Melanchthon, Philipp - Rede über die Einnahme und Plünderung der Stadt Rom.

Melanchthon, Philipp - Rede über die Einnahme und Plünderung der Stadt Rom.

gehalten 1527.

Obgleich ich wußte, daß die, welche an dieser Stätte, dem Gebrauch der Schule gemäß, Themata aus dem Gebiete der Dichtung behandeln, eine weit weniger schwierige Aufgabe übernehmen, als die, welche Gegenstande aus dem wirklichen Leben darstellen: so drängte mich doch nicht das Vertrauen auf meine innere Fähigkeit, deren Unbedeutendheit ich wohl kenne, sondern die Größe meines Schmerzes, daß ich nicht ein erdichtetes, aus irgend einem alten Trauerspiele entlehntes Thema, sondern eine Geschichte, die nur zu wahr ist, auf diesen Rednerstuhl brachte. Ich will nämlich von der schrecklichen Plünderung Roms sprechen, und das schimpfliche Loos einer Stadt beklagen, welche unter allen als Königinn und Gebieterinn da steht. Denn da Niemand so rauh und aller menschlichen Empfindung so entfremdet ist, daß ihn nicht das unwürdige Schicksal des Vaterlandes, das ihn gezeugt und erzogen hat, mit tiefem Schmerz erfüllen sollte, mit welcher Empfindung werden wir da die Zerstörung und Verwüstung der Stadt Rom vernehmen müssen, da diese einzige Stadt das gemeinsame Vaterland aller Völker in allen Ländern gewesen ist? Ich wenigstens fühle mich von dem unglücklichen Loose dieser Stadt wahrlich nicht weniger ergriffen, als mich das Unglück der Stadt selbst, welche mich bei meiner Geburt aufgenommen, erschüttern würde! Da es nun, unserm Gebrauche gemäß, an mir war, an dieser Stätte zu reden, konnt' ich, indem mein Gemüth so sehr von Schmerz eingenommen war, keinem andern Gegenstande meine Rede widmen. „Wo es schmerzt,“ heißt es, „da hat er die Hand.“ Weil mir daher unablässig vor Augen stand die Plünderung und der Brand jener Stadt, welche uns Gesetze, Religion und alle edlen Wissenschaften mitgetheilt hat, und von der mit Einem Worte wir Alle mehr Wohlthaten, als selbst von dem Vaterlande, in dem Jeder geboren worden, empfangen haben, drang mich die Größe meines Schmerzes, meine Klagen über das Schicksal Roms und über unsre gar traurigen Zeiten, zumal in dieser Versammlung, auszusprechen, vor so gelehrten Männern, welche es einsehen, wie viel dieser Stadt, aus welcher Wissenschaft und Humanität zu uns gebracht worden sind, alle Völker schuldig sind. Was aber Virgil über die Eroberung Troja's sagt:

„Wer vermöchte das Morden in selbiger Nacht, und das Würgen
Ganz zu schildern? Wer fände für jene so blutigen Kämpfe
Thränen genug?“

das könnt' ich mit weit größerem Rechte anwenden. Denn keine Beredtsamkeit ist groß genug, um die furchtbaren Gräuel jener Begebenheit gehörig darstellen oder ausdrücken zu können, welch' einen großen Verlust in Allem, was edel und trefflich ist, die Verwüstung dieser einzigen Stadt mit sich führt. Was ist je in einem Jahrhunderte Unwürdigeres vorgefallen, als, daß gerade das Heer, welches vom Kaiser in Italien zum Wohl aller Guten, zur Beschützung Roms, der Hauptstadt des Reichs, aufgestellt worden war, gerade diese Stadt gegen den Willen des trefflichsten Fürsten Karl, gegen die Gesetze der Kriegsdisciplin, gegen das Commando, gegen das Beispiel der Vorfahren mit verruchter Gewaltthätigkeit überfallen hat? Denn der Kaiser ist freizusprechen von der Schuld, da er, obgleich er aus gerechten Ursachen gegen den römischen Bischof aufgebracht ist, doch an einem solchen Ausgang des Siegs keineswegs Vergnügen findet. Auch ist es ja bekannt, daß er von Natur zur Milde und Mäßigung sich neigt, und von Grausamkeit weit entfernt ist. Und es ist außer Zweifel, daß er, wenn er sieht, wie seine Ahnen den Namen und Titel des Reichs von der Rettung Roms auf dieses Volk übergetragen haben, auf ihre Beispiele schauend, sich überzeugt, alle Schätze und Kräfte des Reichs auf die Beschützung und Erhaltung dieser Stadt verwenden, und Gewaltthätigkeit und Verwüstung von ihr abwenden zu müssen. Wenn er seine Ahnenbilder betrachtet, wie viele Männer kann er aufzählen, welche in den unruhvollsten Seiten die Stadt Rom von den größten Schrecknissen befreit haben, wie Viele, welche, ungeachtet sie in ihren eignen Ländern in die gefahrvollsten Kriege verwickelt waren, dennoch gleich als zur Vertheidigung des Vaterlands mit hoher Tapferkeit hingeeilt sind, weil sie in dieser einzigen Stadt das Wohl aller Nationen gefährdet glaubten. Dazu kommt, daß von keinem Regentenhause, wenn man sie auch alle aufzählen wollte, mehr milde, fromme Thaten aufgestellt werden mögen, als von dem östreichischen, und Karl ist seinen Ahnen so wenig unähnlich, daß er in eben dem Grade, in welchem er hinsichtlich des Umfangs und der Größe seines Reichs über allen Fürsten steht, auch alle an Milde der Gesinnung übertrifft. Denn welche mildere Handlung ist in der ganzen Geschichte zu lesen, als daß er jenen König, seinen erbittertsten Feind, der, dem Völkerrecht zuwider, einen Krieg erregt hatte, nachdem er im Treffen gefangen genommen worden, nicht nur unangetastet entlassen, sondern ihn auch aus Rücksicht auf ihre Verwandtschaft wieder in die Regierung eingesetzt hat? Eine solche milde, edle Handlungsweise vermag keine menschliche Stimme so dazustellen und zu rühmen, wie sie es verdient.

Daher ist in großer Täuschung befangen, wer einen solchen Charakter eines so großen Jähzorns für fähig halt, als ob er irgend eine, wenn auch noch so große Beleidigung auf diese Weise habe, rächen wollen, Gewiß, er würde, wie sehr er auch gezürnt, seinen eignen, besondern Schmerz, entweder zu Gunsten der Stadt selbst, von der er den Titel seiner Herrschaft führt, oder um so vieler heiliger Altäre willen, oder zum Vortheile anderer Völker, welche ihre Staaten ohne den Einfluß dieser Stadt nicht behaupten können, unterdrückt haben, wäre es ihm möglich gewesen, diesen so plötzlich und ganz unerwartet eingetretenen Vorfall durch seine Gegenwart zu leiten und zu regieren. Darum soll der Kaiser in dieser Rede durchaus nicht angeklagt werden, da er zur Sicherung der öffentlichen Ruhe in Italien ein Heer gehabt hat, nicht aber, um Raub zu üben, nicht um die Hauptstadt des Reichs zu verwüsten, nicht um die Tempel zu entweihen, nicht um die Bibliotheken zu plündern, nicht um die Geistlichen zu erwürgen, nicht um Jungfrauen und ehrbare Hausfrauen fort zu schleppen! Während nun der Kaiser wollte, daß Alles dieses durch den Schutz seiner Waffen und seines Heeres gesichert sein sollte, hat das Heer, wie es anderwärts oft geschah, ganz gegen die Kriegsdisciplin, gegen den dem Kaiser zugesagten Gehorsam, durch Habsucht zur Plünderung dieser so reichen Stadt, welche es ohne Besatzung wußte, verlockt, alles göttliche und menschliche Recht verletzt. Aber diese Räuber, welche gegen den Befehl des Kaisers, ohne rechtmäßige Führer, in die Stadt Rom gedrungen sind, klage ich mit vollem Rechte an. Und gesetzt auch, sie hätten gerechte Ursache gehabt, in Rom einzudringen, so ist's doch Empörung, auf Jemand ohne rechtmäßigen Befehl einen Angriff machen. Ist aber wohl Etwas der Kriegsordnung so sehr entgegen gesetzt, als Empörung, da nur aus dem einzigen Grunde nach dem Völkerrechte Kriege geführt werden, um denjenigen, welche aufrührerischer Weise, ohne Berechtigung der Obrigkeit, die Waffen ergreifen, Einhalt zu thun? Darum, weil sie gegen den Befehl des Kaisers die Stadt eingenommen haben, verdienen sie gar nicht, Krieger zu heißen, sondern sind, da sie das gemeinschaftliche Völkerrecht gebrochen haben, als Feinde des Reichs nicht nur, sondern auch der ganzen menschlichen Gesellschaft zu betrachten. Es haben bei den Römern mehrere Feldherren, einige gegen ihre Söhne, andere gegen die vornehmsten Bürger das Todesurtheil ausgesprochen, weil sie dem Befehle des Feldherrn entgegen, von ihren rechtmäßigen Feinden herausgefordert, gegen dieselben gekämpft hatten, und die Disciplin war so streng, daß für einen Feind galt, wer der Feldherrnverordnung zuwider das Schwert gezogen! Mit wie viel größerem Rechte müssen wir jene Karier1) als Feinde betrachten, welche, ohne dazu befehligt zu fein, unerhörte Grausamkeit gegen Wehrlose verübt haben! Aber aus welchem Grunde ist denn eigentlich gegen die Stadt gewüthet worden? Weil sie dem habsüchtigen, grausamen Heere kein Geld gezahlt hat! Welchen andern Grund bringt der Räuber vor, warum er den Wanderer ermordet? Vor alten Zeiten führte einst ein sehr gerechter Zorn die Gallier vor Rom; denn ein römischer Legat hatte, dem Völkerrechte zuwider, gegen sie gekämpft. Dieses Raubgesindel hatte keinen andern Vorwand, als daß ihm das Geld nicht sei gegeben worden, welches es gefordert. Nicht etwa darum also ist die Stadt angegriffen worden, weil der Papst in ungünstiger Stimmung gegen den Kaiser gewesen wäre, weil er die Franken und Venetier begünstigt hätte. Nichts ist zu Gunsten Karls unternommen worden. Habsucht und Hoffnung auf reiche Beute haben sie angetrieben, daß sie über den Apennin gegangen, und in den größten Eilmärschen auf die Stadt losgestürzt sind. Weder mehrtägiger Mangel an Nahrung, noch der Feind im Rücken und zu beiden Seiten hat ihren Marsch aufgehalten, so sehr hatte Alle die Begierde nach Beute entflammt! Wenn das als ein gerechter Grund zu einem Angriffe angesehen werden kann, so sehe ich nicht ein, warum die Begierde nach Beute nicht alle Straßenräuber entschuldigt! Wenn das als eine gerechte Ursache, Krieg zu beginnen, in den Staaten gilt, so steht Nichts mehr im Wege, daß in den Städten Jeder, der nur Lust hat, in die Wohnungen der Reichen einfällt, wofern man annehmen muß, daß das Recht durch die Beute bedingt ist.

Aber ich will keine tiefe Untersuchung über diese Angelegenheit pflegen, und eben so wenig den Papst in Schutz nehmen, auf welchen die Schuld geschoben wird. Mußte man denn bei dem Siege nicht Mäßigung brauchen? Mußte man denn nicht einen Unterschied zwischen heiligen und gemeinen Gegenständen machen? Wer ist jemals ein so grausamer Sieger selbst bei den Heiden gewesen, der nicht die Tempel verschont hatte? Augustin schreibt, die Gothen, als sie Rom erobert, hätten nicht nur die christlichen Gotteshäuser verschont, sondern auch den in dieselben Geflohenen das Leben geschenkt. So groß war die Ehrfurcht gegen das Christenthum bei jenen Barbaren, welche die christliche Wahrheit nicht kannten, nur den Namen Christen gehört hatten! Jene Gottesschänder hingegen, welchen Altar, welche Kapelle haben sie unangetastet gelassen? Haben wir es doch gehört, daß nicht nur alle Kirchen beraubt, und die kostbaren Denkmäler heiliger Männer nebst den zum allgemeinen Vortheil von ganz Italien dort verborgenen Schätzen geraubt, sondern auch durch Blutvergießen und andere Gräuelthaten entweiht worden sind! Sie haben spottweise heilige Gesänge dabei gesungen! Auf diese Weist ist der christlichen Religion alle erdenkliche Schmach angethan worden. Was thun die Türken Anderes, wenn sie eine Stadt erobert? O wie wahr ist der Ausspruch des Dichters, wenn er sagt: „Nichts ist sicher und heilig dem Manne des Krieges.“ -

Dieser Ausspruch kann, wenn irgend einmal, vorzüglich jetzt angewendet werden. Denn niemals zuvor ward in eroberten Städten das Heilige auf ähnliche Weise befleckt und entweiht. Man hat nie zuvor am deutschen Krieger die Habsucht gerügt; nie hat er eine ähnliche Verachtung göttlicher und menschlicher Dinge gezeigt, sondern wie er bisher überhaupt genügsamer und enthaltsamer, als die Krieger anderer Nationen gewesen, so hat er namentlich stets mit besonderer Religiosität das Heilige verschont. Aber, o großer Gott, wie unähnlich ist dieß Heer unsern Vorfahren! Wie weit ist es von der Mäßigung der Alten abgeartet! Unsre Vorfahren wünschten nichts, außer den Ruhm des Sieges heimzubringen. Deßhalb beraubten sie keinen Einzelnen seiner Habe; geschweige, daß sie an heiligen Dingen sich hätten vergreifen sollen! Man hat ja auch die Beispiele von Enthaltsamkeit gar nicht weit herzuholen. Wer hat gehört, daß im ganzen venetianischen Kriege vom Heere Maximilians eine Stadt geplündert worden! Gewiß Keiner! Und Maximilian selbst, wie gelind er auch in der Bestrafung von Verbrechen war, ahndete doch die Habsucht der Krieger mit äußerster Strenge. Denn als in jenem Kriege nach der Eroberung von Vincenz Einige gegen seinen Befehl in die Wohnungen einiger Bürger eingefallen waren, um Beute zu machen, so ließ er jene ganze Schar auf der Stelle festnehmen, und mehr als Zweihunderten die Köpfe abschlagen, um durch dieses Beispiel zu zeigen, daß dem Sieger gegen den Besiegten nicht Alles erlaubt sei.

Hier, Kaiser Karl, hast du ein Beispiel deiner Ahnen, wie du über das Heer urtheilen mußt, welches durch Habsucht geschändet, alles göttliche und menschliche Recht verletzt hat. Ich weiß nicht, ob nicht unsern Leuten die Berührung mit den Spaniern schade. Diese haben, wie ich fürchte, Lehrer einer neuen Zucht! Von diesen lernen sie, wie von Vorfechtern, Habsucht und Grausamkeit! Aber Bibliotheken zu plündern, ist nicht minder ruchloser Frevel am Heiligen, als Tempelraub. Denn sind die goldenen Gefäße, deren wir uns bei den heiligen Handlungen bedienen, nicht unter die heiligen oder göttlichen Dinge zu rechnen? Und sind dahin nicht auch die Bücher zu rechnen, welche die himmlischen Offenbarungen, welche die Religionslehre, und andre hohe, von der Gottheit der Menschheit mitgetheilte Wissenschaften enthalten? Nirgends aber gibt es reichere Bibliotheken, als in Rom gewesen sind. Dorthin sind Schriftsteller jeder Gattung von der ganzen Erde mit großen Opfern wackrer Päpste versammelt worden. Dorthin hat man sogar vor Kurzem nach Alles gebracht, was sich in ganz Griechenland von literarischen Schätzen noch vorgefunden. Diese Denkmäler nun, welchen man eine ewige Dauer sichern wollte, sind, wie man sagt, durch die Wuth der Soldaten zum Theil verstümmelt worden, und nur zu wahrscheinlich ist, daß der unheilvolle Brand, indem er fessellos sich durch die Straßen gewälzt, auch die Bibliotheken ergriffen hat! O ein Verlust, den kein Jahrhundert je ersetzen kann! Wie viele Werke, die zur Aufhellung unserer Religion dienen, und nirgends weiter zu finden sind, wie viele, Schriftsteller in andern edlen Wissenschaften mögen da verloren gegangen sein! Wem möcht' es nicht schmerzlich wehe thun, wenn die Anstrengungen so vieler Jahrhunderte, wenn so viele, von gelehrten Männern zum Heil der Nachwelt unter mühsamem Fleiß durchwachte Nächte ein solches Loos gehabt haben! Der Verlust kunstreicher und geschmackvoller Bildsäulen oder Gemälde von großen Männern, welchen wir, sei es wegen ihres künstlerischen Werthes, oder wegen der Erinnerung an die, welche sie darstellen, wo möglich eine ewige Dauer wünschen möchten, ist uns sehr schmerzlich. Um wie viel schmerzlicher müssen wir den Untergang so vieler großer Geister empfinden, welche wir nicht nur wegen der Schönheit ihrer Schriften bewundern, sondern auch wegen ihres hohen Nutzens lieben und schätzen! Denn ohne die Kenntniß der edlen Wissenschaften und ohne Bücher kann kein Staat aufrecht erhalten werden. Wenn daher die Waffen zum Schutze aller Künste des Friedens geführt werden sollen, seht, wie schändlich hat da jenes Raubgesindel gehandelt, welches das, was vornehmlich mit den Waffen geschützt und vertheidigt werden mußte, in einem neuen, unerhörten Wahnsinn zersplittert und zerstört hat. Stets haben gute Feldherrn befohlen, daß in den eroberten Städten Bibliotheken gleichen Schutz, wie Tempel, heilige Symbole, Altäre erhalten sollen: Jene haben, ich muß glauben aus Haß gegen die christliche Religion, sich nicht gescheut, dieselben mit verruchter Hand zu zerfleischen und zu verderben! Es liegt aber am Tage, welchen Verlust das Gemeinwesen an jenen zerstreuten Bibliotheken erlitten hat, die man in kirchlichen Streitigkeiten gleich als Orakel zu befragen pflegte; nach welchen die Gesetzbücher, und überhaupt alle wissenschaftlichen Werke verbessert wurden. Es kann aber ohne Verbesserung der Wissenschaften und wissenschaftlicher Werke das wissenschaftliche Streben nicht blühen. Und ist dieses erloschen, welche Barbarei, welche Religionsverwirrung, welche politischen Zerrüttungen müssen dann bei allen Völkern eintreten! So berührt denn dieses Unglück nicht diese einzige Stadt nur, sondern alle Völker, welche ohne die römischen Bibliotheken weder die Religion, noch wissenschaftliches Leben aufrecht erhalten können. Doch es wird gewiß nicht ungestraft jenen Räubern hingehen, so viele Schandthaten bei der Einnahme dieser Stadt begangen zu haben. Das sieht Gott, der Beobachter und Richter aller menschlichen Anschläge und Thaten. Dieser wird die den Tempeln, Büchern und ähnlichen Denkmalern der Religion zugefügte Schmach eben so rächen, wie er den assyrischen König bestraft hat, welcher die heiligen Gefäße aus Jerusalem weggeführt und entweiht hatte. Auch scheint die Stimme eines gewissen Baptista, von dem man erzählt, daß er in Rom sowohl den Bürgern vor ihrem unglücklichen Schicksale, als auch nachher den Siegern Drohungen verkündigt habe, nicht ohne den Wink des Himmels ergangen zu sein. Denn Ihr habt vermuthlich gelesen, jener Baptista habe verkündigt, es werde geschehen, daß sie in Kurzem den allenthalben zusammengerafften Raub wieder ausspeien würden. Denn Gott kann Verachtung seines Wesens, Uebermuth im Glück, und Grausamkeit gegen Hilflose nicht lange ertragen. Ich vermag es hier gar nicht, zu sagen, wie grausam Jene in der ganzen Stadt gewürgt und gemordet haben. Auch mag ich gar nicht die aus den Umarmungen ihrer Aeltern fortgeschleppten Jungfrauen, nicht die ihren Gatten entrissenen, ehrbaren Frauen, nicht die hingeschlachteten Greise und Priester erwähnen! Denn wie unbeschreiblich die Zügellosigkeit jener frechen Menschen in der Stadt gewesen, kann man daraus beurtheilen, daß das Heer zwölf Tage lang gar nicht unter gewöhnlicher Kriegszucht und Befehligung gestanden hat. In einem solchen mehrtägigen, gesetzlosen Zustande würde auch die übrigens ruhige Stadt allen Uebelthaten des städtischen Pöbels ausgesetzt gewesen sein. Eine wie weit schrecklichere Behandlung mußte sie erst von Bewaffneten, von ihren Siegern erfahren! Denn es ist sehr wahr, was im Euripides ein gewisser König sagt: „Der gesetzlose Zustand eines Heeres sei furchtbarer als jede Feuersbrunst!“ Nirgends haben wir gehört oder gelesen, daß in einer eroberten Stadt das siegreiche Heer einer solchen ungezügelten Willkür überlassen gewesen, daß es so viele Tage lang von keiner Obrigkeit geleitet oder im Zaum gehalten worden wäre.

Wir wissen, daß Rom auch vorher eingenommen worden, zuerst von den Galliern, und viele Jahrhunderte hernach von den Gothen. Aber weit schwereres Ungemach scheint es dieß Mal erfahren zu haben. Denn die Gallier wütheten nur gegen die verlassenen Gebäude. Die Bürger hatten sich theils auf das Capitolium zurück gezogen, zum Theil waren sie zu den Vejern geflohen, wo sie der Gelegenheit zu einem glücklichen Unternehmen entgegen sahen. Rom verlor weder seine Burg, noch die Herrschaft und Obrigkeit, weder seine Heiligthümer, noch seine übrigen Zierden. Von den Gothen aber lesen wir, daß sie, obgleich sie durch langwierige Belagerung heftig erzürnt waren, dennoch ihren Zorn im Siege so gemäßigt haben, daß sogar eine Verordnung erging, derer zu schonen, welche sich in die Kirchen der Christen geflüchtet hatten, und bei der Plünderung kein Blut, zu vergießen. In unserer Zeit aber haben die Sieger, weit entfernt, das Heilige zu verschonen, vielmehr nirgends gieriger geraubt. In der ganzen Stadt sind unglückliche Bürger ermordet, ein großer Theil der Stadt ist durch Feuer verheert worden; die daselbst blühenden, wissenschaftlichen Anstalten jeder Art sind, durch die Waffen erschreckt, verstummt. Ja auch das-, was, wenn es geblieben wäre, die zertrümmerte Stadt hätte wieder erneuern können, ist vernichtet, worden, nämlich die alte bürgerliche Ordnung, Gesetze und Rechtspflege.

Mit mehrerem Recht möchte man also jenen Tag, den 6. Mai (denn an diesem Tage des vergangenen Jahres ist Rom eingenommen worden), unter die unglückseligen zahlen, als den allischen,2) und ich fürchte, es wird die, Nachwelt diesen Tag weit mehr, als irgend einen andern, als den allischen für Rom betrachten können. Denn von diesem so großen Unglück wird diese Stadt nicht leicht, sich erholen. Sieh' aber, wie ganz verschieden die That dieses Heeres von den Beispielen der alten germanischen Vorfahren ist! Karl der Erste (der Große) hat durch die Vertreibung der Langobarden die Verwüstung von Rom und Italien abgewendet. Otto der Erste hat sie von der Tyrannei des Berengar befreit. Und mit welcher Klugheit hat, um Vieles nicht zu erwähnen, der tapferste und weiseste Fürst, Maximilian, dein Großvater, Kaiser Karl, den Frankenkönig, der von Haß gegen den Papst Julius entbrannt, ein gewaltiges, tapferes Heer gegen die Stadt führte, von Ravenna an, wo er in einer furchtbaren Schlacht das päpstliche Heer überwunden und in die Flucht geschlagen hatte, bis an die - äußere Küste Frankreichs, nach Belgien zurück gezogen, damit Rom nicht etwa von dem erzürnten Sieger ein trauriges Schicksal erführe! Jetzt aber, o welch' eine tief gesunkene Zeit! hat gerade das Heer, welches der Kaiser zum Schutz für ganz Italien verordnet hatte, in der Hauptstadt von ganz Italien, ja der ganzen Erde, eine unerhörte Grausamkeit verübt! Weder die Beispiele ihrer deutschen Verfahren, noch das Ansehen der Stadt, noch die unermeßlichen Wohlthaten, welche dieselbe über alle Nationen verbreitet hat, vermochten sie zu Schonung und Erbarmen zu bewegen.

Wer müßte es nicht schmerzlich beklagen, daß die Stadt so gräulich verunstaltet worden, welche einst, wie Virgil sagt: „das schönste unter den irdischen Dingen“ gewesen, welche allein mehr Beispiele der Tugend, als alle andern Städte aller Orten aufgestellt hat, welche uns Gesetze, Wissenschaften, Humanität und alle edlen Künste, ja welche uns überhaupt Alles gegeben hat, was zu einem seinen Leben gehört, also, daß man diese Stadt zu allen Zeiten als die gemeinsame Vaterstadt aller Nationen verehrt hat! Hätte nicht um so vieler Verdienste willen Rom verschont werden müssen, auch wenn der Papst sich Etwas hätte zu Schulden kommen lassen? Und das wüthige Heer rächt jetzt die Vergehung des Papsts durch frevelhaftes Morden in der Vaterstadt, indem es die verruchten Hände an die Stadt legt, welche uns Allen als Vaterstadt gelten muß! Denn Jeder von uns hat weit mehr Wohlthaten von ihr erhalten, als von der Stätte, welche bei seiner Geburt ihn aufnahm. Vor diese Stadt sind alle Streitigkeiten aller Völker gebracht worden. Sie war gleichsam immer auf dem Wachtposten, um die Religion zu bewahren. Stets ist sie die Wohnstätte der gelehrtesten Männer gewesen. Sie hat alle edle Künste und Wissenschaften, als dieselben aus Griechenland verbannt worden, gastlich aufgenommen! In ihr sind vor Kurzem alle Zweige der Wissenschaft gleichsam wiedergeboren worden. Von dort aus sind sie in alle Länder verpflanzt worden, gleich wie einst von Triptolem das Gesäme der Früchte auf dem ganzen Erdboden ausgestreut ward. O der undankbaren Menschen, welche, wenn sie diese Wohlthaten erkennen, einer so hoch verdienten Stadt keinen Dank schuldig zu sein meinen! O der Unsinnigen, wenn sie dieselben nicht erkennen!

Einige stellen die Fehler und Nachtheile, welche von dort her zu andern Völkern gekommen, gehässig zusammen. So handelt der Schlaukopf, daß er nicht gern an das erinnert sein will, was er vergessen wissen möchte! Weit humaner wäre es gewesen, die Vortheile anzuerkennen, und um so vieler Wohlthaten willen die Nachtheile zu vergessen, welche man, welcher Art sie auch sein mögen, wenigstens durch solche Mittel nicht verbessern wird. Niemand zweifelt, daß der, welcher dem Vater, wenn er irgend eine Albernheit begangen, die Augen ausstäche, oder die Hand abhackte, ein Vatermörder wäre. Und was ist es denn Anderes, als ein Vatermord, wenn am Vaterlande, wer mag wissen, wegen welches Vergehens, eine so schreckliche Strafe vollzogen wird? Nicht nur das Loos der Stadt schmerzt mich, sondern auch das anderer Völker. Denn dieses Schicksal Roms wird, wie ich fürchte, einen großen Verlust an den edelsten Gütern bei allen Nationen herbei führen, wofern nicht Gott, nach seiner hohen Güte, sich unsrer annehmen, und Mittel gegen die drohenden Uebel uns zeigen wird. Ich glaube, daß auch Euch sowohl der Untergang der berühmtesten Stadt schmerzt, als auch die Furcht vor den drohenden Uebeln erschüttert. Denn obgleich Rom von Allen als Vaterstadt in Ehren gehalten werden sollte, so muß dieses doch vornehmlich von uns geschehen, die wir uns der Sprache desselben bedienen, und mehr Wohlthaten, als die große Menge, von ihm empfangen haben. Das Recht haben wir mit der Menge gemein, nicht aber die Wissenschaften und Künste, welche hoch über allen menschlichen Dingen stehen. Ihr nun, die Ihr wahre Quinten seid, erwägt, so oft Ihr an diese unglückliche, jammervolle Plünderung denkt, die Ansprüche, die in einer solchen Zeit an Euch ergehen! Ein großer Theil der Menge lacht böslich bei fremdem Mißgeschick, und triumphirt, als sei Alles so recht gekommen. Von der Denkart solcher Leute sollen wir weit entfernt sein; denn sie wissen es nicht, was sie jener Stadt zu verdanken haben, oder welchen Verlust das Gemeinwesen durch ihren Fall erlitten hat. Da ferner bei diesem unglücklichen Schicksale Roms auch die Wissenschaften scheinen gefährdet worden zu sein, so widmet Euch, wie es guten Bürgern geziemt, denselben um so eifriger; denn retten wir diese, dann darf man nicht zweifeln, daß auch jene Stadt zu ihrem frühern Stand und Ansehen wieder erhoben werden kann.

1)
Die Karier streiften, nach Strabo, bewaffnet in Kleinasien umher, und verkauften entweder ihre Kriegsdienste um Sold, oder trieben den Raubkrieg.
2)
Der 13. Julius 390 vor Christus, an welchem Tage die Römer an dem kleinen Flusse Allia, 11 Meilen von Rom, von den Galliern eine große Niederlage erlitten
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