Krummacher, Friedrich Wilhelm - Der leidende Christus - IX. - Die Einsetzungsworte.

Krummacher, Friedrich Wilhelm - Der leidende Christus - IX. - Die Einsetzungsworte.

Der Prophet Amos redet im 7ten Verse des 5ten Kapitels seiner Weissagungen von Leuten, die „das Recht in Wermuth verkehren.“ Er hätte für „Recht“ auch Heil sagen können; und es würden seine Worte auch in dieser Fassung in unzähligen Lebensbildern der Menschheit bis zur heutigen Stunde ihre traurige Bestätigung gefunden haben. So ist's unter Anderm ein schreckliches Zeichen des Verfalls unsrer menschlichen Natur, daß das heil. Abendmahl, welches uns zu Frieden und Seligkeit gesetzt ward, allem Anscheine nach viel Mehreren zum Unheil, als zum Heil gereicht. Nicht allein, daß dasselbe Tausende, weil sie es ihr Lebenlang verachten und mit dem Rücken ansehn, statt ihnen die Absolution zu versiegeln, vor dem Richterstuhle Gottes nur verklagen wird; nicht allein, daß andere Tausende, die der heiligen Stiftung wenigstens äußerlich noch einige Ehrfurcht bezeugen, von dem Schreckensworte getroffen werden: „Wer unwürdig isset und trinket von diesem Brod und Wein, der isset und trinket sich selber das Gericht“; - selbst unter den Gläubigen gereicht es Vielen insofern nur zum Verderben, als sie von ihm, - denkt, von dem Mahl der Liebe, - in beklagenswerthester Weise Anlaß nehmen zu Haß, Verketzerung, ja Verfluchung wahrer und lebendiger Glieder am Leibe des Herrn, die nur aus triftigen biblischen Gründen nicht vermögen, ihren Lehr- und Schulformeln von der Bedeutung des Sakramentes in Allem bis auf's Jota beizustimmen.

O Herr! Was zum Auferstehen gesetzt ward, wird den Menschen durch ihre Verdrehtheit zu Aergerniß und Fall! Was ihnen zum Leben dienen sollte, gereicht ihnen zu Tod und Untergang! Ach, daß Solches nur nicht auch uns widerfahre! - Eine gründliche Vertiefung in das, was die Schrift vom Abendmahle und dessen Zweck und Bedeutung uns lehrt, wird uns dagegen sicherstellen helfen. Wir haben mit solcher Vertiefung den Anfang gemacht, und gedenken, geliebt's Gott, unter Seinem Segen heute damit fortzufahren.

Matth. 26, 26-28. Mk. 14, 22-24. Luk. 22, 19 u. 20. 1 Korinth. 11, 24 u. 25.

Und Jesus sprach: Nehmet, esset, das ist mein Leib, der für euch gebrochen und gegeben wild solches thut zu meinem Gedächtniß. - Dieser Kelch ist das Neue Testament in meinem Blute, das für euch und für Viele vergossen wird zur Vergebung der Sünden. Solches thut, so oft ihr es trinket, zu meinem Gedächtniß.

Die Einsetzungsworte des heiligen Abendmahls sind es, welche heute unsre Andacht in Anspruch nehmen. Ich sage mit Nachdruck „unsre Andacht“; denn es sind Worte, die geheimnißvollsten Klanges aus dem innersten Heiligthume unsres Gottes uns entgegentönen. Lehre der Herr uns ihre Tiefen verstehen!

Wir betrachten zuerst diejenigen Worte, welche die Darreichung des Brods, und dann diejenigen, welche die Kelchstiftung begleiteten.

1.

Der Herr reicht den Seinen das gebrochene Brod und beginnt: „Nehmet, esset!“ Beachtet zunächst, daß er hier selbst weder mit isset, noch mit trinket. Es würde ungeeignet gewesen sein, daß er von den Wahrzeichen seines eignen Leibes und Blutes gegessen und getrunken hätte. - „Nehmet, esset!“ spricht er. In diesen Worten verlautet ein Einladungsruf der freien Gnade; ja, es tönt durch sie ein Wiederhall der prophetischen Aufforderung bei Jesaias 55 hindurch: „Wohlan Alle, die ihr durstig seid, kommet her und kaufet ohne Geld und umsonst beide Wein und Milch.“ - „Umsonst, umsonst!“ Dies ist, Gott sei's gedankt, die Inschrift aller Güter des neuen Testamentes. Es hindert dies aber nicht, daß man derselben doch nur in einer bestimmten Ordnung theilhaftig wird. Es hat das „Nehmet, esset“ auch seinen tiefern mystischen Sinn. In dem „Nehmet“ liegt ein Aufruf; in dem „esset“ zugleich eine Verheißung. Das „Nehmet“ wendet sich nicht blos an die Hand, sondern viel mehr noch an das Herz. Es fordert Empfänglichkeit, Hunger und Durst, und Aneignung im lebendigen Glauben. „Ein Mensch kann nichts nehmen“, sagt Johannes der Täufer, „es werde ihm denn gegeben vom Himmel.“ - Sehr wahr! - Aber nicht minder wahr ist die jenen Worten Seitens eines Auslegers beigefügte Bemerkung: „Nichts kann vom Himmel gegeben werden, es sei denn, daß der Mensch es nehme“. - Wo es an Empfänglichkeit und Glauben beim heiligen Abendmahle gebricht, geschieht auch keine innerliche Speisung und Tränkung mit dem Leibe und Blute des Herrn. Schon durch die Stellung der Worte wird dies angedeutet, indem das „Nehmet, esset“ dem „Das ist mein Leib“ vorangeht. Hieße es in umgekehrter Ordnung: „Das ist mein Leib; nehmet, esset,“ so konnte auch Einer gut römisch denken, es sei auch vor dem Nehmen und Essen das Brod schon der Leib des Herrn, und es empfange den letzteren auch derjenige, der ohne Bedürfniß und Glauben das Brod genieße. Wäre aber dies der Fall, so würde folgen, daß auch Gottlose und Heuchler durch den bloßen Abendmahlsgenuß dem Gerichte entrinnen und die Seligkeit erraffen konnten: denn Joh. 6 sagt der Herr ausdrücklich und bestimmt: „Wer mein Fleisch isset und trinket mein Blut, der hat das ewige Leben!“ Jener Ansicht ist aber, wie gesagt, schon durch die Form der Einsetzungsworte vorgebeugt. O, es ist in der Ausdrucksweise des Herrn Alles bis auf Sylbe und Strichlein gar fein und tief berechnet. Wir werden später noch öfter Anlaß finden, dies zu bemerken.

Das „Nehmet“ heißt mithin: „Begegnet dem dargebotenen Gut mit hungerndem und durstendem Herzen, und gebt ihm in heilsbedürftigter und empfänglicher Seele Raum.“ Das „Esset“ ist wie das nachfolgende „Trinket“ Zusage, und verheißt die himmlische Sättigung und Erquickung. Worin aber die Speise bestehe, fragt ihr?

Hört: „Dies ist mein Leib“, fährt der Heiland fort. Diese Worte bilden den Schwer- und Angelpunkt der ganzen heiligen Stiftung, und lehren darum auch gleichlautend bei sämmtlichen vier biblischen Berichterstattern wieder. In ihnen thut sich die Pforte des Allerheiligsten vor uns auf. Sie stellen uns unmittelbar vor das große Geheimniß. Jede Sylbe fordert hier ihre genauste Erwägung. Merkwürdig ist zuerst das Wörtlein „dies“. Es steht nämlich im griechischen Grundtext als Neutrum, oder in der sächlichen Geschlechtsform, während das Brod (Artos) im Griechischen Maskulinum, oder männlichen Geschlechtes ist. Der Herr sagt also, die Sache genau genommen, gewiß in bewußter, weiser Absicht, nicht „dieses Brod ist mein Leib.“ Solche Redeweise hätte groben Mißverstand veranlassen müssen, und namentlich den römischen Verwandlungswahn begünstigt. Der Herr sagt vielmehr: „Dies“ nämlich was ich euch, (freilich mit dem Brode,) nehmen heiße, ist mein Leib; und nun gewinnt das lutherische „in, mit und unter“ in der That eine Berechtigung, während nicht blos Rom, sondern in einem mäßigeren Grade auch den ehrwürdigen Zwingli der Vorwurf trifft, nicht scharf genug gelesen zu haben. - Aber jetzt das Wörtlein „ist“. - Wenn das erzählen konnte, durch welch' ein Feuermeer von Zank und Eifer es hindurchgegangen sei! Wer sieht's dem Wörtlein an, welch' wüster Kriegsbrand dasselbe Jahrhunderte hindurch umlodert hat? Ach, welche schäumenden Brandungen hundertfach gestalteter Sünde haben dieses Wort bespült! Keine Burg und Veste in der Welt sah ein wüthigeres Getümmel um sich her, als diese Sylbe. An keiner Stelle der Erde ist greller zu Tage getreten, daß auch die größten Heiligen unter dem Himmel Kinder des Todes und der Verdammniß wären, wenn nicht freie Gnade herrschte, als an dieser. Aus diesem „ist“ hat sich, wie eine Kröte aus einer edlen Blume Gift, eine stolze Priesterschaft unersättlichen Hadergeist getrunken. Bei diesem „ist“ brach die evangelische Kirche für Jahrhunderte in zwei Stücke auseinander; und heute noch gibt es Leute, die diesem „ist“ nicht nahen können, ohne daß ihnen die Augen in einem Feuer zu funkeln beginnen, welches wahrlich anderswoher, als vom Himmel stammt; ja, die, so oft dies „ist“ sie umtönt, nur Schlachtdrommeten schmettern zu hören glauben, und zum unglückseligsten Bruderkriege sich rüsten. O, begnadige uns Gott mit der Kindes-Einfalt, welche um dieses „ist“ nur den Himmel offen sieht, und darin die ganze Güterfülle des neuen Testaments, ja, den Herrn Christum selbst mit allen seinen Gaben und Gnaden findet; und schenke Er uns den Glaubenssinn, der um das „ist“ nur wie ein harmlos-fröhliches Kind um den strahlenden Baum am Weihnachtsabend in Freudensprüngen seinen Reigen führt. - Was besagt aber das Wörtlein „ist“? - Daß dasselbe in der Schrift sehr häufig für „bedeutet“ steht, leidet keinen Zweifel. In der Erklärung des Gleichnisses von dem Unkraut unter dem Waizen spricht z. B. der Herr: „Der Acker ist die Welt; der gute Same sind die Kinder des Reichs; das Unkraut sind die Kinder der Bosheit; die Erndte ist das Ende der Welt.“ In allen diesen Sätzen hat das Zeitwort „sein“ vergleichenden Sinn, und bezeichnet dasselbe, was das Wort „bedeuten“. Ebenso hat sich's mit dem Wörtlein „ist“ in der beim alttestamentlichen Ostermahl gebräuchlichen, und vor dem Essen vom Hausvater ausgesprochenen Formel: „Dies ist das Passah“, oder „der Leib des Passah!“ Dasjenige, auf was der Sprechende hinwies, war nicht das egyptische Osterlamm selbst, durch dessen Blut die Israeliten aus dem Diensthause gerettet wurden, sondern nur ein Abbild desselben, welches das wunderwirkende lediglich wiederspiegelte oder bedeutete. - So wäre denn in der That der Sinn des Wörtleins „ist“ in dem Begriffe des Bedeutens vollständig erschöpft? - Das sei ferne! lieben Brüder. - Ich meinestheils kann nicht Zwingli's Ansicht theilen; aber, wie sich von selbst versteht, viel weniger die Ansicht derer, die das „ist“, sofern es auf das Brod und den Wein bezogen wird, im buchstäblichsten Sinne verstanden wissen wollen. Ich müßte dann ja auf die Seite der Papisten treten, welche lehren, daß das Brod wirklich nicht mehr Brod, und der Wein nicht mehr Wein, sondern jenes durch die Consecration des Priesters in Fleisch, und dieser in Blut verwandelt sei. - „Was aber“, fragt ihr, „wiegt dir denn das Wörtlein „ist“?“ Ihr sollt es später hören, wenn wir die Bedeutung des heiligen Abendmahls erforschen werden. Einstweilen aber mögt ihr wissen, daß auch ich für die buchstäbliche Auffassung des Wörtleins mich entscheide, wenn nämlich das, was wir vorhin über die neutrale, oder sächliche Form des Wortes „dies“ bemerkten, der gehörige Ascent gelegt wird. Beschränken wir uns indeß für heute auf die Worterklärung der einzelnen Ausdrücke in der heiligen Einsetzungsformel, ohne noch auf ihre sakramentliche Währung einzugehn, und achten wir jetzt auf das, was der Herr dem „dies ist“ unmittelbar folgen läßt.

„Dies ist mein Leib“, spricht er. Hier nennt er also den Gegenstand, der genommen und gegessen werden soll. Nicht sein Geist, nein, sein Leib ist's. Dieser, deutet er an, werde hinfort die Stelle des Passahlammes vertreten. Es haben Manche die Worte so gedeutet: „Ich, der Gottmensch, bin in Zukunft euer Brod, euer Manna, eure Seelenspeise“. Aber das ist eine willkürliche Umstellung seiner Worte. Der Herr sagt ausdrücklich: „Was ich euch mit dem Brode gebe, ist mein Leib“. Was wir aber hier unter dem Leibe zu verstehen haben, vernehmen wir später. - Nach Nennung seines Leibes fährt der Herr fort: „Der für euch gegeben wird“. Er meint: Gegeben in den Tod, wie dies der andere von dem Herrn gebrauchte Ausdruck, „der für euch gebrochen wird,“ außer Zweifel stellt. Dieses im vergleichenden Blick auf das gebrochene Brod ausgesprochene Wort weissagt die bevorstehende Auflösung seiner menschlichen Leiblichkeit durch den Sterbeprozeß. Der Herr predigt hier also wieder selbst die große Wahrheit, daß er sich als Sühnopfer für unsre Sünden werde kreuzigen lassen. Ja, diese Thatsache bleibt der eigentliche Kern- und Angelpunkt seiner erlösenden Thätigkeit, und macht erst das Werk des Herrn zu einem Heilswerk. Streicht dieses blutige Faktum aus dem Leben des Herrn weg, und Jesus Christus ist uns nicht mehr, was er heißet. Es bleibt uns dann in Seiner Person nur noch ein Gesetzes- und Sittenlehrer. Gebieter aber hatten wir an Mose und den Propheten schon genug. Was wir bedurften, war ein Mittler. - Nun könntet ihr einwenden, daß der Herr damals den Jüngern seinen Leib als einen für sie dahingegebenen und gebrochenen, und vollends schon als einen auferstandenen und verklärten, zum Genusse noch nicht habe darreichen können; und dieser Einwurf ist allerdings ebensowol gegründet, als es mit der daraus hergeleiteten Folgerung seine Nichtigkeit hat, daß die Jünger in jener Nacht den vollen Segen des Abendmahls noch nicht empfangen haben. Verstanden sie doch damals noch nicht einmal den Zweck und die Bedeutung des Opfers, auf das die heilige Communion sie hinwies; und ist doch ihr ganzes Verhalten während der Passion ihres Meisters hinlänglich Zeuge, daß sich ihnen von den Kräften des Sakraments nur erst wenig mitgetheilt hatte. Ferne sei es von mir, zu leugnen, daß irgend ein theilweiser und eingewickelter Segen des Sakraments den Jüngern auch schon damals zu Theil geworden sei. Im Grunde wurde das Mahl in jener Abendstunde erst für die Zukunft gestiftet, und gelangte zur Ausübung seiner ganzen Heilwirkung nicht eher, als bis der Leib des Herrn thatsächlich dahingegeben und sein Blut wirklich vergossen war. Erweist sich doch auch jetzt noch der Segen der Communicals ein reicherer oder geringerer, je nach dem dieselbe mit mehr oder weniger Empfänglichkeit und Erleuchtung gefeiert wird. Die Römischen, welche lehren, das Brod werde im Abendmahl der wirkliche Leib Christi, weßhalb sie auch die Hostie geradezu „Gott“ zu nennen kein Bedenken tragen, können der ungeheuerlichen Folgerung aus ihrer eigenen Lehre sich kaum entziehen, daß nun im ersten Abendmahle ein doppelter Christus habe gegenwärtig sein müssen, und zwar ein todter, nämlich der im Brode neu erschaffene, und ein lebendiger, der Spender des Brodes selbst. Ein solcher Schluß drängt sich ihnen mit Nothwendigkeit auf; und dennoch beharren sie, großentheils wider besseres Wissen und Gewissen, bei ihrem Wahn. -

„Solches thut!“ Vernehmet hier die Stiftungsformel. Es ist ein majestätisches, königliches Wort. Gebot ist's, Weissagung und Verheißung zugleich. Wer hätte denken sollen, daß es in jener stillen abendlichen Abschiedsstunde, in dem kleinen, unscheinbaren und ringsum von Widersachern bedrohten Kreise zu Jerusalem, um eine Gründung für Jahrtausende sich handle?! Der Herr der Herrlichkeit aber war sich seiner Sache gewiß. In göttlicher Vollmacht sprach er sein „Solches thut“; und ihr wißt, sein Wort hat sich durch Gebirge von Hemmnissen und Widerständen siegreich hindurch geschlagen. Und wie die Friedenstafel, die er bereitete, bis zur Stunde millionenfach auf Erden steht, so wird man sie stehen sehen bis an das Ende der Tage. - Dem „Solches thut“ folgt nun das „zu meinem Gedächtniß“. Merkt wohl; der Herr sagt nicht: Thuts in Erinnerung an mich, sondern „zu“ (das Wörtlein bezeichnet den Zielpunkt, auf den das Essen und Trinken berechnet ist,) „meinem Gedächtniß“. Allerdings enthält dieser Ausdruck eine Aufforderung; aber zugleich wieder eine Zusage, eine Verheißung. Er ist nicht Bitte blos des scheidenden Freundes: „Gedenket mein“; sondern ebensowol königliches Versprechen: „Ihr werdet an mich gedenken“; d. h.: „ich werde Sorge tragen durch die Gnade, die ich euch erweisen werde, daß ihr meiner nicht vergessen sollt“. Es hat sich damit, wie wenn ein weltlicher Machthaber seiner Günstlinge einen mit einem Fürstenthum belehnte, und zu ihm spräche: „Herrsche du hinfort darüber, und genieße dieses Landes Früchte zu meinem Gedächtniß“. Christus setzt in dem heiligen Abendmahle sich selbst ein Monument, dauernder als Erz und Marmor. Wo Er „das Gedächtniß Seiner Wunder“ stiftet, da will Er „zu uns kommen und uns segnen“; und dieser Sein Segen soll das Andeuten an Ihn frisch und lebendig in uns erhalten.

2.

„Desselbigen gleichen“, fährt unsere Berichterstattung fort, „nahm er auch den Kelch“. Er nahm ihn, dankte und segnete, wie beim Brod, und reichte ihn seinen sämmtlichen Gästen, daraus zu trinken. Unter beiderlei Gestalt bekamen das Abendmahl Alle; und als eine unverantwortliche Willkür erscheint es, daß Rom den Kelch allein den Dienern der Kirche vorbehalten wissen will. Spricht der Herr doch ausdrücklich: „Trinket Alle daraus“. In der neutestamentlichen Kirche besteht kein Unterschied mehr des Näher- oder Fernergestelltseins zum Herrn zwischen sogenannten Geistlichen und Laien; und Alle, die wieder darüber aus sind, irgend eine Art Mittlerthum des Pastorenstandes aufzurichten, verleugnen damit nicht allein den Protestantismus, sondern das Evangelium selbst. - Nach Matthäus und Marcus spricht der Herr nun weiter: „Das ist mein Blut, das des neuen Testaments“. Nach Lucas und Paulus spricht er: „Dieser Kelch ist das Neue Testament in meinem Blut“. Der Wein also bezeichnet und repräsentirt das Blut des Herrn. „Im Blute ist das Leben.“ Durch seines Blutes Vergießung erfüllte Christus verwirklichend das prophetisch vorbildende Schattenwort der alttestamentlichen Opfer, und stiftete dadurch, der göttlichen Gerechtigkeit genugthuend, den neuen Bund, in welchem sich Gott als versöhnter Vater uns entbeut, und wir als freie Kinder vor Ihm leben, und in Kraft der Liebe Ihm uns zu Dienst ergeben. Alles, was in diesem neuen Bunde uns zu Theil wird: Vergebung, Rechtfertigung, Kindesrecht und ewiges Leben, macht das unvergleichliche Erbtheil aus, das der Mittler sterbend uns hinterließ. So ist der griechische Ausdruck „Diatheke“, welchen Luther Testament überseht, überaus sinnig gewählt, weil er Beides, sowol Bund als Vermächtniß bedeutet. Wenn es nun heißt: „Das ist mein Blut, das des neuen Testaments“, so ist das erstere „das“ wieder ebenso zu verstehen, wie beim Brode. Der Herr will nämlich sagen: „Das, was ich hiemit euch gebe, ist mein Blut“. Wenn der Herr aber spricht: „Dieser Kelch“, statt: „dieser Wein ist das Neue Testament“, so versteht er natürlich unter dem Kelche des Kelches Inhalt, den Trank. Der Herr fährt fort: „Welches vergossen wird für Viele zur Vergebung der Sünden“, und macht hier das Hauptgut des neuen Testamentes namhaft. Es ist die göttliche Absolution, der Erlaß aller Missethaten. Die Worte „für Viele“ statt „für Alle“ bedürfen keiner Erklärung. Es ist ja leider! wahr, daß nicht Alle die Kraft- und Heilswirkung des Blutes an sich erfahren. Das Blut reichte seinem Vermögen nach hin, die ganze Menschheit zu reinigen und zu versöhnen; aber nur Wenige lassen die Wirkung desselben an sich kommen. Der Zusatz des Herrn bei Paulus: „Solches thut, so oft ihr's trinket, zu meinem Gedächtniß“, hat schon in dem früher von uns Bemerkten seine Deutung gefunden. In dem „so oft“ liegt wieder die göttliche Bestimmung ausgesprochen, daß das heilige Abendmahl fortdauernd in der Gemeine Christi auf Erden gefeiert werden solle. - Es gebeut diese fortgesetzte Feier; aber zugleich verbürgt und trägt es sie.

So viel denn zur nächsten, ich möchte sagen, grammatischen Erklärung der Einsetzungsworte. Des Abendmahls Bedeutung und Zweck schimmern uns höchstens nur erst schwebend und dämmernd aus dieser Wortentzifferung entgegen. Unsre nächsten Betrachtungen sollen, geliebt's Gott, dieselbe uns vollständig in's Klare stellen. Wer wird aber überhaupt das große Geheimniß fassen? Nur der Heils-, Erlösungs- und Versöhnungsbedürftige. Gehet darum mittlerweile in euer Herz, beschauet euch im Spiegel des Gesetzes, und prüfet euer inneres und äußeres Leben still vor Gott. Und kommt ihr dann als arme, zerschlagene und gnadenhungrige Sünder wieder, so weidet ihr Dinge verkündigen hören, die auch euch den Ausruf des 87. Psalms: „Herrliche Dinge werden in dir geprediget, du Stadt Gottes!“ auf die Lippe drängen, und im Blick auf das heilige Mahl euch zu dem Bekenntnis nöthigen werden:

hier ist der Herr zugegen,
Hier ist des Himmels Ziel!
Es ist mit Gnad und Segen
Das Heil an diesem Ort.
Hier finden ganz gewiß
Die wahren Glaubensstreiter
Die Himmels Thür und Leiter,
Trotz Satans Hinderniß. - Amen.

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