Lamparter, Helmut - Tabor - Der Berg der Verklärung

Lamparter, Helmut - Tabor - Der Berg der Verklärung

Und nach sechs Tagen nahm Jesus zu sich Petrus und Jakobus und Johannes, seinen Bruder, und führte sie beiseits auf einen hohen Berg. Und er ward verklärt vor ihnen und sein Angesicht leuchtete wie die Sonne, und seine Kleider wurden weiß wie ein Licht.
Und siehe, da erschienen ihnen Mose und Elia; die redeten mit ihm. Petrus aber antwortete und sprach zu Jesu: Herr, hier ist gut sein! Willst du, so wollen wir hier drei Hütten machen: dir eine, Mose eine und Elia eine. Da er noch also redete, siehe da überschattete sie eine lichte Wolke. Und siehe, eine Stimme aus der Wolke sprach: Dies ist mein lieber Sohn, an welchem ich Wohlgefallen habe; den sollt ihr hören!
Da das die Jünger hörten, fielen sie auf ihr Angesicht und erschraken sehr. Jesus aber trat zu ihnen, rührte sie an und sprach: Stehet auf und fürchtet euch nicht! Da sie aber ihre Augen aufhoben, sahen sie niemand denn Jesum allein. Und da sie vom Berge herabgingen, gebot ihnen Jesus und sprach: Ihr sollt dies Gesicht niemand sagen, bis des Menschen Sohn von den Toten auferstanden ist.
Matth. 17,1 ff.

Ein unvergeßliches Erlebnis ist mir auf dem kühnen Gipfel der Wildspitze in den Ötztaler Alpen, die sich zu einer Höhe von 3787 Meter erhebt, zuteil geworden. Wir waren trotz schlechter Wetterlage in der ersten Morgenfrühe von der bergenden Hütte aufgebrochen. Wolken und Nebel hüllten den Berg ein. Ein mit Schneeflocken vermischter Sprühregen rieselte herab. Die Klugheit gebot, umzukehren. Aber der Gipfel war hoch, und wer weiß, ob es nicht gelang, über die Wolken hinaufzukommen? Könnte es etwas Schöneres geben, als diese ganze graue, trübe Nebelmeer wenigstens für Stunden unter die Füße zu bekommen? Die Wahrscheinlichkeit war gering. Mühsam und tastend nur kamen wir voran. Aber dann plötzlich war es, als ob der Eispickel auf den Schnee einen Schatten würfe. Die grauen Schleier ringsum wurden locker und durchlässig für das Sonnenlicht. Mit jedem Meter, den wir an Höhe gewannen, wuchs die Helligkeit. Und dann – fast schlagartig – tauchten wir, eine kleine unverzagte Seilschaft, auf aus dem wogenden, treibenden Wolkenmeer. Da lag der Gipfel – in blendendes, gleißendes Licht getaucht. Wie schwimmende Eisberge ragten die höchsten der Nachbarn aus dem Nebelmeer. Keiner sprach ein Wort, als wir hochaufatmend um das Gipfelkreuz niederkauerten. Es war, als wären wir in eine andre Welt versetzt. Und immer wieder, wenn ein Tag kommt, an dem die Wolken tief hängen über steinigem Pfad und der graue Nebel der Sorgen den Mut rauben und die Sicht versperren will (wer kennt sie nicht, diese Tage, an denen nichts leuchten und nichts gelingen will?), kehrt das Herz zu dieser Erinnerung zurück.

So ähnlich mag es den Jüngern unsres Herrn Jesu Christi ergangen sein, die er mit hinaufgeführt hat auf diesen Berg Tabor, welcher der Berg seiner Verklärung werden sollte. Unvergeßlich hat sich in ihrem Gedächtnis diese Stunde eingeprägt – eine Stunde, da die ganze Welt unter ihren Füßen versunken ist. Wir werden, was sie darüber erzählen, nicht mit gewöhnlichen Maßstäben messen dürfen. Es ist ein Geheimnis um diesen Berg der Verklärung, das höher ist denn alle Vernunft. Nicht umsonst hat der Herr seinen Jüngern zunächst verboten, von dem zu erzählen, was sie auf diesem Berge geschaut und erlebt haben: Sprecht nicht darüber! Keiner wird es verstehen, der nicht als Augenzeuge zugegen war. Was da oben auf diesem Berge geschehen ist, hat keinen Raum und Platz mehr in dem, was sonst auf Erden geschieht an Gewöhnlichem und Ungewöhnlichem. Eine andre Welt hat hier von oben her, vom Himmel her, gleichsam die Erde berührt. Die himmlische Welt, die unsrem der Erde, dem Sichtbaren verhafteten Auge verborgen ist, hat sich aufgetan. Gott selbst mit seiner Herrlichkeit war nahe auf diesem Berge, und Er hat sich zu diesem Jesus als zu seinem Sohn bekannt – feierlich, spürbar und wunderbar, damit wir es wissen sollen: Dieser Jesus ist nicht „von unten her“, sondern „von oben her“. Sein Ursprung und seine Heimat, sein Ausgang und sein Ziel liegt nicht in dieser Erdenwelt, wo unsre Wiege steht und unser Grab geschaufelt wird. Er ist der Sohn – „Gott von Gott, Licht vom Licht, wahrhaftiger Gott vom wahrhaftigen Gott, wahrhaftiges Licht vom wahrhaftigen Licht“, wie ein altes Bekenntnis der Kirche sagt. Des zum Zeichen steht dieser Berg Tabor im Evangelium. Berg der Verklärung des Königs aller Könige vor den Augen seiner erwählten Zeugen!

Es ist eine große und heilige Stunde, wenn wir auf unsrer Wanderung über die Berge der Bibel an den Fuß dieses Berges kommen. Hier werden und dürfen wir noch Größeres schauen, als wir bisher auf den Bergen Gottes erlebt haben. Gewiß sind sie alle groß und heilig, mächtig und herrlich, diese Berge Gottes – dieser Ararat, an den die Hand Gottes die Arche steuert, dieser Morija, auf dem der Engel Gottes dem Abraham in den Arm fällt, dieser Sinai, auf dem das Gesetz Gottes ausgerufen wird mit Blitz und Donner und gellender Posaune, dieser Nebo, auf dem Mose das Land Gottes von der Ferne schaut, dieser Karmel, wo das Feuer Gottes vom Himmel fällt. Aber dieser Berg, der Berg der Verklärung, ist mehr denn sie alle. Denn hier steht der Sohn Gottes, ganz und gar durchleuchtet, auswendig und inwendig, von Gottes Glanz, in makelloser Reinheit, in strahlender Majestät. “Wir sahen seine Herrlichkeit“ – so wird Johannes später im Rückblick auf diese Stunde schreiben, - „eine Herrlichkeit als des eingebornen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit“ (Joh. 1,4).

Wir – das sind zunächst einmal jene drei, denen sich der Gottessohn während seines Erdenwandels besonders verbunden wußte, Petrus, Jakobus und Johannes. Wir finden sie wieder im Hause des Jairus, als Jesus das entschlafene Mägdlein mit den Worten „Talitha kumi“ auferweckt, und hernach im Garten von Gethsemane als Zeugen seines Zittern und Zagens, seiner tiefsten Seelenangst. „Nach sechs Tagen nahm Jesus zu sich Petrus und Jakob und Johannes, seinen Bruder, und führte sie auf einen hohen Berg.“ Was geht voraus? Zum erstenmal hat Jesus klar und unverhüllt von seinem Leiden gesprochen (Matth. 16,21). Ohne sich durch den leidenschaftlichen Einspruch des Petrus beirren zu lassen, hat er den Weg nach Jerusalem unter die Füße genommen, bereit, den Weg des Gehorsams zu gehen, sich binden und töten zu lassen. Er weiß (und der Einspruch des Petrus hat es vollends deutlich gemacht): Dieser Leidens- und Todesweg schlägt allen messianischen Erwartungen seiner Jünger ins Gesicht. Er bedeutet für sie ein schweres Rätsel, eine furchtbare Anfechtung! Jesus kann ihnen diesen Anstoß nicht ersparen, so wenig er sich selbst des Kreuz erspart. Aber gibt es nicht einen Weg, um ihren Glauben vor dem Zerbrechen zu bewahren? Kann es nicht doch verhindert werden, daß kein einziger mehr auf Erden an ihn glaubt, wenn er leidend und sterbend seinen Lauf vollendet? Wir werden nicht fehlgehen, wenn wir in dieser Sorge Jesu um den Glauben seiner Jünger zumindest einen Grund dafür erblicken, daß er noch einmal seine verborgene Herrlichkeit enthüllt vor ihren Augen, strahlend und wunderbar, ehe er am Kreuz der „Allverachtetste“ geworden ist.

Er führt sie “beiseits“, so hören wir, “auf einen hohen Berg“. Abseits von den belebten Straßen, fernab vom Gewühl der Menschen soll diese Manifestation seiner Herrlichkeit geschehen. Keine menschlichen Zeugen und Zuschauer, nur die „vorerwählten Zeugen“ sollen dieses Anblicks gewürdigt werden. Das hat seinen guten Grund: Der Sohn Gottes hat – nach einem Wort des Matthias Claudius – die „Uniform des menschlichen Elends“ angezogen, er hat sich „in unser armes Fleisch und Blut verkleidet“ (Luther). Das bedeutet eine tiefe Verhüllung seiner Sohnesherrlichkeit. Verborgen hat sich seine göttliche Gestalt unter unsrer menschlichen Gestalt, und sie soll sich nun in seinem Leiden und Sterben erst recht bis zur Unkenntlichkeit verbergen. In Niedrigkeit, in „Knechtsgestalt“ (Phil. 2,7) ist er gekommen, uns zu dienen, zu versühnen und zu retten. Mit diesem Beruf des „Gottesknechts“ verträgt sich keine öffentliche Schaustellung seiner Herrlichkeit. Deshalb findet die Verklärung im engsten Jüngerkreis auf dem Gipfel des Berges statt. Daß sie geschieht, bedeutet für die drei, die zu Zeugen erkoren sind, eine Überraschung, mit der sie offensichtlich in keiner Weise gerechnet haben. Wir können uns gut vorstellen, wie sie zunächst von der weit geöffneten Aussicht da oben gefesselt sind. Sie überblicken das Land, das zu ihren Füßen liegt. Da unten der silberne Streifen des Jordans, in der Ferne die zarten Gipfel des Hermon, am Horizont die Küste, der Saum des Meeres, und über dem Schauen vergessen sie ganz auf ihren Meister zu achten. Da, wie sie sich umwenden – welch ein Bild! Was für eine Verwandlung ist mit der Gestalt Jesu vorgegangen! Seine ganze Erscheinung ist in ein helles, überirdisches Licht getaucht. Sein Antlitz leuchtet wie die Sonne, seine Kleider schimmern weiß „wie ein Licht“ (die besonders anschauliche Schilderung bei Markus: „Seine Kleider wurden hell und sehr weiß wie der Schnee, daß sie kein Färber auf Erden kann so weiß machen.“ (Mk. 9,3.)) Wie müssen wir das verstehen? Nun, wir werden diesen Vorgang nicht erklären und zerreden wollen. Aber vielleicht mag uns ein Gleichnis eine Hilfe zum Verständnis geben: Früh am Morgen siehst du vielleicht am hohen Himmel eine Wolke ziehen. Sie ist grau und unscheinbar wie die andern. Es ist nichts Besondres an ihr zu entdecken. Aber da geht hinter den Bergen die Sonne auf. Noch ist sie selbst unsichtbar, aber ihre Strahlen treffen die Wolke, und siehe, sie fängt an zu leuchten! Sie färbt sich und beginnt zu glühen wie roter Purpur und strahlendes Gold. Ganz ähnlich ist der Vorgang bei dieser „Verklärung“ Gott selbst naht in seiner Herrlichkeit. Es ist, als würde die Gestalt Jesu von dieser Herrlichkeit angestrahlt, durchleuchtet inwendig und auswendig. Auf seinem Antlitz liegt der Widerschein der Klarheit Gottes. Die Jünger können sich nicht sattsehen an diesen Anblick, und „siehe, da erschienen ihm Mose und Elia, die redeten mit ihm“. Jesus ist plötzlich nicht mehr allein, die beiden mächtigsten Boten, die Gott seinem Volk im Alten Bund gesandt hat, sind an seiner Seite, Mose, den der Herr begrub, und Elia, der im Wetter gen Himmel fuhr. Wir können nur ahnen, worüber sie mit dem, der mehr ist als alle Propheten, geredet haben – über den Weg, der vor ihm liegt, über seinen heiligen Opfergang ans Kreuz? Vielleicht ist es vermessen, wenn wir uns mit unsren menschlichen Gedanken überhaupt in das Geheimnis dieser heiligen Zwiesprache eindrängen wollen (vg. jedoch Luk. 9,31!). Den Jüngern bleibt auch keine Zeit, darüber nachzudenken oder das Gespräch der Gesandten Gottes zu belauschen: Gott selbst naht in seiner Herrlichkeit!

Petrus, der Erde schon ganz entrückt, spricht: Hier ist gut sein! Er macht den Vorschlag, drei Hütten zu bauen, als wollte er nicht mehr zurückkehren von dieser offenen Pforte des Himmels auf die arme Erde, auf der so viel geweint, gesündigt und gehaßt, gelitten und gestorben wird. Aber er hat noch nicht ausgeredet, da überschattet eine “lichte Wolke“ – nicht die dunkle drohende Wolke, der wir auf dem Sinai begegnet sind – eine lichte Wolke, das Zeichen von Gottes gnadenvoller Gegenwart! Und siehe (es ist, als ob sich ein Vorhang nach dem andern zerteilte), eine Stimme läßt sich vernehmen aus der Wolke: “Dies ist mein lieber Sohn, an welchem Ich Wohlgefallen habe; den sollt ihr hören!“ Der Sohn empfängt, wie einst schon bei der Taufe durch Johannes, mit dieser „Stimme“ das Zeugnis des Vaters: Er ist der Eine, an dem Gott ein ganzes, ungetrübtes Wohlgefallen hat, von Ewigkeit her und jetzt erst recht, da er sich anschickt, den Gehorsamsweg ins Leiden zu gehen. Zu dem Zeugnis tritt der Befehl, auf ihn, diesen geliebten Sohn des Vaters, zu hören, so gewiß Gott selbst durch ihn zu der Menschheit redet. Erschrocken fallen die Jünger auf ihr Angesicht, als sich diese Stimme vernehmen läßt. Überwältigt von der unmittelbaren Gottesgegenwart wagen sie nicht mehr aufzublicken. Bis sie Jesus anrührt und zu ihnen spricht: „Stehet auf und fürchtet euch nicht!“ Da sie aber ihre Augen aufhoben, sahen sie niemand als Jesum allein. Wo sind die beiden Gottesboten? Wo ist die Stimme, wo ist die Wolke? Wo ist der Glanz auf seinem Angesicht? Es ist alles wie zuvor. Verwirrt und bestürzt, als wären sie aus einem seligen Traum erwacht, treten sie den Rückweg an. Was für ein wunderbares Erlebnis, diese Stunde der Verklärung da oben auf dem Berge! Es verträgt eigentlich das Reden nicht, ja, Jesus selbst verbietet ihnen ausdrücklich, davon zu sprechen, noch nicht einmal vor den andern Jüngern, die sie am Fuße des Berges zurückgelassen haben. Erst nach seiner Auferstehung sollen sie dieser Stunde sich erinnern, nachdem er den neuen, verklärten Leib von Gott empfing. Denn was sich hier vor ihren Augen und Ohren ereignet hat, war im Grunde nichts andres als ein erstes Aufleuchten der Herrlichkeit, die dem Gottesknecht nach seiner Auferweckung durch Gott zuteil geworden ist. Durch Leiden des Todes vollendet, dann aber mit Preis und Ehre gekrönt – das ist der Weg, der ihm von Gott gewiesen ist. Des zum Zeichen und Unterpfand diese erste, vorläufige Verklärung auf dem Tabor! Von hier aus wird deutlich, daß es bei alledem nicht nur um eine Glaubensstärkung der Jünger ging. Auch für ihn selbst, den Sohn, der sich nun hindurchglauben muß durch das dunkle Leidens- und Todestal bis hin zur völligen Gottverlassenheit, ist es eine Stärkung seines Glaubens: Das Ende der Wege Gottes mit dir ist Herrlichkeit. Wir aber, die Zeugen aus zweiter Hand, mögen auf diesem Berg deutlicher als irgendwo erkennen, warum wir von diesem Jesus nicht lassen können.

1. Auf seinem Antlitz liegt die Herrlichkeit Gottes

Herrlichkeit ist das Wort, welches die Bibel verwendet, wenn sie uns einen Eindruck geben will von dem majestätischen Lichtglanz, der den Thron Gottes umgibt. Dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit – so schließt unser tägliches Gebet. Wir glauben von dieser Herrlichkeit Gottes zuweilen etwas zu ahnen, wenn wir auf einem hohen Gipfel stehen und ringsum die Firne leuchten, wenn wir einen Schmetterlingsflügel unter dem Mikroskop betrachten, ein blühendes Tulpenfeld bewundern oder in ein paar große Kinderaugen blicken, die noch kein Leid verdunkelt hat. Aber das alles vermittelt uns nur eine ferne Ahnung von dem, was Herrlichkeit Gottes ist. Wir greifen den Saum seines Gewandes, während Er selbst, der in einem Licht wohnt, da niemand zu kann, verborgen bleibt. Hier aber, auf diesem Berge der Verklärung, steht der Eine, in dem Gottes Herrlichkeit wirklich unter den Menschen erschienen ist. Er ist der Sohn, mehr als alle Kreaturen vom höchsten Engel bis zum kleinsten Sonnenstäublein, das Ebenbild des Vaters, der Abglanz seiner Herrlichkeit (Hebr. 1,3; An der zitierten Stelle liegt das Bild vom „Abdruck“ zugrunde, das der Prägstock auf einer Münze hinterläßt. Es besteht eine genaue Entsprechung zwischen dem Vater und dem Sohn.) Er darf von sich sagen: Wer mich sieht, der sieht den Vater. Nun sind wir freilich nicht in der glücklichen Lage, daß wir Jesus selbst wie die ersten Jünger mit unsren Augen sehen und ihn leibhaftig in unsrer Mitte haben. Mancher mag sie darum beneiden. Aber die Evangelium malen uns sein Bild vor unser inwendiges Auge, ein Bild, das schon ganz aus dem Glauben, aus dem Hl. Geist gestaltet ist. Es ist das Bild eines Menschen, ganz gewiß,. von keiner träumenden Phantasie vergoldet. Die Berichte der ersten Zeugen verschweigen nichts von seiner Niedrigkeit. Aber nun geschieht das Wunderbare, daß uns Gott selbst durch seinen Hl. Geist die Augen öffnet, so daß wir erkennen: Du bist Christus, des lebendigen Gottes Sohn! Mit diesem Wunder hat Jesus selbst gerechnet, darauf hat er gebaut und vertraut im Blick auf die Frage, ob er auch unter uns blinden Menschen Glauben finden werde: „Wenn aber der Geist der Wahrheit kommen wird, der wird euch in alle Wahrheit leiten, derselbe wird mich verklären“ (Joh. 16,13 f.). Wo immer dieser Geist sein Werk tut, da hat uns Gottes Hand gleichsam auf den Berg der Verklärung hinaufgeführt. Da kommen wir, wie Paulus sagt, „zu der Erkenntnis von der Klarheit Gottes in dem Angesichte Jesu Christi“ (2. Kor. 4,6). Es wird wohl so sein, daß wir diese Herrlichkeit nicht von Anfang an und auch nicht immer mit derselben Deutlichkeit auf dem Antlitz Jesu leuchten sehen. Unsre Vernunft ist dafür völlig blind. Die Geringschätzung Jesu durch die Welt, in der wir leben müssen, nicht zuletzt der leidige Satan, bemühen sich mit spürbarem Erfolg, uns diese Herrlichkeit immer wieder zu verdunkeln. Ja, der Herr selbst kann sich uns eine Zeitlang entziehen und verbergen, daß wir uns ganz von ihm verlassen dünken. Für solche Zeiten gibt es nur einen Rat: Halte dich um so treuer an sein Wort, laß nicht ab, auf ihn zu hören! Bedenke, daß gerade dies, auf Jesus hören, auf diesem Berg der Verklärung ausdrücklich befohlen wird. Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe; den sollt ihr hören! Den, diesen Jesus, zuerst und vor allen andern! Denn Er ist der „treue und wahrhaftige Zeuge Gottes“ (Off. 3,14).

2. Er empfängt das Zeugnis seines Vaters

Haben sie einen Zeugen? So fragt wohl der Richter den Angeklagten, der – in falschen Verdacht geraten – seine Unschuld beteuert. Kann er einen namhaften, glaubwürdigen Zeugen beibringen, der seine Darstellung des Sachverhalts bestätigt, so wird die Anklage an diesem “Zeugnis“ zusammenbrachen. Jesus von Nazareth steht unter der Anklage, sich zu Unrecht als den Sohn Gottes bezeichnet zu haben. Sein Anspruch, der „Christus“ zu sein, ist als Gotteslästerung verdächtigt worden. Unter dem Druck dieser Anklage ist er zum Tod verurteilt worden. Ob zu Recht oder Unrecht, läßt sich nicht mit Gründen der Vernunft entscheiden. Es ist eine Glaubensfrage. Aber es ist nicht unwichtig zu sehen, daß dieser Jesus von Nazareth einen Zeugen hat. Nicht nur ein Mensch, wie z.B. der Täufer Johannes - Gott selbst zeugt und verbürgt sich für ihn. Gleich zu Beginn seiner Wirksamkeit, bei der Jordantaufe, und dann zum andernmal hier am Wendepunkt seiner Wirksamkeit, ehe die Passion im eigentlichen Sinn beginnt, empfängt er das Zeugnis des Vaters: Du bist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe. Ein solches Zeugnis ist keinem andern jemals ausgestellt worden in der ganzen Geschichte des Menschengeschlechts, soviel große und herrliche Namen sie auch zu verzeichnen hat. Dieses Zeugnis ist einmalig und einzigartig. Nicht in dem Sinn, daß es auf diese „Stimme vom Himmel“ beschränkt wäre. Wir denken daran, wie Jesus die „Werke“, die seine Verkündigung begleiten, als ein fortlaufendes Zeugnis des Vaters für den Sohn verstehen lehrte (Joh. 5,36). Und wir verweisen auf das letzte und herrlichste Zeugnis, das ihm vom Vater ausgestellt wurde. Die Auferweckung am Ostermorgen. Hier hat Gott gleichsam Fraktur geredet! Insofern steht dieses Zeugnis auf dem Berg der Verklärung durchaus nicht allein. Aber nur Einer, ein Einziger ist es, der solches Zeugnis empfängt, damals und heute, eben dieser Jesus von Nazareth. Auf ihm ruht Gottes Wohlgefallen, weil er den Vater durch einen bruchlosen, völligen Gehorsam ehrte und von keiner Sünde wußte. Allein um seinetwillen werden wir, die wir Gottes Mißfallen, Zorn und Ungnade verdient haben, Gegenstand göttlichen Wohlgefallens (Luk. 2,14). Mit der ganzen Wucht eines göttlichen Befehls ist uns geboten, auf ihn zu hören. Denn durch sein Wort will Gott selbst zu uns reden, in ihm will er sich der Welt enthüllen und bekanntmachen, in ihm ganz allein. Wir werden gut tun, uns über diesen ausdrücklichen Befehl nicht so leichten Herzens hinwegzusetzen, als ob wir darüber befinden könnten, was zu hören für uns interessant, wichtig und heilsam sei. Der lebendige Gott ist jedenfalls daran interessiert, daß wir auf Jesus hören. Er will uns damit gewiß keine Last auflegen. Er will uns einen Weg zeigen, wie wir mit unsrem Leben und Denken unter das Regiment der Wahrheit kommen. Gott sei Dank, wir sind nicht auf unsre menschlichen Gedanken und Spekulationen angewiesen, die alle in einem mehr oder weniger geistreichen Monolog stecken bleiben. Wir dürfen hören – jeden Tag. Und nicht genug damit, daß wir aus Jesu Mund Worte des ewigen Lebens empfangen. Wer auf ihn hört, soll und wird dieses Leben selbst empfangen. Denn

3. Er macht uns zu Miterben seiner Herrlichkeit

Wäre es anders, so müßten wir von dieser Geschichte mit einer schmerzlichen Wehmut Abschied nehmen. Was hülfe es uns, auf diesem Berg der Verklärung einen Eindruck von der Herrlichkeit Jesu zu empfangen? Wir können ja so wenig wie die ersten Jünger auf diesem Berg verweilen, unsre Hütten bauen. Wir müssen zurück in den kargen Raum der oft so zermürbenden Pflicht, zurück in das „Tal des Weinens“, wie die Bibel doch nicht ganz zu Unrecht diese Erde nennt (Psalm 84,7), zurück in die Hast und Hetze, in den Lärm und das Gewühl der Welt, in die dunkle Schlucht der Sorgen, vielleicht auch in irgendeine Leidenstiefe voller Todesschatten. Wird es uns nicht doppelt schwerfallen, in dieser Luft zu leben, in dieser Tiefe zu atmen, wenn wir auf diesem Berge gestanden sind und nun nichts andres übrigblieb als herabzusteigen? Auf diese Frage muß man mit Ja und Nein antworten. Ja, sofern wir nun in der Tat den Kontrast zwischen dieser gottfernen Welt und der himmlischen Welt doppelt schmerzlich empfinden. Nein, sofern diese Verklärung Christi unser eignes Leben in das Licht einer großen Hoffnung rückt. Sie ist nicht nur eine leuchtende Episode, die ihre Zeit und Stunde hat und dann wieder abgelöst und verdrängt wird von der notvollen Gegenwart. „Vater, ich will, daß wo ich bin, auch die bei mir seien, die Du mir gegeben hast, daß sie meine Herrlichkeit sehen“ (Joh. 17,24). Dieses Gebet Jesu – das einzige, in dem er mit einem „Ich will“ vor den Vater tritt – wendet unsre Gedanken von der Vergangenheit der Zukunft zu. Wir sollen ihn sehen, wie er ist, und das nicht nur von ferne, aus einer unüberbrückbaren Distanz, sondern so, daß uns Gott selbst wunderbar in sein Bild verklärt mit Einschluß unsres „nichtigen Leibes, daß er ähnlich werde seinem verklärten Leibe“ (Phil. 3,20). Insofern ist diese Geschichte von der Verklärung Christi eine strahlende Verheißung an alle, die ihn liebhaben unverrückt. Sie ist ein erstes Aufleuchten der Herrlichkeit, die an den Kindern Gottes geoffenbart werden soll (Röm. 8,17). Was hat es schon zu bedeuten, wenn wir jetzt „eine kleine Zeit“ mit ihm leiden, wenn anders wir zu solcher Herrlichkeit mit ihm erhoben werden? Es ist dies alles nur ein Tunnel, durch den es hindurchgeht in rascher Fahrt. Schneller, als wir es je gedacht, wird diese Fahrt zu Ende sein. Dann wird uns das Licht umleuchten, das auf jenem Berge die Gestalt Jesu verklärt und durchleuchtet hat.

Wir werden bei ihm erben
die herrlich Kron' und Freud',
Sieg und Triumph erwerben
durch ihn in Ewigkeit!

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