Kierkegaard, Sören Aabye - „Selig ist, der nicht Ärgernis nimmt an mir“

Kierkegaard, Sören Aabye - „Selig ist, der nicht Ärgernis nimmt an mir“

Dass es zwischen Gott und Menschen den unendlichen Qualitätsunterschied gibt, das ist die Möglichkeit des Ärgernisses, die sich nicht wegnehmen lässt. Aus Liebe wird Gott zum Menschen; er sagt: „Sieh hier, was es ist, Mensch zu sein! Aber“, fügt er hinzu, „o nimm dich in Acht, denn ich bin gleichzeitig Gott - selig ist, der nicht Ärgernis nimmt an mir.“ Er nimmt als Mensch die Gestalt eines geringen Dieners an, er stellt sich dar als ein geringer Mensch, damit kein Mensch glauben solle, er sei ausgeschlossen oder dass man Gott durch menschliches Ansehen und Ansehen unter Menschen näher käme. Nein, er ist der geringe Mensch. „Schau her“, sagt er, „und überzeuge dich, was es bedeutet, Mensch zu sein! Oh, aber nimm dich in Acht, denn ich bin gleichzeitig Gott - selig ist, der nicht Ärgernis nimmt an mir. Oder umgekehrt: Der Vater und ich sind eins, doch ich bin dieser einzelne, geringe Mensch, arm, verlassen, in die Gewalt der Menschen gegeben - selig ist, der nicht Ärgernis nimmt an mir. Ich, dieser geringe Mensch, bin derjenige, der bewirkt, dass die Tauben hören, die Blinden sehen, die Lahmen gehen, die Aussätzigen rein werden, die Toten aufstehen - selig ist, der sich nicht an mir ärgert.“

Mit Verantwortung der höchsten Stelle gegenüber erkühne ich mich daher zu sagen, dass dieses Wort: „Selig ist, der nicht Ärgernis nimmt an mir“, zur Verkündigung Christi gehört, wenn auch nicht auf dieselbe Weise wie die Einsetzungsworte des Abendmahls, so doch wie jenes Wort: „Jeder prüfe sich selbst.“ Es sind Christi eigene Worte, sie sind, und zwar besonders in der Christenheit, wieder und wieder einzuschärfen, zu wiederholen, jedem gesondert zu sagen.

Überall, wo diese Worte nicht mitklingen, oder in jedem Fall, wo die Darstellung des Christlichen nicht an jedem Punkt von diesem Gedanken durchdrungen ist, da ist das Christentum Blasphemie. Denn ohne Leibwache und ohne Bedienstete, die ihm den Weg bereiten und die Menschen darauf aufmerksam machen konnten, wer da nahte, ging Christus hier auf Erden in der geringen Gestalt eines Dieners. Aber die Möglichkeit des Ärgernisses (oh, wie sie in seiner Liebe seine Sorge war!) schützte und schützt ihn, befestigt einen klaffenden Abgrund zwischen ihm und jenem, der ihm am nächsten war und ihm am nächsten stand.

Wer nämlich nicht Ärgernis nimmt, der betet gläubig an. Doch anbeten, was Ausdruck des Glaubens ist, heißt ausdrücken, dass der unendlich klaffende Abgrund der Qualität zwischen ihnen befestigt ist. Denn im Glauben ist wiederum die Möglichkeit des Ärgernisses das dialektische Moment.

Doch jene Art von Ärgernis, von der hier die Rede ist im modo ponendo, sie erklärt das Christentum für Unwahrheit und Lüge und sagt damit dasselbe auch über Christus.

Um diese Art des Ärgernisses zu beleuchten, wird es an besten sein, die verschiedenen Formen von Ärgernis durchzugehen, welches sich prinzipiell zum Paradox (Christus; verhält und solcherart bei jeder Bestimmung des Christlichen wiederkehrt, weil eine jede solche sich zu Christus verhält, Christus in mente hat.

Die niedrigste Form von Ärgernis, die, menschlich gesprochen, unschuldigste, besteht darin, die ganze Frage nach Christus dahingestellt sein zu lassen und so zu urteilen: „Ich erlaube mir kein Urteil darüber; ich glaube nicht, doch ich verurteile nichts.“ Dass dies eine Form von Ärgernis ist, entgeht den meisten. Die Sache ist die, dass man dieses Christliche „Du sollst“ reinweg vergessen hat. Das ist der Grund, weshalb man nicht sieht, dass es Ärgernis ist, Christus in Indifferenz zu stellen. Dass dir das Christentum verkündet ist, bedeutet: Du sollst eine Meinung über Christus haben; Er ist, oder dass es Ihn gibt und dass es Ihn gegeben hat - das ist die Entscheidung über das ganze Dasein. Ist dir Christus verkündet, dann nimmst du Ärgernis, wenn du sagst: Ich will keine Meinung darüber haben.

Das ist in Zeiten, in denen das Christentum so mäßig verkündet wird, wie es jetzt der Fall ist, jedoch mit einer gewissen Einschränkung zu verstehen. Gewiss leben viele Tausende, die das Christentum verkünden gehört und die nie etwas von diesem „Du sollst“ gehört haben. Wer es aber gehört hat und dann sagt: „Ich will keine Meinung darüber haben“, der hat Ärgernis genommen. Er leugnet nämlich die Göttlichkeit Christi, ihr Recht, von einem Menschen zu verlangen, dass er eine Meinung zu haben hat. Es hilft nichts, wenn ein solcher Mensch sagt: „Ich mache ja keine Aussage über Christus, weder ja noch nein“, dann wird er nämlich nur gefragt: „Hast du denn auch keine Meinung darüber, inwieweit du eine Meinung über Ihn haben sollst oder nicht?“ Antwortet er darauf: „Doch“, dann fängt er sich selbst; und antwortet er: „Nein“, dann verurteilt ihn das Christentum trotzdem dazu, eine Meinung darüber und also wiederum über Christus zu haben, auf dass kein Mensch so vermessen sei, das Leben Christi als eine Kuriosität dahingestellt sein zu lassen. Wenn Gott sich gebären lässt und Mensch wird, dann ist das kein sinnloser Einfall, etwas, worauf er verfällt, um sich etwas vorzunehmen, vielleicht um jener Langenweile ein Ende zu machen, die, wie man frech gesagt hat, mit dem Gottsein verbunden sein soll - er tut es nicht, um Abenteuer zu erleben. Nein, wenn Gott das tut, dann ist dieses Faktum der Ernst des Daseins. Und das wiederum ist der Ernst in jenem Ernst: dass jeder eine Meinung darüber haben soll. Wenn ein König eine Provinzstadt besucht, dann sieht er es als eine Beleidigung an, dass ein Beamter ohne gültige Entschuldigung unterlässt, ihm seine Aufwartung zu machen; wie aber würde er urteilen, wenn jemand das Faktum, dass der König in der Stadt ist, ganz und gar ignoriert und den Privatmann spielt, der in dieser Hinsicht „auf Seine Majestät und das Königsgesetz pfeift“? Und so auch, wenn es Gott gefällt, Mensch zu werden - und es dann einem Menschen gefällt (und was der Beamte vor dem König, das ist jeder Mensch vor Gott) zu sagen: „Ja, das ist etwas, worüber ich keine Meinung haben möcht“ So spricht man vornehm über etwas, was man im Grunde übersieht -also übersieht man vornehm Gott.

Die nächste Form von Ärgernis ist die negative, jedoch leidende. Sie spürt wohl, dass sie Christus nicht zu ignorieren vermag, dass sie nicht imstande ist, die Frage nach Christus dahingestellt sein zu lassen und dann ansonsten im Leben überaus geschäftig zu sein. Doch glauben kann sie auch nicht; sie starrt unablässig auf ein und denselben Punkt, auf das Paradox. Insofern ehrt sie doch das Christentum, sie bringt zum Ausdruck, dass diese Frage „Was dünkt dich um Christus?“ wirklich die entscheidendste ist. Wer so verärgert ist, lebt wie ein Schatten dahin; sein Leben verzehrt sich, denn er ist in seinem Innersten fortwährend mit dieser Entscheidung beschäftigt. Und auf solche Art drückt er aus (wie das Leiden unglücklicher Liebe im Verhältnis zur Liebe), welche Realität das Christentum hat.

Die letzte Form von Ärgernis ist jene, von der wir hier sprechen, die positive. Sie erklärt das Christentum für Unwahrheit und Lüge, sie leugnet Christus (dass es ihn gegeben hat und dass er derjenige ist, der er gesagt hat zu sein) entweder doketisch oder rationalistisch, so dass Christus entweder nicht, sondern nur scheinbar ein einzelner Mensch oder aber nur ein einzelner Mensch wird, so dass er sich entweder doketisch in Poesie, Mythologie verwandelt, die keinen Anspruch auf die Wirklichkeit erhebt, oder rationalistisch in eine Wirklichkeit, die keinen Anspruch darauf erhebt, göttlich zu sein. In diesem Leugnen Christi als Paradox liegt natürlich wieder ein Leugnen all des Christlichen: die Sünde, die Vergebung der Sünden usw.

Diese Form von Ärgernis ist Sünde gegen den Heiligen Geist. Wie die Juden von Christus sagten, dass er die Teufel nicht anders denn durch Beelzebub austreibe, so macht dieses Ärgernis Christus zu einer Erfindung des Teufels.

Ein solches Ärgernis ist die höchste Potenzierung der Sünde, was zumeist übersehen wird, weil man nicht, christlich, den Gegensatz zwischen Sünde und Glauben bildet.

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