Krause, Cäsar Wilhelm Alexander - Jesu Geburt, der Menschheit Wiedergeburt.

Krause, Cäsar Wilhelm Alexander - Jesu Geburt, der Menschheit Wiedergeburt.

Predigt am zweiten Weihnachtstage.

Gelobet seist du, großer Gott, für alle Treue, die du an uns bewiesen hast von Anbeginn! Nimmer hast du deiner Kinder vergessen, und, ob sie auch viel sündigten, mit Langmuth hast du ihre Schwachheit getragen! Du wolltest sie nicht verderben, sondern erretten, und darum hast du Jesum Christum gesandt, nicht daß er die Welt richte, sondern daß sie durch ihn selig werde. Um seinetwillen preisen wir dich und lobsingen deinem heiligen Namen: denn heute ist uns der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr in der Stadt Davids. Durch ihn hast du uns Kindesrecht gegeben; o gieb uns auch kindlichen Geist, daß Alles vergehe, was uns von dir scheidet, daß unser ganzes Herz in Liebe und heiliger Ehrfurcht zu dir sich wende und unsere Seele in dir selig werde! Amen.

Vergangene Zeiten vergegenwärtigen sich unserm Geiste, geliebte Gemeinde, wenn wir dem großen Ereignisse nachdenken, das unsere heutige Festfreude begründet: Zeiten voll Finsterniß und Rohheit, voll Kampf und Gewaltthat, voll großen allgemeinen Elendes und vielen einzelnen Leides, in denen aber darum auch fromme Hoffnung auf Gott und innige Sehnsucht nach seinem Heile bei Vielen wieder lebendig geworden waren, vorzugsweise unter dem Volke, das der Herr seiner Offenbarung gewürdigt und es zu seinem Volke erwählet hatte. Tief herabgestürzt von seiner früheren Hoheit, war Juda eine Beute mächtiger Feinde geworden. Des Volkes eigene Sünde hatte seinen Fall verursacht, und der Herr hatte es heimgesucht, da es ihn verleugnet hatte. Ringsum erzitterte die Welt vor der siegreichen Macht des gewaltigen Römervolkes, und schwer lastete seine Herrschaft auf dem Nacken der besiegten Nationen. Die Altäre trieften vom Blute der Opferthiere und dampften von dem Weihrauche, dargebracht den heidnischen Götzen, und mühsam nur war der Tempel zu Jerusalem für den Dienst Jehovahs erhalten worden. Aber das Gesetz des Moses hatte einen unheilbaren Riß erhalten durch den Verlust der Selbstständigkeit des jüdischen Volkes, und in Folge religiöser Spaltungen war es dem einen Theile des Volkes mehr noch ein Gegenstand klügelnden Gezänkes, als frommer Erhebung und sittlichen Strebens geblieben, während der andere in gedankenloser Gesetzesknechtschaft verdummte. - Unter den Heiden suchten die Weisen nach Wahrheit und fanden sie nicht. Das Richtige des Götzendienstes hatten sie wohl erkannt; nur die Furcht und der Aberglaube trieb die blinden Völker noch zu den Tempeln. Den Gebildeten aber waren die Götter des Heidenthums zum Gespötte geworden, und nichts Anderes, kein tröstender Glaube, keine beseligende Hoffnung, kein heiligender Trieb hatte die trostlose Leere ihrer Herzen ausgefüllt. Die Furcht vor den Göttern war verschwunden und Liebe konnten die todten Bilder, die Erzeugnisse der fabelnden menschlichen Einbildungskraft nicht erzeugen. Darum wurde die Herrschaft der Leidenschaften und der rohen Gewalt auf Erden immer stärker, und die Menschheit ging ihrem Verfasse in geistiger, sittlicher, religiöser und bürgerlicher Hinsicht mit immer stärkeren Schritten entgegen. -

Da sprach der gnädige Gott: Bis hieher und nicht weiter! Als die Krankheit ihren höchsten Grad zu erreichen nahe war, sandte er das Heilmittel; als das Verderben drohte, kam die Rettung, und statt erneuerten Strafgerichts vernehmen wir den Ruf: Ehre sei Gott in der Höhe, Friede auf Erden, und den Menschen ein Wohlgefallen! und ein Strahl himmlischer Klarheit fiel auf die umnachtete Erde!

Wer war der Gewaltige, der seine starke Hand der fortschreitenden Zerstörung und Auflösung hemmend entgegen hielt? Wer war der Weise, der deswegen Gottes Rath verkündete, und des Himmels Wahrheit, des Ewigen Erkenntniß dem Menschengeiste zugänglich machte? Wer war der Heilige, der der Welt die Richtung himmelan gab? Wer wob das segensreiche Band, das sich von nun an um die Menschheit schlingen sollte? Wer war der Barmherzige, der sich für die Brüder dahin gab, auf daß sie nicht verloren gingen, sondern das ewige Leben hätten?

Nicht auf den Höhen der Welt, nicht in dem Kreise der Großen dieser Zeit, nicht in der Könige Häuser dürft ihr ihn suchen! Ein König durch seine innere Kraft, ein König im Reich der Wahrheit, ist Jesus geboren zu Bethlehem! Nicht umgiebt ihn Pracht und Herrlichkeit! Des Zimmermanns Sohn, ein zartes, schwaches Kind, bietet eine Krippe ihm die erste harte Lagerstätte! Aber Gottes Geist ruht auf ihm, Gottes Vorsehung bewacht ihn, und Heerschaaren des Himmels verkünden seine Erscheinung zur Freude aller derer, die da warteten auf das Heil des Herrn! Es ist in ihm erschienen: Freue dich, o Christenheit, und dein Lobgesang preise ewig deines Gottes Güte, der sich dein erbarmte, der dir Rettung gesandt und die Berufung zum ewigen Leben. Von der Krippe zu Bethlehem schreibt sich dein Heil her! - So quillt der zarte. Keim hervor und wächst und erstarkt zum mächtigen Baume, und die Vögel des Himmels wohnen unter seinen Zweigen; so scheucht der erste Sonnenstrahl die Nacht, und wachsend führt er des Tages helles Licht empor. So entfaltete sich das zarte Kind, dessen Geburt wir feiern, ward das Licht der Welt und verklärte sie zu einem Reiche Gottes. -

Was Jesus uns geworden, das fühlen wir, und schon darum muß dieser Tag uns hochheilig sein. Eigensüchtig aber wären wir, wollten wir nur an das denken, was wir persönlich gewannen. Was die Welt, was die Menschheit durch ihn gewann, das giebt einen höheren Gesichtspunkt ab und zeigt uns das heutige Fest in seinem schönsten Glanze. Durchdrungen von dem, was Jesus vollbracht, ruft sein Apostel aus: Die Nacht ist vergangen, der Tag aber herbeigekommen; das Alte ist vergangen, siehe, es ist Alles neu geworden, und er hat Recht, Jesus hat eine neue, eine geistige Welt gebaut, und Jesu Geburt ist der Menschheit Wiedergeburt. Als solche lasset sie uns heute betrachten, und Gott gebe uns dazu seinen Segen.

(Gesang. Gebet.)

Luc. 2, 15-20.

Eine Verheißung war den Hirten geworden: es sei ein Kind geboren in Bethlehem, welches bestimmt sei, die Herrschaft zu erringen in der Stadt Davids. Sie trauten dieser Verheißung; um ihretwillen zogen sie hin, fanden Alles bestätigt, was ihnen gesagt war, sahen das Kind der Verheißung, ihr Herz ward froh, und sie lobten Gott um Alles, was ihnen widerfahren war. - Jene Verheißung ist Wahrheit geworden, wir erkennen sie, und mit Dank und Freude nennen wir Jesum unsern Heiland. Aber ist sein Wort in uns auch lebendig geworden? Es sei denn, daß ein Mensch von Neuem geboren werde, so kann er nicht in das Himmelreich kommen! so spricht er; seine Jünger fordern eine stetige Erneuerung im heiligen Geiste von einem Jeden! Ist sie aber wirklich, wenn auch nur bei der Mehrzahl, schon eingetreten? Im Großen und Allgemeinen gewahren wir wohl den Umschwung aller Dinge, den die Erscheinung Jesu auf der Erde hervorgebracht hat; noch ist er aber darum kein völliger in dem Geiste Jesu geworden, weil in den Einzelnen seiner Bekenner noch nicht Alles neu geworden, noch das Alte nicht ganz vergangen ist. Aber der Weg dazu ist gebahnt, und das Licht ist uns gegeben, daß wir diesen Weg und das auf demselben uns winkende Ziel erkennen. - Jesu Geburt ist darum ein so wichtiger Zeitpunkt in der Weltgeschichte, und ihr Gedächtnißfest darum uns so feierlich, weil mit ihr eine neue Zeit begann.

Jesu Geburt ist der Menschheit Wiedergeburt, denn sie erhielt durch ihn einen neuen geistigen Aufschwung, einen neuen Trieb der Heiligung, eine neue selige Hoffnung, eine neue beglückende Vereinigung.

Wahr ist des Apostels Wort: Siehe, es ist Alles neu geworden. Jesu Geburt war der Menschheit Wiedergeburt, denn sie erhielt durch ihn

1) einen neuen geistigen Aufschwung.

Wohl hat man das größte Recht für sich, wenn man die geistigen Erzeugnisse der vorchristlichen Zeit rühmt: jene hehren Gebilde der Kunst, die wir noch jetzt anstaunen, jene herzergreifenden Dichtungen, die uns noch jetzt hinreißen, jene tiefen Forschungen der Weisheit, von denen wir noch jetzt lernen, und es scheint daher gewagt zu sein, wenn man dem Christenthume den Ruhm zusprechen will, daß es der Menschheit einen neuen geistigen Aufschwung gegeben habe, um so mehr, als die christliche Zeit uns Jahrhunderte der Barbarei aufzeigt, gegen deren Finsterniß die vorchristliche Zeit mehrerer Völker in hellem Lichte glänzt. Dennoch ist dies sein großes unsterbliches Verdienst. Waren ja doch jene einzelnen großen Geister des Alterthums nur durchaus vereinzelte Erscheinungen, der stumpfen großen Masse der Völker gegenüber, waren ihre Werke ja immer nur das ausschließliche Gut einzelner Nationen, über deren Grenzen hinaus sie kaum bekannt wurden. Daß ein lebendiger geistiger Trieb die ganze Masse der Völker durchweht und jeden Einzelnen fortgerissen hätte zu einem bewußten Geistesleben, davon bietet die alte Zeit uns kein Beispiel dar. Vielmehr behielten die Weisen ihre Weisheit nur den Auserwählten und Eingeweihten vor, und glaubten die Andern weder berufen noch befähigt zu höherer Erkenntniß; eine nachhaltige Völkerbildende Kraft hat sie nie entwickelt. Die Krone aller Wissenschaften, die, welche jeden Menschen angeht, die Wissenschaft von Gott, von seinem Willen, von der ewigen Bestimmung des Menschen war daher am wenigsten angebaut, und das Volk verdummte in der Masse von Fabeln, welche seine Götterlehre ihm darbot, in dem Aberglauben, den seine Priester geflissentlich nährten. - Da kam Jesus und predigte sein Evangelium allem Volk; da sandte er seine Jünger aus zu lehren alle Heiden; da wurde jeder Einzelne aufgefordert: Alles zu prüfen und das Gute zu behalten; da wurde ein Gott gelehrt, von dem Alles stammt, der Alles leitet, der sich Allen offenbart, der Jeden befähigt, nach seiner Erkenntniß zu trachten, der von Jedem Rechenschaft verlangt auch über die Bildung seines geistigen Vermögens, auch über die Anwendung seiner geistigen Kraft; und von der richtigen Erkenntniß Gottes hing das eigene Trachten nach Gottähnlichkeit, der eigene Gewinn der Gottseligkeit ab, - mußte durch dies Alles nicht ein neues geistiges Leben das Menschengeschlecht durchwehen? Und so geschah es. So lange das Christenthum noch in seiner ursprünglichen Reinheit, ungefesselt von hineingetragenen Menschensatzungen bestand, wirkte es eine geistige Regsamkeit in den Völkern, die sich zu ihm bekannten, übte es eine Kraft, die Wildheit zu bannen, Gesittung zu erwecken, reine Sittlichkeit und hohe Begeisterung für das Ewige und Wahre zu nähren, welche wahrhaft in Erstaunen setzen muß. Mochten eindringende wilde Völker die mächtigsten Reiche mit ihrem unüberwindlichen Schwerdte zerstören, das Christenthum überwand sie und gewann sie menschlicher Bildung und höherer Gesittung. Daß es aber nichts Anders als das Christenthum war, von dem diese Erscheinung herrührte, erkennen wir unwidersprechlich daraus, daß jene schöne geistige Regung in eben dem Grade erstarb, als das Christenthum zu einem bloßen Formelwesen herabsank, und Menschensatzungen sich an die Stelle des Gotteswortes drängten. Dann wurde das Licht aus Gott verdunkelt; war es zu verwundern, daß es finster wurde aus Erden? So wie aber das Licht der Reformation die bleischwer auf den Völkern lastende Dunkelheit durchbrach und das Christenthum in seiner früheren Reinheit wieder herstellte, da begann auch Kunst und Wissenschaft wieder zu blühen, die Bildung der Völker stieg, und mehr und mehr wird sie zu einem Gemeingute, woran Jeder sein wenn auch nur noch bescheiden Theil hat. Je mehr die Grundsätze der Reformation, d. h. des Christenthums, Eingang fanden in ein Land, desto mehr erwachte die Thätigkeit für Volksbildung, Volkswohl und Volksrecht; je besser es eigensüchtigen Bestrebungen gelang, sie von irgend einem Lande fern zu halten, desto mehr herrscht dort Unwissenheit, Aberglaube, Rechtlosigkeit, geistiger Stillstand, lind es kann nicht anders sein. Wo die Religion sich als ein Gesetz dem Geiste aufdrängt, das eigene Nachdenken nicht nur nicht verlangt, sondern sogar verbietet; wo blinder Glaube als die Bedingung der Gottgefälligkeit hingestellt wird, da erstirbt der Trieb der Forschung in dem menschlichen Geiste nicht blos für dies, sondern nach und nach für jedes Gebiet; da muß geistiger Stillstand eintreten. - Das Christentum kennt solch Gesetz nicht: Geistige Freiheit ist seine Losung, und in dieser Freiheit das Trachten nach dem Vollkommenen sein Ziel. Es will nicht um äußerer Gründe willen, gleichsam auf Befehl, geglaubt, sondern von Herzen angenommen sein, und dazu ist des Geistes freie Zustimmung nöthig, welche Prüfung und geistige Regsamkeit voraussetzt. In der Wahrheit, so betet Jesus, sollen seine Jünger geheiligt werden; die Wahrheit zu erkennen ist darum des Christen höchste Aufgabe und ein von dem Christenthume geheiligtes Bestreben. Es ist aber dem menschlichen Geiste eigenthümlich, daß er nur durch das Zusammenwirken mit Andern fortschreite in seiner Bildung. Je allgemeiner also die Bestrebungen werden, die Wahrheit zu erforschen, desto reichere Erfolge müssen sie bringen, desto lebendiger muß der geistige Aufschwung des Menschengeschlechts werden. Jesus führt uns diese Bahn durch sein Evangelium, und wir können seine Geburt mit Recht den Beginn der geistigen Wiedergeburt des Menschengeschlechts nennen. -

In diesem Sinne, echt geistig, lasset uns, liebe Mitchristen, daher auch sein Geburtsfest feiern. Es ist das Siegesfest des Lichtes aus Gott über die Finsterniß der Welt. So sollen wir denn nach der Mahnung des Apostels auch ablegen die Werke der Finsterniß und ein Licht in dem Herrn werden. Sein Wort und sein Geist soll uns leiten in alle Wahrheit, mitwirken sollen wir, daß es Licht werde um uns her, und alle Welt Gott und den er gesandt hat, Jesum Christum, erkenne und darin das ewige Leben habe. Mit feuriger Liebe sollen wir das Evangelium und seinen erhabenen Stifter umfassen; denn er ist es, der uns zur Geistesfreiheit erweckt hat.

Ja, mit Jesu Geburt begann der Menschheit Wiedergeburt, denn sie erhielt durch ihn nicht nur einen neuen geistigen Aufschwung, sondern auch

2) einen neuen Trieb zur Heiligung.

Wie? wird man mir vielleicht wieder einwerfen wollen, war nicht auch die vorchristliche Zeit reich an schönen Beispielen menschlicher Tugend und Erhabenheit? Führt nicht das Alte Testament uns der frommen Männer viele als Vorbilder auf? Bietet nicht besonders die ältere Geschichte selbst der heidnischen Völker strenge einfache Sitte, aufopfernde Vaterlandsliebe, heldenmüthige Tapferkeit, unwandelbare Redlichkeit dar? Fern sei es von uns, dies leugnen zu wollen, denn die Schrift spricht es ja selbst aus: daß auch die Heiden, die das Gesetz nicht haben, doch von Natur thun des Gesetzes Werk, womit sie beweisen, daß es in ihre Herzen geschrieben sei. Und dennoch behaupte ich: ein allgemeiner Trieb zur Heiligung war vor der Erscheinung Jesu, vor der Verkündigung seines Evangelii nicht da, und dadurch daß Jesus ihn der Welt gab, hat ihre sittliche Wiedergeburt begonnen.

Woher sollte auch vor ihm der Trieb zur Heiligung kommen? Die Juden waren unter dem Gesetz, Gesetzmäßigkeit war ihr Ziel. Gesetzmäßigkeit ist aber lange noch nicht Sittlichkeit! - Das Gesetz treibt durch Strafandrohung und Furcht, und wo die Furcht nur die Mutter des Guten ist, da ist nicht Sittlichkeit, nicht Heiligung; denn die Furcht ist ein Zwang, wahre Sittlichkeit ist aber immer nur eine Frucht der sittlichen Freiheit, der freien Liebe und freien Entschließung zum Guten. Ein Gesetz kann auch niemals den ganzen Pflichtenkreis des Menschen umfassen, und das Binden der Gewissen an äußere Formen und Gebräuche ist nur zu geeignet, dies als die Hauptsache erscheinen zu lassen, und die Aufmerksamkeit von der Heiligung des Innern abzulenken. Daraus erklärt es sich denn auch, warum Jesus die vor Allem nach Gesetzlichkeit trachtenden Pharisäer so oft Heuchler und Otterngezücht1) nennt, und so ungünstig über ihre Gerechtigkeit vor Gott urtheilt. Und wahrlich! das jüdische Volk bietet uns bei der Erscheinung Jesu nicht das Bild einer in dem Trachten nach der Heiligung begriffenen religiösen Gemeinschaft dar; er verlangt vielmehr eine sittliche Wiedergeburt von jedem Einzelnen, der sich zu ihm bekennen will und nennt sie als die Bedingung des Eintritts in das Himmelreich. - Unendlich viel schlimmer stand es bei den heidnischen Völkern. Mit der ursprünglichen Einfachheit der Sitten waren alle andern Tugenden gewichen. Sie hatten in ihrer verderbten Götterlehre ja sogar für alle menschlichen Laster ihre Schutzgötter, deren Beispiel zur Unsittlichkeit aufforderte, deren Dienst sie heiligte, und wer die Geschichte kennt, wird die kurze Schilderung, welche Paulus in dem ersten Kapitel des Römerbriefes von der Sittenlosigkeit der Heiden machte, nur durchaus sachgemäß finden. -

So traurig stand es, als Christus kam. Er kam als Erlöser, mit ihm mußte es besser werden, und es ist besser geworden. Denn einen ganz andern Trieb zur Heiligung empfingen alle die, welche sich zu ihm bekannten. Er offenbarte es den Menschen, daß ihre Bestimmung nicht eine lediglich irdische, sondern eine himmlische und ewige sei. In dem Worte: Ihr sollt vollkommen sein, wie euer Vater im Himmel ist, stellte er den Menschen die Aufgabe der Heiligung, lehrte ihnen einen Gott verehren, der vollkommen und heilig ist, der also auch nur durch das Trachten nach Vollkommenheit und Heiligung würdig verehrt werden kann, und dem jedes unheilige Wesen ein Gräuel ist. Das Christenthum trug also seiner ganzen Natur nach in sich die Aufforderung, zu verläugnen das ungöttliche Wesen und die weltlichen Lüste, und züchtig,-gerecht und gottselig zu leben in dieser Welt; der Beweis der Erfüllbarkeit dieser Forderung und das lebendige Vorbild ihrer Erfüllung war in Jesu Christo gegeben, in dessen Fußtapfen wir treten sollen, so daß, wer sich zu ihm bekennen, wer sich seiner Verheißungen erfreuen wollte, auch zugleich jene Aufforderung annehmen und die Verpflichtung, ihr nachzustreben, für sich anerkennen mußte.

Das war der neue Trieb der Heiligung, den das Evangelium der Welt brachte, durch welchen es die sittliche Wiedergeburt der Menschheit bezweckte. Laßt uns denn, Geliebte, dies anerkennen und in diesem Sinne Weihnachten feiern, als ein Fest auch unsrer Wiedergeburt. Es stimmt wahrlich sehr schlecht mit dem Christenthume, wenn seine Bekenner das Wesen ihrer Christfreude nur suchen im Essen und Trinken, in Eitelkeit und Kleiderpracht, und unerregt von seinem Gegenstande, unbewegt von seinen heiligen Mahnungen bleiben wie sie sind und nach wie vor der Welt dienen, uneingedenk dessen, was Gott von ihnen verlangt, wozu Jesus sie auffordert. Nein, wie Jesu Erscheinung einen neuen Trieb der Heiligung der Welt brachte, so soll auch jedes rückkehrende Christfest allen Christen die Nothwendigkeit der Heiligung wieder zu Gemüthe führen. Es soll sie abwenden von dem Dienste der todten Götzen dieser Welt; es soll sie hinführen zu dienen dem lebendigen Gotte in Gerechtigkeit und Heiligkeit, die ihm wohlgefällt. Daß Jesus in die Welt kam, sei ihnen eine Mahnung, ihn auch in ihr Herz aufzunehmen und sich zu ihm zu bekennen, nicht mit den Lippen allein, sondern mit der That und mit der Wahrheit. Niemand kann zweien Herren dienen! Christen! Möchtet ihr denn am Christfeste einem Andern dienen als Christo? Nein, er soll allein unser Herr sein, und dankbar wollen wir seine Erscheinung preisen, die für die Menschheit der Beginn ihrer Wiedergeburt war auch darum, weil sie ihr

3) eine neue beseligende Hoffnung brachte.

Nie hat die Hoffnung den Menschen verlassen; der gütige Gott gab sie ihm als Begleiterin mit in das Leben, welche seine Schmerzen lindere, seinen Muth erhebe und seine Kraft stärke. Kann aber die Hoffnung beseligend sein, welche blos diesseits des Grabes ihren Raum findet, und uns gerade da verläßt, wo wir ihrer am dringendsten bedürfen? Kann sie das Her; beruhigen, wenn sie sich blos auf dunkle Ahnungen stützt, und keinerlei Bürgschaft ihr gegeben ist? Und andere Hoffnungen kannte das Heidenthum nicht, und auch in dem Judenthume war die Hoffnung auf ein ewiges Leben eine so unsichere, daß ein großer Theil des jüdischen Volkes sich zu ihr nicht zu erheben vermochte. Das Evangelium dagegen brachte den Glauben an die ewig waltende Vaterliebe eines barmherzigen Gottes, an eine bewußte Fortdauer nach dem Tode, es bestätigte und begründete fester den Ruf des Propheten: Gott hat nicht Wohlgefallen an dem Tode des Sünders, sondern, daß er umkehre von seinem bösen Wesen und lebe. - Erkennet nun, wie dadurch das Christenthum die Welt wiedergeboren hat, wie getrost wir in die Zukunft schauen, unbeängstigt von dem Walten tückischer Götzen oder von dem unabwendbaren Spruche eines blinden Schicksals, vielmehr überzeugt, daß Gottes segnende Vorsehung unser Schicksal überwacht, und auch das scheinbar Böse für die, welche ihn lieben, zum Segen lenkt; wie voll Zuversicht wir an den Gräbern stehen, überzeugt, daß es nach dem Tode ein Wiederfinden, ein neues Leben giebt, welches reichere Freuden bietet als diese Zeit; wie wir in der Bangigkeit unsers Gewissens uns der Gnade getrösten dürfen, die dem Bußfertigen von Jesu verheißen ist- erkennet dies und preiset den, den Gottes Liebe in die Welt sandte, damit wir nicht wandelten in Finsterniß, sondern das Licht des Lebens hätten. - An dem Beispiele der Hirten sehen wir es, wie sehnsüchtig die Hoffnung Juda‘s auf den Erlöser war, den seine Propheten ihm verheißen! Sie wurde erfüllt durch die Botschaft: Siehe, ich verkünde euch große Freude, die allem Volke widerfahren wird, und die Hirten verließen Alles, um selbst das Kind der Verheißung zu sehen, von dem ihnen gesagt war. Aber die Hoffnung, die sie schon beglückte, kann weder nach ihrem Umfange, noch nach ihrer Festigkeit sich mit der vergleichen, die uns unser Glaube darbietet. Denn was sie hofften, das haben wir erfüllt gesehen, und eben diese Erfüllung ist der Grund unserer weiteren, höheren und seligeren Hoffnung für die Ewigkeit. Diese Ewigkeit ist es ja, welche Alles ausgleicht, was uns in diesem Leben ungleich, bedrückend und unerklärlich erscheint, indem sie uns ein helleres Licht verheißt dann, wenn wir nicht mehr in einen dunkeln Spiegel, sondern von Angesicht zu Angesicht sehen werden. Das zeitliche Leben für sich allein betrachtet kann uns nicht befriedigen, denn wir sind weder, was wir sein sollen, noch bietet uns die Außenwelt das, wonach wir uns sehnen. Die Verbindung aber, in welche das Christenthum uns mit der jenseitigen Welt versetzt, sie bildet die Ergänzung, und jene hier immer unbefriedigte Sehnsucht ist das Mittel, durch welches unserm Geist stets der Trieb lebendig erhalten wird, dem jenseitigen Frieden nachzutrachten, ein Trieb, der dadurch schon beseligt, daß die Hoffnung, nicht vergebens zu ringen, uns verbürgt ist durch das Evangelium, und daß wir die Erhebung des Irdischen zum Himmlischen in Jesu vorbildlich schauen.

Ja, die Welt ist in ihrer Hoffnung wiedergeboren durch die Erscheinung Jesu auf Erden, und so soll auch jedes Weihnachtsfest unsere Hoffnung neu erheben und fest machen für das ewige Leben. Das Kind, das wir mit Liebe in der Krippe zu Bethlehem schauen, ist erhöhet worden zum Herrn der Herrlichkeit, und hat auch uns den Weg bereitet zu seiner Herrlichkeit. Des freue sich unser Geist und unsere Lippe jubele: Ehre sei Gott in der Höhe, Friede auf Erden, und den Menschen ein Wohlgefallen. - Ja, meine Lieben, Friede auf Erden; denn wie Christi Geburt bestimmt war, der Menschheit Wiedergeburt anzubahnen, das erkennen wir auch

4)an der neuen beglückenden Vereinigung, zu welcher er alle Menschen berufen.

Friede sei mit euch! das war der Gruß, mit dem er vor seinem Scheiden unter seine Jünger trat; den Frieden gebe ich euch, meinen Frieden lasse ich euch, war sein heiliges Wort, und auch unsre Festverkündigung lautet: Friede auf Erden! Im Frieden blühet die Liebe, und wo die Liebe wohnt, da ist Friede. So aber spricht der Herr: Ein neu Gebot gebe ich euch, daß ihr euch unter einander liebt, gleichwie ich euch geliebet habe. Dabei wird Jedermann erkennen, daß ihr meine Jünger seid, so ihr, Liebe habet zu einander. Diese heilige Liebe soll alle Bekenner des Evangeliums durchdringen; vor ihr sollen fallen die Schranken, welche die Völker unter sich aufgerichtet haben, sollen schwinden die Unterschiede, welche die Menschen nach Ständen unter einander bauen, durch sie sollen sich erweichen die harten selbstsüchtigen Herzen, welche so vielfach den Menschen vom Menschen trennen. Alle Menschen sollen sich fühlen als Eines Gottes Kinder, als Eines Heilands Erlöste, als Einer Hoffnung Erben; sie sollen das gegenseitige Bruderrecht anerkennen und achten; es soll werden wie Paulus sagt: Ihr seid Alle Gottes Kinder durch den Glauben an Christum Jesum. Denn wie Viele eurer getauft find, die haben Christum angezogen.- Hier ist weder Jude noch Grieche, hier ist kein Knecht noch Freier; hier ist kein Mann noch Weib; denn ihr seid allzumal Einer in Christo! –Wo wäre früher jemals solche Lehre gepredigt worden? Feindschaft herrschte zwischen Volk und Volk; das Recht des Stärkeren galt, und wo sich Reiche vereinigten, da war das eine überwunden und zur Knechtschaft verdammt. Menschen entwürdigten ihre Brüder zu Sclaven und die Selbstsucht erschien berechtigt. Wie viel edler ist es aber, daß sich Völker in Frieden vereinigen, und um so sicherer ihr Wohl gegenseitig gründen, daß die unveräußerlichen Menschenrechte von Allen bereitwillig anerkannt werden, und jeder die Verpflichtung fühlt, mit seinen Gaben, ein treuer Haushalter Gottes, dem Nächsten zu dienen; zu seinem Heile, dem Vorbilde Jesu folgend, sich bereitwillig zu entäußern? O, setzten die Menschen ihre Ehre darin, Jesu Worte zu folgen, nie würden mehr eitle, ehrgeizige und eifersüchtige Bestrebungen die Völker entzweien, nie würde mehr wilder Waffenlärm die Welt erschrecken, nie mehr des Krieges blutiger Fuß gesegnete Fluren verheerend durchschreiten und die mütterliche Erde mit dem Blute ihrer Kinder tränken! Nie würde einzelner Stände Bevorzugung den unnatürlichen Unterschied zwischen geborenen Herren und Knechten wieder herzustellen suchen, und seltener würde Ungerechtigkeit und Rechtsverweigerung den Richterspruch zu einem nothwendigen Uebel machen. Durch die Liebe würde Gerechtigkeit und Billigkeit, Schonung und Milde walten in Haus und Stadt, unter Ländern und Völkern; dann würde wahrhaft sein: Ehre Gott in der Höhe, Friede auf Erden, und den Menschen ein Wohlgefallen. - Und wenn wir wirklich sehen, daß, wie weit von solchem Endziele sie auch noch entfernt seien, doch die öffentlichen Zustände sich ihm mehr und mehr unter denen nähern, die das Evangelium bekennen, wer ist es dann anders, der auf diesem Wege uns vorleuchtet, als Jesus Christus der Herr? Von ihm muß auch diese Wiedergeburt der Menschheit kommen, und um so mehr wird sie völlig werden, je mehr jeder Einzelne Jesu Sinn in sich heimisch macht. Das lasset denn auch unsere Christfeier sein, daß wir wachsen an diesem christlichen Sinne, daß wir in ihm wiedergeboren werden, dann ist das Himmelreich schon hier unser Erbe.

So wie aber die Hirten nach unserm Evangelio Gott priesen und lobten um Alles, was sie gehört und gesehen hatten, so laßt auch uns anhalten in dem Lobe des gnädigen Gottes, die wir die Erfüllung der zuvor gegebenen Verheißung schauen. Das Christuskind in Bethlehem strahlt für uns in der Herrlichkeit des glorreich erhöhten Welterlösers, und sein Werk ist uns die Bürgschaft der Gnade Gottes, auf die wir hoffen. So soll denn auch dieses Wort siegreich werden in unserem Herzen und in unserer Gemeinde, daß Jesu Geburtsfest auch für uns der Anfang einer neuen Wiedergeburt sei; daß wir in ihm finden geistigen Aufschwung, Trieb zur Heiligung, selige Hoffnung und innige liebevolle Vereinigung. Lasset nicht unbeachtet des Festes Mahnung, Euch ganz dem dahin zu geben, den Gott euch zu Eurem Heile gesandt. Jesum wollen wir ehren, ihn wollen wir lieben, ihm wollen wir folgen und im frommen Glauben reich an guten Werken ein Volk des Eigenthums werden. Das walte Gott! Amen.

1)
Matth. 23, 29. 33.
Cookies helfen bei der Bereitstellung von Inhalten. Diese Website verwendet Cookies. Mit der Nutzung der Website erklären Sie sich damit einverstanden, dass Cookies auf Ihrem Computer gespeichert werden. Außerdem bestätigen Sie, dass Sie unsere Datenschutzerklärung gelesen und verstanden haben. Wenn Sie nicht einverstanden sind, verlassen Sie die Website.Weitere Information
autoren/k/krause_caesar_wilhelm_alexander/krause_2_weihnachtspredigt.txt · Zuletzt geändert: von 127.0.0.1
Public Domain Falls nicht anders bezeichnet, ist der Inhalt dieses Wikis unter der folgenden Lizenz veröffentlicht: Public Domain