Hofacker, Ludwig - Predigt am Feiertage der Verkündigung Mariä

Hofacker, Ludwig - Predigt am Feiertage der Verkündigung Mariä

1) Von der ewigen Erlösung, die Christus, unser Hoherpriester, erfunden hat.

Text: Hebr. 9,11-15.

Christus aber ist gekommen, daß Er sey ein Hoherpriester der zukünftigen Güter, durch eine größere und vollkommenere Hütte, die nicht mit der Hand gemacht ist, das ist, die nicht also gebauet ist; auch nicht durch der Böcke oder Kälber Blut, sondern Er ist durch Sein eigenes Blut einmal in das Heilige eingegangen, und hat eine ewige Erlösung erfunden. Denn, so der Ochsen und der Böcke Blut, und die Asche von der Kuh gesprenget, heiliget die Unreinen zu der leiblichen Reinigkeit; wie vielmehr wird das Blut Christi, der sich selbst ohne allen Wandel durch den Heiligen Geist Gott geopfert hat, unser Gewissen reinigen von den todten Werken, zu dienen dem lebendigen Gott? Und darum ist Er auch ein Mittler des Neuen Testaments, auf daß durch den Tod, so geschehen ist zur Erlösung von den Uebertretungen, die unter dem ersten Testament waren, die, so berufen sind, das verheißene ewige Erbe empfangen.

Unser heutiger Text ist aus dem Briefe an die Hebräer genommen. Der ganze Brief an die Hebräer ist in Vergleichung zu setzen mit dem Alten Testament, und besonders die Opfer des Alten Testaments mit dem einigen Opfer des Neuen, mit dem Opfer JEsu Christi. Unser Text ist nicht nur der Kern und der Mittelpunkt des ganzen Hebräer-Briefes, sondern auch der Kern und Stern unsers ganzen allerheiligsten Glaubens; denn er handelt ja von der ewigen Erlösung in Christo JEsu, unserem HErrn. Laßt mich deßhalb im Vertrauen auf die Gnade unsers Gottes weiter zu euch reden:

Von der ewigen Erlösung, die Christus, unser Hoherpriester, erfunden hat.

HErr JEsu, Du Hoherpriester und Mittler des Neuen Bundes! wir sind nicht werth, daß Du so große Dinge an uns gethan hast; Du hast eine ewige Erlösung erfunden. O gib, daß wir dieses große Geheimniß mit heiliger Scheue behandeln, damit Du Ehre haben mögest, wir aber selig werden. Amen!

Christus hat eine ewige Erlösung erfunden – dieß ist ein großes, ein herrliches Wort. Wenn man Einem, der lange gefangen war, auf einmal verkündigt: Du bist frey; wenn man einem Verbrecher, den man hinausführt auf das Blutgerüste, zuruft: Du hast Gnade, du bist los und ledig, so sind dieß wohl süße Töne, so sind dieß Botschaften, die durch Mark und Bein dringen, und das geängstigte Herz mit unaussprechlicher Wonne erfüllen: aber doch sind diese Botschaften noch nichts gegen die Botschaft, die allein werth ist, daß sie eine gute Botschaft genannt werde, - doch sind diese Botschaften noch gar nicht zu vergleichen mit dem Evangelium, mit dem Worte des Friedens, wenn es in ein geängstigtes Sünderherz hineinfällt; mit dem Worte: „es ist eine ewige Erlösung erfunden.“ Das ist die allerwichtigste Absicht, warum der Heiland ist Mensch geworden, und hat Sein Blut vergossen, und ist einen Missethäter-Tod gestorben, daß Er nämlich eine ewige Erlösung erfände; und nun darf es der ganzen Welt, nun darf es allen Denen, die in der Gefangenschaft und unter dem Fluche der Sünde seufzen, als ewige unumstößliche Gottes-Wahrheit vorgehalten werden; nun darf es als ein Wort der Freude und des Friedens, als ein Wort der Liebe Gottes, als ein Wort der Versöhnung auf dieser durch die Sünde entweiheten Erde geprediget und verkündiget, und mit Freudigkeit, ohne den geringsten Rückhalt und Anstand, jeglicher Seele gesagt wurden: „Es ist eine ewige Erlösung erfunden!“ Höret es, ihr Gefangenen, ihr Gebundenen, ihr mit dem Fluch des Gesetzes und der Sünde belasteten Geister! Höret es, ihr Sünden-Knechte, die ihr die allererbärmlichsten Sklaven eurer Lüste und des Teufels seyd! Höret es auch ihr, die ihr nicht mehr wisset, wo aus noch ein, die ihr in der allerjämmerlichsten Verlegenheit eures Herzens und Gewissens euch selbst aus eurem Elend heraushelfen wollt, und bald dieses, bald jenes beginnt, aber jedes Mal wieder erfahren müsset, daß euer Thun nichts ist als Sünde. Höret es also Alle, ihr, die ihr noch Kinder der Finsterniß und des Unglaubens, oder im Begriffe seyd, euch aus ihren Banden loszuwinden. Höret es auch ihr, die ihr den Heiland schon kennt, zur Befestigung eures Glaubens und zur Entzündung eurer Liebe zu Ihm. Höret es: „Es ist eine Erlösung erfunden“, nicht eine zeitliche, nicht auf ein paar Tage oder Jahre, oder Jahrhunderte, oder Jahrtausende, sondern es ist eine ewige Erlösung, die in die ewigen Ewigkeiten hineinreicht. Ach, sollte uns denn nicht das Herz in der Brust hüpfen vor Freude über den Worten von der ewigen Erlösung? Warum sind wir doch so kalt, warum macht es doch den Eindruck nicht auf uns, den es machen sollte, warum sind doch unsere Seelen so stumpf und todt, daß sie dieses große und herrliche Wort nicht fassen? Das macht der Unglaube, der uns unsere Gefangenschaft vergessen macht, und die furchtbarste Scheidewand zieht zwischen uns und Gott, und uns keine Kraft schöpfen läßt aus Seinem heiligen Worte. Dem sey nun aber wie ihm wolle, ich predige, ich verkündige, ich rufe getrost, nicht in Absicht auf meine Würdigkeit oder Unwürdigkeit, sondern weil es hier in dem Worte Gottes steht, das doch ewiglich nicht lügen kann, ich bezeuge hiemit euch Allen: „Christus hat eine ewige Erlösung erfunden.“

Erlösung! Dieses Wort des Apostels deutet auf einen traurigen, unglücklichen Zustand hin, aus welchem der Heiland, unser Hoherpriester, uns errettet hat, auf einen Zustand der Gefangenschaft, des Gebundenseyns, wie es der Geist der Weissagung schon im Propheten Jesajas voraus verkündiget hat (Jes. 61,1.2.): „Christus werde kommen zu predigen den Gefangenen eine Erledigung, den Gebundenen eine Oeffnung, zu predigen ein gnädiges Jahr des HErrn, das große Hall- und Jubel-Jahr.“ Worin besteht denn nun aber der Zustand, aus welchem uns Christus erlöset hat? Daß diese Gefangenschaft und dieses Gebundenseyn nicht körperlich zu verstehen sey, das brauche ich euch wohl nicht zu beweisen; es ist ein geistiges Gefangen-, ein geistiges Gebundenseyn; die Seelen der Menschen liegen in einer Gefangenschaft, aus welcher sie sich nicht losmachen können, und wenn sie sich auch in Ewigkeit darum bemühen würden, sie sind in eine Finsterniß hineingebannt, und können sich von diesem Bann nicht selbst erlösen; sie sind gefangen durch die Sünde unter dem Fluch des Gesetzes und des Todes.

Aber freilich, davon will man in unsern Zeiten wenig mehr wissen; man spricht und schreibt ja sehr viel davon, daß der Mensch gut sey von Natur, er habe ja seinen freien Willen, um zu wählen zwischen Gutem und Bösem, er besitze hinlängliche Kraft, um dem Urbild der Tugend nachzustreben. O, so versuch’ es doch einmal, lieber Mensch, der du deiner eigenen Kraft und deinem eigenen Vermögen eine so große Lobrede hältst, versuch’ es einmal aus eigenen Kräften, aus der Finsterniß zum Lichte, aus der Gewalt des Satans zur Kindschaft Gottes, aus deinen Sünden, und deiner verborgenen Liebe zur Sünde, zur Liebe Gottes und deines Heilandes hindurchzudringen, versuch’ es einmal, aus einem Menschen, auf dessen Gewissen der Fluch Gottes und die Verdammung des Gesetzes liegt, ein Kind Gottes zu werden, das in seliger Freiheit und im Genusse der göttlichen Gnade dahin geht; versuch’ es einmal, deinen Nächsten lauterlich zu lieben wie dich selbst, ach! du wirst finden, daß du solches Alles nicht vermagst durch deine eigene Kraft, sondern je redlicher du es meinst, desto fester wirst du dich überzeugen, daß du von Natur in einem Banne gefangen liegst, und du dein eigener Erlöser nicht seyn kannst.

Worin besteht denn nun aber dieser Bann, der die Seele des Menschen gefangen hält? Es ist dieß nichts anders als der Fluch Gottes, der auf dem Sünder, dem Uebertreter des Gesetzes liegt, der Fluch des Höchsten, der sich bey dem Einen lauter, bey dem Andern leiser, an dem Herzen und Gewissen kund thut, der das innerste Geistes-Leben des natürlichen Menschen benagt und verzehrt, ihn zu keinem Segen, zu keiner Ruhe, zu keinem Frieden, zu keiner Gemeinschaft mit Gott kommen läßt, der Fluch, der den Menschen immer wieder hinwegscheucht von dem Angesichte Gottes, und dem Argen immer wieder Gewalt gibt über das Herz des Menschen, und die Sünde immer wieder kräftig macht in seinen Gliedern, der Fluch, der als böses Gewissen den Menschen selbst bis an den Thron Gottes verfolgt, und mit unbestechlicher Strenge auch da noch verklagt, - ein jämmerlicher Zustand. Ja, es ist Wahrheit, wir sind gefallene Kreaturen, und wenn wir uns auch sträuben, es zuzugeben und anzuerkennen, es kündigt sich doch an in den tiefsten Tiefen unseres Geistes: wir sind verschuldet vor Gott; wir haben seine Gemeinschaft verloren, und auch das Recht zu Seiner Gemeinschaft. Das weiß und empfindet der innerste Geist des Menschen, auch ohne daß es in die Erkenntniß fällt; er weiß es, daß Gott nur in Seiner Ungnade, nur in Seinem Zorn auf ihn herniederblicken kann, weil er Ihm freiwillig den Gehorsam aufgekündiget, und sich der Sünde und dem Fürsten der Finsterniß zugewendet hat. Und dieser Fluch des Gesetzes lastet auf jedem Menschen, sey er alt oder jung, in Asien oder Europa geboren, heiße er wie er wolle; ein Fluch, den er nicht hinwegnehmen, nicht hinwegbeten, nicht hinwegseufzen, nicht hinwegweinen kann, ein Fluch, der dem Menschen oft erst offenbar wird, wenn das Gesetz mit seiner drohenden Gestalt lebendiger vor die Seele tritt, der Menschen in diesem Leben gar nicht offenbar, aber zu ihrem ewigen Wehe gewiß am Tage der Offenbarung klar gemacht wird, ein Fluch, den aber in seiner ganzen Furchtbarkeit Diejenigen fühlen, welche in die Gemeinschaft Gottes hineindringen wollen, ohne ächten Glauben an den HErrn JEsum und Seine Versöhnung.. Da können sie sich abmühen und abmatten, um zum Frieden zu gelangen, und es kommt doch nichts heraus, sie fühlen sich doch in ihrem innersten Leben als verfluchte, todeswürdige, zu allem Guten untüchtige Leute; es ist etwas, was das matte Herz nagt und den Geist verzehrt, und dem sie oft keinen Namen geben können. Ich will es euch aber sagen, was dieß ist, dem ihr keinen Namen geben könnet, ich will es euch sagen, was das ist, das euch verzehrt; es ist der Fluch Gottes, des heiligen Gottes, dem ihr mit eurem innersten Geistesleben verschuldet seyd. Das wollt ihr nicht anerkennen, unter diesen Bann wollt ihr euch nicht demüthigen; euer Gewissen wollt ihr nicht reinigen und befreien lassen von den todten Werken der Sünde, von euren Schulden, die auf denselben lasten, besonders nicht von der Hauptschuld, daß ihr gefallene Kreaturen seyd; darum kommt ihr auch zu keiner Ruhe, zu keinem Frieden, zu keinem Genuß, und werdet auch nicht dazu kommen, so lange ihr nicht als todeswürdige Leute zu den Wunden JEsu Christi fliehet, und zu Ihm sprechet:

O JEsu voller Gnad’,
Auf Dein Gebot und Rath
Kommt mein betrübt’ Gemüthe
Zu Deiner großen Güte.
Laß Du auf mein Gewissen
Ein Gnadentröpflein fließen.

Ich, Dein betrübtes Kind,
Werf’ alle meine Sünd’,
So viel ihr’r in mir stecken,
Und mich so heftig schrecken,
In Deine tiefen Wunden,
Da ich stets Heil gefunden.

Freilich werden Manche unter uns seyn, denen alles Bisherige vielleicht ganz unverständlich und unglaublich ist, Manche, die ein gutes Gewissen zu haben meinen, Manche, die ganz ruhig zu seyn vorgeben, Manche, die von einem Banne der Sünde, von einem Fluche des Gesetzes und des Todes nichts wissen wollen. Aber saget mir doch, ihr finstern todten Seelen, seyd ihr denn wirklich so ruhig, als ihr es wähnet? oder meinet ihr, weil ihr ein gutes Gewissen habt gegen euern Nächsten, deßwegen dürfet ihr auch hintreten vor die allerheiligste Majestät Gottes mit einer frechen ungebeugten Stirne? Woher kommt doch eure Furcht vor dem Tode, wenn ihr ein so gutes Gewissen habt? Und woher kommt es denn, daß ihr so ungerne allein seyd, und euch immer nur in den Umgang der Menschen dringet? Nicht wahr, wenn ihr allein seyd, so könnte das verborgene Seufzen eures Herzens offenbar werden? Wenn ihr allein seyd, dann meldet sich ein ungebetener Gast an, dessen Besuch euch nicht angenehm ist, eine kleine Unruhe beschleicht euch, die ihr im Herzen nicht möget Meister werden lassen? Sehet, an solchen Kennzeichen könntet ihr ja die Wahrheit erkennen lernen, und zuletzt auf die Gewißheit kommen: es lastet ein Fluch auf mir, es ist ein Unsegen in meinem innersten Geiste; und wenn ihr dieß einmal zugeben würdet, so könntet ihr zum wahren Frieden kommen durch Christum.

Ach, es ist ein jämmerlicher Zustand, daß alle Menschen unter diesem Gerichte Gottes liegen, unter dem Gerichte des Heiligen, der der Sünde feind ist und feind bleibt, daß Alle in diesem Fluche gleichsam eingekerkert und eingebannt sind. Von diesem jämmerlichen Zustande schreibt der große Luther selbst aus eigener Erfahrung:

Dem Teufel ich gefangen lag,
Im Tod war ich verloren:
Mein’ Sünd’ mich quälten Nacht und Tag,
Darin ich war geboren.
Ich fiel auch immer tiefer d’rein,
Es war kein Gut’s am leben mein,
Die Sünd’ hat mich besessen.

Ach, wie viele armen Seelen liegen in diesem Elend, wie viele Millionen, und wissen es nicht einmal, und wie Viele, die etwas davon wissen und nach dem Reiche des Lichts und der Wahrheit seufzen, wissen die Erlösung nicht, die erfunden ist. Nun denket euch eine ganze Welt von vielen tausend Millionen Sündern, die Alle abstammen vom ersten Sünder, und Alle den Fluch der Sünde in ihrem Herzen mit sich herumtragen, weil sie dem Gesetze Gottes verfallen sind, die Alle dem ewigen Verderben entgegenreisen, nicht durch den Willen Gottes, denn Er will ja nicht den Tod, sondern das Leben des Sünders, sondern durch ihre selbstverschuldeten Sünden, durch ihren Abfall von Gott, durch ihr Mißtrauen gegen Ihn, durch ihre Feindschaft gegen Ihn, durch ihre Abgekehrtheit von Ihm, darum, weil sie die Finsterniß und die Werke der Finsterniß mehr liebten denn das Licht. Sehet, das ist das Bild der Welt ohne einen Heiland, ohne Christum, ohne eine Erlösung. Und wer das nicht glauben kann, der hat wahrlich noch keine tiefen Blicke in sich hineingethan, der weiß wahrlich noch nicht, was Sünde heißt, und was die Gerechtigkeit Gottes ist, der weiß noch nicht, was der große Sündenfall auf sich hat. Ich bitte ihn, daß er sich Augensalbe schenken lasse, auf daß er sehen werde, und seine Blindheit ihm von den Augen falle wie Schuppen.

So ruf’ ich denn, wer hört mir zu,
Wer hat im Herzen keine Ruh’,
Und weiß, wie tief die Sünde frißt,
Und daß er nichts als Sünde ist,
Und weiß sich keinen Rath, wo ein, noch aus,
Der höre zu, denn da wird etwas d’raus.

So rufe ich denn: Gott hat Sich unserer erbarmet, deiner erbarmet, armer Mensch, der du dich in der Sünde krümmst wie ein Wurm; Erbarmen war der Gedanke Seines Herzens von Ewigkeit; die gefallene Kreatur wollte Er wieder aufrichten, der gebundenen Menschheit wollte Er eine Erlösungszeit, einen Morgen der ewigen Erlösung anbrechen lassen, und diese ewige Erlösung ist gefunden! O großes Wunder für die Ewigkeit, für die Engel, für die Teufel, ein Wunder der Barmherzigkeit vor der ganzen Schöpfung; keine Zunge vermag es zu schildern; kein Lob kann es erreichen; kein erschaffener Geist kann es begreifen, und wenn er Millionen Jahre dazu nähme, so müßte er stille stehen und staunen und schweigen; der Seraph kann es nur stammeln, wie wird es ein armer sündiger Mensch begreifen können, der kaum anfangen kann, in das Reich des Lichts und der Erlösung hineinzublicken?

„Es ist eine ewige Erlösung erfunden!“ Ja, es kostete Den, der sie erfunden hat, es kostete Christum Mühe und Arbeit, sie zu suchen und zu finden. Nicht, daß der allweise Gott in den Tiefen Seines Wesens hätte lang zu Rath gehen müssen über den Weg zur Erlösung der gefallenen Kreatur; denn dieser Rathschluß ist so ewig, wie Gott ewig ist; aber Den, der in das Fleisch gekommen war, Den kostete es viele Mühe und Arbeit, viele sauren Tritte, viele Verläugnung und Entäußerung Seiner selbst, um den Weg zum Heile der Sünder zu finden. O welcher Kummer des Herzens, welche Betrübniß und welche Angst der Seele lastete auf unserem Mittler und Bürgen und Hohenpriester in den Tages Seines Fleisches, da Er Gebet und Flehen mit starkem Geschrey und Thränen opferte für uns; welche Sorgsamkeit und heilige Aufmerksamkeit auf das hohenpriesterliche Geschäft ist an Ihm zu bemerken, um doch ja nichts zu versäumen, und Alles nach den Rechten der ewigen Gerechtigkeit zu unserer Erledigung hinauszuführen!

„Eine ewige Erlösung ist erfunden.“ Wie hat Er sie aber zu Stande gebracht? wie hat Er sie erfunden? Gott ward Mensch und ist für uns gestorben. Hier habt ihr in wenig Worten das große Geheimniß, in Worten, die freilich für die Weisen und Klugen ein Geheimniß und Thorheit bleiben, die aber den Unmündigen und Einfältigen geoffenbaret werden von dem Vater der Geister und dem Vater des Lichts.

Gott ward Mensch: denn unter allen Menschen war Keiner mehr ohne Sünde; sie waren Alle abgefallen; sie waren Alle untreu und ungehorsam geworden; durch alle Menschenadern rollte und floß ein vergiftetes Sünderblut, das nicht in das Reich Gottes taugt; es war kein Reiner zu finden unter so vielen Unreinen. Die Gerechtigkeit Gottes aber forderte ein reines Opfer, ein tadelloses, unsündliches Opfer, das schon durch den Opferdienst des Alten Testamentes vorgebildet ward. Es konnte aber kein Bruder den andern erlösen, es war ihm zu schwer, er mußte es anstehen lassen ewiglich. Ueber solchen jammervollen Zustand, aus welchem keine Errettung war, erbarmte Sich der Schöpfer aller Dinge, und entschloß Sich, für das Leben der gefallenen Kreatur selbst Mensch zu werden, gleichwie die Kinder Fleisch und Blut an Sich zu nehmen, auf daß Er ein Opfer würde für die Sünden der Welt, ein reines, ein heiliges Opfer. Das reinste, das unschuldigste, das heiligste Blut floß durch Seine Adern, und dieses reine Gottesblut hat Er dargegeben zur Erlösung der Welt. „Das ist mein Blut“ – sagte Er bey der Einsetzung des heiligen Abendmahls – „das vergossen wird für Viele zur Vergebung der Sünden“, und dieses Blut hat Er vergossen, kein Tropfen war Ihm zu theuer, den ER nicht dargegeben hätte; davon ist Golgatha ein lauterer, ein heiliger, ein ewiger Zeuge.

Seitdem das Blut der Versöhnung auf die Erde geflossen ist aus dem heiligen Leibe des unschuldigen Lammes, seitdem ist der Neue Bund geschlossen, das Neue Testament, das von Gnade, von Erbarmen, von Freiheit, von Leben und Seligkeit, das von ewiger Barmherzigkeit handelt, ein Testament, das Satan nicht umzustoßen vermag, denn es ist ja göttlich versiegelt. O welch’ ein Meer von Erbarmungen ist seitdem in Christo aufgethan; die Stricke und Bande Satans sind entzwey; der Bannfluch des Gesetzes ist zerrissen, die Sünde ist zugesiegelt, und die ewige Gerechtigkeit wieder gebracht.

Doch der HErr ist nicht nur das Opferlamm, das geschlachtet ist, sondern Er sollte auch der Hohepriester seyn nach der Vorherbestimmung des Vaters. Zu der Zeit des Alten Bundes giengen die Hohenpriester jährlich ein Mal in das Allerheiligste, um das Volk zu versühnen mit seinem Gott durch Besprengung mit dem Blute des Opfers. So hat sich unser Immanuel auch dargestellt als der Hohepriester des Neuen Bundes. Aber wie viel höher steht Er über denen des Alten Testaments! Diese waren selbst Sünder, und mußten vorher für ihre eigene Person Opfer darbringen, um ihre eigenen Sünden zu versühnen; wir aber haben einen unsündlichen, reinen Hohenpriester, der keines Opfers mehr bedurfte, der selbst das einzig reine Opfer war, das dargebracht wurde. Im Alten Testament gieng der Hohepriester alle Jahre einmal hinein in das Allerheiligste, und es geschahe alle Jahre eine Erinnerung der Sünde, und die Gewissen konnten nicht vollendet werden, denn die Versöhnung galt nur für Ein Jahr; unser Hohepriester aber ist nur Einmal eingegangen, und hat mit Einem Opfer vollendet Alle, die da glauben, und eine ewige Erlösung erfunden. Der Hohepriester des Alten Testaments gieng ein mit dem Blute der Böcke und Kälber in das irdische Heiligthum; usner Hohepriester aber ist eingegangen mit Seinem heiligen Blut, als dem theuren und ewigen Lösegeld, in das obere Heiligthum, nicht durch eine mit Menschenhänden gemachte Hütte, sondern durch die Hütte Seines Fleisches, vor das Angesicht Gottes für uns, und hat dort Sein Blut dargelegt als ewiges Lösegeld, als ewiges Reinigungs-Mittel für die Sünden der ganzen Welt.

Ach, welch’ einen Hohenpriester haben wir; welch’ eine Ansprache hat ein armer Sünder an alle Rechte des Neuen Bundes, da Alles so getreu, so ganz nach dem Recht der ewigen Gerechtigkeit Gottes ausgeführt wurde; wie ist unsere Sache vor Gott gerechtfertigt! Nun darf dem, der mit dem Blute Christi besprengt zu werden begehret, nichts mehr im Wege stehen. „Wer will die Auserwählten Gottes beschuldigen? Gott ist hie, der da gerecht macht. Wer will verdammen? Christus ist hie, der gestorben ist, ja vielmehr, welcher auch auferwecket ist, welcher ist zur Rechten Gottes und vertritt uns.“ Nun gibt es ein Blut, das da besser redet denn Abels Blut, das man mit allem Fug und Recht dem Verkläger der Seele entgegenhalten, womit man Sünde und Teufel überwinden kann, nun gibt es ein Blut der Besprengung, womit Jeder, der in den Neuen Bund aufgenommen zu werden begehret, besprenget, und im Gewissen gereiniget wird von dem Fluch des Gesetzes und den todten Werken der Sünde.

„Es ist eine ewige Erlösung erfunden.“ Die Erlösung des Alten Testaments war nicht ewig, sondern nur zeitlich; sie dauerte nur auf Ein Jahr: hier aber ist eine ewige Erlösung. O wer kann es aussprechen“ Wenn ein Sünder einmal besprengt worden ist mit dem Blute der Versöhnung des Neuen Bundes, so hat das auf ewig seine Gültigkeit; das Schulden-Register ist ganz und auf ewig zerrissen; er darf weder hier noch dort vor dem Angesichte Gottes in Anspruch genommen werden, und wenn auch etwas auf’s Neue das Gewissen kränken wollte, so ist dieses Blut wieder stark genug, alle Verschuldung aus dem Gewissen zu tilgen, und darin die Kleider zu waschen und helle zu machen bis vor das Angesicht des Richters, bis in den Tag der frohen Ewigkeit hinein, wo das Gewissen nicht mehr gekränkt wird, wo man dem HErrn ganz zum Wohlgefallen leben kann, wo man seine weißen Kleider behält in Reinheit und Unschuld, und nichts Trennendes mehr zwischen Gott und die Menschen hineintritt. Es ist eine ewige Erlösung erfunden. Das, was JEsus einmal vor 1800 Jahren gethan hat, das hat seine Kraft und seine Gültigkeit noch in der heutigen Stunde, wie es sie hatte in der Minute, da mit dem Neigen des Hauptes JEsu und Seinem Verscheiden der ewige Friedensbund versiegelt wurde. Darum kann ein Sünder aus dem Kreuze Christi denselben Trost und dieselbe Kraft ziehen, wie wenn Er erst heute daran erhöht worden wäre. Und so wird es auch dabey sein Verbleiben haben in Ewigkeit, denn Er hat Sich ja selbst Gott geopfert durch den ewigen Geist.

Ach, welche tiefen, herrlichen Wahrheiten sind das! Aber wer glaubt sie, wer achtet darauf? Wer ist weise zur Seligkeit? Wer sich nur mit redlichem Herzen zu dem ewigen und rechten Hohenpriester und zu dem Blute der Besprengung wendet, der erlanget ja doch Freiheit von allen Sünden, ewige unumstößliche Freiheit, der erlangt ein getrostes vollkommenes Gewissen, der kann sagen: „All’ Sünd’ hast Du getragen, die kleinen wie die großen, die alten wie die neuen“; das gibt eine kindliche Ansprache, an das Vaterherz Gottes, das gibt einen Frieden, der über alle Vernunft geht, das gibt den kindlichen Geist, nach welchem wir rufen: „Abba, lieber Vater!“ das gibt getrosten Muth auch unter allen Leiden, das gibt getroste Zuversicht und ausharrende Geduld unter den Pfeilen des Bösewichts, das gibt Ueberwindungs-Kräfte gegen die Reizungen der Welt und des Fleisches, das gibt Fassung und einen königlichen Geist unter aller Schmach, das gibt Freudigkeit auf den Tag des Gerichts.

Ach, liebe Brüder und Schwestern! Es sind wohl Viele unter uns, die noch kein gänzlich vollendetes Gewissen haben, wohl Viele, in welchen noch todte Werke und alte Sünden, ein alter Bann und Fluch die Ruhe des Gewissens stören, und sie zu keinem Frieden kommen lassen. Ich bitte euch, lasset doch euer Gewissen vollenden durch das Blut Christi, und eure Krankheit heilen. oder meinet ihr, das, was ihr jetzt in euren Herzen traget, die innere verborgene Unruhe und Angst, die euch plaget, das innere verborgene Mißbehagen eures Geistes, das Mißtrauen gegen Gott, die innere Feindschaft gegen Seine heiligen Wege, die alten Sünden werden nur so nach und nach vergessen, werden so nach und nach aus eurem Innern verschwinden? Mit nichten. Es ist in unserm Gewissen ein Buch, in das alle Thaten und Sünden eingezeichnet sind, und wenn auch der Kopf sie schon längst vergessen hat, so sind sie doch noch aufgezeichnet; es ist in uns Allen ein heiliges Recht, von dem wir nicht weichen können, und wenn es auch lange unterdrückt wird, so muß diesem heiligen Rechte doch wenigstens einmal Genüge geschehen: denn es ist heilig, wie Gott heilig ist. Ach, wie manche alten Gewissens-Geschwüre werden da aufbrechen, Geschwüre, die man immerdar zuheilen wollte, welche nun aber in ihrer furchtbaren Schrecklichkeit offenbar werden. Aber es gibt noch Etwas, liebe Zuhörer, was diese Wunden schon jetzt heilen, schon jetzt unsere Gewissen reinigen und vollenden kann: das Blut Christi. „Wen da dürstet, der komme und nehme das Wasser des Lebens umsonst. Denn wer von diesem Blute trinket, den wird ewiglich nicht mehr dürsten, sondern er wird Leben haben und volles Genüge.“

O heile mich, Du Heil der Seelen,
Wo ich krank und traurig bin.
Nimm die Schmerzen, die mich quälen,
und den ganzen Schaden hin,
Den mit Adams Fall gebracht,
Und ich selber mir gemacht,
wird, o Arzt, Dein Blut mich netzen,
Wird sich all’ mein Jammer setzen.

Amen!

1)
Traditionell am 25. März - der Tag, an dem der Engel Maria die Geburt Christi verkündete.
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