Hofacker, Ludwig - Predigt am Feiertage Johannis des Täufers.

Hofacker, Ludwig - Predigt am Feiertage Johannis des Täufers.

1)

Ich habe mir vorgenommen, aus dem Briefe, den der Heiland durch den Apostel Johannes an den Bischof zu Ephesus schreiben ließ, Einiges zu unserer gemeinschaftlichen Erbauung heute, und so Gott will, fernerhin unserer Betrachtung vorzuhalten. Da die Zeit zu kurz ist, als daß wir heute den ganzen Brief vor uns nehmen könnten, so will ich nur über die drey ersten Verse jenes Briefes zu euch sprechen, welche zu lesen sind in der Offenbarung Johannes und deren zweitem Kapitel vom 1. – 3. Vers:

Dem Engel der Gemeine zu Ephesus schreibe: Das saget, der da hält die sieben Stern in Seiner Rechten, der da wandelt mitten unter den sieben goldenen Leuchtern: Ich weiß deine Werke und deine Arbeit, und deine Geduld, und daß du die Bösen nicht tragen kannst; und hast versucht die, so da sagen, sie seyen Apostel, und sind es nicht, und hast sie Lügner erfunden; und verträgest, und hast Geduld, und um meines Namens willen arbeitest du, und bist nicht müde geworden.

Es ist uns wahrscheinlich Allen bekannt, aus welcher Veranlassung der Heiland diesen Brief schreiben ließ. Der Apostel Johannes nämlich befand sich auf der Insel Pathmos, wohin er durch den Kaiser Domitian um des Zeugnisses von Christo willen verwiesen war. Da gerieth er an dem Tage des HErrn in eine Entzückung, und war im Geiste, und hörete eine große Stimme als einer Posaune, und sahe und erkannte den HErrn, der eines Menschen Sohne gleich war, er erkannte Den, den er, und Der ihn lieb hatte, und fiel nieder auf sein Angesicht vor Ihm. Der HErr aber rührete ihn an und sprach zu ihm: „Schreibe, was du gesehen hast, und was da ist, und was geschehen soll darnach“, und nun diktierte er ihm sieben Briefe an die Gemein-Vorsteher der sieben Gemeinden in Asien, nämlich zu Ephesus, Smyrna, Pergamus, Thyatira, Sardes, Philadelphia und Laodicäa. Schon Manche behaupteten, jene Briefe beziehen sich nicht allein auf jene Gemein-Vorsteher, sondern es seyen geschichtliche prophetische Briefe, welche die Geschichte der christlichen Kirche und die Entwicklung der Zeitläufe enthüllen. Ohne uns darauf weiter und tiefer einzulassen, wollen wir dasjenige herausheben, was uns dienlich ist zur Förderung unserer Erbauung und zur Kräftigung und Stärkung unsers inwendigen Menschen. Lasset uns deßhalb jene Worte in der Furcht Gottes betrachten, Gott selbst aber wolle uns mit Seinem Heiligen Geiste unterstützen.

Ja Dich, HErr JEsu, bitten wir, daß Du wollest unsern Herzen Deine Furcht und den Geist der Zucht einflößen. O HErr, erbarme Dich, und reiße uns kräftiglich von allen Dingen, denn ein gefesselt Herz kann sich ja himmelwärts durchaus nicht schwingen. Ach, wir hätten es wohl verdienet, daß wir ewiglich vom hellen Lichte Deiner Gnade verbannt wären: aber Du hast Dich einmal unserer angenommen; o so nimm Dich unserer auch ferner an, und walte über uns mit Deiner Barmherzigkeit. Gib uns auch in dieser Stunde Deine Liebe, aber auch Deine Heiligkeit zu erkennen, damit wir Buße thun noch in der Zeit, und nicht verloren gehen in Ewigkeit. Amen!

„Das saget, der da hält die sieben Sterne in Seiner Rechten, der da wandelt mitten unter den sieben goldenen Leuchtern.“ Welch’ ein majestätischer Eingang ist dieß! auf welche herrliche, erhabene Weise kündigt sich der Heiland hier an! Schon dieser Anfang sollte die ganze Aufmerksamkeit des Bischofs in Anspruch nehmen. Der HErr will sagen: was ich dir, dem Gemein-Vorsteher zu Ephesus, zu bedenken gebe, was ich dir einschärfen werde, das darfst du nicht bloß auf oberflächliche Weise dahin nehmen, wie man einen guten Rath dahin nimmt, den ein christlicher Freund dem andern ertheilt, auf welchen man allerdings auch achten soll, aber nicht auf diese ehrfurchtsvolle Weise: sondern merke auf, denn was dir jetzt gesagt wird, das saget Der, der Gewalt hat über die Gemeinden und ihre Vorsteher; das, was dir jetzt gesagt wird, ist das Urtheil über dich von dem obersten himmlischen Bischof der Kirche, der Herzen und Nieren erforschet, dem das Böse ein Greuel ist, der eine Gemeinde aufrichten und verderben kann, nach dem Er will; was dir jetzt gesagt wird, ist das Urtheil des HErrn über dich und deinen Dienst, ein Urtheil Dessen, der dein und deiner Gemeinde Schicksal in Seiner Hand hat, gleichwie ein starker Mann einen leichten Federball dreht, wendet und wirft, wohin er will.

„Das saget!“ es liegt etwas sehr Großartiges, Göttliches, Gewaltiges in dem Ausdruck: „das saget“; man fühlt es diesem Ausspruche an, daß er nicht in den Wind hineingeredet seyn soll, sondern daß der Redende die Machtvollkommenheit hat, Alles, was Er sagt, auch auszuführen, und alle Seine Worte Ja in Ihm sind, und Amen in Ihm; weßwegen man sie auch mit heiliger Scheu und tiefer Ehrerbietung hören und beachten soll. Auf dieselbe Weise steht auch oftmals im Alten Testament geschrieben: „So spricht der HErr“, und dem Volke Israel wird damit zu verstehen gegeben, wer Der ist, der also redet, und was es Dem schuldig sey, der also redet. „Das saget!“ O wie vieles Geschwätz, wie viele Urtheile, Ansichten, Meinungen, Lob und Tadel werden durch dieses einzige Wort: „das saget“ zu Boden geschlagen. Es wird wohl auch in der Gemeinde zu Ephesus Lästerer gegeben haben, die den Bischof schalten, oder auch solche, die ihr Lob für den Bischof ausspendeten, so daß er, wenn er nicht wachte und seine Seele in den Händen trug, von ihren guten oder bösen Gesinnungen und Reden umnebelt oder umräuchert werden konnte. Diese Reden und Gegenreden schlägt das einzige Wörtlein: „das saget“ darnieder; denn das ist ja die Hauptsache; nicht welche Gedanken die Menschen, sondern welche Gedanken unser HErr und König über uns hat. Vielleicht möchte Einer hiebey denken: ich möchte doch auch ein solches Wort vom HErrn an mich vernehmen, sollte es auch ausfallen, wie es wollte, sollte es mich auch niederschmettern, sollte es mich auch in den Staub niederbeugen, ich käme doch zur Gewißheit, wie ich mit meinem HErrn daran wäre, welche Gedanken Er über mich hätte. Allein wer also denkt, der merke nur auf die Regungen des Geistes Gottes in seinem Innern, der sey und werde nur stille und abgeschieden von dem Gewirre der äußern Welt, und er wird bald mit der Hülfe des Wortes Gottes über das Urtheil sich klar werden, das der Heiland über ihn ausspricht. Vielleicht findet er sich wieder abgespiegelt in der Seelen-Gestalt des Bischofs von Ephesus, oder von Smyrna, oder von Pergamus; er lese nur einmal z.B. diese Briefe und seufze um Licht von Oben; unter dem Lesen wird ihm Manches offenbar werden, und manchmal jenes Wort: „das saget“, an’s Herz dringen, wie wenn es für ihn allein in der Bibel stünde.

„Das saget, der da hält die sieben Sterne in Seiner Rechten, der da wandelt mitten unter den sieben goldenen Leuchtern.“ Dieß bezieht sich auf die Erscheinung, welche der Apostel im ersten Kapitel hatte, wo er den Heiland wandeln sah unter den sieben goldenen Leuchtern. Die sieben Sterne bedeuten die sieben Vorsteher der Gemeinden, und die sieben Leuchter die Gemeinden selbst. Damit offenbarte er sich dem Johannes als Den, welcher Gewalt hatte über die Bischöfe und über die Gemeinden, freie Gewalt über die Gemein-Vorsteher, so daß Er mit ihnen handeln kann nach Seinem Willen, der sie versetzen kann, nach dem Er will, und wohin Er will, freie Gewalt über die Gemeinden selbst, so daß Er als ihr höchster Aufseher und oberster HErr ihren Leuchter auslöschen, und die theure Beilage der evangelischen Wahrheit von ihnen wegnehmen kann, so sie Seinen Rath nicht annehmen und Buße thun, oder aber, daß Er unter ihnen wandelt und Seine Verheißung erfüllt: „wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen“, oder das andere Wort: „Ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.“ Somit hätte also der Bischof von Ephesus wohl aufzumerken, wenn ihm dieser Eingang, der gleichsam die Ueberschrift des Briefes bildete, vorgelesen wird. Weil er nun wußte, daß das, was ihm gesagt werde, von dem HErrn der Gemeinde sey, von Dem, der da ist das A und O, der Anfang und das Ende, der Erste und der Letzte, von dem Erzhirten der Schafe, der ihn gesetzet hat zum Unterhirten derselben, und Rechenschaft von ihm fordern könne, von Dem, welcher einst Lehrer und Gemeinde, Stern und Leuchter einander gegenüber stellen, und einem Jeglichen sein ewiges Endurtheil zusprechen wird, nachdem er es verdient hat; dem getreuen Knechte, der über Wenigem treu gewesen ist, ewige Freude in der himmlischen Heimath bey Ihn, dem Schalksknechte aber, der keine Frucht getragen hat, ewiges Verderben und ewigen Fluch. Denn die, welche dreißigfältig gesäet, werden dreißigfältig, die, welche sechzigfältig gesäet, werden sechzigfältig, und die, welche hundertfältig gesäet, werden hundertfältig ernten; die aber das Wort Gottes verworfen und auf das Fleisch gesäet haben, die werden vom Fleische das ewige Verderben ernten. Und dabey hat es sein Verbleiben, denn es hat es Der gesagt, der mitten unter den sieben Gemeinden wandelt, und die Gemeinden und die Vorsteher in Seiner rechten Hand hält.

„Ich weiß deine Werke“, spricht der HErr. Dieses Wort wiederholt sich in allen sieben Briefen, und geht nicht bloß auf die äußerlichen Werke, sondern auf den ganzen innerlichen und äußerlichen Wandel. Ich kenne dein Herz, will Er sagen, deinen Sinn, deine Gedanken, deine Worte, deine Werke, dein Aufstehen und dein Niedergehen, deinen Wandel bey Tag und Nacht. „Es ist Mir nichts unbekannt, Ich weiß deine Werke.“ Ach was ist dieß für ein Herz-durchschneidendes, ein die innersten Tiefen des Geistes erhellendes Wort, wenn wir uns in das Licht desselben hineinstellen, und von ihm uns richten und durchleuchten lassen. „Ich weiß deine Werke!“ Gewöhnlich glauben wir dieses Wort nicht so fest, weil wir zu sehr in dieses zeitliche, zerbrechliche Leben vertieft, von den Einflüssen der armen, eiteln Welt bezaubert sind; und wenn es auch in unsere Seele hineinfällt, so entwischt es doch den Menschenkindern immer wieder gar leicht, so daß sie es zu keiner ganzen Klarheit ihres Bewußtseyns kommen lassen. ich weiß deine Werke, spricht der HErr, deine Pulsschläge, deines Herzens Klopfen, aber auch deiner Augen Tropfen, und dieß läßt der HErr uns Allen sagen mit göttlicher Machtvollkommenheit; nicht bloß dem Gemeine-Vorsteher zu Ephesus, sondern zu uns Allen spricht Er: Mensch! Ich weiß deine Werke. Er, der in der Höhe und im Heiligthum wohnet, aus dessen Gränzen wir nicht weichen können, Er läßt dir sagen, daß Er dich von innen und von außen kennt, und daß es wahr ist, was David gebetet hat: „ich sitze oder liege, ich gehe oder stehe, so bist Du um mich, und siehest alle meine Wege, Du verstehest meine Gedanken von ferne.“ Der HErr kennt deine Berufs-Treue oder Berufs-Untreue, deine Gefühle, deine Gedanken und Empfindungen, deine Anschläge und Entwürfe; Seinem durchdringenden, allgegenwärtigen Auge kannst du dich in keinem Stücke entziehen, Er kennt dich und prüft dich in Seinem göttlichen Lichte, Er weiß, mit welchen Gedanken und Planen du dich gegenwärtig beschäftigest, Er erkennt dich mit Seinem feuerflammenden Auge, ob du dem innersten Grunde nach verwerflich bist vor Seinen Augen oder nicht, ob du zu denen gehörst, die sich selber leben und den Tod erben für ihre Ehre bey den Menschen, für ihr weltliches Vergnügen, für die guten Meinungen und Ansichten von sich selber: oder zu denen, die Ihm leben und zu Seiner Ehre, und weil sie in der Zucht Seines Heiligen Geistes stehen, sich doch Nichts darauf zu gut thun, sondern ihr Elend erkennen und Ihm treu und offen bekennen. Nun, lieber Mensch, wenn der HErr vor dir stände und durchschauete dich mit Seinem forschenden Blicke und würde dir sagen: „ich weiß deine Werke“, was für ein Gefühl würde sich wohl in dir regen? Würdest du wohl mit Beugung, aber doch mit Freudigkeit dem HErrn sagen können: Du weißest meine Werke freilich, und wirst wenig Gutes daran entdecken, außer dem, was Deine Gnade gepflanzet hat, denn auch an uns geht in Erfüllung, was das Lied sagt:

An mir und meinem Leben
Ist nichts auf dieser Erd’,
Was Christus mir gegeben,
Das ist der Liebe werth.

Doch weiß ich, daß ich Dein Eigenthum bin, denn in Deine Hände bin ich gezeichnet von Ewigkeit. Oder würde sich wohl ein Gefühl in dir regen wie bey Adam, da er sich versteckte, als Jehovah bey ihm im Garten war und ihm rief: „Adam, wo bist du?“ Oder würde sich gar bey jenem Worte Entsetzen, Angst und Schrecken sich deiner bemächtigen?

„Ich weiß deine Werke!“ Was hat doch der Heiland für Geistes-Worte? Stellet euch einmal in die Lage des Bischofs hinein, dem Johannes den Brief sendete. Der Sendbote, den Johannes schickte, kommt nach Ephesus; die Gemeinde sammelt sich um den Bischof, der Vorleser liest: „Das saget, der da hält die sieben Sterne in Seiner Rechten, der da wandelt unter den sieben goldenen Leuchtern: ich weiß deine Werke.“ Wenn nun hier der Vorleser ein wenig inne hielt, so mußte wohl dem Bischof zu Ephesus sein ganzer Herzensgrund offenbar werden, das verworrene Gewebe seines inneren Lebens mußte sich entwirren, und es mußte ihm klar werden, ob er mit Schrecken vor dem HErrn erscheinen müsse, oder ob er ein gutes, ein mit dem Blute JEsu Christi gereinigtes und geheiligtes Gewissen habe. „Ich weiß deine Werke!“ dabey mochte ihm wohl das Herz klopfen, und ihm segnend oder verklagend sich enthüllen. Solche Zustände des innern Menschen sind ein Vorspiel von dem letzten Gerichtstage, da der HErr zu Allen sagen wird: „ich weiß deine Werke“ sowohl zu denen auf der rechten, als auch zu denen auf der linken Seite. Wann die Bücher aufgethan und einem Jeglichen offenbar werden wird, wie er gehandelt hat bey Leibes-Leben, da wird sich’s zeigen, daß der HErr alle Werke weiß, die kleinen und die großen, und es werden Alle mit Schrecken und mit Angst bestehen, deren Werke nicht geheiligt und rein gemacht sind durch das Blut des Lammes.

Jedoch der Bischof von Ephesus hatte nicht nötig zu erschrecken und zu erzittern, denn er war ein wahrer Bischof, ein Mann nach dem Sinne des HErrn. Darum setzet der Apostel hinzu: „ich weiß Deine Werke und deine Arbeit.“ Dieser Mann ließ es sich wahrscheinlich sauer werden für das Reich seines Gottes; er war ein treuer Arbeiter im Weinberge seines HErrn; er kämpfte unermüdet: er war Keiner von Denen, von welchen Jesajas spricht: „Sie sind stumme Hunde, die nicht strafen können, sie sind faul, liegen und schlafen gerne.“ Nein, es war ihm nicht zu viel, sich um des Heilandes willen einen müden Fuß zu machen; er war treu im Dienste seines HErrn, und that dieß Alles nicht um seiner Ehre, um seines Vortheils, sondern um des HErrn willen. Ganz anders, als wir’s am Haufen der Welt bemerken. Warum arbeiten denn die Menschen? was sind denn ihre Triebfedern? warum jagt und rennt und sorgt man? warum kommt man doch zu keiner Ruhe? warum macht man immer neue Anschläge, so daß man für das Göttliche keine Zeit gewinnt? warum geht es denn so fort vom Abend bis zum Morgen, und vom Morgen bis zum Abend? Warum kommt denn das Herz nicht zur Ruhe, da doch für das Volk Gottes noch eine Ruhe vorhanden ist? Woher diese Unruhe, die ja schon ein Vorgeschmack ist der Qual, welche einst die Verdammten leiden werden, von welchen es in der Offenbarung heißt: „Sie haben keine Ruhe Tag und Nacht.“ Warum kommt man denn zu keiner Erquickung? warum plagt man sich denn so jämmerlich und elend? Die Antwort ist: Ich will reich werden oder ich will mich in einen guten Kredit setzen, oder wenigstens darin bleiben, oder ich muß sorgen, daß ich im Alter auch noch zu leben habe, daß ich wenigstens meinen Kindern etwas zurücklassen kann. Dem Bischof zu Ephesus aber gibt der Heiland ein anderes Zeugniß: „Du arbeitest um meines Namens willen und bist nicht müde geworden;“ unermüdeter Eifer für das Reich Gottes war also ein Hauptzug in dem Charakter des Bischofs. Was ist größer und lieblicher, als wenn ein Mensch seinen ganzen Eifer und seine ganze Begierde darauf gesetzt hat, daß er möchte von seinem HErrn als ein rechtschaffener Arbeiter erfunden werden, wenn ein göttlicher, ein lauterer Trieb in ihm ist, nur dem Heilande zur Ehre zu leben, wenn er sagen kann: Alles, was ich thue, thue ich um des Namens JEsu Christi willen, zur Verherrlichung des großen Namens des Hochgelobten. Dieses selige Vorrecht aber haben wir Alle, Eltern und Kinder, Junge und Alte, Herren und Knechte, Jünglinge und Jungfrauen. Wer da arbeitet, nicht als vor den Augen der Menschen, sondern vor dem allwissenden Gott, dem wird der Heiland das Lob nicht verweigern: „du hast um meines Namens willen gearbeitet.“ Aber wie Viele unter uns werden es seyn, denen ER dieß große Zeugniß geben kann? Wie viele Verläugnung der Eigenliebe, des Eigensinns, der Verkehrtheit gehört dazu? Wie muß der alte Mensch in den Tod gegeben werden, auf daß der neue lebe? Aber ungeachtet dieses herrlichen Zeugnisses setzt in der Folge der Heiland noch hinzu: „Ich habe etwas wider dich.“ O liebe Brüder! Es kann ein Mensch Manches an sich haben, was dem HErrn wohlgefällt, und doch hat Er noch dieß und das an ihm auszusetzen. Aber eben das soll uns reizen, uns immer mehr in die Nachfolge Christi zu begeben, Seinem Geist und Worte immer gehorsamer zu werden. Wenn der Apostel selber von sich sagt: „Ich halte noch nicht dafür, daß ich es ergriffen hätte“, was sollen denn wir sprechen? Und wenn der Bischof, dem der Heiland jenes Lob ertheilte, zur Buße aufgefordert wird, sollten wir uns nicht tief in den Staub beugen? Denn – wird der Gerechte kaum erhalten, wo will dann der Gottlose, der Sünder bleiben?

„Ich weiß deine Werke und deine Arbeit.“ Wir dürfen diese Arbeit aber nicht mit der Vielgeschäftigkeit mancher Menschen verwechseln. Es gibt manche Menschen, welche auch arbeiten und nicht müde werden, welche auch wirken für das Reich Gottes; aber im eigenen Namen, in eigener Kraft, nach eigenem Willen, nicht zur Ehre des Heilandes, sondern zu ihrer eigenen Ehre. So gibt es manche Eltern, die keine Kosten und keine Mühe scheuen, ihren Kindern eine christliche Erziehung zu geben; sie predigen ihnen selber Tage lang vor, daß man fromm seyn müsse; sie geben ihnen die besten Lehren und Ermahnungen; die Kinder sollen mit Gewalt Christen werden, und sie selber sind es nicht; die Kinder sollen selig werden, sei selber trachten nicht darnach. Dieß sind die unberufenen Arbeiter im Weinberge Gottes.

Schweigt JEsus in der Seele still,
So nimm dir auch nichts für;
Wenn Er dich aber brauchen will,
So tritt mit Kraft herfür.

Jedoch, wo viele Arbeit ist, da hat man viele Geduld nöthig, und so ertheilt nun auch der Heiland dem Bischof zu Ephesus noch dieses Lob: „du hast Geduld.“ Die Meisten unter uns werden wohl wissen, wie viel Geduld die Arbeit in einem Weinberg erfordert. Von oben macht die Sonne, die Hitze, der Regen, die Kälte, die Nässe viel Sorge, Furcht und Arbeit; von unten gilt es das Unkraut auszujäten, zu pflanzen und umzugraben, zu binden und zu schneiden. Wie Gott selbst in Seinem Weinberg mit dem Feigenbaum Geduld hat, den Er bedüngen und umgraben läßt alle Jahre, ob er vielleicht Frucht bringe zu seiner Zeit, so muß ein Jeder, der ein Arbeiter im Weinberge Gottes werden will, sich vor allen Dingen Geduld zur Arbeit schenken lassen. Dieses Lob nun verdiente auch der Bischof; er wollte nicht sogleich ernten, wo er eben erst gesäet hatte, er konnte die Schwachen tragen, er war ein rechter Unterhirte, der die Schafe nicht übertrieb, sondern JEsu nachfolgte, Dessen Sache es war, Geduld zu haben mit der Schwachheit, die Elenden zu verpflegen, das zerbrochene Roh zu stützen, das glimmende Docht zur Glaubenskraft anzufachen. Diese Geduld kann man nirgends anders denn in der Schule des Heilandes lernen: Er war der Geduldigste unter den Menschenkindern; auch zu Philippus konnte Er voll Langmuth und Geduld sprechen: „schon lange bin ich bey euch, Philippe, und du kennst mich nicht“; Er hat ja noch bis auf die heutige Stunde Geduld mit denen, die sich in Seine Gnadenzucht begeben. Bekennet es ihr Alle, die ihr euch in der Schule des Heilandes befindet, mit welcher Geduld und Langmuth Er euch von Jahr zu Jahr gängelt und leitet und trägt: ja, es ist wahr, was in jenem Liede steht:

Der erste Odem, den ich ziehe,
Wenn ich vom Schlaf erwache,
Ist Dein Erbarmen, groß Deine Mühe,
Die ich Dir täglich mache,
Und die Du schon an mich gewandt,
Da Deine Lieb’ am Kreuz entbrannt.

Geduld, zu tragen, das ist die Sache des Heilandes; wie wäre es aber auch so traurig, wenn dieß nicht der Fall wäre.

Barmherzig, gnädig, geduldig seyn,
Uns täglich reichlich die Schuld verzeih’n,
Heilen, stillen und trösten, erfreuen und segnen,
Und unserer Seele als Freund begegnen,
Ist Seine Lust.

Ich will nur Ein Beispiel Seiner Geduld anführen: wenn Er nach unserer ungeduldigen Art einer Seele, die in seine Schule treten will, auf einmal ihr Verderben und ihre Sünde in’s Licht stellen würde, so würde sie keine Freudigkeit und kein Vertrauen zu Ihm fassen können, sondern sie würde zur Verzweiflung kommen; aber Seine Geduld ist groß; Er entdeckt ihr nach und nach ihre Schlechtigkeit; sie wird immer kleiner, wiewohl auch immer reiner; die uralte Unart reißt Er nicht mit Einem Male aus, läßt ihr noch eine gute Weile ihr Spielwerk, und erst, wenn sie erstarkter ist am inwendigen Menschen, da zeigt Er ihr dann, daß die kindische Unart nicht mehr für sie taugt. So macht Er es wie die weisesten Erzieher, die nur nach und nach die Zöglinge zu etwas Ganzem bilden, und nicht mit einem Schlag sie fertig haben wollen. Diese Geduld ist eine Frucht Seiner Barmherzigkeit; und wer daher über die Schwachheit seines Bruders sogleich herfällt, und nichts tragen und dulden kann, der kennt die Barmherzigkeit und Geduld, die doch täglich über uns neu wird, noch nicht; dem ist die eigene Unart seines Herzens noch tief verborgen. O selig der Mann, der, wie der Bischof von Ephesus, ein solches Zeugniß vom HErrn empfängt.

Seine Geduld war aber nicht gleichgültige Lauigkeit im Christenthum; sie rührte nicht aus einem trägen Temperamente, aus Herzensmattigkeit und Unentschiedenheit her, aus einem ruhigen Blut, das, wenn es in Wallung kommt, nur um so schrecklicher tobt: nein, seine Geduld war mit heiligem Ernste gepaart, weßwegen auch der Heiland zu ihm sagt: „und daß du die Bösen nicht tragen kannst.“ Wie sollen wir nun aber das verstehen? Trägt doch der HErr selber die Bösen mit großer Geduld und Langmuth, läßt Er doch Seine Sonne über Gerechte und Ungerechte aufgehen, regnen über Gute und Böse; eilt doch der Hirte selber den verirrten bösen Schafen nach, ob Er sie etwa erhasche und auf Seine Achsel nehmen könne mit Freude; hat Er doch Selbst befohlen, daß wir nicht Böses mit Bösem, noch Scheltwort mit Scheltwort vergelten, und segnen sollen, die uns fluchen? Wie ertheilt ihm nun der HErr darüber Lobsprüche, worüber ihm nach unserer Meinung Tadel zugestanden wäre? Dieß ist aus dem damaligen Zustande der Gemeinden zu erklären: Denn es war ja leider eingetroffen, was der Apostel Paulus bey seinem Abschied der Gemeinde vorher verkündigt hatte: „Das weiß ich, daß nach meinem Abschied werden unter euch kommen greuliche Wölfe, die der Heerde nicht verschonen werden, und aus euch selbst werden aufstehen Männer, die da verkehrte Lehren reden, die Jünger an sich zu ziehen“ (Apostel-Gesch. 20,29.30.). In den ersten apostolischen Gemeinden nämlich traten Irrlehrer auf, welche die wahre Lehre des Christenthums verdrehten, theils solche, die sich nicht als arme Sünder unter das Kreuz JEsu Christi beugen, die mit eigener Heiligkeit und Gerechtigkeit, mit Fasten und Beten und anderer Gesetzlichkeit die Gerechtigkeit verdrängen wollten, welche Gott um Christi willen dem Glauben zurechnet, theils solche, die ihr Fleisch nicht unter das Gesetz Christi beugen, dasselbe nicht kreuzigen wollten sammt den Lüsten und Begierden, unter dem Scheinen und Vorwand der christlichen Freiheit. Diese Irrlehrer hatte der Bischof geprüft und als Lügner erfunden, und in ihrer Lüge zu Schanden gemacht. Wahrscheinlich hat er an sie den gedoppelten Maaßstab angelegt, den der Heiland uns an die Hand gibt, einmal: „An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen“, und für’s Andere: „Ein jeglicher Geist, der da nicht bekennet, daß JEsus Christus ist in das Fleisch gekommen, der ist nicht von Gott.“ Mit andern Worten: wer glaubt und bekennt, daß JEsus Christus wahrhaftiger Mensch, aber auch wahrhaftiger Gott ist, worin das ganze Geheimniß der Erlösung liegt, der ist von Gott: die Andern haben den Geist des Widerchrists. Liebe Zuhörer! wenn ein Mensch heidnisch lebt, und durch Wort und That bekennt, daß er ein Kind der Welt sey und seyn wolle, daß er die Welt lieb habe und lieb behalten wolle, so gehört er nicht unter diejenigen, die man nicht tragen soll. Nein, solche Leite sollen von den Christen mit besonderer Nachsicht und Geduld getragen werden; mit innigem herzlichem Mitleid und Erbarmen sollte man sie betrachten, wie der Heiland einst selber sagte: „Mich jammert des Volks, denn sie gehen umher wie Schafe, die keinen Hirten haben.“ Aber wenn Einer sich als Bruder in der Gemeinde geberdet, und bringt böse Lehren auf, um seine Bosheit zu verdecken, und sucht an den Grundvesten der evangelischen Wahrheit zu rütteln, und seine eigene Weisheit und sein verderbtes Fleisch auf den Thron zu setzen, der doch nur Christo und Seinem untrüglichen Worte gebühret, - solche Menschen soll man nicht leiden. „Nehmet sie nicht auf, grüßet sie auch nicht“, spricht der Apostel Johannes (3. Joh. 10.). Das ist zwar von dem Apostel in früheren Zeiten geredet; es gilt aber auch noch für unsere Zeiten.

O welche Nachfolge Christi thut sich im Charakter des Bischofs zu Ephesus kund! Er ließ es sich sauer werden; er mühte sich und arbeitete um des HErrn willen; er hatte ein geduldiges, barmherziges, demüthiges Herz, und beharrte auf einem reinen, christlichen Wandel und benützte die Prüfungszeit, um das Lautere vom Unlautern zu scheiden. Wie Viele unter uns können sich in dieser Beziehung mit ihm messen? Und doch hatte der Heiland etwas wider ihn; dennoch ruft Er ihm im Folgenden zu: „Gedenke, wovon du gefallen bist, und thue Buße.“ O wie scharf und genau nimmt es der HErr mit Seinen Kindern und Knechten! Darum lasset uns uns selbst reinigen von aller Befleckung des Geistes und des Fleisches, denn die Gerichte des HErrn sind anders als der Menschen Gerichte. – Du aber, HErr, unser Gott,

Verleih’ Geduld und Trost, im Kämpfen und im Ringen,
Sorgfält’ge Wachsamkeit und Kraft, hindurchzudringen;
Daß wir ohn’ Unterlaß in der Bereitschaft steh’n,
Und einst mit Freudigkeit vor Deine Augen geh’n.

Amen!

1)
24. Juni
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