Humburg, Paul - Die ganz große Liebe - Gib mir!

Humburg, Paul - Die ganz große Liebe - Gib mir!

“Gib mir das Teil der Güter, das mir gehört.“ (V. 12) „Gib mir!“ Das war die Sprache des jüngeren Sohnes, mit der er vor seinen Vater trat. Es ist die Sprache der ganzen Menschheit, vom Sündenfall des ersten Menschen an. Daher kommt all unser Leid, dass wir haben und herrschen wollen, dass wir nur an uns selbst denken. Das war der Anfang aller Sünde, dass der Mensch sprach: „Gib mir!“ im Blick auf das, was ihm Gott versagt hatte, und dass er sich nahm, was ihm nach Gottes Willen vorenthalten war. Wir alle nehmen immerzu in alle Taschen. Das ist der innerste Trieb in all unserer Sünde, dies vorderste Wort: „Gib mir!“, das Wort der Selbstsucht.

„Das Teil der Güter, das mir gehört.“ Daher kommt so viel Zank und Streit, dass jeder es sich ausrechnet und dann ganz genau weiß, was ihm gehört, was andere ihm schuldig sind, was ihm zukommt. Darüber ist schon viel Zwist in den Familien entstanden. Den ganzen Tag sagt jeder zum andern: „Gib mir das Teil, das mir gehört.“ Wir beschäftigen uns alle sehr gründlich mit dem, „was man verlangen kann“, worauf wir bestehen müssen als auf unserem Anspruch, und wir denken so wenig über das nach, was wir andern schuldig sind, an das Teil, das andern gehört. Rücksichtslos fordern wir unser Teil, unser Teil an Bequemlichkeit, an Dienstleistungen der andern, an Achtung und Rücksichtnahme, an Opfern, die man für uns bringen soll. Und wir versetzen uns so wenig in die Lage der andern hinein, was unser Fordern ihnen an Mühe und Entsagung auferlegt, wieviel Aufmerksamkeit wir von ihnen verlangen, wie viel Anspannung ihrer Kräfte, wie viel Freundlichkeit und Liebe. Und ebenso vergessen wir, daran zu denken, welches das Teil ist, das ihnen gehört, wie wir ihnen gegenüber Entgegenkommen beweisen, Liebe üben und Freundlichkeit an den Tag legen müssten. Wie oft rechnet man es aus und überlegt, wer wohl den ersten Gruß schuldig ist, wer den ersten Schritt tun müsste, wer das erste Wort zu sagen hätte.

Und immer größer wird das Teil, das nach unserer Meinung uns gehört, und immer weniger denken wir an das Teil, das nach göttlichem und menschlichem Recht dem andern gehört. Gib mir! Fast unser ganzes Leben und all unser heimliches Empfinden und unsere Triebe werden regiert von diesem kurzen, scharfen, allmächtigen Kommando: Gib mir! Das Ich sitzt auf dem Thron und erwartet selbstverständlich der anderen Unterwerfung.

Wie oft ist auch in den Familien, kaum dass Vater und Mutter die Augen geschlossen haben, da, wo immer Friede und Eintracht geherrscht haben, der Zank und Streit eingekehrt über mein und dein! Was man nicht für möglich gehalten hätte, das verursacht dies eine Wörtchen: Gib mir! Auf einmal springt eine Streitfrage auf, über der man sich erhitzt, über der alte Liebe vergessen wird und gemeinsames Leid in den Hintergrund tritt. Und scharf und spitz wie Schlachtschwerter ruht in den Händen eines jeden Beteiligten das Wort: Gib mir!

Tief ist der Schaden und sitzt fest im Menschenherzen. Er konnte nur geheilt werden dadurch, dass Gott gab. Er, der einzige, der fordern konnte: “Gib mir!“, der alles fordern konnte und auf alles Anspruch hatte, gab sein alles, seinen eingeborenen Sohn, um durch sein Geben, seine selbstlose Liebe unser Nehmen, unsere Selbst-sacht zu heilen.

“Und er teilte ihnen das Gut.“ Wenn solch ein Verlangen auftritt, dann hilft es nichts, mit Gewalt zu wehren. Ein kurzer Satz. Er beschreibt wohl eine lange Geschichte. Es wird eine innere Not des Vaters gewesen sein, ein Kampf, als diese Zumutung an ihn herantritt. Aber er weiß, es hat ja keinen Zweck, mit Gewalt zu halten, was ziehen will. Reisende Leute muss man nicht aufhalten. Man muss sie gehen lassen. Man kann die Kinder nicht zwingen zu ihrem Glück. Sie müssen ihre Erfahrung machen. Sie müssen durch schwere Wege erst zurechtkommen. Aber in das Teil, das dem jüngsten Sohn gehört, hat der Vater viele Gebete mit hineingegeben. Er muss ihn aus seiner Hand in Gottes Hand befehlen: Bring du ihn mir zurück! Auch der himmlische Vater muss die Menschen oft gehen lassen. Sie wollen es nicht anders. Und mancher muss später zugeben: All mein Leid, es ist das Teil, das so recht eigentlich mir gehört, das ich mir selbst erwählt habe. Ich wollte es ja nicht anders. Wohl dem, der dann an das Vaterhaus denkt!

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