl nicht nachthun, du denkst: Mir könnte es schaden, denn es gehet nicht bei Allen an, was bei Einem ohne Schaden bleibt. Es ist freilich wahr: Wer erst zur zwölften Stunde kommt, den will Jesus auch annehmen; aber wer hat dich versichert, daß dir Gott zur zwölften Stunde die Gnade der Bußgedanken wolle geben? Gott pfleget aus gerechtem Gericht seine Gnade Denen zu entziehen, die sie zuvor verachtet haben. Der Heiland tröstet den Schächer: Heute wirst du mit mir im Paradiese seyn. Er verstehet unter dem Paradies nicht das irdische Paradies, wo Adam im Stande der Unschuld gelebt; dieses war längst durch das Wasser der Sündfluth verderbt; er nennt den Himmel ein Paradies, einen Lustgarten, weil er voller Wohlgefühl und Freude ist; denn da ist Freude die Fülle und liebliches Wesen zur Rechten Gottes immer und ewiglich. Sobald die Seelen der Gerechten aus dem Leibe gehen, fahren sie auf in das Paradies und werden getragen in Abrahams Schooß. Mein Herz, das soll dir einen Muth machen wider den Ted. Die Welt grämet sich, wenn der Tod kommt. Aber das kommt daher, sie weiß nicht, daß der Tod eine Wohlthat ist. Der Tod ist die Thüre zum Paradies, zum Himmel. Grauet dir vor dem Tode, so grauet dir auch vor dem Himmel. Das ist nicht anders, es wäre denn, daß du zur Hölle führest; hast du keine gute Hoffnung, so muß dir freilich grauen. Gute Hoffnung giebt Jesus seinen Gläubigen: Heute wirst du mit mir im Paradiese seyn! Wer diese Hoffnung hat, der seufzet mit Paulo: Ich habe Lust, abzuscheiden und bei Christo zu seyn! Wo wollte ein Kind lieber seyn, als im Schooße seiner Mutter? Wo wollte die Braut lieber seyn, als beim Bräutigam? das Schäflein lieber, als bei seinem Hirten? die gläubige Seele lieber, als bei ihrem Jesus? Hier sind wir wohl schon mit Gott vereiniget im Glauben, aber er verbirgt sich oft vor uns mit seiner Gnade, dort aber wird er uns stets tragen im Schooße und mit ewigem Wohlleben tränken.

Die dritte Red hast du gethan
Dem, der dich, Herr, gebeten:
Gedenk und nimm dich meiner an,
Wenn du nun wirst eintreten
In deinen Thron,
Und Ehr und Kron
Als Himmelsfürst aufsetzen!
Ich will gewiß
Im Paradies,
Sprachst du, dich heut ergötzen.

O süßes Wort, o Freudenstimm!
Wohl dem, der sie vernommen!
Laß nun den Tod mit großem Grimm
Von allen Seiten kommen,
Stürmt er daher,
Was kann er mehr,
Als Leib und Seele scheiden?
Indessen heb
Ich mich und schweb
Ins Paradies der Freuden.

Und es war um die sechste Stunde und es ward eine Finsterniß über das ganze Land bis an die neunte Stunde und die Sonne verlor ihren Schein. Und um die neunte Stunde rief Jesus laut und sprach: Eli, Eli, lama asabthani? Das ist: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? Und Etliche, die dabei stunden, da sie das höreten, sprachen: Siehe, er rufet dem Elias. Luk. 23, 44. Mark. 15, 34. 35.

Da unser Opferlamm also klagte, war die Noth seiner Seelen aufs Höchste gekommen. Die „Verlassung deutet dreierlei, erstlich die Zurechnung der Sünden. Christus hatte keine eigene Sünde. Gott aber hat ihn für uns zur Sünde gemacht und auf ihn aller Menschen Sünde gelegt. Darob fühlt er, wie die Sünde Gott und die Menschen von einander scheide. Vors Andere zeiget die Verlassung auf die Ruhung der göttlichen Natur in der menschlichen. So hat sich ja die Gottheit von der Menschheit nicht getrennet, denn die persönliche Vereinigung ist unauflöslich. Jesus ist immerdar im Besitz der ganzen Gottesfülle geblieben und bleibet darin in Ewigkeit. Aber sofern hatte da die Gottheit die Menschheit verlassen, daß sie nicht hat ihre Kraft beweisen wollen in Zurücktreibung der Todesschmerzen, die Jesus empfunden. Er sollte für uns die Bitterkeit des Todes schmecken. Vors Dritte bedeutet diese Verlassung die Empfindung höllischer Qual. Es hat da der Heiland dieselbe im höchsten Grade empfunden und dabei kein Tröpflein göttlichen Trosts in seiner heiligen Seele gehabt. Das ist uns zu gut geschehen, daß wir nicht ewig von Gott verlassen, sondern ihm versöhnt und liebe Kinder wären. Zwar dünket uns bisweilen, Gott sey ferne von uns, wenn wir seine Gnade nicht schmecken und keinen Trost fühlen. Da klagen wir mit Zion: Gott hat uns verlassen, Gott hat uns vergessen (Jesaj. 49, 14.). Aber wie ruft Jesus, da er sich verlassen fühlt? Er rief nicht: Ach Gott, ach Gott! sondern: Mein Gott, mein Gott! Du bist und bleibest doch mein Gott, es gehe mir, wie es will! Also sollen auch wir das Vertrauen zu Gott in keiner Noth fallen lassen; es soll immer heißen: Mein Gott, mein Gott! Wenn das Vertrauen bleibet, so tritt Gott endlich zu und läßt nach dem Ungewitter die Sonne wieder scheinen.

Der Schächer wird ja wohl mit Freud'
Auf Christi Wort erquicket ,
Er aber seufzet tief und schreit,
Weil Gott ihn nicht anblicket!
Eli, mein Gott!
Welch Angst und Noth
Muß ich, dein Kind, ausstehen!
Ich ruf und du
Schweigst still dazu,
Läss'st mich zu Grunde gehen!

Nimm dies zum Vorbild, frommes Herz,
Wenn Gott sich grausam stellet:
Schau, daß dein Muth in Angst und Schmerz
Nicht werde gar gefället:
Bleib stark und fest!
Der dich jetzt läßt.
Wird dich gar bald erretten.
Sey du nur treu
Und halt dabei
Stark an mit Flehn und Beten.

Darnach, da Jesus wußte, daß schon Alles vollbracht war, daß die Schrift erfüllet würde, spricht er: Mich dürstet! Da stand ein Gefäß voll Essig, und bald lief Einer unter ihnen, nahm einen Schwamm und füllete ihn mit Essig und steckte ihn auf ein Rohr von Ysopen und tränkete ihn. Die Andern aber sprachen: Halt, lasset sehen, ob Elias komme und ihn herabnehme. Joh. 19, 28. Matth. 27, 48. Mark. 15, 36.

Das fünfte Wort des Heilands ist: Mich dürstet! Er redet da einmal vom natürlichen Durst, welcher entstanden vom stetigen Blutflusse. Er hat sich ganz verblutet; demnach kam nachmals die Hitze und Dürre, wie er klagt im 22. Psalm: Meine Kräfte sind vertrocknet, wie eine Scherbe. Er redet aber auch vom geistlichen Durste, da ihn nach uns und unserer Seligkeit dürstet. Er trägt ein herzliches Verlangen darnach, daß wir im Glauben sein blutiges Opfer ergreifen zu unserem Heil. Armes Herz, deiner Sünden Durst hat dem Heiland diesen Durst verursacht. Wie oft hast du die Sünde, wie Wasser, in dich gezogen? Je mehr du sündigtest, je mehr wolltest du weiter sündigen. Dein Geld- und Welt-Durst hat hier den Heiland durstig gemacht. Wie oft hast du gerennt und gesonnen nach Geld und Welt? Je mehr du hattest, je mehr du haben wolltest. Durch seinen Durst hat dich der Heiland erlöst von dem ewigen Durst, daß du nicht mit dem reichen Schlemmer seufzen müssest in der Hölle nach einem Tröpflein Wasser, das du nimmer bekämest. Durch seinen Durst hat der Heiland in dir erwecken wollen einen Durst nach Gerechtigkeit. Er sagt: Selig sind, die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit, denn sie sollen satt werden. Einer der Kriegsknechte tränkte ihn. Womit, liebstes Herz, willst du Jesum tränken? Seinen Durst kannst du nicht besser stillen, als mit Bußthränen, daran erlabt er sich und labet dann dich wiederum. Er dürstet und ist doch die Quelle des Lebens, darum ruft er (Jesaj. 55, 1.): Kommet her Alle, die ihr durstig seyd, zum Wasser. Ach, deinen Jesus dürstet so herzlich nach dir, laß dich wiederum dürsten nach ihm. Seufze mit David: Wie ein Hirsch schreiet nach frischem Wasser, so schreiet meine Seele, Gott, zu dir; meine Seele dürstet nach Gott, nach dem lebendigen Gott. Wann werde ich dahin kommen, daß ich Gott von Angesicht schaue? Ps. 42.

Der Herr fährt fort, ruft laut und hell,
Klagt, wie ihn heftig dürste.
Mich dürstet! sprach der ew'ge Quell
Und edle Lebensfürste.
Was meint er hier?
Er zeiget dir,
Wie matt er sich getragen
An deiner Last,
Die du ihm hast
Gemacht in Sündentagen.

Er deutet auch den Seelen an,
Wie ihn so hoch verlange,
Daß dieß sein Kreuz bei Jedermann
Frucht bring' und wohl verfange.
Das merke wohl,
Wer kummervoll
Nach Heil und Gnade trachtet;
Er tränket dich.
Der blutend sich
Zu Tode hat geschmachtet.

Da Jesus den Essig genommen hatte, sprach er: Es ist vollbracht! Joh. 19. 30.

Gottlob, will der Heiland sagen, das schwerste Leiden ist überstanden, mein Werk und Leben vollendet! Der Tod ist die Vollbringung alles Uebels, die Vollendung des Werks, das uns der Vater hie gegeben hat. Fragest du, ob das Leben oder der Tod besser sey? ich antworte: Die Geburt ist des Jammers Anfang, der Tod des Jammers Ende. Wenn du auf deinem Todbett liegest und um dich stehen deine Kinder, deine Freunde, die dich beweinen, da fasse einen Muth und rede sie an und sprich: Meine Lieben, gönnet mir doch das Ende meines Jammers! Mein Jammer, Trübsal und Elend Wird kommen zu seligem End'! Gönnet mir die Ruhe. Der Kampf ist vollbracht, der Lauf vollendet; ich gehe zum Vater. Seufze zu deinem Vater: Hilf mir ritterlich ringen, Halt mich fest an deiner Hand, Daß ich fröhlich möge singen: Gottlob, es geht zum Vaterland. Daß du das könnest, hat Jesus Alles vollbracht, was zu deiner Erlösung noth war.

Als nun des Todes finst're Macht
Begann herein zu dringen,
Sprach Gottes Sohn: Es ist vollbracht!
Sprich: Was sollt' er vollbringen?
Das, was so klar
Die heil'ge Schaar
Der Väter und Propheten
Verkündigt schon,
Wie man den Sohn
Einst kreuz'gen würd' und tödten.

Ist's denn vollbracht, was willst du nun
Dich noch vergeblich plagen,
Als müßt der Mensch mit seinem Thun
Die Sündenschuld abtragen?
Es ist vollbracht,
Das nimm in Acht!
Du darfst hier nichts mehr geben,
Als daß du glaubst \ Und gläubig bleibst
In deinem ganzen Leben.

Und Jesus rief abermal laut und sprach: Vater, ich befehle meinen Geist in deine Hände! Und da er das gesagt, neigte er das Haupt und verschied. Matth. 27, 50. Luk. 23, 46.

Mit der Anrufung: Vater! hat der Heiland sein Kreuzesleiden angefangen, mit der Anrufung: Vater! endigt er es auch. Das Vaterherz Gottes ist doch der beste Trost in aller Noth. Gottes Hände sind Gottes Gnade, Treue und Liebe, Schutz und Macht; dahin giebt er seine Seele. Mein Herz, wenns mit dir zum Sterben kommt, so sorge nicht für den Leib, Gott wird den schon bewahren zur Auferstehung. Sorge nicht für deine Kinder, befiehl sie Gott, laß ihn sorgen, er sorgt für die jungen Raben. Sorge für deine Seele! Die ist dein bester Schatz, theuer erkauft durch Jesum selbst. Seinen Geist giebt Jesus in die Hände des Vaters. Thue auch also. Ach Vater, dir will ich meine Seele wieder geben, aus deinen Händen kann sie Niemand reißen. Der Gerechten Seelen sind in Gottes Hand und keine Qual rühret sie an. Kannst du nicht mehr reden, so seufze: Nimm, lieber Gott, mein letztes Seufzen an! Er nimmt es an. Das versichert dir der Tod Christi. Er neigte das Haupt und verschied. Das ist ein seliges Ende. Er neiget das Haupt, daß er gern und willig sterbe, gleich als wenn wir das Haupt neigen, wenn wir in Etwas willigen. Er neiget sein Haupt, anzudeuten, daß er sich zu uns neigen wolle in seiner Liebe. Er verschied. Das liebreiche Herz stehet still, die klaren Augen werden zugethan, das mildreiche Antlitz wird mit Todesblässe bedeckt. Mein Herz, du hast Ursach, am Kreuze Jesu zu weinen, deine Sünde hat ihm den Tod gebracht. Aber auch tröstlich soll dir sein Tod seyn. Er ist dir das Pfand seiner Liebe, denn Niemand hat größere Liebe, als daß er sein Leben lässet für die Freunde. Jesus hat sein Leben für dich gelassen. Er hat dem Tode die Macht genommen. Nun kannst du sagen: Tod, wo ist dein Stachel? Der Tod Christi hat dich vom ewigen Tode errettet. Die Strafe liegt auf ihm, daß wir Friede hätten. Du aber, mein Herz, sterbe täglich durch die Kraft des Todes Christi der Sünde ab und sage: Ich mag nicht mehr in den Sünden leben, die meinem Jesu Marter und Tod gebracht haben. Lebe Christo und sollst du endlich sterben, so neige das Haupt und sage: Ja, ja, wie Gott will, will ich auch.

Nun geht sein schweres Leid zu End',
Er ruft: Nimm meine Seele,
O Vater, auf in deine Händ',
Die ich dir jetzt befehle.
Nimm meinen Geist,
Der hin sich reißt,
Aus meinem kalten Herzen!
Und hiemit wird
Der große Hirt
Entbunden aller Schmerzen.

O gebe Gott, daß sich mein End'
Auch also möchte wenden.
Und ich den Geist in Gottes Händ'
Und treuen Schooß hinsenden!
Ach laß, mein Hort,
Dein letztes Wort Mein letztes Wort auch werden,
So werd' ich schön
Und selig geh'n
Zum Himmel von der Erden.

**Und siehe da, der Vorhang im Tempel zerriß in zwei Stücke von eben an bis unten aus. Und die Erde erbebte und die Felsen zerrissen und die Gräber thaten sich auf und stunden auf viel Leiber der Heiligen, die da schliefen, und giengen aus den Gräbern nach seiner Auferstehung und kamen in die Heilige Stadt und erschienen Vielen. Der Hauptmann aber, der dabei stund gegen ihm über, und die bei ihm waren und bewahrten Jesum, da sie sahen das Erdbeben und daß er mit solchem Geschrei verschied, erschrocken sie sehr und preiseten Gott und sprachen: Wahrlich, dieser ist ein frommer Mensch und Gottes Sohn gewesen! Das Volk aber, das dabei war und zusahe, da sie sahen, was da geschah, schlugen sie an ihre Brust und wandten wieder um. Es stunden aber alle seine Verwandten von ferne und die Weiber, die ihm aus Galiläa waren nachgefolget, und sahen das Alles: unter welchen war Maria Magdalena und Maria, des kleinen Jakobus und Joses Mutter, und Salome, die Mutter der Kinder Zebedäi, und viele Andere, die mit ihm hinauf gen Jerusalem gegangen waren. Die Juden aber, dieweil es der Rüsttag war, daß nicht die Leichname am Kreuze blieben den Sabbath über (denn desselbigen Sabbaths war groß), baten sie Pilatum, daß ihre Beine gebrochen und sie abgenommen würden. Da kamen die Kriegsknechte und brachen dem Ersten die Beine und dem Andern, der mit ihm gekreuzigt war. Als sie aber zu Jesu kamen, da sie sahen, daß er schon gestorben war, brachen sie ihm die Beine nicht, sondern der Kriegsknechte einer öffnete seine Seite mit einem Speer, und alsbald gieng Blut und Wasser heraus. Und der das gesehen hat, der hat es bezeuget, und sein Zeugniß ist wahr, und derselbige weiß, daß er die Wahrheit sagt, auf daß auch ihr glaubet. Denn Solches ist geschehen, daß die Schrift erfüllet würde: Ihr sollt ihm kein Bein zerbrechen. Und abermal spricht eine andere Schrift: Sie werden sehen, in welchen sie gestochen haben. Matth. 27, 51-56. Mark. 15, 38-41. Luk. 23. 45-49. Joh. 19. 31 ff.

Da Jesus aufgehört, zu reden, begann sein Vater, durch Zeichen zu reden. Der Vorhang im Tempel zerriß. Das hat bedeutet, daß nun das jüdische Schattenwesen aufgehoben sey. denn nunmehr war der Hohepriester des neuen Testaments in das Allerheiligste eingegangen und hatte durch sein Blut eine ewige Erlösung gebracht. Die Erde erbebte, und die Herzen erbebten gewiß auch und riefen: Sey uns gnädig! Das hat bedeutet den Zorn Gottes über die Sünde. Wenn du die Sünde bedenkst, so erschrecke und bebe und schaffe, daß du selig werdest mit Furcht und Zittern, und bete: Gott sey mir Sünder gnädig! Die Felsen zerrissen; hat bedeutet, daß die Steine müßten schreien, so der Menschen Mund schweiget und nicht von Christo redet. Die Gräber thaten sich auf und stunden auf viel Leiber der Heiligen; hat bedeutet, daß sein Tod sey unser Leben. Weil er, das Haupt, lebet, so sollen auch seine Glieder leben. Auch an den Herzen geschahen Wunder. Die Herzen Vieler, die da waren, vorher hart wie Felsen, erbebten und zerrissen, wie die Felsen. Der heidnische Hauptmann erschrack und bekannte: Dieser ist ein frommer Mensch und Gottes Sohn gewesen. Also bereitete der Vater dem Heiland das erste Lob aus dem Mund eines Heiden. Mein Herz, der schönste Klang, den man kann dir nachläuten, ist: Er ist ein frommer Mensch gewesen. Die beste Leichenpredigt: Er ist ein Kind Gottes gewesen. Auch die Juden, die da waren, schlugen an ihre Brust und kehreten wieder um; sie wurden andern Sinnes von Jesu, als sie zuvor waren; es kam die Reue in viele Herzen; war der Anfang ihrer Bekehrung, so nachmals auf die Predigt der Apostel erfolgte (Apostelgesch. 2, 41). Also bewegte der Geist des Herrn Juden und Heiden, anzudeuten, Juden und Heiden würden sich zu Jesu bekehren, er sey gesetzt zum Heil bis an der Welt Ende, ein Licht zu erleuchten die Heiden und zum Preis des Volkes Israel. Es sollte aus allen Geschlechtern der Menschen Eine Kirche Christi gesammelt werden und alle Zungen bekennen, daß Jesus, der Gekreuzigte, der Herr sey zur Ehre Gottes des Vaters und zum Heil aller Völker auf Erden.

Die Freunde Jesu, die auch zu seinem Kreuz gekommen waren, standen stille; ihnen war das Herz zu voll von Leid. Unter ihnen waren die zwei Marien und Salome. Maria heißt bitter. Mein Herz, unter dem Kreuz Jesu soll dir die Welt und Sünde bitter werden, dann wird dir Jesus süß und erquicket dich auch in der bittersten Trübsal und giebt Friede in aller Traurigkeit. Salome heißt die Befriedete. Willst du Friede, so suche ihn bei Jesu. Er heißt Friedefürst und hat Friede gemacht durch das Blut an seinem Kreuze. Das Blut Jesu Christi, des Sohnes Gottes, macht uns rein von aller Sünde. Glaubest du das, so hast du Friede. Die Freunde Jesu empfanden jetzt freilich keinen Frieden, aber Jesus brachte ihnen denselben, da er auferstand. Wenn er auch im Kreuz dir lässet die Sonne untergehen, verzage nicht! Er lässet das Ungewitter über dich gehen, aber zuletzt die Freudensonne über dir aufgehen. Bleib nur in seiner Liebe. Da sie sein Herz durchstachen, gieng Blut und Wasser heraus, das deutet auf die Taufe und das Abendmahl. In den heiligen Sakramenten thut dir Jesus das Herz auf, daß du könnest hineinsehen. Und was siehest du darin? Nichts Anderes, als die Worte: Mein Herz bricht mir, daß ich mich deiner erbarmen muß. Siehe, Mensch, wie lieb ich dich habe!

Gieb du dich Jesu wieder. Schleuß dein Herz der Welt zu und Jesu auf; Welt aus, Jesus ein.

Herzlich lieb hab ich dich, o Herr!
Ich bitt', sey fern mir nimmermehr
Mit deiner Lieb' und Gaben:
Die ganze Welt nicht freuet mich,
Nicht frage nach Himmel und Erden ich,
Wenn ich nur dich kann haben.
Und wenn mir gleich das Herze bricht,
So bist du doch meine Zuversicht,
Mein Heil und meiner Seelen Freud';
Der durch sein Blut mich hat befreit,
Herr Jesu Christ, mein Gott und Herr,
In Schanden laß mich nimmermehr.

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