Humburg, Paul - Die ganz große Liebe - Zuvorkommende Gnade

Humburg, Paul - Die ganz große Liebe - Zuvorkommende Gnade

„Sein Vater lief und fiel ihm um seinen Hals und küsste ihn.“ (V. 20)

Es war ein wunderbares Schauspiel, das sich den Augen der erstaunten Knechte und Mägde darbot, als bei der Rückkehr des verlorenen Sohnes der Vater, der den Heimkehrenden von ferne erspäht hatte, ihm entgegenlief. Ist dieser Vater nicht ein Gleichnis unseres Vaters im Himmel? Wenn Gott uns in seiner Gnade nicht entgegenkäme, dann würde kein Mensch selig. Niemand erreichte das ewige Ziel. Aber Gott kommt uns entgegen.

Was war es denn, das den Vater jetzt auf einmal veranlasste, dem beschämten Mann entgegenzulaufen, schnell, eilig? Vielleicht wäre der Sohn sonst doch nicht nach Hause gekommen. Der Weg war weit gewesen. Und er hatte seine ganze Kraft zusammennehmen müssen. Aber ihm winkte das Vaterhaus, und es trieb ihn das Verlangen, vor dem Vater seine Schuld auszusprechen. Der Weg war weit und schwer. Aber das alles war noch leicht gegenüber dem letzten Schritt, der jetzt kommen musste. Der letzte Schritt war der schwerste.

Da steht er vorne am Pfeiler des Tores am Parkeingang. Er duckt sich und schaut scheu über das ganze Gut. Soll ich es wagen? Kann ich hineingehen? Jetzt kommt’s! Jetzt naht die letzte Entscheidung. Jetzt sehen mich alle die Knechte und Mägde, die mich von früher her noch kennen. Ob sie mich wiedererkennen? Und dann weiter:

Jetzt muss ich ganz allein mit dem Vater sein, den Blick seines Auges aushalten. Jetzt muss ich es ihm sagen. Jetzt muss ich bekennen, und dann muss ich ihn bitten. Vielleicht wäre er doch noch draußen geblieben und wieder umgekehrt. Mancher war ganz nahe dem Vaterhaus und ist doch noch umgekehrt, weil er sich scheute vor dem letzten Schritt, dass er alles bekennen musste.

Ein heruntergekommener englischer Student fristete in Paris sein Leben als Droschkenkutscher. Wie oft hatte er es erwogen, ob er nicht zu seinem gütigen, reichen Vater heimkehren sollte! Dieser würde ihm sicher alles vergeben. Und der Vater war auf der Suche nach seinem Sohn. Da, eines Abends spät, fuhr ein Schrecken dem Droschkenkutscher durchs Herz. Ein Herr verlangte seinen Wagen. Es war sein alter, ehrwürdiger Vater, der ihn nicht erkannt hatte. Wie oft hatte der Sohn gewünscht, seinen Vater einmal wiederzusehen. Jetzt fuhr er ihn in seinem eigenen Wagen. Da entspann sich ein Kampf: Soll ich mich zu erkennen geben? Der Vater wird mich sicher nicht von sich stoßen. - Die Fahrt war beendet. Er nahm sein Geld in Empfang und schwieg. Er war zu stolz, sich vor dem Vater zu beugen. Er schämte sich zu sehr. Wie nahe war er dem Glück, das er so sehnlichst suchte! Der letzte Schritt war zu schwer gewesen.

Als der Vater den verlorenen Sohn sah, hastete er hinab vom Dach und lief ihm entgegen. Er fiel ihm um den Hals. Zuvorkommende Gnade! Ein wortloses Wiedersehen! Kein Vorwurf wurde laut über die lange Trennung, über den schnöden Undank, über das verkommene Aussehen des Sohnes, über die Spuren seines Lasterlebens. Kein Wort derart, nur Liebe und eine väterliche Umarmung.

Kennt ihr die Sprache dieser sprachlosen Liebe, wenn das klopfende Sünderherz an das klopfende Heilandsherz sinkt, das Herz, in dem die Sünde herrscht, an das Herz, in dem die Liebe wallt?

Und er küsste ihn. Nichts als Herablassung, nichts als Erbarmen, das den verlorenen Sohn zu sich emporzieht. Ich glaube, solch ein Kuss deckt viel Jammer und Elend zu. In dem Empfang lag des Vaters Herz. Es war doch noch sein Sohn. Er hatte ihn doch noch lieb. Wenn er mit Ehre nach Hause gekommen wäre, hätte seiner wohl ein guter Empfang gewartet. Aber liebevoller konnte er nicht sein als diese Umarmung.

Das ist zuvorkommende Gnade. Bei deinem Heiland sollst du ein Willkommen finden, wie du es noch nie in deinem Leben gefunden hast. Verlorenes Kind, komm heim! Es hat sich schon viel Leid unter Jesu Arme geflüchtet. Es ist aber noch Raum da!

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