Hofacker, Wilhelm - Am Sonntage Estomihi.

Hofacker, Wilhelm - Am Sonntage Estomihi.

Text: 1 Kor. 13, 1-13.
Wenn ich mit Menschen- und mit Engelzungen redete, und hätte der Liebe nicht, so wäre ich ein tönend Erz oder eine klingende Schelle. Und wenn ich weissagen könnte, und wüßte alle Geheimnisse, und alle Erkenntniß, und hätte allen Glauben, also daß ich Berge versetzte, - und hätte der Liebe nicht, so wäre ich nichts. Und wenn ich alle meine Habe den Armen gäbe, und ließe meinen Leib brennen, - und hätte der Liebe nicht, so wäre mir es nichts nütze. Die Liebe ist langmüthig und freundlich, die Liebe eifert nicht, die Liebe treibet nicht Muthwillen, sie blühet sich nicht auf, sie stellet sich nicht ungebärdig, sie suchet nicht das Ihre, sie lässet sich nicht erbittern, sie trachtet nicht nach Schaden; sie freuet sich nicht der Ungerechtigkeit, sie freuet sich aber der Wahrheit; sie verträget alles, sie glaubet alles, sie hoffet alles, sie duldet alles. Die Liebe höret nimmer auf, so doch die Weissagungen aufhören werden, und die Sprachen aufhören werden, und das Erkenntniß aufhören wird. Denn unser Wissen ist Stückwerk, und unser Weissagen ist Stückwerk; wenn aber kommen wird das Vollkommene, so wird das Stückwerk aufhören. Da ich ein Kind war, da redete ich wie ein Kind, und war klug wie ein Kind und hatte kindische Anschläge. Da ich aber ein Mann ward, that ich ab, was kindisch war. Wir sehen jetzt durch einen Spiegel in einem dunkeln Wort, dann aber von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich es stückweise; dann aber werde ich es erkennen, gleichwie ich erkennet bin. Nun aber bleibet Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größeste unter ihnen.

Einen feurigeren und einen herrlicheren Lobpsalm auf die Herrlichkeit einer reinen und himmlischen Liebe haben wir alle wohl noch niemals vernommen, als derjenige ist, der aus dem Heiligthum unseres heutigen Textkapitels uns entgegentönt. Glaubt man doch in den Vorhallen eines himmlischen Tempels zu stehen und holdselige Worte aus einer andern Welt zu vernehmen, wenn der Apostel seine großartige Hymne mit dem Ausruf endigt: nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größeste unter ihnen. Unter allem, was lieblich ist und wohllautet, was etwa eine Tugend ist oder ein Lob, weist er hier der Liebe die höchste Ehrenstelle an; ja er erhebt sie mit diesen Worten gleichsam zur Königin des Himmels, die, wenn Erde und Himmel vergangen sein werden, wenn der Strom der Zeit in's Meer der Ewigkeit sich verlaufen haben wird, dennoch bleiben und herrschen und die vollendeten Geister auch auf den höchsten Stufen mit unvergänglicher Freude erfüllen wird; denn die Liebe bleibet und regieret als die größeste von allen.

Aber freilich, so erhebend und so begeisternd auch dieser Lobpsalm auf diese Liebe ist, so niederschlagend und beschämend muß er für uns werden. Denn wo finden wir sie denn auf Erden, diese Liebe, die Paulus mit mehr als Menschen- und Engelzungen erhebt? wo begegnet sie uns denn hienieden, diese Himmelstochter, die langmüthig und freundlich ist, die nicht das Ihre sucht und sich nicht erbittern läßt, die alles traget, alles glaubet, alles hoffet, alles duldet? wo finden wir sie? in uns selber? o da sieht es oft gar frostig und kalt aus, da liegt sie manchmal unter dem Eis der Selbstsucht und Eigensucht, begraben, und ihre Blüthen werden vom Winterhauch der Liebe zu uns selbst versengt und abgestreift; oder finden wir sie draußen in der Welt? ja da haben oft Haß und Bitterkeit, Hader und Neid, Zank und Zwietracht ihre Zelte aufgeschlagen, und was sie hier oft Liebe nennen, das ist häufig nur ein trauriges, ein jämmerliches Zerrbild von der Liebe, die Paulus preist; denn die Liebe, die in der Welt diesen Namen führt, ist irdisch, menschlich, teufelisch (vgl. Jak. 3, 15.).

Darum, wollen wir sie finden, diese klare, diese helle, diese reine Liebe, - da müssen wir unsern Flug aufwärts nehmen, zu dem Gott, der die Liebe ist, an den Strahlen seiner ewigen Liebessonne können auch wir unsere Liebe entzünden, aus dem Meere seiner Liebe können auch wir trinken, so wird in uns selber die Liebe ein Brunnquell werden, der in's ewige Leben quillt. Und Heil uns - wir dürfen nicht erst hinauffahren, um ihn herabzuholen (Röm. 10, 6.). Er ist zu uns herabgestiegen, die Liebe ist erschienen, sie ist auf Erden gewandelt, sie hat ihre hellen und feurigen Strahlen weithin über uns ausgegossen, in ihrem heitern Sonnenschein dürfen wir uns frei und ungehindert ergehen. Jesus Christus ist der Liebe wie heiliges Urbild, so auch unversiegbarer Urquell. Wie Er der Abglanz des Vaters ist, so auch der Abglanz der Liebe Gottes. Im Lichte seiner Liebe werden wir die Liebe des Vaters in ihrer hehren und heiligen Gestalt erkennen und uns freuen, aus seiner Fülle schöpfen und nehmen zu können Liebe um Liebe.

Wir erwägen daher nach den Fingerzeigen unseres Textes: Wie in der Liebe Christi der Liebe Adel, der Liebe Kraft, der Liebe Dauer uns enthüllt ist.

I.

1) Ueber die edelsten und herrlichsten Vorzüge hinauf, an die Spitze aller preiswürdigen und vollkommenen Gnadengaben, stellt der Apostel die Liebe, wenn er in unserem Texte beginnt: wenn ich mit Menschen- und Engelzungen redete, und hätte der Liebe nicht, so wäre ich ein tönend Erz und eine klingende Schelle. Und wenn ich weissagen könnte und wüßte alle Geheimnisse und alle Erkenntniß, und hätte allen Glauben, also daß ich Berge versetzte, und hätte der Liebe nicht, so wäre ich Nichts. Und wenn ich alle meine Habe den Armen gäbe, und ließe meinen Leib brennen, und hätte der Liebe nicht, so wäre mir's nichts nütze.

Also den höchsten und ausgezeichnetsten Gaben des heiligen Geistes, den größesten und aufopferungsvollsten Thaten sich selbst verleugnender Hingabe ertheile erst die Liebe ihren wahren Werth und rechten Gehalt; und nur dann wenn sie Früchte der Liebe sind, die aus Gott ist, nur wenn sie hineingetaucht sind in das Licht- und Kraft-Element der Liebe, nur dann haben sie einen guten Klang und eine unverlierbare Wahrung. Wie deutlich und klar sehen wir diese Wahrheit im Leben Jesu Christi in's Licht gesetzt. Wer kann es leugnen, daß Christus redete mit mehr als mit Menschen- und mit Engelzungen? ja seine Worte waren Geist und Leben (Joh. 6, 63.), Er predigte gewaltig und nicht wie die Schriftgelehrten (Matth. 7,29.), also daß niemand widerstehen konnte dem Geist der Weisheit, der aus Ihm redete. Aber was war's denn eigentlich, was seinen Worten solche unwiderstehliche Macht verlieh? was war's denn, was die Herzen Ihm gewann und mit mehr als magnetischen Banden sie an Ihn fesselte? Das war insbesondere die Macht seiner Liebe, die erbarmungsreiche Liebe, der Geist der Erbarmung, der durch alle Seine Reden hindurchleuchtete, - die zarte suchende Liebe, die lockte und einlud, die mit Thränen der Wehmuth im Auge klagte: ach daß Du doch bedächtest zu dieser Deiner Zeit, was zu Deinem Frieden dient (Luk. 19,42.). Ferner, wer kann es leugnen, daß Christus weissagen konnte, und alle Geheimnisse wußte und alle Erkenntniß inne hatte? waren nicht in Ihm verborgen alle Schätze der Weisheit und Erkenntniß (Kol. ?, 3.), waren nicht vor Seinem Auge aufgeschlossen alle Tiefen und alle Höhen, alle Nähen und alle Fernen? schaute Er nicht die Räthsel des Reiches Gottes im klaren Zusammenhang bis hinaus auf's Ende der Tage? Aber was war's, was dieser Erkenntniß erst die rechte Weihe verlieh? - Das war seine demüthige Liebe, vermöge welcher Er nicht hochherfuhr mit hohen Worten menschlicher Weisheit (vgl. 1. Kor. 2, 1.), nicht prunkte und sich brüstete in den Schulen der Schriftgelehrten und Weltweisen, sondern beten konnte: Vater, ich preise Dich, daß Du es den Weisen und Klugen verborgen hast und hast es den Unmündigen offenbaret (Matth. 11, 25.); das war Seine demüthige Liebe, mit der Er die Tiefen Seiner Weisheit in einfältige Reden und Gleichnisse kleidete, und auch dem Niedrigsten verständlich wurde, und selbst Kindlein zu Genossen und Erben Seines Reiches berief und erwählte. -

Ferner, wer kann es leugnen, daß eine große wunderthätige Glaubensmacht in Ihm wohnte, also daß Er auch Berge versetzte und die Kräfte des Himmels und der Erde bewegte? Hat doch der Tod auf Hein Wort seinen Raub wiedergegeben; hat doch das Meer und der Sturm auf Seinen Befehl sein Branden und sein Tosen eingestellt; haben doch selbst die Pforten der Hölle vor Seinem Fußtritt gezittert (vgl. Kol. 2, 15.). Aber was hat diesen Thaten seiner Macht erst die rechte Würde und den rechten göttlichen Adel verliehen? nichts anderes, als dieß, daß sie Thaten Seiner rettenden und helfenden. Seiner tröstenden und erbarmenden Liebe waren. Liebe war's, daß Er umherzog, die Wunden heilte, die Traurigen tröstete, die Verzagten mit Seiner Hülfe erfreute, - das war die Macht Seiner Liebe. - Und endlich hat Er nicht alle seine Gabe den Armen gegeben? ist Er nicht arm geworden, um uns reich zu machen? hat Er nicht seinen Leib den qualvollsten Qualen, dem verzehrenden Brand der Kreuzespein dahingegeben? hat Er nicht sein Leben am Fluchholz zu Tode geschmachtet? Aber was ist's, was diese That seiner Aufopferung zum preiswürdigsten Wunder seines Lebens stempelt? Was ist's, was noch in alle Ewigkeit die Kinder Gottes mit feuriger Begeisterung darüber und mit Dank und Anbetung erfüllt? o nichts anderes, als daß dieß eine That Seiner unendlichen, Seiner treuen, Seiner hingebenden Liebe war, der Liebe, von der Er selber sagte: niemand hat größere Liebe denn die, daß Er sein Leben lässet für seine Freunde (Joh. l 5, 13.). Sehet da! so wird alles in und an Christo nur geheiligt in der Liebe; so vollendet sich nur in der Liebe alles in Ihm und an Ihm zu himmlischer Vollkommenheit.

2) Und eben diese Liebe ist es, die allein auch unserem Reden und Handeln, unserem Thun und Lassen, unserem Leiden und Leben den rechten Werth, die heilige Weihe ertheilen kann.

Wir hören manchmal die Menschen die Sprache der feinsten Bildung, des geläutertsten Geschmacks, des gewandtesten Welttons, der herablassendsten Freundlichkeit reden; aber wir fühlen, es fehlt hier etwas, was ihren Reden erst den rechten guten Klang geben kann, mit Einem Wort, es fehlt an der Liebe, die nicht das Ihre sucht, sie wollen glänzen, sie wollen mit ihrem Wort, mit ihrem Geschmack, mit ihren Einfällen, mit ihren Kenntnissen. mit ihrem Scharfsinn die erste Rolle spielen, sie wollen gelobt und gepriesen, angesehen und angestaunt werden. - Andere sprechen die Sprache der Vaterlands-Liebe, sogar der allgemeinen Menschen-Liebe, sie wollen die Leiden der Menschheit heben, sie wollen die geschlagenen Wunden heilen, sie wollen die Welt verbessern, Recht und Gerechtigkeit schwebt beständig auf ihren Lippen; aber es fehlt etwas, es fehlt eine Hauptsache: es fehlt die Liebe, die langmüthig und freundlich ist, es fehlt die Liebe, die sich nicht blähet; denn sie wollen dabei eine Rolle spielen, auf sie soll man blicken, auf ihr Wort merken, ihr Name soll genannt, und gepriesen werden. - Andere sprechen oft sogar die Sprache der Religion und des Christenthums, sie eifern für Religion und Sittlichkeit, sie sprechen die Sprache der Apostel und der Propheten auf's geläufigste, sie verstehen die Sprache Kanaan's, sie eifern vielleicht sogar für den Glauben und gegen den Unglauben; aber ach - man fühlt's, es fehlt an etwas: sie eifern, aber mit Unverstand: sie urtheilen scharf und absprechend, sie sprechen richterisch und herabsetzend; das Herz ist vielleicht leer und kalt, während der Mund große Dinge ausspricht: es fehlt am Element der Liebe. Wie aber ohne Liebe die Sprache und das Reden nichts ist, so auch die Thaten der Menschen nichts. Ja das Größeste was der Mensch thun kann, das Hinopfern Guts und Bluts für die Brüder, - ohne Liebe ist es nichts. Es gibt Thaten der Aufopferung und der Großmuth, die Mit- und Nachwelt in Staunen und Verwunderung versetzen; aber was ist's, was unsere Freude darüber nicht recht aufkommen lassen will? nichts anders, als weil sie nicht geschehen im Drang der Liebe, weil nur der Sporn der eigenen Ehre, der Ruhmsucht und Eitelkeit, die Triebfeder des Stolzes und des Hochmuths zum Vorschein kommt, und darum haben sie keinen Werth in der Wagschale der ewigen Gerechtigkeit. Es gibt Thaten der Wohlthätigkeit und des Wohlwollens, die blendend und glänzend in's Gesicht fallen; aber sie ermangeln des Ruhms, den sie vor Gott haben könnten; denn wenn ich Gutes thue aus Schein und Modeton, aus Gewohnheit und Eitelkeit, um nicht zurückzubleiben hinter Andern, um schnell angesehen zu werden, oder um vielleicht dadurch meine Sünden abzumachen und zu vergüten, um desto ungestörter im alten Wesen fortzumachen, oder um Andere neben mir zu verdunkeln und herabzusetzen, - wenn ich so ohne Liebe, ohne herzliche Barmherzigkeit Gutes thue, so habe ich meinen Lohn dahin, so ist es mir nichts nütze. Denn es bleibt dabei, was JEsus von jener opfernden Wittwe sagt, die einen Heller in den Gottes-Kasten einlegte: sie hat mehr gegeben als Andere, weil sie gab im Drang der uneigennützigsten Liebe, weil sie ohne scheele Blicke, rein im Aufsehen auf den HErrn, darbrachte, was sie vermochte (Mark. 12, 43.). Ein Pfennig im Drang der Liebe gegeben ist mehr werth als Millionen mit Zwang, in Eitelkeit, oder mit stumpfer Seele. So ist's die Liebe allein, die uns adelt, die Liebe muß unsere Zunge regieren, so werden unsere Worte lieblich seyn und mit Salz gewürzet (Kol. 4, 6.); die Liebe muß unsern Geist durchdringen: so werden wir unsere Gabe nicht mißbrauchen zum Schaden des Nächsten, sondern treulich anwenden zu seinem Frommen. Die Liebe muß unsere Hand regieren: so wird die Linke nicht wissen, was die Rechte thut (Matth. 6, 3.); die Liebe muß unser Leben beherrschen; so wird es ein Spiegel werden, darin sich Christus spiegelt und die Sonne seines himmlischen Erbarmens.

II.

1) Aber nicht nur der Liebe Adel, sondern auch der Liebe überwindende Kraft spiegelt sich in dem Leben Jesu Christi. Die Liebe ist langmüthig und freundlich, eifert nicht, treibt nicht Muthwillen u. s. w. Wo können wir alles dieß reiner und vollkommener, schöner und herrlicher in's Leben treten sehen, als bei Jesus Christus, dem Urbild aller Vollkommenheit?

Was war es, was Ihn von den seligen Höhen herabtrieb in Knechts-Gestalt, daß Er sich erniedrigte und gehorsam war bis zum Tod am Kreuz (Phil. 2, 8.)? was war es denn, was Ihn so demüthig machte, daß Er nicht sich blähte und nicht das Seine suchte? was war es denn, was Ihn so freundlich und leutselig machte, daß ein jeder Sünder Zutritt zu Ihm hatte und seine Gnade jedem offen blieb? was war es denn, was Ihn so langmüthig machte, daß Er nicht nach Schaden trachtete und sich nicht erbittern ließ? was war es denn, was Ihn so sanftmüthig machte, daß Er alles vertrug und alles duldete? und was war es denn, was Ihn so muthig machte, daß Er allezeit das Beste glaubte und das Beste hoffte? das war die stille Macht der Liebe. - Liebe war's, die Ihn seinen schweren Leidenslauf vollenden hieß, Liebe war's, die ihn Armuth und Mühsal aller Art nicht zu achten trieb, die Ihn auf 'die Kniee niederzog, um den Jüngern die Füße zu waschen (Joh. 13, 5.); Liebe war's, die Ihn durch die Schauer von Gethsemane, durch die Schmach von Gabbatha, durch die dunkle Leidensnacht von Golgatha hindurchbegleitete. - Liebe war sein Leben, Liebe sein Leiden, Liebe sein Sterben, Liebe seine ganze Erscheinung! - Liebe hielt Ihn aufrecht, daß Er nicht versank in des bittern Todes Noth; Liebe war die Kraft, die in Ihm siegte und überwand, und durch jeden Kampf gestärkter himmelwärts sich rang.

2) Wie aber in Christo nur die Liebe die Macht war, in welcher Er die Welt überwand, so ist auch uns keine andere Waffe in die Hand gegeben, mit welcher wir den Kampf unserer Ritterschaft vollstrecken und siegreich zum Ziele der Herrlichkeit gelangen können. Es wird manchmal unser Herz von allen Seiten her bestürmt und zur Ungeduld gereizt; bald kommt dieß, bald etwas anderes, was gegen unsern Willen, gegen unsere Erwartung ankämpft; - da will der Faden unsrer Geduld brechen, da sind wir in Gefahr, vom Strudel unserer leidenschaftlichen Natur uns fortreissen zu lassen. - Was ist da allein im Stande, alles wieder in das geebnete Bett der Ordnung zurückzuweisen? Der Apostel sagt: die Liebe ist langmüthig; sie knüpft den Faden der Geduld wieder an, sie wird nicht so bald erschöpft und ermüdet, sie ist stark, Lasten zu tragen und in die Fußtapfen dessen zu treten, der auch uns trägt mit Langmuth und Geduld.

Andere sehen wir gar bald zum Zorn gereizt: - o wie schnell kann ihre ganze Natur in eine tobende Gährung, in jähe Heftigkeit verseht werden! o wie kann es da kochen und brausen in ihrem Innern, - o wie lagert sich auf ihre Stirne ein dunkles, feuersprühendes Gewitter, o wie wird ihr Angesicht entstellt durch eine Flamme aus der Hölle! was könnte allein den Ausbruch der wilden Natur bezähmen, - was könnte allein das Gewitter beschwören, ehe es noch im Anzug wäre, - was könnte allein die Spuren des Ungestüms von Seele und Leib hinwegtilgen? o nichts anderes als wenn Liebe im Herzen wäre; denn die Liebe ist freundlich; sie leuchtet hell und klar vom Angesicht dessen, in dem sie ihren Königssitz aufgeschlagen hat, sie ist mächtig, alles Ungestüm niederzuschlagen, sie tilgt die Wolken des Zorns hinweg, wie vor der Gluth der Sonne alle Nebel und Wolken zerschmelzen: die Liebe ist freundlich, die Liebe eifert nicht, die Liebe treibet nicht Muthwillen, die Liebe decket auch der Sünden Menge.

Oft tritt uns auch Feindseligkeit und Haß entgegen, vielleicht Spott und Verkennung, vielleicht Beeinträchtigung, Verachtung und Herabsetzung, Entziehung wohlerworbener Rechte. - O wie gerne trachtet da das natürliche Herz noch Schaden, wie schnell läßt es sich erbittern, wie leicht stellt es sich ungeberdig, wie freut es sich der Ungerechtigkeit, wie greift es nach allen Waffen, um sich zu vertheidigen, wie rafft es allen Hochmuth zusammen, um zu pochen und sich zu blähen! -Aber das thut nur ein Herz, das die Liebe nicht kennt. - Wo die Liebe wohnt, da steckt man das Schwerdt in die Scheide (Joh. 18, 11.), da freut man sich, lieber Unrecht zu leiden als Unrecht zu thun, da sucht man durch Nachgiebigkeit, durch Sanftmuth den Gegner zu überwinden; denn der höchste Sieg, den ein Menschenkind erfechten kann, ist der Sieg der Liebe.

Manchmal ist's auch der Fall, daß unsere nächsten Umgebungen, die durch Bande des Bluts und der Genossenschaft mit uns verbunden sind, bange Furcht und Erwartungen einflößen. Sie sind vielleicht in irgend eine Sünde verstrickt, sie sind vom Unglauben angesteckt, sie gehen jeder guten Mahnung und Weisung aus dem Wege, sie suchen ihre eigenen Bahnen zu verfolgen und achten nicht mehr auf die warnende Stimme der Eltern, der Geschwister, der Freunde: ach, sollen wir sie fallen, sollen wir unbekümmert um ihr zeitliches und ewiges Wohl, um ihr zeitliches und ewiges Verderben, sie dahinfahren lassen? - das kann die Liebe nicht: sie hofft Alles und sie glaubt Alles, sie läßt sie vom treuen Herzen nicht los, sie läßt die Hoffnung nicht untergehen, den Glauben nicht sinken, daß auch sie der HErr wiederbringen, daß auch sie der Heiland erretten, daß auch aus ihnen noch etwas werden werde zum Lobe der herrlichen Gnade Gottes. -

So ist die Liebe die alleinige Kraft, um in allen Stücken, in allen Lebens - Verhältnissen, in den schwierigsten Umständen zu überwinden, so die Liebe die alleinige Waffe, die dem Christen in die Hand gegeben ist; diese Waffe aber heilt, statt daß sie verwundet, - sie thut wohl, statt wehe, sie macht gut, statt böse, und darum überwindet sie; denn sie überwindet das Böse mit Gutem. -

III.

Aber noch eins ist zurück-der Liebe Dauer. Auch diese hebt der Apostel noch hervor: - Die Liebe hört nimmer auf, so doch die Weissagungen aufhören werden, und die Sprachen aufhören werden, und das Erkenntniß aufhören wird.

Ja auch der Glaube verwandelt sich in Schauen, und die Hoffnung in Besitz und Genuß, die Liebe aber bleibt. - Wie wahr dieß ist, das spiegelt sich auch im Leben Jesu Christi. Wie Er hatte geliebt die Seinen, die in der Welt waren, so liebte Er sie bis ans Ende (Joh. 13,1.). Diese Liebe war es, welche durch alle Abwechslungen seines Lebens Ihn gleichmäßig und stetig hindurch begleitete, sie war es, die Er in unverwelklicher Lebenskraft mit in sein Grab nahm und aus dem Grabe wiederbrachte. Mochte seine Gestalt verfallen, mochte seine Kraft verblühen, eins verfiel und verblühte nicht, die Liebe. Was noch auf seinem Angesicht geschrieben stand und in seine durchbohrten Hände gegraben war: Er hat die Welt geliebet, das können noch die Himmlischen in seinen Wundenmalen lesen, die Er in die Unverweslichkeit mitaufgenommen hat. Auf dem Throne der Herrlichkeit, was ist es, was Ihn mit seiner Gemeinde ewiglich verbindet, was Ihn auf unauflösliche Weise mit ihr zusammenkettet? was ist's, was deßwegen auch durch immer herrlichere Chöre dort besungen wird? - Seine Liebe, die Ihn in Noth und Tod getrieben, seine Liebe, die ewig dieselbe ist. Denn wie Christus heute und gestern, so ist auch seine Liebe heute und gestern dieselbe in Ewigkeit. -

Sehet hier, was bleibt, was ewig und unverwelklich ist.

Hienieden ist Wechsel und Veränderung, Keimen, Blühen und Verwelken; - alles geht einem Ende entgegen, was in Kraft vor uns wandelt, - ehe wir's uns denken, sinkt es zur Schwachheit herab. - Auch die höchsten und herrlichsten Gaben nehmen in ihrer Weise an dieser Vergänglichkeit Theil: die Erkenntniß, der Flug der Phantasie, der Scharfsinn. Ja selbst die geheiligsten Bande der Gemeinschaft zerreissen, die wehethuendsten Lücken macht der Tod in unsern Reihen. Die Fugen der Familienverbindungen, die fest und unzertrennlich in einander geschlungen waren, sie treten oft wie durch Einen Schlag auseinander. Eines aber bleibt, - die Liebe; die geht mit, die feiert droben ihre Triumphe, -und in immer herrlicheren Offenbarungen findet sie ihre Befriedigung. - Ja selbst die Welt vergeht, sie wandelt täglich und jährlich ihre Gestalt, und sie wird noch einmal vergehen mit gewaltigem Krachen, wenn die Elemente zergehen werden vor großer Hitze; - ja der Himmel selber vergeht, wie ein veraltetes Gewand, und über die ganze sichtbare Schöpfung muß der Ruf ergehen: ich mache Alles neu (Offb. Joh. 21,5.)! - Aber Eines bleibt, die Liebe. - Sie blüht in unverwelklichem Flor, sie feiert droben erst ihre ewige Verherrlichung, sie wird gekrönt mit unvergänglichem Schmuck; denn Gott ist die Liebe, und wer in der Liebe bleibet, der bleibet in Gott und Gott in ihm (1 Joh. 4, 16.).

Amen.

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