Melanchthon, Philipp - Rede über den erlauchten Fürsten Eberhard Herzog von Württemberg

Melanchthon, Philipp - Rede über den erlauchten Fürsten Eberhard Herzog von Württemberg

Wie das Schiff des Paulus mitten in den Wellen, welche ein reißender Sturmwind, der Segelstange und Ruder zerschlagen hatte, aufwarf, doch wahrhaftig durch den Beistand Gottes erhalten wird, bis es in den Hafen kommt: eben so erhält ohne allen Zweifel noch Gott selbst unter der Wut so vieler Teufel und Menschen, die das Menschengeschlecht zu zerstreuen und auszutilgen suchen, alles, was noch von bürgerlicher Ordnung, von gesellschaftlicher Verbindung, von Erziehung, Unterricht, Gesetzen und Gerichten unter uns übrig ist. Gottes Weisheit redet wahrhaftig in den Gesetzen, sie, die das menschliche Leben regiert, und von welcher es heißt: „Durch mich regieren die Könige, und üben Gerechtigkeit die Richter.“ und wie um Paulus willen das Kentern des Schiffes gehindert wird, eben so wird ein Teil des menschlichen Geschlechts von Gott erhalten, damit sich der Sohn Gottes eine Gemeinde und ein Erbteil sammeln kann.

Bei dieser Wahrheit erkennen es leider sehr wenige, daß die Erhaltung des bürgerlichen Lebens, Gesetze und Gerichte in der Tat Werke Gottes und Zeugnisse seiner Gegenwart unter uns sowohl in den Versammlungshäusern der obern, als auch bei einer jeden Familie insbesondere seien; noch wenigere sehen diese Geschenke mit Vergnügen und gehöriger Ehrfurcht an: Aber viele entfernen Gott ganz von der Regierung der Menschen und glauben, es werde alles von einem blinden Zufall unter einander geworfen. Gesetze, Gerichte und Strafen verabscheuen sie als Fessel und Gefängnisse, welche die Willkür der Mächtigen zur Bändigung ihrer Untertanen ausgedacht habe.

Ob es aber gleich immer viele gibt, welche Gott und göttliche Dinge mit einer blinden Wut verachten, so hat doch Gott uns auf einen solchen Posten gestellt, wo wir, um Zeugnisse von ihm aufzustellen, und um einige, die noch zu bessern sind, auf den Weg der Tugend zurückzuleiten, jene Wut standhaft bestrafen, und die Wahrheit leuchten lassen sollen. Oft also wiederholen wir die ausgemachte Wahrheit, welche uns lehrt, daß die ganze bürgerliche Ordnung göttliche Weisheit, ein Werk Gottes und ein Zeugnis seiner Gegenwart unter uns sei, daß sie sehr viele für uns so heilsame Wohltaten in sich fasse, daß man sie hauptsächlich, weil Gott der Urheber davon ist, verehren und aus Ehrfurcht beschützen müsse. Und endlich ist auch deswegen die bürgerliche Ordnung unserer Liebe würdig, weil es dem Menschen höchstanständig ist, die Weisheit zu erkennen und zu lieben, und sie von dem Unsinn und der Scheinweisheit zu unterscheiden.

Die Menschen lassen sich zwar meistens vom Eigennutzen dahin reißen. Aber sollte denn etwas in unserem Leben nützlicher sein, als die bürgerliche Gesellschaft? Das menschliche Leben kann ja doch ohne die Mitteilung vieler gegenseitigen Dienstleistungen und ohne eine gemeinschaftliche Verteidigung nicht bestehen. Gesetze aber, Oberherrschaft, Gerichte und Strafen halten die Gesellschaft am stärksten zusammen. Und Gott selbst wacht über die Vorteile, welche aus der gesellschaftlichen Verbindung entspringen. Auch dann, wenn gewalttätige und lasterhafte Menschen durch die Macht der Obrigkeit nicht bezähmt werden können, ist Gott selbst als Rächer da, und straft die Verbrechen, um zugleich seine Gerechtigkeit zu zeigen, und die Zerstreuung und Vertilgung des menschlichen Geschlechts zu verhindern, wie der Sohn Gottes sagt: „Wer das Schwert zuerst in die Hand nimmt, wird durch dasselbe umkommen.“ Und die Regel ist unstrittig: Große Strafen sind schon in diesem Leben Gefährten großer Verbrechen.

Da also die bürgerliche Ordnung offenbar ein Werk Gottes ist, da auch der Nutzen derselben so sehr in die Augen leuchtet, so wollen wir unser Gemüt zu der Betrachtung und Liebe eines so großen Guts erheben, und unsere Begierden durch diese göttliche Richtschnur einschränken lassen. Wenn wir also die Raserei jener Leute ansehen, welche diese Ordnung stören, so wollen auch wir recht oft, wie Paulus auf dem Schiff, den Schöpfer der Menschen anflehen, es nicht zuzugeben, daß unsere Polizeien, unsere Familien, unsere dürftige Wohnungen, unsere Kirchen und Schulen von diesen Wellen überwältiget werden.

Dich also, allmächtiger Gott, ewiger und einiger Vater unsers Herrn Jesus Christus, Schöpfer des Himmels und der Erde, der Menschen und aller geschaffenen Dinge, der du mit deinem Sohn Jesus Christus unserem Herrn und dem Heiligen Geist weise, wahrhaftig, gütig, ein Rächer des Bösen, unbefleckt und uneingeschränkt bist, dich bitte ich, du mögest um deines Sohns willen, der für uns gekreuzigt worden und auferstanden ist, dir immer eine ewige Gemeinde unter uns sammeln, sie regieren, und deswegen diese unsere geringe Herbergen, unsere Gesetze und öffentliche Aufsicht erhalten und beschützen!

Diese Wünsche müssen wir täglich seufzend wiederholen, und obgleich gewaltige Wellen unser Schiff erschüttern, so werden sie doch nicht vergeblich sein. Dann es ist ein bekannter mit einem Eid bekräftigter Ausspruch: „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch, was ihr den Vater bitten werdet in meinem Namen, das wird er euch geben!“

Ich habe hier die Erinnerung von der Verehrung, die man der bürgerlichen Ordnung schuldig ist, nur kurz wiederholt, weil man auch sonst viel davon zu reden pflegt. Bei solchen Zusammenkünften, in welchen das Ansehen der Gesetze besonders erhöht werden soll, kann man es besonders nicht ganz unterlassen. Ich will deswegen heut das Beispiel eines gerechten und gemeinnützigen Fürsten anführen, welcher gegen die Gesetze und gegen gelehrte Männer als ihre Beschützer die größte Ehrerbietung bezeugte. Dann ich habe mir vorgenommen, die Geschichte Eberhards, Herzogs von Württemberg, zu erzählen, eines Fürsten, welcher durch seine ausnehmende Weisheit und Gerechtigkeit zuerst die hohe Würde eines Herzogs in einem Hause erlangt hat, das doch längst alt und durch seine Taten berühmt genug war. Wundert euch nicht, daß ich von einem fremden Fürsten reden werde. Dann die Tugend aller Menschen, sie mögen leben oder gelebt haben, wo sie wollen, ist lobenswürdig, und das Laster verdient allenthalben Haß und Tadel, überdies gehen Beispiele alle Menschen an. Und endlich können wir auf unserer hohen Schule es eben nicht für unschicklich halten. Dann da jener Fürst der Stifter der Universität Tübingen ist, von welcher die unsere gleichsam eine Pflanzstätte wurde, so ist es unsere Pflicht, sein Andenken dankbar beizubehalten.

Endlich habe ich noch eine gewisse besondere Ursache, diese Pflicht zu erfüllen. Die Tugend des Grafen zu Stolberg, eines Vaters derjenigen, welche wirklich noch leben, war ganz vortrefflich. Er war ein Sohn der Schwester Eberhards. Dieser erzog ihn, er gewöhnte und leitete ihn, wie Chaeron oder Phönix einen Achill, so zur Gerechtigkeit und andern Tugenden an, daß es hernach seine Regierung dem Vaterland zu großem Nutzen gereichte. Und weil Graf Boto auf diesen Mann, um sein Beispiel nachzuahmen, beständig seine Augen richtete, weil er viele seiner Taten und Worte wieder erzählte, so ergötzt man sich auch bei uns noch an dem Angedenken dieses Fürsten.

Ich wünschte zwar eine vollständigere Geschichte von ihm zu haben, aber da auch die wenige Beispiele, welche ich gehöret habe, verdienen, aufgezeichnet zu werden, und zur Nachahmung reizen können, so ist es besser, eine unvollkommene Geschichte zu liefern, als den Namen eines so großen Fürsten in Vergessenheit kommen zu lassen. Und ich zweifle auch nicht, eine Erzählung, die so wahr ist, werde euch auch angenehm sein. Dann ob es gleich immer wenige Rechtschaffene gibt, so muß man doch zur Ehre Gottes die Ehre der Tugend öffentlich feiern, und wenn wir das tugendhafte Beispiel einer nicht übermenschlichen Natur anschauen so erkennen wir besser, was Tugend ist, und feurige Liebe zu ihr lodert in uns auf.

Ehe ich von seinem Hause rede, will ich vorher die Grenzen seines Landes beschreiben, in welche auch jetzt noch beinahe das ganze württembergische Gebiet eingeschränkt ist. Es fehlt nicht viel, daß das Land viereckig wäre, und die Mittagsseite erstreckt sich von dem Ursprung der Donau bis nach Ulm. Auf der Abendseite von dem Ursprung der Donau her liegt der Martianische Wald, wie ihn die Schriftsteller mit einem verfälschten Namen benennen, bis zu der Stadt, welche Porta Harcininiae, insgemein Pforzen heißt. Die mitternächtliche Seite geht von Pforzen bis an den Neckar und die benachbarte fränkische Waldgebirge. Der Fluß Kocher macht beinahe die vierte Seite gegen Morgen aus. Das Land bringt fast allenthalben Getreide und Wein hervor. Städte und Dörfer sind sehr häufig. Die Leute sind von Natur wohltätig, und, wenn sie recht regiert werden, nicht hartnäckig. Ihre Kleidung ist so ziemlich gut.

Nicht weit von Eßlingen ist ein Schloß mit Namen Württemberg, daher die alte Benennung der Grafen kommt. Die zu äußerst an den Grenzen gelegenen Städte gehörten ehemals teils zu dem Herzogtum Franken, teils zum Herzogtum Schwaben. Der mittlere Teil, welcher der fruchtbarste ist, gehörte den württembergischen Grafen seit der Zeit Kaiser Heinrichs V. Dann bei diesem war der württembergische Graf Werner von Gröningen, ein Mann von vieler Einsicht und Tapferkeit, Feldherr, von welchem hernach die Grafen herstammten, welche man bei der Abstammung des württembergischen Hauses anführt. Die alte Benennung dieser Gegend bei dem Ptolomäus ist ohne Zweifel Charitinum, welches aus dem deutschen Namen „Garten“ gemacht zu sein scheint, und zugleich beweist, daß auch die Alten die Fruchtbarkeit und Annehmlichkeit dieser Gegend geschätzt haben.

Es war aber vor dem Eberhard, von welchem ich reden werde, gewöhnlich, das Land, wenn zwei Brüder da waren, also zu verteilen, daß der eine Stuttgart und die übrigen näher gegen Franken gelegenen Städte, der andere aber Urach und das benachbarte Tübingen innehatte. Den letzten rauheren Teil hatte Graf Ludwig, welcher die Schwester des Pfalzgrafen Friederichs zur Gemahlin hatte, dessen Name dadurch berühmt wurde, daß er in Einer Schlacht drei Fürsten nicht weit von Heidelberg gefangen nahm.

Aus der Ehe dieser berühmten Eltern wurde Eberhard und Mechtildis, welche nachmals an den Landgrafen von Hessen verheiratet wurde, und Elisabeth, die nachherige Gemahlin des Grafen von Stollberg, geboren. Ich will aber jetzt nur von dem Eberhard reden. Nach dem frühzeitigen Tod seines Vaters regierte seine Mutter und die vornehmsten Männer aus dem Ritterstand das Vaterland und den jungen Prinzen. Jene war eine sehr tugendhafte Fürstin, welche ihre Töchter mit einem wahrhaftig mütterlichen Ansehen und Nachdruck auferzog. Ihr Sohn hatte in seiner Jugend Johann Nauklern zum Lehrmeister, von welchem noch Denkmal übrig sind. Ich werde aber hernach mehr von ihm sagen. Er selbst erzählt, die Vormünder des jungen Prinzen haben es verboten, ihn die lateinische Sprache zu lehren, vielleicht damit er sich nicht so lang mit dem Studieren aufhalten möchte; und weiter schreibt er: Eberhard habe oft, als er hernach Reichszusammenkünfte und fremde Nationen besuchte, sein Mißfallen an diesem Befehl seiner Vormünder mit einem nicht geringen Schmerzen bezeugt, und gesagt, niemand habe die Kenntnis der Wissenschaften und Sprachen nötiger, als ein Fürst. Deswegen ging er auch nachher mit den gelehrtesten Männern sehr vertraut um, damit er von ihnen die Lehre seiner Kirche unverfälscht und rein lernen, soweit es ihm möglich war, und die Quellen der Rechtsgelehrsamkeit nebst der Geschichte einsehen möchte, wie ich weiter unten sagen werde.

Gleich in den ersten Jahren seiner Volljährigkeit, da er ganz zur Regierung kam, reiste er nach Jerusalem, teils aus Begierde, die Fußstapfen des Sohns Gottes in jenem Lande zu sehen, wo so augenscheinliche Zeugnisse für seine himmlische Lehre abgelegt worden sind, teils um auch andere Staaten nebst der Denkungsart und Aufführung gelehrter Männer kennen zu lernen. Auf dieser Reise lernte er sehr viel, und seine Rechtschaffenheit wuchs durch die Gefahren und Beschwerlichkeiten, welche er ausstehen mußte. Da er jetzt in allen Verhandlungen sorgfältiger und männlicher geworden war und nun besser Rat schaffen konnte, begann er umgekehrt seine Heimat mehr zu bewundern und zu lieben.

Der Anfang seiner Regierung aber fiel in sehr betrübte Zeiten. Ein Verwandter von ihm Graf Ulrich führte auf Antrieb Markgraf Alberts einen unglücklichen Krieg mit Pfalzgraf Friederich. Die ausnehmend kluge und tugendhafte Mutter Eberhards brachte es dahin, daß er an diesem Krieg keinen Anteil nahm. Unterdessen beunruhigte Deutschland Karl von Burgund, Mahomed trug nach der Einnahme von Konstantinopel und der Verheerung von Griechenland seine kriegerischen Waffen nach Ungarn über, und einige Zeit hernach kam Maximilian durch französische Kunstgriffe in Gefangenschaft.

Bei diesen öffentlichen Gefahren des Reichs hielt er sich zu keinen Nebenparteien, sondern sagte selbst: es seien zwei vorzügliche Pflichten eines Reichsfürsten: Die erst: Es mit dem Kaiser und den Häuptern des Reichs zu halten und mit diesen gemeinschaftlich das Wohl des ganzen Vaterlandes zu verteidigen, eben so, wie in einem tierischen Körper ein jedes Glied dem ganzen Körper behilflich zu sein sucht. Und dann die zweite Pflicht: auch für die Wohlfahrt der Untertanen zu sorgen. Deswegen schickte er dem Kaiser Friederich und hernach auch Maximilian getreulich Truppen, er selbst führte eine Armee mit großen Unkosten zur Befreiung Maximilians nach den Niederlanden, und, da er sparsam war, so hielt er die Unkosten ohne vieles Plündern aus.

Nach der Befreiung Maximilians wurde die Ruhe in Deutschland so ziemlich wieder hergestellt. Unterdessen nahm Eberhards Klugheit durch die Übung und ein reiferes Alter zu, und nach dem Tod seines Vetters 1480 fing er an, das ganze Herzogtum zu regieren. Hauptsächlich aber suchte er sich jetzt weise und gelehrte Männer zu seinem Umgang aus, die er wegen der wichtigsten Sachen um Rat fragen wollte. Dann er hatte den kaiserlichen Hof, die venezianische Regierungsart, und die Höfe der sächsischen Herzöge Ernsts und Alberts gesehen, wo man gelehrte Männer zu Staatsgeschäften gebrauchte. Eben deswegen hatte er neben den Edelleuten auch Doktoren um sich, unter welchen Peter Vonarlau, und Johann Naucler berühmt waren, nach diesen aber Reuchlin.

Um sein ganzes Land durch Gelehrsamkeit mehr zu bilden und in den Kirchen der göttlichen Lehre ein helleres Licht anzuzünden, stiftete er die hohe Schule zu Tübingen im Jahr 1477, auf welche er viel in der Lehre der Kirche, in dem Recht und andern Wissenschaften gelehrte Männer berief. Die Rechtsgelehrte daselbst waren: Uranius, welchen man auch von Italien heraus um Rat fragte, Gregorius Lamparter, ein sehr vertrauter Freund Kaiser Maximilians. Berühmte Gottesgelehrte waren: Gabriel Biel, Summenhart und Wendelin, mit welchem Eberhard sehr vertraut umging. Dieses aber waren lauter Männer von einer guten und unsträflichen Aufführung. Wendelin sah es bei seinem unaufhörlichen Lesen der heiligen Schrift und Augustins wohl ein, daß viele Fehler in den Schriften des Thomas und des Scotus, und anderer seines gleichen waren, und lehrte freimütig genug die unverfälschte Lehre von der Gnade. Er gab seinem Fürsten die Absolution, er unterrichtete ihn von den Wohltaten des Sohns Gottes, und faßte die Hauptstücke der christlichen Lehre für ihn in eine deutsche Schrift zusammen.

Reuchlin verfertigte jene zusammenhängende Geschichte von den Monarchien wie auch Anfangsgründe des bürgerlichen Rechts, welche ihm so gut als möglich zur Beurteilung der Streitigkeiten dienen sollten.

Ob er aber gleich das Lateinische nicht verstand, so ging er doch in die Versammlungen, wo Gottes- und Rechtsgelehrte ihre Streitschriften verteidigten. Da fragt er dann seine vertrauten Freunde, von was die Rede wäre und wann etwas merkwürdiges vorkam, so ließ er sie deutsch davon sprechen. Zuweilen sagte er auch selbst öffentlich unter den Gelehrten seine Gedanken, um den Streit zu entwickeln.

Wann er zu Tübingen war, schickte er gemeiniglich sein Gefolge auf das Schloß. Er selbst kehrte in das kleine, aber der Kirche nahe Haus des Nauclers ein. Dann dieser war ein ausnehmend gelehrter und höchst rechtschaffener Mann und, wie Reuchlin von ihm sagte, besonders gerade in seinen Urteilen. Hier nun stunden sie allezeit vor Tag auf, verrichteten ihr Gebet und unterredeten sich dann drei Stunden miteinander. Hernach gingen sie in die Kirche, nachdem den Geheimschreibern Befehle erteilt worden waren, wie sie ihre Antworten einrichten sollten: wann man sie unterdessen um etwas fragen würde. Nach dem Gottesdienst aßen sie zu gewohnter Stunde miteinander in eben diesem Hause, und zwei oder drei andere Doktoren und Edelleute wurden dazu eingeladen. Es ging da nicht prächtiger zu, als es bei den Mahlzeiten der Leute von mittlerem Stande in jener Stadt gewöhnlich ist. Aber ihre Unterredungen von der Kirche, von Gott, von der Regierung des Staats, von nächst bevorstehenden Gefahren waren so großer Männer würdig und voll Weisheit.

Nach dem Mittagessen konnte jedermann zu ihm kommen, der entweder mit ihm sprechen oder eine Bittschrift überreichen wollte. Diesen antwortete er sehr mild, und bestimmte ihnen die Zeit, wann sie die Antworten wieder abholen sollten. Wenn arme Leute um Frucht oder Holz baten, so übertrug er es treuen Männern, ihnen auf der Stelle so viel geben zu lassen, als er befahl. Ob er gleich die Sparsamkeit liebte und beständig ausübte, so war er doch gegen Arme wohltätig. Nach diesem überließ er sich auf eine kleine Zeit der Ruhe oder dem Schlaf. Hernach hielt er seine Abendandacht, wo er gemeiniglich Schriften von der Lehre seiner Kirche las. Vor dem Abendessen kamen sie wieder zusammen, um sich zu beratschlagen, oder es wurden vorher gemachte Aufsätze vorgelesen.

Das Abendessen suchte er froh zu machen und durch angenehme Unterredungen zu würzen, aber kurz, damit er nicht gar um den Schlaf kommen möchte, welcher seine Last von Sorgen oft ganz unterdrückte.

Und so war der fürstliche Hof in der kleinen Wohnhütte jenes alten Lehrers beschaffen, der Hof, welcher an Bescheidenheit, Mäßigung und Unsträflichkeit den Zusammenkünften der beiden Einsiedler des Paulus und Antonius gleich war, aber sie an Nutzen noch übertraf. Denn durch die Beratschlagungen, die man an demselben anstellte, wurde das ganze Land, Gerechtigkeit, Friede und Ordnung erhalten.

Nachdem er so die Regierung in seinem Lande eingerichtet hatte, so reiste er nach Rom. Da aber in der Kirche ein zunächst bei ihm stehender Kardinal umgebracht wurde, so hielt er sich nachher nicht lang mehr daselbst auf. Auf seiner Heimreise wurde er zu Florenz von Lorenz v. Medicis mit großen Ehrenbezeugungen empfangen, dessen Weisheit und festes männliches Betragen in Worten und Handlungen er ungemein bewunderte. Hierauf nahm er zu Mantua die Tochter des Markgrafen daselbst zur Gemahlin ,geboren von einer deutschen Mutter, der Tochter des Markgrafen von Brandenburg, von der er nur diese eine Tochter hatte. Und obwohl sie später kein Kind gebar, lebte er immer mit ihr in Liebe und Einigkeit: Wendelin gibt ihm das Zeugnis, daß er niemals die eheliche Treue und Liebe verletzt habe.

Bei allgemeinen Reichsangelegenheiten lieferte er Geld und schickte pflichtmäßig Soldaten, so oft es nötig war. Im Frieden erregte er keinen Krieg, und ob ihn gleich oft das erlittene Unrecht heftig schmerzte, so zog er doch das Wohl seines Volks der Ausübung seines Unwillens und der Rache vor.

Er hielt streng über der Gerechtigkeit sowohl bei Privatangelegenheiten, als auch in seiner Regierung überhaupt. Deswegen war er scharf gegen Straßenräubereien und ließ genau darauf acht geben. Noch vor seiner Regierung streiften wegen der schwäbischen Kriege viele Straßenräuber an verschiedenen Gegenden umher. Er aber brachte es in kurzem mit seiner eigenen Gefahr und Mühe dahin, daß hernach keine andere Gegend jenen feindlichen Streifereien so wenig ausgesetzt war. Er selbst wagte sich mit auserlesenen Reitern an verdächtige Orte hin, wo er verschiedenmale einige mit großer Gefahr in seine Gewalt bekam, welche er mit dem Tod bestrafen ließ. Und dabei fürchtete er nicht der vornehmen Anverwandten Haß, er ließ auch nicht zu, daß man die Verbrecher durch menschengefällige Fürbitten der Strafe zu entreißen suchte.

An der Frankfurter Messe zeigte er sich oft den Kaufleuten auf dem Wege und in den Städten, um ihnen seine Wachsamkeit zu erkennen zu geben. Er begrüßte sie sogar und ließ sich von denselben sagen, ob ihnen keine Unrecht oder Schaden auf der Reise oder in den Herbergen wäre zugefügt worden. Diese unermüdete Sorgfalt möchte vielleicht zu unseren Zeiten nicht sehr königlich erscheinen. Aber damals waren vortreffliche Männer durch Gerechtigkeit und Tugend groß, nicht durch übertriebenen Stolz.

Ein einziges Mal ist es gewiß, daß er einen Krieg erregte. Er belagerte mit einem sehr wohleingerichteten Kriegsheer ein nicht weit von Ulm entlegenes Schloß, das seinen Namen von den hohen Krähen hat, eroberte und zerstörte es, damit es kein Zufluchtsort für die Straßenräuber werden möchte.

Und so wurde er in seinen und des ganzen Reiches Städten und von den benachbarten Fürsten geliebt. Von der Liebe seines Volks gegen ihm erzählt man folgende Geschichte: Bei der Versammlung zu Worms wurden die Herzöge von Bayern und Pfalz und er von den sächsischen Herzögen zu einem Gastmahl eingeladen. Ein jeder pries die Vorzüge seines Landes an; der eine sprach von Bergwerken, der andere von Städten, Frucht, Wein und dergleichen. Aber Eberhard saß stillschweigend da und hörte zu. Endlich sagte der sächsische Herzog Albert: „Warum lassen wir nicht auch den Herzog von Württemberg von seinem Vaterland reden?“ Dieser aber antwortete sehr bescheiden: „Ich weiß, daß eure Häuser das meinige an Macht, Ansehen und Reichtum übertreffen, ich kann nicht mit euch wetteifern, sondern ich bin mit dem Meinigen zufrieden, und weiß, daß ich Gott Dankbarkeit dafür schuldig bin. Nur dieses einzige glaube ich sagen zu können: Ich kann sicher am Mittag auf dem Felde und ganz allein in dem Schoß eines jeden meiner Untertanen schlafen.“ Man konnte wohl sehen, was er damit sagen wollte.

Die Liebe zu ihm wurde bei Fürsten und Städten noch größer, weil er sich in den Zusammenkünften selbst vieler annahm. Dann da er beredt war, und gelehrte Männer bei sich hatte, mit deren Beihilfe er das Recht seiner Partei darlegen und ins Licht setzen konnte, da man überdies wußte, daß er eine Freude daran hatte, auf diese Weise in der Beredsamkeit berühmt zu werden, so übertrug man ihm gern die Verteidigung einer Sache. Wann er diese auf sich genommen hatte, so mußten ihm seine Gelehrte sagen, wo er Beweise hernehmen, und wie er sie schön vortragen sollte, was für Beispiele, Historien oder andere Erzählungen seiner Sache angemessen wären. Und dann sprach er mit einer solchen Geschicklichkeit und Fertigkeit, daß man ihn mit Bewunderung anhörte.

Da nun die Einrichtung und Aufführung an seinem Hof so reich an guten Beispielen war, so schickten ihm viele Grafen ihre Söhne zu. Diese hörte er oft selbst ihren Katechismus hersagen und ihr Gebet verrichten, und wann sie das Aufgegebene nicht recht hersagen konnten, so erinnerte er sie nicht nur durch einen Verweis an ihre Pflicht, sondern ließ sie auch den andern zur Warnung züchtigen. Oft schärfte er den Jüngern diesen Spruch ein: „Die Furcht Gottes ist der Anfang der Weisheit.“

Ob ich gleich keine vollständige Geschichte von ihm habe, so könnte ich doch noch viele weise Reden und Handlungen von ihm hinzutun. Ich will aber jetzt zu den letzten Begebenheiten seines Lebens fortschreiten. Maximilian bediente sich seines Rates bei dem Antritt seiner Regierung sehr häufig. Da er es nun für eine Ehre des Reichs hielte, daß ein solcher Mann auch in die Versammlung der Reichsfürsten aufgenommen würde, und da, die Größe und Stärke seines Landes die Unkosten eines Herzogs aushalten konnte, so beehrte er dieses Haus mit der Herzogswürde. Als man sich hierüber beratschlagte, und weise Männer wohl einsahen, daß dem Vaterland Eberhards eine große Last auferlegte wurde, so gewann doch der Wille Maximilians und die Rücksicht auf den öffentlichen Nutzen die Oberhand, weil man davor hielt, ein solches beinahe mitten in Deutschland gelegenes Land müßte bei allgemeinen Reichsangelegenheiten auch einen großen Anteil an der Last auf sich nehmen.

In seinem zweiundfünfzigsten Jahr hatte er einige Zeit die Steinkrankheit, und dieser grausame Schmerz nahm ihm das Leben. Aber merkwürdig sind seine letzte Stunden. Drei Tage schien er mit sich selbst heftig zu kämpfen, und dieser Kampf war so gewaltig, daß er nicht reden konnte. Doch fragten ihn seine Freunde, ob er sich durch den Genuß des Leibs Christ wollte stärken lassen, er antwortete mit einem Wink, daß er es wollte. Nachdem er das heilige Abendmahl ehrerbietig genommen hatte, richtete er, sich gleichsam aus den Armen des Tods herauswindend, sich in seinem Bette auf, dankte Gott mit heller Stimme, bat um die Vergebung aller seiner Sünden und die ewige Seligkeit um des Sohns Gottes willen, empfahl sich seinem Gott und sprach: „Ich weiß, Herr Jesus Christus, du Sohn Gottes, du willst, daß wir an dich glauben. Da du nun selbst ausrufst: „Kommet her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken,“ so rufe ich dich an, dir empfehle ich mich, dich flehe ich an, und erwarte meine ewiges Heil von dir. Verzeihe mir meine Fehler in der Regierung und meine andere Vergehungen!“

Er unterredete sich hierauf noch drei Tage in sanfter Stille mit seinen Freunden und erteilte wegen einiger Sachen Befehle. Bei seinem Tod sprach ihm D. Wendelin zu, ein frommer Mann, von welchem ich höre, daß er anderen die Geschichte desselben oft als außerordentliches Beispiel erzählt habe. Bei den Kennzeichen einer wahrhaftig von Gott erleuchteten Seele, die wir an diesem Fürsten entdecken, können wir nicht anders urteilen, als daß sein Tod eine Reise zu jener himmlischen Gemeinde gewesen sei.

Wann wir die Geschichte solcher rechtschaffenen und gemeinnützigen Fürsten hören, so haben wir vieles zu bedenken. Und zwar zuerst, da die Staaten ein Werk Gottes sind, daß hin und wieder gute Fürsten von ihm auf den Thron gesetzt werden, damit er dieses Werk nicht umsonst zu Stand gebracht haben möge. Hernach müssen wir auch Gott danken, daß er zu seinem Ruhm und zur Erhaltung des Menschengeschlechts ehrliche gesellschaftliche Verbindungen nicht zerstreut werden, und bei der Wut so vieler Bösen nicht alle Bande der anständigen Gesellschaft zerreißen läßt: daß er endlich zuweilen getreue und glückliche Beschützer der Gesetze, der Gerechtigkeit und des Friedens einigen Gegenden schenkt - wir müssen ihn mit brünstigen Wünschen bitten, daß er diese unsre kleine Wohnungen bedecke, und uns fromme Fürsten zu unserm Vorteil geben möge. Dann sehr wahr ist der Ausspruch: „Wenn der Herr die Stadt nicht behütet, so wachen die umsonst, welche sie behüten sollen.“ Dies ist das Ende meiner Rede.

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