Hofacker, Ludwig - Predigt am Feste der heiligen Dreieinigkeit

Hofacker, Ludwig - Predigt am Feste der heiligen Dreieinigkeit

Text: Joh. 3,1-15.

Es war aber ein Mensch unter den Pharisäern, mit Namen Nicodemus, ein Oberster unter den Juden; der kam zu JEsu bei der Nacht, und sprach zu Ihm: Meister, wir wissen, daß du bist ein Lehrer, von Gott gekommen; denn Niemand kann die Zeichen thun, die Du thust, es sey denn Gott mit ihm. JEsus antwortete, und sprach zu ihm: Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Es sey denn, daß jemand von Neuem geboren werde, kann er das Reich Gottes nicht sehen. Nicodemus spricht zu Ihm: Wie kann ein Mensch geboren werden, wenn er alt ist? Kann er auch wiederum in seiner Mutter Leib gehen, und geboren werden? JEsus antwortete: Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Es sey denn, daß Jemand geboren werde aus dem Wasser und Geist, so kann er nicht in das Reich Gottes kommen. Was vom Fleisch geboren wird, das ist Fleisch; und was vom Geist geboren wird, das ist Geist. Laß dich’s nicht wundern, daß ich dir gesagt habe: Ihr müsset von Neuem geboren werden. Der Wind bläset, wo er will, und du hörest sein Sausen wohl; aber du weißest nicht, von wannen er kommt, und wohin er fähret. Also ist ein Jeglicher, der aus dem Geist geboren ist. Nicodemus antwortete, und sprach zu Ihm: Wie mag Solches zugehen? JEsus antwortete, und sprach zu ihm: Bist du ein Meister in Israel, und weißest das nicht? Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Wir reden, das wir wissen, und zeugen, das wir gesehen haben, und ihr nehmet unser Zeugniß nicht an. Glaubet ihr nicht, wenn ich euch von irdischen Dingen sage; wie würdet ihr glauben, wenn ich euch von himmlischen Dingen sagen würde? Und Niemand fähret gen Himmel, denn der vom Himmel hernieder gekommen ist, nämlich des Menschen Sohn, der im Himmel ist. Und wie Moses in der Wüste eine Schlange erhöhet hat, also muß des Menschen Sohn erhöhet werden, auf daß Alle, die an Ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.

Wir feiern heute das Dreieinigkeits-Fest, das heißt, das Fest, welches dem Andenken an die große Offenbarung des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes gewidmet und geheiliget ist. Wir feyern es aber nicht, um uns in Grübeleyen über das Wesen der heiligen Dreieinigkeit einzulassen, welches uns nichts helfen würde, da ja das Wissen nur aufbläht, und die Liebe bessert; vielmehr sollen wir an diesem Feste von Dank und Anbetung gegen den Vater, Sohn und Heiligen Geist durchdrungen seyn, damit wir auf’s neue den dreieinigen Gott kennen lernen, Der Alles, was Er zu unserem Besten für Zeit und Ewigkeit beschlossen hat, auch thun und ausführen will. Wenn du, lieber Mensch, an dem heutigen Feste der Heiligen Dreieinigkeit den Vater erkennen lernst, Der Dich geschaffen hat, Der Seinen Sohn aus Liebe zu dir in die Welt gesandt hat, um dich selig zu machen, Der mit Seinen Gnadenzügen so oft vor dein Herz hintritt, um dich dem Sohne zu geben; wenn du den Sohn kennen lernst, Der sich an das Kreuz erhöhet hat, und gestorben ist, damit du leben sollst; wenn du den Heiligen Geist kennen lernst, der das vollkommene Werk der Heiligung in dir ausführe, Der dich läutern und heiligen will auf den Tag JEsu Christi; - wenn du diesen Dreieinigen Gott kennen, lieben und Ihm danken lernst, dann hast du genug gelernt an dem heutigen Tage. –

Man könnte das heutige Fest ein Fest der Geheimnisse nennen, wie denn die Abend-Lection auch in diesem Sinn eingerichtet ist (Röm. 11,33 ff.), wo wir lesen, daß er eine Tiefe des Reichthums, Beydes der Weisheit und Erkenntniß Gottes sey. Was ist aber das größte Geheimniß des Dreieinigen Gottes? – Lieber Zuhörer! Das Geheimniß, welches dein Herz am wenigsten fassen kann, welche so gar Wenige glauben, welches so viel Mühe und Kraft kostet, bis es von den Menschen geglaubt wird: Das Geheimniß der Erlösung. Hast du von diesem Geheimniß die wahren Begriffe, ist es deinem Herzen klar geworden, daß der Heiland für dich gestorben ist, dann ist Alles überwunden, dann hast du, daß ich mich so ausdrücke, den höchsten Berg überstiegen, dann kannst du Alles, was die Schrift dir vorhält, mit deinem Glauben vermengen. Deßwegen will ich heute aus unserem Evangelium die Stelle, welche der Heiland zu Nikodemus von der Erlösung geredet hat, vortragen; denn ich trage keinen Anstand, auch am Dreieinigkeits-Feste von der Erlösung zu reden. Ich will in dieser Absicht den Spruch näher auslegen:

„Wie Moses in der Wüste eine Schlange erhöhet hat, also muß des Menschen Sohn erhöhet werden, auf daß Alle, die an Ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.“

Dieß wollen wir näher betrachten, und es wird uns Stoff geben zur Anbetung und zum Lobe der Heiligen Dreieinigkeit.

Großer, Heiliger Gott! vor Dem wir nicht werth sind, unsere Kniee zu beugen und unsere Augen emporzuheben, sey von uns angebetet und gelobet, daß Du Jesum Christum in die Welt gesandt hast, damit wir durch Ihn selig werden können.

Heilige Dreieinigkeit!
Sey mit Geborgenheit
An JEsu Grabesstätt’,
Gelobt und angebet’t
Für Deinen Gnadenrath,
Der sich nun mit der That
Geoffenbaret hat.
Durch’s Opfer JEsu Christ,
Dessen, wer’s genießt,
Ewig nicht vergißt!

Ach, wir bitten Dich, Du wollest in unsern armen Herzen diesen Gnadenrath verklären; Du wollest Jesum Christum, den Gekreuzigten, in unsern armen Herzen verklären, damit wir leben! Amen.

Liebe Zuhörer! Die Geschichte, worauf der Heiland diesen Spruch des heutigen Evangeliums bezieht, ist folgende: Die Kinder Israel wurden, da sie schon eine geraume Zeit durch die Wüste gezogen waren, mürrisch gegen Gott und Moses, wurden ihrer Reise und ihrer ganzen Sache überdrüssig, und sprachen zu Moses: „warum hast du uns in diese Wüste geführt, wo kein Brod und Wasser ist? uns eckelt an dieser losen Speise“ (sie meinten nämlich das Manna, die Himmelsspeise). Wie nun jedes Mal auf ihren Ungehorsam, wenn sie wider Gott murrten, eine Strafe folgte, so wurden sie auch dieß mal gestraft. Der HErr sandte feurige Schlangen, wohl deßwegen feurig genannt, weil ihr Biß wie Feuer brannte, welche eine große Verwüstung anrichteten; es starb eine große Zahl Menschen. Da kam das Volk zu Moses, uns sprach: „bitte den HErrn, daß Er die Strafe von uns nehme!“ Sie wollten also nur Wegnahme der Strafe, Befreiung vom Uebel; daß sie aber Gott mit ihren Sünden so oft betrübt hatten, den Gott, der sie mit so vielen Wundern und Zeichen aus Egypten geführt, der sie wunderbar durch das rothe Meer geleitet hatte, der ihnen Himmelsbrod und Wasser aus dem Felsen gab, - daran dachten sie nicht; sie wollten nur die Strafe weghaben. Der HErr aber übersah dieß, und sprach zu Moses: „Mache dir eine eherne Schlange, und richte sie zum Zeichen auf: wer gebissen ist, und siehet sie an, der soll leben. Da machte Moses eine eherne Schlange, und richtete sie auf zum Zeichen, und wenn Jemanden eine Schlange biß, und er sahe die eherne Schlange an, der blieb am leben und wurde gesund.“ – Auf diese Geschichte bezieht sich der Heiland in dem heutigen Spruche: „wie Moses in der Wüste eine Schlange erhöhet hat, also muß des Menschen Sohn erhöhet werden, auf daß Alle, die an Ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.“ Er redet also hier von der Kraft Seiner Erhöhung, d. h. von der Kraft Seines Kreuzes. Jeder, der die Kraft des Kreuzes Christi an seinem Herzen erfährt, soll und kann dadurch geheilt werden.

O ein süßes Evangelium für ein Herz, das seine Sünden fühlt und bekennt, das nach der Gerechtigkeit Christi hungert und dürstet, das verzweifelt an seiner eigenen Gerechtigkeit, das da fühlt, daß es nur Strafe und Tod verdient hat, und nun weiß, daß es selig werden kann durch die Kraft des Kreuzes Christi! Denn „dieses ist eine Kraft Gottes, selig zu machen Alle, die daran glauben.“ Das ist ein süßer Balsam für die Gewissenswunden, das gibt Trost und Hoffnung, das gibt einen freudigen Aufblick in die ewigen Ewigkeiten hinein für einen armen Sünder. Bedenket es: für einen armen Sünder gibt es einen fröhlichen, lieblichen, wonnevollen, seligen Aufblick in die Wohnungen des Himmels, daß er sagen kann: da darf ich hinein durch die Kraft des Kreuzes Christi! – O wenn du diese Kraft kennetest, armer Mensch, du würdest Alles liegen und stehen lassen, um den Frieden zu genießen, der von Golgatha herabströmt; du würdest alles Andere schwinden lassen, um nur die Gewißheit in dein Herz zu bekommen: meine Sünden sind mir vergeben; sie sind in die Tiefe des Meeres geworfen! – Hier ist die Fülle der Gnaden; „wen da dürstet, der komme, und nehme des lebendigen Wassers umsonst!“ – Und auch du, betrübte, leidtragende Seele, auch du bist nicht ausgeschlossen, auch du bist hineingerechnet, auch dich geht etwas von der Kraft des Kreuzes Christi an! Siehe, die Millionen Seelen, die vor dem Throne Gottes und des Lammes stehen, und ihre ewigen Anbetungen und Lobgesänge bringen, daß sie nicht mit vergänglichem Gold oder Silber erkauft und erlöst sind, sondern mit dem theuren Blute Christi als eines unschuldigen und unbefleckten Lammes, - siehe, diese vielen Seelen sind durch die Kraft des Kreuzes Christi dahin gekommen, und stehen noch bis auf den heutigen Tag vor Seinem Throne; und auch du kannst noch heute die Kraft des Kreuzes Christi an deinem Herzen erfahren. –

Wer nur ein Sünder ist in seinem Wesen,
Und will aus eig’nen Kräften nicht genesen,
Und liegt zu JEsu Füßen als erstorben,
Von Solchen ist kein Einz’ger noch verdorben!

Kein Einziger! gewiß kein Einziger!

Des Menschen Sohn, heißt es, mußte erhöhet werden. Damit ist aber nicht die Erhöhung bey Seinem Vater gemeint; es ist nicht die Rede von Seiner Verherrlichung und Verklärung, sondern von Seiner tiefsten Erniedrigung. Auf dieses bezieht sich auch die Stelle, wo Er sprach: „wann ich erhöhet werde von der Erde, so will ich sie Alle zu mir ziehen.“ Damit redet Er von der unwiderstehlichen Anziehungskraft Seines Kreuzes, daß Er die Menschen in ihrem Innersten durch sein Kreuz, durch Seine unaussprechliche, in Seinem Versöhnungstode geoffenbarte Liebe zu Sich hinziehen werde. Er wurde erhöhet, das ist, Er wurde gekreuzigt. Ich erinnere hiebey daran, daß man Menschen, die zur Kreuzigung bestimmt waren, zuerst auf die Erde niederwarf, sie an einen Kreuzespfahl annagelte, diesen Pfahl hierauf langsam in die Höhe zog und in die Erde befestigte. So ist der Heiland auch erhöhet worden; so hieng Er in der größten Schmach zwischen Himmel und Erde da, daß Ihn alle Menschen anschauen konnte. Siehe, o Mensch, so hat man deinen Heiland hinaufgehängt voll Spott und voller Hohn, als ob Er nicht einmal werth sey, den Erdboden mit Seinen Füßen zu berühren, und auf der Erde zu sterben. So ist dein Heiland erniedrigt worden! Das kann Einem durch’s Herz gehen, und doch haben wir in unserem irdischen Leibe noch keine rechten Begriffe davon, wie tief der Sohn Gottes erniedrigt worden ist.

Wie tief ließ JEsus sich herunter!
Kein Mensch, kein Engel ward so klein;
Vor unsern Augen ist’s ein Wunder:
Der Sohn soll so erniedrigt seyn;
Gehorsam bis zur Todesqual,
Ja, bis zum Tod am Kreuzespfahl!

Es gibt keine tiefere Erniedrigung als die Kreuzigung. Der, welcher Alles erschaffen hat, der die Sterne am Himmel ausgebreitet hat, Der, „wenn Er spricht, so geschiehet es, und wenn Er gebietet, so steht es da“; Der sollte so erniedrigt seyn! Aber doch hat diese Seine Erniedrigung auf der andern Seite auch eine Erhöhung, eine Herrlichkeit! Meinest du Seine Majestät zur Rechten des Vaters? – Das ist nicht Seine höchste Erhöhung! Ja, Er ist erhöhet worden; Er hat Sich gesetzt zur Rechten Gottes; Er ist der HErr über alle Obrigkeiten, Fürstenthümer und Gewalten, über Alles, was genannt mag werden im Himmel und auf Erden; Er ist auch der König aller Geister des Himmels, - der Glanz der hohen Cherubinen, die Heiligkeit der Seraphinen ist gegen Ihn nur Dunkelheit, nur ein schwacher Wiederschein Seiner Herrlichkeit; Sein Scepter ist ein gerader Scepter, und Sein Thron stehet ewig fest! Er ist sehr erhöhet worden! Alle Kniee im Himmel, auf der Erde und unter der Erde müssen sich vor Ihm beugen; denn Er ist HErr, Er ist Jehovah, JEsus Christus! – Er ist sehr erhöhet worden! –

Aber doch ist der Glanz Seiner Herrlichkeit, deren Er jetzt genießt, nicht in Vergleichung zu setzen mit Seinem Glanz, der vom Kreuz ausströmte.

Wie Er am verhöhnt’sten,
Ist Er mir am schönsten!

Aus Seiner Missethätersgestalt bricht der Glanz Seiner unendlichen Majestät am herrlichsten hervor; das bespeite Angesicht leuchtet heller als die Sonne. Sollten wir eine Vergleichung anstellen, so ist Er am anbetungswürdigsten an dem Kreuz, in Seinen Wunden, wenn Seine Züge sich im Tod entstellen, wenn Er ausruft: „es ist vollbracht!“ wenn Er Sein Haupt neigt und stirbt; da ist Er anbetungswürdiger, als wenn der Vater zu Ihm sagt: „Setze Dich zu meiner Rechten, bis daß ich Deine Feinde lege zum Schemel Deiner Füße!“ Anbetungswürdiger ist Er in Seinem Todesleiden als in Seiner Lebensherrlichkeit. Warum das? Darum, liebe Zuhörer, weil hier Sein volles Herz, Seine größte Liebe geoffenbaret ist, weil hier für die gefallene Kreatur Leben und Friede wehet, und weil wir nicht wüßten, wie wir mit Ihm daran wären, wenn Er sich nicht zu solchen Leiden erniedrigt hätte. Stolzer Mensch, der du in deinem Herzen dich so hoch erhebst, diesen Mann der Schmerzen sollst du anbeten, vor Ihm sollst du dich beugen, der für sich so tief erniedrigt wurde! Und du, armes, über deine Sünden bekümmertes Herz, du darfst Ihn anbeten. Für dich hat Er sich in die Tiefe herabgelassen, damit du mit all’ deinem Elend Ihm nahe kommen könntest. Wäre Er aber im Himmel geblieben, so wäre Er nur für die ungefallenen reinen Geister; nur diese dürften Ihn ihren Gott und Herrn nennen; Er wäre nicht für euch, selbst nicht für den frömmsten Menschen in der Welt, denn wir sind Alle tiefgefallene Sünder.

Moses hat im Alten Testament eine Schlange aufgerichtet, und im neuen Testamente wurde JEsus Christus an das Kreuz erhöht. Aber, sprichst du, oder könntest du sprechen: die Schlange ist ja das Bild des Satans; wie kann man denn Jesum, den HErrn der Herrlichkeit, mit einer Schlange vergleichen? Es scheint allerdings auf den ersten Anblick widersinnig zu seyn; aber wenn wir es recht betrachten, so ist es eine Weisheit unseres Gottes; freilich eine Weisheit, die von der Welt nicht erkannt wird, denn wenn die Menschen sie erkannt hätten, so hätten sie den Heiland nicht gekreuzigt; aber dennoch eine Weisheit Gottes für Alle, die Ihm gehorsam sind. Denn sehet, was war bei den Israeliten die Ursache des Todes? Waren es nicht die Schlangen? Daher sollte Moses eine eherne Schlange aufrichten als das Bild des Todes. Was ist bey uns die Ursache des Todes? Ist’s nicht die Sünde? ja freilich die Sünde! „Durch Einen Menschen ist die Sünde in die Welt gekommen, und der Tod durch die Sünde, und ist also der Tod zu allen Menschen hindurchgedrungen, dieweil sie Alle gesündiget haben.“ So ist also die Sünde die Ursache des geistigen, leiblichen und ewigen Todes. Wie nun die eherne Schlange als das Bild der Ursache des Verderbens bey dem Volke Israel aufgerichtet wurde, so wurde im Neuen Testament ein Bild der Ursache des Verderbens, ein Bild der Sünde aufgerichtet. Das Bild der Sünde aber ist der gekreuzigte Heiland. – Da könnte man wieder denken: wie hat man ein solches Bild der Sünde heraussuchen können? Gibt es denn ein untauglicheres Bild der Sünde als JEsus Christus, das unbefleckte Lamm Gottes? „Der, welcher keine Sünde gethan hat, in Dessen Munde kein Betrug erfunden worden ist, der nicht schalt, da Er gescholten ward“, dessen Fußstapfen nachzufolgen wir angewiesen sind, ist denn Der ein Bild der Sünde? – Einen recht satanischen, unverbesserlichen Menschen hätte man heraussuchen sollen, einen Barrabas, Einen, der in Sünden empfangen und geboren ist, der keine gute Ader in sich hat; ein solcher Mensch, könnte man denken, wäre das Bild der Sünde, nicht aber das Lamm Gottes, das nichts weniger ist als die Sünde. –

So könnte man denken; allein es kommt darauf an, ob man auch recht gedacht hätte. Ich versichere euch, wenn man die ganze Welt durchsucht hätte im Osten und Westen, im Süden und Norden; wenn man aus allen Gefängnissen den Schlimmsten, den Aergsten herausgesucht, und als das Bild der Sünde hingehängt hätte; Keiner hätte dazu so getaugt, wie der HErr JEsus Christus. Denn von einer gewissen Seite her betrachtet, war Er der größte aller Sünder. Es steht im Alten Testamente von Ihm geschrieben: „Meine Sünden haben mich ergriffen; ihrer ist mehr denn der Haare meines Hauptes.“ So sagt auch Paulus: „Gott hat Den, der von keiner Sünde wußte, für uns zur Sünde gemacht.“ Sehet, wie hier Christus am Kreuze hängt, können wir die ganze Sünde dargestellt und abgebildet sehen! Aber Er war nur das Bild der Sünde. Die eherne Schlange war unschuldig, und bloß das Bild des Todes; so war auch der Heiland nur das Bild der Sünde, aber ohne Sünde, was wir gleich sehen werden, Gal. 3,13, wo Paulus sagt: „Christus hat uns erlöset von dem Fluche des Gesetzes, da Er ward ein Fluch für uns“ (was ist denn der Fluch vor den Augen Gottes? – die Sünde mit ihren Folgen); - „denn es steht geschrieben: verflucht ist Jedermann, der am Holze hängt.“ In diesem Lichte betrachtet den Heiland; Er ist nur das Abbild der Sünde; es ist an Ihm abgemalt, wie die Sünde nach der Gerechtigkeit Gottes gestraft wird. Traf es bey Ihm nicht ein, was Jesaias Kap. 1. sagt: „das ganze Haupt ist krank, das ganze Herz ist matt; von der Fußsohle bis auf’s Haupt ist nichts Gesundes an Ihm, sondern Wunden und Striemen und Eiterbeulen, die nicht geheftet, noch verbunden, noch mit Oel gelindet sind.“ Ist es nicht also, daß nichts Gesundes an JEsu war von der Fußsohle bis zum Scheitel? Er war so verachtet, daß man das Angesicht vor Ihm verbarg!

Herz in Todespresse!
Mund voll Todesnässe!
Augen im Vergeh’n;
Glieder voller Wehe,
Hände, d’rin ich sehe
Nägelmaale steh’n!
Haupt voll Gottesmajestät,
Blutig, wund und überlaufen
Von des Zornes Taufen!

Gott hat den Arm Seiner strafenden Gerechtigkeit über Ihn ausgestreckt. Aber nicht nur an Seinem Leibe, sondern auch an Seiner Seele wurde Er als ein Sünder behandelt. O liebe Zuhörer! ihr dürft es lebendig glauben: weil der Heiland aller Welt Sünde getragen hat, deßwegen ist es bey euch, wie wenn ihr keine hättet. Ihr habt zwar Sünde, aber ihr werdet von Gott dafür angesehen, als hättet ihr keine, weil JEsus Christus in Seinem Blut am Kreuz ausgerufen hat: „mein Gott! mein Gott! warum hast Du mich verlassen?“

Eben aber deßwegen, weil der Heiland also aussieht, gefällt Er Niemand. Er hat keine Gestalt noch Schönheit, die den Fleisches-Menschen anzöge. Die Sünde freilich gefällt den Menschen; es ist ein gewisser Zauber, ein glänzender Reiz über die Sünde ausgegossen, wodurch sie die Menschen in ihr Netz hineinzieht; aber das Bild der Sünde, der gekreuzigte JEsus, gefällt ihnen nicht. Warum nicht? weil an Ihm die Sünde nicht so zu schauen ist, wie man sie sich vorstellt, sondern wie Gott sie ansieht, wie sie in der Wahrheit ist, nicht wie Gott sie ansieht, wie sie in der Wahrheit ist, nicht wie sie unser verdüstertes Auge sich vormalt. Sehet, darum gefällt der Heiland den Menschen nicht; sie haben eine ganz andere Ansicht von der Sünde als Gott; Gott stellt sie schrecklich dar; sie aber denken sie sich lieblich. Ein wollüstiger, ein geiziger, ein ehrfürchtiger Mensch, der nur die Befriedigung seiner Lüste sucht, Einer, der angenehme liebliche Phantasieen in sich trägt, über die der Zauber der Sünde ausgegossen ist, ein Solcher sieht das Kreuz Christi ganz anders an als Gott. – Lieber Mensch! an dem, daß der Heiland in Seinem großen Durst keinen Tropfen Wassers zur Kühlung Seiner Zunge erhielt, kannst du sehen, wie Gott von deinem Geiz, von deinem Rennen und Jagen nach irdischen Gütern, von deinem Reichwerden- und Rechtvielhaben-Wollen urtheilt. An Seiner gänzlichen Verachtung und Verspottung kannst du sehen, wie Gott deine Eitelkeit, deine Kleiderpracht, deine Sucht nach Ehre und Lob ansieht, das du begierig einsaugst als Balsam, da es doch lauter Gift ist; hier am Kreuze JEsu siehe, was Gott von deiner Hoffart und Eigenliebe hält! An Seinen Wunden, Striemen und Beulen, da nichts Gesundes an Ihm war von der Fußsohle bis zum Scheitel, da kannst du sehen, was deine Wollust auf sich hat, wie Gott sie richtet. An Seinen durchgrabenen Händen und Füßen, da kannst du sehen, daß du dich von der Sünde reinigen lassen sollst! Willst du dennoch in der Sünde bleiben, obgleich JEsus für dich gestorben ist? An Seinem Stillschweigen unter allen Leiden vor Kaiphas und Pilatus, da kannst du sehen, was deine Ungeduld unter dem Kreuz auf sich hat, was dein unnützes Geschwätz, womit du ganze Stunden und Tage zubringst, was dein Afterreden, dein Verläumden auf sich hat. Du kannst es sehen an dem, daß JEsus Seinen Mund so oft zuhalten mußte; Er hatte wohl das Recht zum Reden, aber Er durfte nicht. An Seinen durchgegrabenen Händen kannst du sehen, was deine schlechten Handlungen, die du mit deinen Händen verrichtest, vor Gott dir zuziehen; an Seinen durchbohrten Füßen kannst du sehen, wie die Augen Gottes die Abwege, die Wege des Unfriedens ansehen, darauf deine Füße wandeln, statt daß sie dem Heiland nachfolgen sollten. Da siehest du, was es auf sich habe, daß du auf des Teufels Grund und Boden zu gehen wagst; da siehest du, daß man nur auf dem schmalen Wege, nur durch die enge Pforte zum Leben gelangen kann. Wenn du es nicht dahin bringst, daß du auf dem schmalen Wege mit JEsu wandelst, so nützt dich Alles nichts, - du wirst verdammt werden.

Der Heiland am Kreuz ist das Bild der Sünde. Weil Er aber den Hochmüthigen nicht gefällt, so scheuen sich diese nicht, Sein Blut mit Füßen zu treten, denn dagegen empört sich ihre ganze verdorbenen, selbstsüchtige Natur. Das ist der Grund, warum die Menschen, welche die Sünde lieb haben, dieses Bild, das am Kreuze hängt, nicht lieben, sondern davor fliehen, und mit all’ ihren Gedanken fern davon bleiben; das ist der Grund, warum gewisse Menschen allerley Gutes und Nützliches predigen hören können, nur nichts von den Wunden, nichts von dem Kreuze Christi, denn sie fühlen: hinter dieser Predigt ist etwas verborgen, das alle Sünde verdammt, das ihr unerbittlich den Tod ankündigt.

Wie heftig uns’re Sünden
Den frommen Gott entzünden,
Wie Rach’ und Eifer geh’n
Wie grausam seine Ruthen,
Wie zornig Seine Fluthen,
Will ich aus diesem Leiden seh’n.

Es möchten vielleicht Einige unter uns seyn, welche das Leiden JEsu schon in diesem Lichte betrachtet haben; aber fasset es auch lebendig, ihr Seelen, lasset es in eure ganze Denk- und Handlungsweise übergehen, damit ihr euren Leib mit all’ seinen Gliedern, sammt Seele und Geist Dem heiliget, der euch so hoch geliebt und eure Sünde getragen hat! Erschrecket nicht vor Ihm, fliehet Ihn nicht! denn Er wurde für uns zur Sünde gemacht, damit wir in Ihm die Gerechtigkeit würden, die vor Gott gilt.

Die Kinder Israel waren in der Wüste, da sie von den Schlangen gebissen wurden, und hier geschah auch ihre Heilung, so viel ihrer im Glauben das eherne Bild ansahen. Liebe Zuhörer! wir befinden uns auch noch in der Wüste, obgleich wir im Neuen Testamente geboren sind, und uns Alle auf dem Wege zum himmlischen Kanaan befinden sollten. In dieser Wüste sind wir von der Schlange verwundet worden mit einem tödlichen Biß. Soll ich das erst beweisen? – Es wird nicht nöthig seyn. Blicke doch nur in dein Herz hinein, und siehe das Gericht, das in deinem Inwendigen ist! Ich bin’s überzeugt, Viele sind, die ein schreckliches Gericht der Sünde, den Fluch des Gesetzes Jahre lang in all’ ihren Arbeiten, Sorgen, Gesellschaften und Zerstreuungen mit sich herumtragen, und zu keiner Ruhe gelangen können. Es ist etwas in ihnen,

Darunter das Herze sich plaget und naget,
Und niemals ein wahres Vergnügen erjaget.

Ist’s nicht also? Lieber Mensch! siehe, das Sündengift, welches der Satan in dich hineingebracht hat, durchfrißt deinen Leib und deine Seele bis zum andern Tode, wenn es nicht durch das Blut Christi vertilgt und getödtet wird! Dein innerster Geist ist von der Sünde verwundet und angefressen; kannst du das läugnen? Ihr armen, mühseligen Geister! woher kommt doch euer geplagtes, elendes Wesen? Woher kommt es, daß ihr kein Lob Gottes, keine Freudigkeit zu Ihm, keinen rechten Frieden, keine Zuversicht, kein kindliches Herz zum Beten habt? Woher kommt es, daß ihr so schnell zum Bösen, so langsam und träge zum Guten seyd? Woher kommt es, daß, wenn ihr ein wenig Liebe zu Gott und dem Heiland habt, diese so bald wieder erstickt wird? Was ist es denn, das diese Liebe wieder hinaustreibt, das euch nicht kindlich mit eurem himmlischen Vater reden läßt? Kommt’s nicht daher, weil der Biß der Schlange in euer innerstes Seelenleben gedrungen ist, weil etwas in euch wohnt, das euch peinigt, das euch keinen Frieden läßt, - ein geheimer Bann, der euch abmattet, und dessen ihr nicht los werden könnet? Kommt’s nicht daher, weil das Gericht und die Verdammung der Sünde auf euren Herzen liegt? – Arme, sündige Seele! reiß’ dich doch einmal aus deinem Tode! thue doch einmal deine Geistesaugen auf, und blicke auf den Gekreuzigten! blicke auf Golgatha! bitte den heiligen Geist Gottes, daß du aufblicken lernest auf JEsum, den Anfänger und Vollender des Glaubens, so wirst du genesen! Ein Blick im Geist auf JEsu Leiden macht das blödeste Herz wohlgemuth! Siehe, das wußte ja Der, so dich geschaffen hat, daß der Fluch des Gesetzes in dir sey, darum hat Er Seinen Eingebornen für dich zum Fluche gemacht, und hier ist das große Wort der Verheißung: „wer gläubig zu dem erhöhten, zu dem gekreuzigten JEsus aufblickt, der soll leben, und ewige Vergebung empfangen; und ob seine Sünden blutroth wären, so sollen sie doch schneeweiß werden; und ob der Schlangenbiß noch so tief eingedrungen wäre, hier ist doch Hülfe, hier ist Leben, hier ist Rettung für ihn!“

Aber, sprichst du, ein bloßer Blick scheint doch gar zu leicht ein gar zu geringes Mittel zu seyn; wie soll mich ein bloßer Aufblick auf den Gekreuzigten heilen, wo lauter Sünde ist? – so hätten die Kinder Israel auch sagen können bey der ehernen Schlange. Hätten sie da lange gegrübelt und hin- und hergedacht: ein Blick ist zu leicht, und kann uns nicht heilen! so wären sie von ihren Wunden nie genesen; aber sie schaueten gläubig an der Schlange hinauf, und wurden gesund. Darum sollen auch wir nicht grübeln, warum Gott uns in dem Gekreuzigten und im Glaubensblick auf Ihn ein Mittel zur Heilung bereitet habe, oder wie es wohl möglich sey, daß ein Blick unser Herz gesund machen könne. Ja, es ist wahr, der bloße Blick macht nicht gesund; ein bloßer Anblick hilft keinem Kranken; aber das Wort der Verheißung: „wer gebissen ist, und sieht zur ehernen Schlange hinauf, der soll leben“, und der Glaube an dieses Wort machte die Israeliten gesund. Gleichermaßen ergieng es dem Syrer Naeman. Dieser war aussätzig und kam zu dem Propheten Elisa, damit er von ihm geheilet würde. Der Prophet sprach: „gehe hin und bade dich sieben mal im Jordan, so wirst du heil.“ Naeman aber sprach mit Unwillen: „wie habe ich das zu verstehen? Gibt es denn bey uns nicht bessere Heilquellen, die Wasser Amana und Pharphar zu Damaskus? Warum soll ich mich im Wasser des Jordans baden, das viel geringer ist?“ Seine Knechte aber sprachen zu ihm: „Lieber Vater, wenn dich der Prophet etwas Großes hätte geheißen, solltest du es nicht thun? wie viel mehr, so er zu dir sagt: wasche dich, so wirst du rein!“ Da wusch er sich sieben Mal im Jordan nach dem Worte des Propheten, und wurde rein. – Was heilte ihn nun? Das Wasser des Jordans? Nun, so wären die aussätzigen Juden nicht zum Heiland gekommen, sondern hätten sich auch im Jordan gebadet. Nein, das Wort des Mannes Gottes: „bade dich sieben Mal im Jordan, so wirst du rein“, das und sein Glaube daran heilte ihn. So war es auch mit der Schlange Mosis; das Wort Gottes: „wer an der ehernen Schlange hinaufblickt, der soll leben“, und der Glaube an diese Verheißung des HErrn, das machte sie gesund.

Im Neuen Testamente nun ist es etwas Anderes; es ist die Verheißung: wer im Glauben an das Kreuz JEsu hinaufblickt, dessen Sünde soll abgethan, der soll frey von Schuld und Verdammniß seyn! – O das sättiget, das gibt Genüge für Zeit und Ewigkeit! Armes Herz! wo irrst du hin? auf welchen Abwegen und in welchen Irrthümern verlierst du dich? Da gehe hin zum Kreuze JEsu, das allein sättigt deine Seele, das hilft dir von deinen Sünden, und wenn diese einmal abgethan sind, dann kannst du eine Heilungskraft um die andere nehmen, wie uns gesagt ist: „jaget nach der Heiligung, ohne welche Niemand den HErrn sehen wird“, dann sagst du:

Fällt mir etwas Arges ein,
Denk’ ich bald an JEsu Pein,
Die erlaubet meinem Herzen
Mit der Sünde nicht zu scherzen.

Und so geht es fort von einem Aufblick zum andern, von einer Kraft zur andern, bis zum Tode, bis du den Heiland sehen und ausruhen darfst an Seinen Wunden. Wer es so macht, wer das in seinem Herzen erfährt, wer das: „der Heiland ist für mich gestorben“, lebendig glaubt, der ist wiedergeboren für das ewige Leben, wie es JEsus im heutigen Evangelium sagt.

Aber freilich gehören Geistesaugen dazu, denn nur der Heilige Geist kann uns dieses verklären. Es thut’s nicht, daß man hier einen Spruch auswendig hersage, oder sich sonst mit bloßem Lesen und Beifallgeben behelfe, sondern des Heiligen Geistes und Seines Lichtes bedürfen wir, wenn dieses Geheimniß vom gekreuzigten Heiland uns eine Gotteskraft werden soll. Ach, darin betrügen sich Viele! Sie sehen wohl auch Jesum an, glauben an den Gekreuzigten, aber nicht mit Geistesaugen, nicht mit einem Herzen, das der Heilige Geist erleuchten kann. Sie wollen es nicht, sie glauben, sich selbst helfen, selbst weise machen zu können, und da bleiben sie todt in ihren Sünden. Wer aber mit Augen, die der Heilige Geist schenkt, den Heiland ansieht, der kann nicht mehr todt bleiben; wer im Geist und in der Wahrheit es erfährt: die gekreuzigte Liebe ist mein! der hat ewiges Leben; und dahin langt keine Naturkraft, das ist Gottes Gabe. – Aber, liebe Zuhörer, wie groß ist die Liebe Gottes gegen uns, daß Er uns ein so leichtes Mittel zum Seligwerden gegeben hat! Uns ist keine Schlange vorgestellt, sondern JEsus, der Erhöhte; wer Ihn im Glauben ansieht, der soll Gnade finden. Dieses Mittel ist nicht für einen ehrbaren, tugendhaften Mann, der an sich selbst genug hat; nicht für eine tugendhafte, gesetzte Frau, die in den Himmel zu kommen denkt, weil sie sich wohl halte, sondern es ist für Arme, für Sünder, die sich nicht selbst helfen können, denen der eigene Ruhm, die eigene Kraft, die eigene Tugend zu Ende gegangen ist, die keinen Trost mehr finden in sich selbst, und nach Gnade, nach Barmherzigkeit dürsten. Für Solche ist es, für sie Alle ohne Unterschied, sie seyen Christen, Juden oder Heiden! Alle, welche an den Gekreuzigten glauben, sollen nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.

In der Wüste wurde die eherne Schlange an einer Panierstande hoch aufgerichtet, damit alle Israeliten im ganzen Lager dieselbe sehen konnten, auch wenn sie in der entferntesten Gegend desselben verwundet waren. So ist auch JEsus Christus vor aller Welt Augen hingestellt; Aller Auge soll Ihn sehen. Das soll in den entferntesten Theilen der Erde der armen Menschheit gezeigt werden, wie Christus für Alle als das reinste Sündenopfer am Holze hieng, das soll in der ganzen Welt geprediget, mit Heroldsstimmen verkündigt werden, damit alle Menschen auf diesen Gekreuzigten, als ihren blutigen Bürgen und Erlöser, im Glauben schauen; das soll der Hauptinhalt jeder Predigt des göttlichen Wortes seyn: JEsus, der Gekreuzigte! – Ach, wie wünschte ich, daß ich die Gnade hätte, das Kreuz Christi so darzustellen, daß es von Aller Augen gesehen würde! „Ich schäme mich des Evangeliums von Christo nicht“ – sagt der Apostel Paulus – „ob es gleich den Weisen dieser Welt ein Spott ist, den Juden ein Aergerniß und den Griechen eine Thorheit; wir predigen dennoch den gekreuzigten Christus, göttliche Kraft und göttliche Weisheit.“ Deßwegen sagt er: „er wisse nichts als JEsum Christum, den Gekreuzigten“; deßwegen sagt er den Galatern: „er habe ihnen den gekreuzigten Christus vor die Augen gemalt.“ Das sollte der Hauptinhalt aller seiner apostolischen Predigten seyn, um den Gehorsam des Glaubens unter allen Völkern aufzurichten. Aber die Menschheit ist so arm, so blind; sie kennt Ihn nicht! Wenn du Ihn kenntest, ich glaube, du würdest aus Liebe gegen Ihn brennen; aber du kennst Ihn nicht, arme Menschheit; du kennst deinen Erlöser nicht; du bist so kalt, so taub, so todt ohne Ihn; du weißt nicht, daß Er deine Sünde getragen, und dir die Seligkeit erworben hat; du weißt nicht, wie man Ihn bitten, wie man Ihn lieben kann! du weißt nicht, daß Er der Schönste ist unter den Menschenkindern. O lernet doch Alle JEsum kennen und lieben! Er ist’s werth! – Weil ihr Ihn nicht kennet, so könnet ihr Ihn auch nicht lieben; wer Ihn aber kennt, gewiß, der liebt Ihn auch.

So lang die Hütte steht,
Wird JEsu Kreuz erhöht!

Ach, wie wünschte ich, daß dieses Aller Glaubensbekenntniß wäre! Nur an dem Kreuz JEsu, nur in Seinem theuern Blute könnet ihr Ruhe finden.

Arme Menschheit! Deine Kenntnisse, dein Wissen, deine Güter, deine Freuden und Genüsse können dir keine Ruhe geben; nur in JEsu Christo, nur in der gekreuzigten Liebe findest du Ruhe, sonst nirgends. – Was wollen hiezu sagen? Würden wir nicht von einem Israeliten, der im Eigensinn von der ehernen Schlange weggeblickt hätte, mit Recht sagen: das war ein thörichter Mensch! er nahm den Rath Gottes nicht an, und starb, weil er’s nicht besser wollte. So, liebe Zuhörer, ist’s auch bey uns, wenn wir nicht an JEsu Kreuz im Glauben hinaufsehen, wenn wir störrig und widersinnig den Rath Gottes verachten. Ach, komme doch Niemand in dieses Gericht! ach, wie wünschte ich’s, wie wünscht es der treue Heiland, daß Keines von uns, Keines von den Großen und Kleinen, in das Gericht des Unglaubens falle, daß Keines den Sohn Gottes verstoße, der Allen nachgeht, und ihnen Leben und Tod, Seligkeit und Verdammniß, Liebe und Zorn Gottes vorstellt! Was wollen wir wählen? Armes Herz, was willst du wählen? Willst du sagen: ich halte es lieber mit der Ruhe und Bequemlichkeit dieser Welt, ich will meinen alten Menschen pflegen? Siehe hin auf JEsum! Er locket und rufet weit und breit, Er breitet vom Kreuz herab Seine Arme nach dir aus, um dich selig zu machen! O daß ich’s recht tief in mein und euer Herz schreiben könnte: „durch Seine Wunden sind wir heil geworden!“ Ach, wer noch nichts von dem Heilande weiß, der fasse doch den Entschluß, wie David sagt: „des Morgens, des Mittags und des Abends bete ich, so gut ich kann“; fasset doch von heute an den Entschluß, den Geist Gottes von Herzensgrund zu bitten, Er möchte JEsum Christum in euren Herzen verklären! Nicht, als wollte ich das Beten zum Himmelsweg machen; es gibt nur Einen Weg, welcher ist Christus; aber wer nicht bittet, der nimmt nicht, wer nicht sucht, der findet nicht, wer nicht anklopft, dem wird nicht aufgethan; und träge, bequeme Leute kann JEsus nicht brauchen.

So komme denn, wer Sünder heißt,
Und wen sein Sündengräu’l betrübet,

ja, auch wen seine Sünde noch nicht betrübet!

O kommt zu Dem, der Keinen von sich weist,
Der sich gebeugt zu Ihm begiebet!
Wie? willst du dir im Lichte steh’n?
Und ohne Noth verloren geh’n?

Ach, ohne Noth, nur aus eigener Schuld, daß du sagen mußt: ich hätte können selig werden, man hat mir die Seligkeit angetragen, man hat sie mir (daß ich so sage) nachgeworfen, ich aber habe nicht gewollt; ohne Noth muß ich verloren gehen! –

Willst du der Sünde länger dienen,
Da dich zu retten Er erschienen?

Da Er für dich ein Fluch am Kreuze geworden ist? Nein! nein! – ach, daß es bey Allen heiße: Nein! –

Verlaß des Lasters breite Bahn!
Mein Heiland nimmt die Sünder an!

Amen!

Cookies helfen bei der Bereitstellung von Inhalten. Diese Website verwendet Cookies. Mit der Nutzung der Website erklären Sie sich damit einverstanden, dass Cookies auf Ihrem Computer gespeichert werden. Außerdem bestätigen Sie, dass Sie unsere Datenschutzerklärung gelesen und verstanden haben. Wenn Sie nicht einverstanden sind, verlassen Sie die Website.Weitere Information
autoren/h/hofacker/hofacker-predigt_am_feste_der_heiligen_dreieinigkeit.txt · Zuletzt geändert: von 127.0.0.1
Public Domain Falls nicht anders bezeichnet, ist der Inhalt dieses Wikis unter der folgenden Lizenz veröffentlicht: Public Domain