Humburg, Paul - Die ganz große Liebe - Verlassen

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„Und er begehrte seinen Bauch zu füllen mit Trebern, die die Säue aßen; und niemand gab sie ihm.“ (V. 16)

Es war ein gewaltiger Szenenwechsel im Leben des verlorenen Sohnes. Früher der Reichtum und Wohlstand im Vaterhaus, dann diese plötzliche Trennung von alledem, vor allem vom Herzen des Vaters, und ein lustiges, fideles Leben in Saus und Braus. Und plötzlich – die Not, die harte Not. Er saß bei den Säuen auf dem Acker „und begehrte seinen Bauch zu füllen mit Trebern, die die Säue aßen“. Die ganze Sprache ist schon die Sprache, die in der Not gebraucht wird. Vom Bauch spricht man sonst nicht, außer wenn es einem tatsächlich darum geht, seinen Bauch zu füllen, weil man einfach Schmerzen leidet vor Hunger. Es ist ein derbes Wort. Aber hier passt es hin. Er konnte nicht versuchen, irgendwo zu speisen, nicht einmal sich an den Tisch setzen und essen. Er suchte sich „den Bauch zu füllen“ und hatte nur das Nötigste. Ein Essen war das nicht, jedenfalls kein Essen für einen Menschen. Aber was hilft das? Man muss nur seinen Hunger stillen, weil der Bauch leer ist. Obwohl man den Riemen fester geschnallt hat, muss doch schließlich etwas dasein. Das kannte er früher nicht.

„Und niemand gab sie ihm.“ Zu Hause war er bedient worden. Und auch in der Fremde, solange er sein Geld springen lassen konnte, ward ihm nach den Augen gesehen von eifrigen Kellnern. Jetzt kam in sein Leben zum ersten Mal das Wort: niemand. „Gib mir das Teil der Güter, das mir gehört!“ So fing sein Weg an, und er brachte all sein Gut durch mit Prassen in Gemeinschaft mit seinen 'Freunden'. Jetzt ist er am Ende des Weges: niemand gab ihm das Schweinefutter, nach dem er gierig griff. Niemand! Da waren keine Freunde mehr. Die sogenannten Freunde verlieren sich, sobald die Not hereinbricht.

„Weh dem, der sich der Welt verdungen; denn müd und nackt und ohne Lohn, wenn’s Glöcklein Feierabend klungen, jagt sie den armen Knecht davon.“

Ja, die „Freunde“! Wer den Schmeichlern traut, hat in der Not keinen Freund. Diese falschen Freunde sind wie die Schwalben, die nur solange bleiben, wie gutes Wetter ist. Wenn es kalt wird, ziehen sie davon. Und es wurde sehr kalt um den verlorenen Sohn her. Diese Freunde sind Genossen der Sünde, die wie die Fliegen nur solange da sind, wie es etwas zu essen gibt. Dann sind sie auf einmal fort. Wie die Blutegel, die sich vollgesogen haben, fallen sie ab, und der Mensch bleibt allein. „Niemand gab sie ihm.“ Niemand! Furchtbares Wort: niemand! Wenn man sich nach jemand umschaut und sucht einen, wo vorher so viele waren, so ist niemand da. Und man ist todeinsam oft mitten unter den Menschen. Dann geht es uns wie dem Kranken am Teich Bethesda, um den herum die Leute sich drängten und der doch klagt: „Ich habe keinen Menschen“ (Joh. 5, 7).

Aus dem stillen, trauten Vaterhaus war der verlorene Sohn hineingewandert in das Getümmel und den Jubel der falschen Freunde. Jetzt war er todeinsam und ganz allein. Nie vergesse ich den Blick des Menschen, der es auch so getrieben hatte wie der verlorene Sohn und der mir bekannte: „Die anderen hatten das Vergnügen; ich musste nur immer stehlen, dass wir wieder etwas zu verzehren hatten.“ Mitten unter dem Lachen der Freunde. Jetzt war er todeinsam und ganz allein. Neben ihm aber saß immer seine Schuld, und ganz erschrocken schaute ihn seine Seele an.

So ging es auch dem verlorenen Sohn. Als er niemand mehr um sich hatte, mit niemand mehr reden konnte, niemand mehr sah und hörte, da kam er zu sich selbst. Dieses Wort „niemand“ war der Wegweiser zu seiner eigenen Seele. Als er ganz verlassen war von allen Menschen, da fand er sich selbst und fand auch seinen Gott wieder.

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