Krummacher, Gottfried Daniel - Das letzte Wunder Christi

Krummacher, Gottfried Daniel - Das letzte Wunder Christi

Das letzte Wunder, welches Christus in eigener Person auf Erden verrichtete, Ev. Joh. 21, läßt sich sehr wohl auf die letzte Heidenbekehrung deuten, wie der erste Fischzug, Luk. 5, die erste Heidenbekehrung unter dem neuen Testament abbildete. Das Meer bedeutet die Heiden und die im Anti-Christentum verschlossene Christenheit. Die Nacht ist ein Bild der eingetretenen großen geistlichen Finsternis. Die fischenden Jünger bezeichnen die Werkzeuge, deren sich Gott zur Ausführung seines Friedensrats bedient, wo der eine dies, der andere jenes zu tun bekommt. Die vergebliche Arbeit während der ganzen Nacht ist ein Bild der fruchtlosen Bemühung, die Wahrheit zur Gottseligkeit aufrecht zu halten und das Reich Gottes auszubreiten, da sich die Menschen von dem Geist Gottes nicht mehr wollen leiten lassen. Alles ist bis jetzt mißlungen, und man hat nicht nur das Unkraut neben dem Weizen müssen stehen lassen, sondern gern oder auch ungern leiden müssen, daß das Unkraut den meisten Raum einnimmt. Die Dazwischenkunft Jesu in der Dämmerung, wo die Jünger ihn noch nicht erkannten, ist ein Bild der unerwarteten gnadenreichen Heimsuchung der Menschheit, da Christus anfängt, alles aufs Rechte zu lenken zu einer Zeit, wo niemand daran denkt, daß es am Abend Licht werde, sondern vielmehr glaubt, es sei und bleibe alles vergeblich, das Evangelium finde überall unüberwindlichen Widerstand. Der schnelle und unerwartete Fang so vieler und großer Fische bedeutet, wie zu seiner Zeit, nicht nur eine große Menge, sondern auch unter diesen viele Ansehnliche und Gewaltige, deren Zahl bei Gott bestimmt ist. Die Vereinigung aller Jünger zu gleichem Zweck und der Fische in einem Netz ist ein Bild der alsdann stattfindenden völligen Einigkeit in Erkenntnis und Liebe. Die bereitete Mahlzeit und genügliche Ruhe ist ein Bild der Freude und der alsdann in reichem Maße auszuteilenden Güter des neuen Testaments. Daß das Netz nicht riß, wie das erste Mal, zeigt an, daß alsdann kein neuer Abfall zu besorgen ist. Daß es nicht in ein Schiff, sondern aufs feste Land gezogen wurde, bezeichnet die höchste Ruhe und Sicherheit der Kirche, welche neuen Stürmen nicht mehr wird preisgegeben werden, sondern wo Christus unter den goldenen Leuchtern wandelt und seine Herde selbst weidet.

Und der Geist und die Braut sprechen: Komm! Und wer es höret, der spreche: Komm!

11. Simon Petrus stieg hinein, und zog das Netz auf das Land voll großer Fische, hundert drei und fünfzig. Und wiewohl ihrer so viele waren, zerriß doch das Netz nicht.
12. Spricht Jesus zu ihnen: Kommt und haltet das Mahl.

Joh. 21, V. 11-12.

Wir betrachten erstens das letzte Wunder bei dem Fischzug und zweitens die Mahlzeit.

I.

Das letzte Wunder bei dem Fischzug bestand darin, daß das Netz nicht riß, obwohl der Fische so viele waren. Wenn der Herr Jesus Geschenke macht, so waren sie immer bedeutend, obschon er für sich von der Wohltätigkeit einiger Frauen lebte, welche ihm Handreichung taten von ihrer Habe. Zu der Hochzeit in Kana schenkte er ein Ohm Wein, so daß den jungen Eheleuten bedeutend übrig blieb. Hier schenkte er lauter große Fische in großer Menge, nämlich hundertdreiundfünfzig, wovon viele Menschen eine lange Zeit leben konnten, mehr als die Jünger gebrauchten, die sie also vermutlich verkauften und davon die Zeit gelebt haben, die sie in Jerusalem zubringen mußten, um auf die Ausgießung des Heiligen Geistes zu warten. So mußten auch die Weisen aus Morgenland der Maria Gold bringen, wodurch sie in den Stand gesetzt wurde, die Kosten der Reise nach Ägypten und ihres Aufenthalts in jenem Lande zu bestreiten. Da Gott ihr auch durch ein Wunder hätte Unterhalt verschaffen können, zog er doch diesen Weg vor. Hinter der Zahl 153 hat man ein Geheimnis gesucht, was auch wohl darin liegen mag. Ein alter Kirchenvater aus dem fünften Jahrhundert gibt vor, es gebe hundertdreiundfünfzig Arten von Fischen, und macht die Anmerkung dabei, dies zeige an, daß von nun an, aus allen Völkern, Ständen und Altern zu der Gemeine hinzugetan werden sollten. So gegründet aber auch diese Anmerkung ist, so wahr ist es doch zugleich, daß es mehr Arten von Fischen gibt, als diese Zahl andeutet. Genug indessen, sie bekamen so viel Fische, als der Herr ihnen zudachte; keine mehr, auch keine weniger. Bei einer solchen Menge von Fischen, die noch dazu stark und groß waren, hätte das Netz sehr leicht zerreißen können. Bei dem Fischzug, welcher Luk. 5 erzählt wird, wo die Jünger auch die ganze Nacht gearbeitet und doch nichts gefangen hatten, bis der Herr Jesus dem Petrus befahl, auf die Höhe zu fahren und das Netz auszuwerfen, um einen Zug zu tun, er aber sprach: „Auf dein Wort will ich das Netz auswerfen,“ und sie eine große Menge beschlossen, zerriß das Netz. Das Wunderbare dabei aber bestand darin, daß die Fische dennoch in dem zerrissenen Netze blieben, so daß sie zwei Nachen damit anfüllten. Hier war nun ein Wunder anderer Art, denn bei der großen Menge von Fischen zerriß das Netz doch nicht. Dort war man vergeblich für die Fische besorgt, als das Netz riß; und hier fürs Netz, da der Fische so viele waren.

Wir Menschen werden Ps. 39 als solche beschrieben, die sich viele vergebliche Unruhe machen, und Pred. 3 heißt es: „Niemand könne das Werk treffen, das Gott tut, weder Anfang noch Ende. Aber was Gott will, das muß werden; denn er trachtet und jaget ihm nach.“ Schon oft ist das Netz zerrissen, und doch der Schaden nicht daraus entstanden, den man befürchtete. Schon oft ist das Netz ganz geblieben, da man nicht anders denken konnte, als es müßte reißen. Als Christus am Kreuz hing, riß gleichsam das Netz der Hoffnung der Gläubigen, wie sie auch selber sagten: Wir hofften, er sollte Israel erlösen; das Andere sprachen sie zwar nicht aus, aber ihre Hoffnung war doch ziemlich am Ende. Dennoch blieben alle Fische im Netz; die gehoffte Erlösung durch Christum litt über seinem schmählichen, aller Vernunft zuwiderlaufenden Tod so durchaus nicht, obschon s so schien, daß sie eben dadurch ausgeführt und zustande gebracht wurde. Das Netz riß gleichsam, als Saulus die neu entstandene Gemeine aufs heftigste verfolgte und sich nicht begnügte, sie bloß in Jerusalem, sondern auch in andern Orten zu verstören. Aber die Fische entrannen dem Netz so wenig, daß eben die Verfolgung dazu dienen mußte, daß vielen durch die fliehenden Gläubigen das Evangelium gepredigt wurde; wo die Hand des Herrn mit ihnen war, daß eine große Zahl gläubig wurden und sich zum Herrn bekehrten (Apg. 11). In den späteren Verfolgungen schien es auch mehrmals um die Wahrheit geschehen zu sein, oder sie durch überhandnehmenden Aberglauben, Irrglauben und Unglauben verdrängt werden zu sollen; aber das Netz riß doch nicht, oder wenn es riß, so blieben doch die Fische darinnen. So wird der Herr auch ferner sorgen, obschon sein Weg wunderbar ist, führt er's doch herrlich hinaus, daß man endlich sagen muß: „Der Herr hat das getan, und es ist ein Wunder vor unseren Augen.“

In dem Gange des einzelnen Christen geht es auch nicht selten so, daß ein Zeitpunkt eintritt, wo es entweder ums Netz oder um die Fische geschehen zu sein scheint. Es gibt Fälle, wo Christen schon mit einer solchen entzückenden Freude und Liebe überströmt worden sind, daß sie gemeint haben, den Geist aufgeben zu müssen, oder wo sie wirklich in Ohnmacht gesunken sind. Es gibt aber auch Fälle, wo ihnen alles Licht, alle Kraft und Freude so entzogen wird, wo sie so wenig etwas von demjenigen, was Andacht, Gebet, Glauben, Liebe u. dgl. heißt, zu üben vermögen; Zeiten, wo ihnen dagegen ihr innerliches Verderben so aufgedeckt, wo die Sünde in ihnen so mächtig und so rege wird, daß das Netz reißt, und sie das „Roasch“, d. h. „da wird nichts aus“ ausrufen müssen. Aber es reißt doch nicht, sondern in der Folge versteht die Seele je länger je mehr, was für heilsame, notwendige und gnadenreiche Führungen diejenigen sind, wodurch der Herr uns demütigt, zu Nichte, zu Schanden macht; was für eine ausnehmende Barmherzigkeit es ist, wenn uns unsere Werke als kein nütze angezeigt werden. So werden wir von dem falschen Boden der eigenen Gerechtigkeit abgebracht und in das rechte Erdreich verpflanzt, welches Jesus Christus ist.

Betrachten wir den Christen natürlicherweise, so scheint nichts schwerer und ungewisser als seine Beharrung in der Gnade und endliche Erlangung der ewigen Herrlichkeit; nichts leichter, ja gar gewisser, als daß er auf dem Wege dahin umkommt, daß - in der bildlichen Redensart unserer Geschichte fortzufahren - das Netz reißt, und die Fische entrinnen. Betrachten wir die Menge, Arglist, Bosheit und Macht seiner geistlichen Feinde, bedenken wir, daß er nicht nur mit Fleisch und Blut zu kämpfen hat, sondern mit Fürsten und Gewaltigen, nämlich mit den Herren der Welt, die in der Finsternis dieser Welt herrschen, und mit den bösen Geistern unter dem Himmel; erwägen wir die große Kraft und Gewandtheit des Satans, der sogar unsere Eltern, die ohne Sünde waren, überlistete, wem sollte nicht grauen? Bedenken wir, wie schwerlich der Satan oft als Satan zu erkennen ist, weil er nicht immer als ein brüllender Löwe oder als eine unreine Sau, sondern öfters als ein Engel des Lichts einher gehet; weil er nicht immer zu groben Sünden versucht, die schon das natürliche Gewissen als Sünden erkennt und leicht davor zurückbebt, sondern, daß er hier behilflich ist, die eigene Gerechtigkeit aufzurichten, damit man nur Christum verliere und von der Gnade falle, dort das Evangelium auf eine Weise deutet, daß man in Frechheit, Sorglosigkeit und Sicherheit verfällt, und da den eigenen Kräften des Menschen auf die subtilste Weise das Wort redet, um ja zu verhüten, daß Christus nicht allein und ganz als die Ursache der Seligkeit angenommen werde. So möchte man ja billig fragen: „Ja, wer kann den selig werden?“ Setzen wir nun noch hinzu, wie unser Herz selbst ein so arglistig und betrügerisch Ding ist, daß Gott selbst versichert, er kenne es allein - wer sollte nicht vor sich selbst bange werden? Kaum ist der Stecken des Treibers ein wenig bei Seite gelegt, gleich steigt der Mensch auf Höhen; die arglistige, stolze Natur erhebt sich und dünkt sich etwas zu sein. Sie ist bei sich selbst weise oder stark, vermißt sich selbst fromm zu sein, verachtet die andern; raubt Gott was sein ist und wird dadurch ein Greuel. Es gibt sowohl Abwege zur Rechten als zur Linken. Wer ist klug, wer vorsichtig, wer wachsam genug, sich gehörig vorzusehen? Ja, wenn wir es recht bedenken, ist es eben so wohl verkehrt, wenn wir's so, als wenn wir's anders machen. Kann man eben so gut auf eine verkehrte Weise töricht als klug, auf eine verkehrte Weise stark als schwach sein, wer will uns unterweisen? In der Tat, wenn man das recht überlegt, so sieht man sich genötigt, mit den Jüngern sehr erschrocken zu fragen: „Wer kann selig werden?“ und es gehört ein gläubig Herz dazu, um nicht noch mehr zu erschrecken, wenn Jesus antwortet: „Bei den Menschen ist es unmöglich.“ Meinst du, du wolltest deine Sachen schon so klüglich einrichten, daß du das Ziel nicht verfehlest, so bist du schon irre geleitet. Glaube aber an den Herrn Jesum, so wirst du selig.

Das Netz riß doch nicht, und obschon es riß, so wurden doch die Fische nicht verschüttet. Wer bewirkte das? Die Macht Christ. Und werdet ihr nicht aus Gottes Macht durch den Glauben bewahret zur Seligkeit, so ist kein Durchkommen. Die gute Zuversicht des Apostels von der Seligkeit der Philipper gründete sich darauf, daß der Gott, der das gute Werk in ihnen angefangen habe, es auch vollführen werde bis auf den Tag Jesu Christi. Außer diesem braucht niemand zu denken, daß irgendwo ein Irrtum so abscheulich sei, worin er nicht unvermerkt verflochten, keine Sünde so erschrecklich, wovon er nicht überwältigt werden könne. Darum sei nicht stolz, sondern demütig! Wer meint zu stehen, der sehe wohl zu, daß er nicht falle. Seid nüchtern und wachet, denn euer Widersacher, der Teufel, gehet umher wie ein brüllender Löwe und suchet, welchen er verschlinge. Jesus Christus aber, gestern und heute, und derselbe auch in Ewigkeit.

II.

Jetzt spricht Christus: „Kommet und haltet das Mahl.“ Buchstäblich hieß es: Herbei, herbei, hieher, frühstückt nun! und mir hat das Wörtlein „herbei, hieher“ etwas besonderes, etwas vorzügliches vor der uneigentlichen Übersetzung: Kommt. So heißt's auch Matth. 11 eigentlich: „Herbei, her, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken.“ Herbei! mit diesem Worte ruft Jesus von etwas ab; die Jünger körperlich von dem Ort, wo sie jetzt standen oder waren. Durch die Stimme Jesu wird der Sünder auch abgerufen von seinem bisherigen Stand. Derselbe ist ein Stand der Unbußfertigkeit und Sicherheit, wo er müßig am Markte dieser Welt stehet, für sie tätig, gegen Gott müßig; für die Welt und Sünde lebendig, für Gott tot; der Welt Freund, Gott feind. Ein Stand der eigenen Gerechtigkeit, wo er voll ist von eigener Tugend, Weisheit und Kraft; ein Stand der Sünde, die er liebt und tut; ein Stand der Blindheit, des geistlichen Todes, der Feindschaft. Davon wird er durch die Stimme Jesu: „Herbei!“ abgerufen; diese Stimme geht fort und zieht ihn immer weiter ab von sich selbst, und derselben vermag er nicht zu widerstehen; denn die Stimme Jesu ist keine unkräftige, sondern eine mächtige, ja allmächtige Stimme; seine Schafe hören sie und folgen ihr. Im 29. Psalm wird viel Herrliches davon gerühmt; die Stimme des Herrn, so heißt es da, gehet mit Macht, die Stimme des Herrn zerbricht die Zedern, die Stimme des Herrn hauet wie Feuerflammen, die Stimme des Herrn erreget die Wüste und entblößet die Wälder. „Herbei!“ rief Jesus und zog dadurch die Jünger zu such. Und das tut er noch immer. Hieher, ihr Mühseligen und Beladenen, ich will euch erquicken; ich bin's und keiner mehr! Oft bleibt man lange Zeit bei sich selbst stehen, und Jesus findet uns damit beschäftigt, unser Netz zu flicken. Man will sich selbst in eine gute Verfassung setzen und das in sich hervorbringen, was Jesus gefallen soll. Der wollte gern klein und gebeugt sein und möchte sich wohl gern in die Gestalt jener Sünderin versetzen, welche Jesu Füße mit Tränen wusch; jener möchte gern danken, denn es heißt: „Wer Dank opfert, der preiset mich, und das ist der Weg, daß ich ihm zeige das Heil Gottes.“ Der möchte gern seine Sünde in ihrer ganzen Abscheulichkeit einsehen, um sie recht zu bereuen und zu hassen und die Opfer zu haben, die Gott gefallen; jener sucht sein Herz, um es einmal in einem recht kräftigen Gebet vor dem Herrn auszuschütten, um eine reiche Gabe zu empfangen. Dieser übt sich, sich recht gläubig zu machen und auf den Herrn zu vertrauen; und jener arbeitet, seines eigenen Wollens, seines Sorgens und Grämens los zu werden; und noch ein anderer bemüht sich, seines eigenen Wirkens los und stille zu werden, denn: „Wenn ihr stille bliebet, so würde euch geholfen.“ Dies geht auch so fort und dauert so lange, bis der Herr ruft: Herbei, hieher! Ach, und welcher Segen ist es, endlich zu verstehen, daß er das Eine sei, daß diejenigen, die ihn annehmen, alles in ihm und nicht in sich selbst haben, was zu ihrer Seligkeit gehört. So hat man Ruhe, so erquickt man die Müden, so wird man stille. Aber freilich, das „hieher!“ muß Jesus selbst rufen, sonst hört und versteht man's nicht. Mag Johannes auch sagen: „Siehe, das ist Gottes Lamm!“ seine Jünger bleiben dennoch bei ihm stehen und meinen, es durch ihre strenge Lebensart zu erreichen. So kann man nicht anders, als bei sich selbst und bei den Mitteln stehen bleiben, wodurch man doch nicht weiter kommt, bis Christus sagt: Hieher! ich bin's, der die müden Seelen erquickt.

„Haltet das Mahl!“ setzt Jesus hinzu, oder wie es eigentlich heißt: Frühstückt denn! Es war Morgen, und sie hatten noch nichts genossen; da kam Jesus und gab ihnen von dem Brot und den Fischen, um welche sie nicht gearbeitet hatten. Er hatte alles bereitet. Ohne Zweifel schmeckte es ihnen sehr gut, denn sie waren hungrig und müde. So hat der Herr für die Seinen eine Zeit der Arbeit, eine Zeit der Erquickung und auch eine Zeit der Ruhe. Den Hungrigen tut Speise wohl und den Müden die Ruhe, den Armen eine Gabe, den Schwachen Stärkung und den Traurigen Trost. Dies sind deswegen auch die Leute, die sich Christus erwählet hat, da die andern ihn nicht brauchen können. So ruft das Evangelium noch immer fort: Alles ist bereitet! Merkwürdiger Inhalt! Was ist es? Es ist bereitet. Du brauchst es nicht zu bereiten, sondern das ist schon geschehen, schon längst geschehen. Einer hat die ganze Nacht durch gearbeitet und schlief; und da er erwachte, siehe, da war alles bereitet. Was zählet ihr dann Geld dar, da kein Brot ist und eure Arbeit, da ihr nicht satt von werden könnet? Es ist schon bereitet, wie das Brot und Fische für die Jünger. Was ist bereitet? Alles. Alles, was zur Seligkeit und Gottseligkeit erforderlich ist, und zwar in großem Überfluß. Kein Stücklein, nichts großes oder kleines ist zu erdenken, oder es ist alles da. Jesus gab den Jüngern so viel Fische, als ihr Netz nur fassen konnte, und zeigte ihnen, daß er noch weit mehr habe. Mein Volk soll meiner Gaben die Fülle haben.

Nun heißt es denn: „Wohlan alle, die ihr durstig seid, kommt her zum Wasser; und die ihr nicht Geld habt, kommt her, kaufet und esset; kommt her und kaufet ohne Geld und umsonst, beide Wein und Milch! Höret mir doch zu und esset das Gute, so wird eure Seele in Wohllust fett werden. Neiget eure Ohren her und kommt her zu mir; höret, so wird eure Seele leben!“ Aber hier hebt die Not wieder an, und obschon es heißt, alles sei bereitet, so fällt die Hauptsache zuletzt doch dem Menschen wieder auf die Schultern. Er soll doch kaufen, kommen, essen, hören, seine Ohren neigen, sonst hilft's doch alles nichts. Wisset ihr denn nicht, daß einige Verheißungen die Gestalt der Forderungen annehmen? Meint ihr dann nicht, daß das Kaufen, Essen und Hören auch zu den Dingen gehöre, die bereitet sind, die man umsonst kauft, das heißt, frei geschenkt bekommt? Dann wäre Jesus ja nur ein halber Heiland, der das Eine gäbe und das Andere forderte; dann wären wir doch ganz arm. Ist er dir schon so gnädig gewesen, dir das Heil zu bereiten, sollte er dir das Verlangen nach dem Heil nicht geben? Und hat er einmal den Anfang gemacht, dann wird er auch sein Werk nicht auf halbem Wege liegen lassen; nein, es wird vielmehr nach der Regel gehen: Wer da hat, dem wird gegeben, daß er die Fülle habe. Warum läßt er mich denn so lange hungern und suchen? Ja, warum ließ er die Jünger die ganze Nacht arbeiten? Geduld, mein Herz, wird die das Glauben schwer, so lernst du gründlich an dir selbst verzagen.

„Frühstückt!“ hieß es endlich. Das rechte Mahl wird für den Himmel aufbewahrt, woran Leib und Seele teil nehmen werden, wenn der Herr am jüngsten Tage ruft: „kommt her!“ und nun die Gräber sich öffnen, die Leiber in einer verklärten Gestalt hervorgehen, mit der Seele wieder vereinigt werden und im Anschauen Gottes ewig selig sein werden. Was das für eine Herrlichkeit sein wird, ist hienieden nicht auszusprechen. Ort, Gesellschaft, Geschäfte, Umgang, alle Umstände werden sich vereinigen, ihre Glückseligkeit bis auf den höchsten Gipfel zu führen, und dieselbe wird ewiglich fortwähren. Da wird's recht kund werden, was es sei, das das Lamm durch sein Blut bereitet hat, deshalben wird das Lamm, das erwürget ist, auch alle Ehre davon empfangen. Alles, was hienieden davon genossen wird, ist ein Frühstück gegen die ganze Mahlzeit zu rechnen. Wir haben des Geistes Erstlinge empfangen, sehnen uns aber doch nach der Kindschaft und warten auf unseres Leibes Erlösung, wiewohl auch das Frühstück herrlich genug sein kann. Es gibt nicht nur einzelne Erquickungen und durchdringende Freudengenüsse, worauf bald wieder große Dürre, Dunkelheit und Anfechtung folgen kann; einzelne Ruhestunden, worauf wohl eine desto angestrengtere Arbeit, Kampf und Anstrengung erfolgt; es gibt nicht nur einzelne Sabbate und Feiertage, sondern Jesus gibt auch eine fortwährende Ruhe für die Seele, wo sie sich von ihm kann bewirten, bedienen, speisen und tränken lassen, wo sie eben so zufrieden ist, wenn er sie an eine Arbeit setzt, als wenn er sie im Frieden schlafen läßt.

O, selige Seelen, die gar nichts mehr können,
Als was ihr Heiland in ihnen vermag;
Die nicht mehr wirken, nicht laufen, noch rennen,
Folgen als Schafe dem Hirten stets nach;
Lassen sich führen, sich weiden und tränken,
Lassen sich alles aus seiner Hand schenken.

Dies kann aber nur in dem Maße der Fall sein, als die Seele sich verloren hat, in sich selbst vernichtigt und zu Schanden gemacht ist, und wenn sich Jesus der Seele so offenbart hat, daß sie nicht mehr zu fragen braucht: Wer bist du? Mit welchem Vergnügen werden die Jünger auf ihren Weg zurück gesehen haben, wie zufrieden werden sie damit gewesen sein, daß sie die ganze Nacht hindurch so fleißig gearbeitet und doch nicht das Geringste ausgerichtet hatten, weil es dem Herrn gefiel, sich selbst auf diesem Wege von ihnen finden zu lassen! Und so ereignet's sich immer. Mit welcher Freude werden endlich alle Seligen auf ihre Führungen durch die Wüste zurückblicken!

Was wird das sein, wie werden wir
Von ew'ger Gnade sagen!
Wie uns sein Wunderführen hier
Gesucht, erlöst, getragen;
Wo jeder seine Harfe bringt
Und sein besonderer Loblied singt.

Ja, sie werden gen Zion kommen mit Jauchzen! Sie werden kommen und seine Gerechtigkeit rühmen, daß Er es tut. Amen.

Quelle: Krummacher, G. D. - Gesammelte Ähren

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