Heuser, Wilhelm - Abrahams Führungen - VII. - Lots Errettung aus Sodom.

Heuser, Wilhelm - Abrahams Führungen - VII. - Lots Errettung aus Sodom.

Unter den geheimnißvollen Verordnungen und Freiheiten, welche Gott inmitten seines Bundesvolkes Israel aufgerichtet hatte, stehet als eine der merkwürdigsten und der mildesten Unordnungen das Institut der sechs Freistädte; drei diesseits, drei jenseits des Jordan. Ja, wahrhaft Freistädte, Zufluchts-, Rettungsorte - nicht für muthwillige und abscheuliche Verbrecher, aber dazu bestimmt, solche Unglückliche hinter ihren Thoren zu bergen und zu schützen, welche unvorsätzlich und unversehens die Ursache des Todes eines andern geworden waren. Es hatte in Israel der nächste Anverwandte eines Erschlagenen die Verpflichtung, das Amt der Gerechtigkeit zu üben; er hatte das Recht, als Bluträcher des Ermordeten, den Thäter, wo er ihn, außer der geweiheten Stätte treffe, zu tödten. Da waren es nun diese Freistädte, welche dazu dienten, jene Unglücklichen vor dem Bluträcher sicher zu stellen. Damit er des Weges nicht verfehle, so waren nicht allein die Wege, die zu diesen Freistädten führten, mit Sorgsamkeit unterhalten, es standen auch außerdem an allen Kreuzwegen Säulen aufgerichtet, eine Hand an denselben zeigte den Weg an, der zur Freistadt führte und die Ueberschrift lautete: Meklat, Meklat, d. h. Freistadt, Freistadt! Da war der unglückliche Mann geborgen, da fand er Ruhe vor den Schritten der Verfolgung, Sicherheit vor dem Schwerte des Bluträchers, bis zu dem Zeitpunkt, daß er durch den Tod des Hohenpriesters in völlige Freiheit gesetzt und für schuldlos erklärt ward.

Ein trostvoll Vorbild, meine Themen, diese Freistädte dessen, was wir in höherer Wahrheit, nicht gegen blos zeitliche und sichtbare Verfolger, was wir gegen unsre geistlichen Widersacher, gegen unsre ewigen Verkläger besitzen!

Bedenket doch unsern gefährlichen Stand in einem Leben, wo jeder Augenblick, jeder Gedanke, ja, wir können sagen, jeder Athemzug unter dem Gewicht einer strengen Verpflichtung und einer scharfen Verantwortung vor Gott steht. Ach, was haben wir zu erwarten, wenn die Rolle unsrer Pflichten sich vor uns entfaltet, auf welcher alle die heiligen Anforderungen verzeichnet sind, welche unser Christenberuf im Allgemeinen, unser Amt, unser Tagewerk, unser Wirkungskreis im Hause, als Vater und Mutter, als Erzieher und Vorbild der Unsrigen, unsre Stellung zur bürgerlichen Gesellschaft, deren Bestes wir suchen sollen, unser Verhältniß zu dem Nächsten, den wir lieben sollen, als uns selbst, welche unser Wohlstand und unsre Armuth, unsre Gesundheit und unsre Krankheit uns auferlegt? Ich will gar nicht einmal an das denken, was wir Gott schuldig sind, den wir lieben sollen von ganzem Herzen, von ganzem Gemüthe, von ganzer Seele und mit allen unsern Kräften; auch an das will ich nicht denken, was wir uns selbst, unserm wahren Selbst und dem ewigen Wohl unsrer Seele schuldig sind, ihre Seligkeit zu schaffen mit Furcht und mit Zittern: aber ich frage, klaget das Gesetz mit diesen ernsten Forderungen uns nicht an? liegen nicht die Verschuldungen von tausend Begehungs- und Unterlassungssünden auf unserm Leben? Müssen wir nicht mit wahrhaft gebeugtem Herzen bitten: vergieb uns unsre Schulden? Nein, nach der Heiligkeit des göttlichen Gesetzes ist auch nicht ein Einziger ohne Tadel, und deshalb nach dem einen Worte: verflucht sei jedermann, der nicht bleibet in allem dem, was geschrieben steht im Buche des Gesetzes, daß er es thue (Gal. 3.) und nach dem andern Wort: so jemand das ganze Gesetz hält und sündigt an einem, der ist es ganz schuldig, (Jac. 2.) ist kein Einziger, über den nicht das Urtheil erginge: Du bist des Todes schuldig! Wo ist nun unser Bergeort vor der Verfolgung der Verkläger? wo unsre Rettungsstätte vor den Pfeilen, die das beleidigte, zürnende Gesetz auf uns richtet? wo unser Sicherheitshafen gegen das Sturmwetter des göttlichen Gerichts? Wo? Kennt ihr diese Freistadt, wo ein Heiland sich unsrer annimmt, eine Vaterhand sich nach uns ausstreckt und das Blut eines Versöhners uns rein macht von allen Sünden? Kennet ihr dieses Zoar? O daß ihr alle antworten könntet: sein Name ist unser festes Schloß; wer dahin läuft, wird beschirmt. (Spr. 12, 24.) Wie in Israel an den Scheidewegen Säulen standen, welche dem Flüchtenden zuriefen: hierher, hier ist der Weg zur Freistadt, so wünsche ich heute, indem wir die Freistadt, welche Lot suchte, erwägen, euch ein Wegweiser zu derjenigen zu werden, die wir Glücklichen haben.

l. Mose 19. 12-28.

Und die Männer sprachen zu Lot: Hast du noch irgend hier einen Eidam, und Sohne und Töchter, und wer dir angehöret in der Stadt, den führe aus dieser Stätte. Denn wir werden diese Stätte verderben, darum, daß ihr Geschrei groß ist vor dem Herrn; der hat uns gesandt, sie zu verderben. Da ging Lot hinaus, und redete mit seinen Eidamen, die seine Töchter nehmen sollten: Machet euch aus, und gehet aus diesem Ort; denn der Herr wird diese Stadt verderben. Aber es war ihnen lächerlich. Da nun die Morgenröthe ausging, hießen die Engel den Lot eilen, und sprachen: Mache dich aus, nimm dein Weib und deine zwo Töchter, die vorhanden sind, daß du nicht auch umkommest in der Missethat dieser Stadt. Da er aber verzog, ergriffen die Männer ihn und sein Weib und seine zwo Töchter bei der Hand, darum, daß der Herr seiner verschonete; und führeten ihn hinaus, und ließen ihn außen vor der Stadt. Und als sie ihn hatten hinaus gebracht, sprach er: Errette deine Seele, und siehe nicht hinter dich; auch stehe nicht in dieser ganzen Gegend. Auf den Berge errette dich, daß du nicht umkommest. Aber Lot sprach zu ihnen: Ach nein, Herr; siehe, dieweil dein Knecht Gnade gefunden hat vor deinen Augen, wollest du deine Barmherzigkeit groß machen, die du an mir gethan hast, daß du meine Seele bei dem Leben erhieltest. Ich kann mich nicht auf den Berge erretten; es möchte mir ein Unfall ankommen, daß ich stürbe. Siehe, da ist eine Stadt nahe, darein ich fliehen mag, und ist klein; daselbst will ich mich erretten: ist sie doch klein, daß meine Seele lebendig bleibe. Da sprach er zu ihm: Siehe, ich habe auch in diesem Stück dich angesehen, daß ich die Stadt nicht umkehre, davon du geredet hast. Eile, und errette dich daselbst, denn ich kann nichts thun, bis daß du hinein kommest. Daher ist diese Stadt genannt Zoar. Und die Sonne war ausgegangen aus Erden, da Lot gen Zoar einkam.

Das Maaß der Sünde Sodoms war erfüllt. Wir haben in voriger Betrachtung die rührende Fürbitte Abrahams für Sodom gehört und die göttliche Antwort: wenn auch nur zehn Gerechte darinnen sind, ich will sie nicht verderben um der zehn willen! Aber ach! sie waren nicht da!

Es giebt Zeitpunkte, wo das Wort eintrifft, das zu dem Propheten geschah: Du Menschenkind, wenn ein Land an mir sündigt und dazu mich verschmäht, so werde ich meine Hand über dasselbe ausstrecken; - wenn dann gleich die drei Männer Noah, Daniel und Hiob darinnen wären, so würden sie allein ihre Seelen erretten, und das Land müßte öde werden (Hes. 14, 13.), und, setzt er durch den Mund eines andern Propheten hinzu: wenn gleich Moses und Samuel vor mir ständen, für dieses Volk zu bitten, so hätte ich doch kein Herz zu diesem Volk. (Jer. 15, 1.) Ach, es giebt eine Zeit, wo selbst die Thränen des Menschensohnes über eine Stadt kraftlos sind, ihr Verderben abzuwenden. Gedenket an Jerusalem!

Jedoch, wir gedenken jetzt an Sodom. Die Untersuchungsmission der Engel hatte geradezu den Ausschlag gegeben, daß das Strafgericht schnell einbrach. Als sie Abends durch die Thore Sodom's traten, bittet Lot, unter dem Thore sitzend, die unerkannten Fremdlinge, unter dem gastlichen Dache seines Hauses Herberge zu nehmen, und nun muß gerade diese Aufnahme für die Einwohner Sodom's ein Anlaß werden, den furchtbaren Gipfel ihrer Entsittlichung und den Modergeruch ihrer Verworfenheit offenbar zu machen. Welche Nacht, diese in Sodom, wenn wir mit ihr dieselbe Nacht in Vergleich bringen könnten, welche Abraham in seiner Hütte vielleicht schlaflos, gewiß bekümmert und trostlos, des dunkeln Verhängnisses wegen, welches über Sodom schwebte, verbrachte! In Sodom ward dieselbe Nacht durch Unreinigkeit und rohen Andrang gegen die Fremdlinge, durch Unzucht und Greuel geschändet. So umlagert man die Wohnung Lot's und das in hellen Haufen, jung und alt, das ganze Volk, aus allen Enden. Es schaudert uns vor solcher Versunkenheit. Sie ist die Reife zum Gericht. Ein wahrhaft Nachtstück, bei welchem wir aber verweilen mußten, um das Folgende zu verstehn. Das zunächst Folgende ist:

die Errettung Lots aus Sodom. Wir sehn auf

  1. die Ursache, auf
  2. den Weg und auf
  3. die Weise dieser Errettung.

1.

Hinaus, rufen die Engel Lot zu, hinaus aus dieser verbrecherischen Stätte! Sie hat sich dem Verderben geweiht. Der Sturmwind nahet, dem argen Baum die faulenden Früchte abzuschütteln und ihn aus dem Boden zu reißen. Wir werden diese Stätte verderben, darum, daß ihr Geschrei groß ist vor dem Herrn, der hat uns gesandt, sie zu verderben. Die Engel verkünden eine ewige, eine unauflösliche Ordnung der göttlichen Gerechtigkeit. Sie ist, wie auf den Tafeln des Gesetzes und als Schluß der Gebote, so auch mit Flammenschrift in unser innerstes Bewußtsein eingegraben. Allemal muß es denen, die Gott widerwärtig sind, die seine Liebe verachten, seine Bitten verschmähen, am Ende unfehlbar übel ergehn. Die Gottlosen werden früher oder später unausbleiblich die Früchte ihrer Werke essen. Je weiter sie sich von Gott und seinen heiligen Wegen entfernen, desto schneller nähern sie sich ihrem dunkeln Geschicke. Je lauter das Geschrei ihrer Sünde wird, desto gewisser ereilt sie das Verderben. Je mehr sie Gott verlassen, desto mehr sind sie von Gott verlassen. Wer es auch sein mag, dein Nachbar, dein Freund, selbst dein Ehegatte, dein Sohn, deine Tochter, du stehest sein Treiben mit einem unheilvollen Gefühl; er gaukelt leichtsinnig am Rande eines grauenvollen Abgrundes, ein scharfes, zweischneidiges Schwert hängt an einem Haar über seinem Haupte, er wartet auf den Tag der Offenbarung des gerechten Gerichts und jenes Feuereifers, der die Widerwärtigen verzehrt.

Was kann uns, dieser ewigen Ordnung Gottes gegenüber, allein retten und bewahren? Retten kann uns nur das Eine, das Lot errettete. Er war nicht versunken in die Missethat dieser Stadt, darum kam er nicht um in der Missethat dieser Stadt. Sehet, das ist die Ursache seiner Errettung. Freilich ist Lot auch irre gegangen, da er, wie wir früher sahen, bei der Wahl seines Wohnortes - seine Augen aufhob, nicht zum Herrn, sondern auf die Erde ringsum und besah sich die Gegend am Jordan, wo Sodom und Gomorrha blühten, bis man gen Zoar kommt, als ein Garten des Herrn, herzlich trat er in Gemeinschaft mit den Sodomitern, wohnte unter ihnen, setzte sich unter ihre Thore, und hat seine Tochter mit Sodomitern verlobt; aber dennoch hat er ihre bösen Werke bestraft, dennoch war ihm diese erstickende Luftschicht, die ihn umgab, zur Qual; er suchte den Strom ihrer Gottlosigkeit zu hemmen, er tritt in offnem Widerspruch gegen sie auf, und muh darum in eben dieser Nacht den Vorwurf von ihnen hören: Du bist der einzige Fremdling hier und du willst regieren, eigentlich, willst uns richten? Ich sage nichts weiter, da ein heiliger Apostel sagt: dieweil er gerecht war, hat Gott ihn erlöset (2. Petri 2,7).

Aber sehet, wie weit sich diese erlösende Hand ausgestreckt! Die Männer sprachen zu Lot: hast du noch irgend hier einen Eidam und Söhne und Töchter und wer dir angehört in der Stadt, den führe aus dieser Stätte! Da ging Lot hinaus; er glaubte dem Worte der Boten Gottes, er glaubte an die Wahrheit des göttlichen Zürnens und Drohens, und redete mit seinen Eidamen, die seine Töchter nehmen sollten: machet euch auf und gehet aus diesem Ort, denn der Herr wird diese Stadt verderben. Achtet darauf, meine Theuern, wie er sie dränget! Als ob er schon das Geprassel des einbrechenden Flammengerichts vernehme, so greift er ihre Empfindung da an, wo sie am mächtigsten erschüttert wird. Der Herr wird diese Stadt verderben, machet euch auf, daß ihr nicht des Todes Beute werdet! Aber, o Gott! es war ihnen lächerlich! Was in Lot's Seele die zweifelloseste Ueberzeugung war, was ihn mit dem Ernst des tiefsten Schreckens durchdrang, was aus seinen bestürzten Blicken, aus seiner bebenden Summe in ihr Inneres eindringen sollte, das war seinen Schwiegersöhnen lächerlich. Ohne Zweifel waren es noch die Bessern in Sodom, die er sich zu seinen Eidamen ausersehn hatte, und auch in diesen alle Furcht Gottes ausgelöscht, die Sicherheit vollendet! Solche Dornen waren aufgewachsen in der Gegend, die als ein Garten Gottes anzusehn war. Bedarf es mehr als eine kurze Hindeutung darauf, wie der Ueberfluß in zeitlichen Dingen, das üppige Leben im Schooße dieses Ueberflusses das vereitelte Herz im sorglosen Taumel einwiegt? Wer seine Seele lieb hat und sie erretten will, der meide, wie Lot, den Weg unterwärts, daß er nicht falle in Stricke des Todes! Er folge den Irrlichtern nicht, die zuerst in Sümpfe und zuletzt in das Meer der ewigen Thränen verführen! Er halte in den Nebeln dieser Welt das Kleinod seiner himmlischen Berufung vor Augen! Liebe Kindlein, bittet Johannes, habet nicht lieb die Welt, noch was in der Welt ist. Denn alles, was in der Welt ist, nemlich des Fleisches Lust und der Augen Lust und hoffärtiges Leben ist nicht vom Vater, sondern von der Welt (1 Joh. 2, 15). Wie bald kann es geschehn, daß wir von ihrem Reigen bethört werden! In uns dieses betrügliche Herz, dieses kleine Dreieck, wie die gottseligen Alten es nannten, und es ist doch so voll von bösen Gedanken, sein Tichten und Trachten auf's Eitle gerichtet. Es will den Irrweg immerdar, rechtfertigt das Weltleben, entschuldigt sein Uebertreten und spricht von der Sünde, wie Lot von Zoar: ist sie doch klein. Behüte dein Herz mit allem Fleiß, denn daraus geht das Leben!

Achten wir deshalb, nachdem wir den Grund der Errettung Lot's erkannt, auch

2.

auf den Weg, auf welchem Lot wirklich errettet ward. Die Morgenröthe kündete den verhängnißvollen Tag an. Die Engel treiben Lot zum schleunigen Aufbruch. Wie dringlich bitten sie! Wie hoch und theuer mahnen sie mit Worten, Blicken, Gebehrden, und zuletzt, da er noch immer zögert, ergreifen sie ihn mit beiden Händen und führen ihn und sein Weib und seine beiden Töchter hinaus. Warum zaudert er denn? Gedenkt er vielleicht noch seine Schwiegersöhne zu gewinnen und sie auch wie Brände aus dem Feuer zu retten? , Oder ist es die Liebe zu Habe und Gut, die ihm die bindenden Fesseln anlegt? Alles drangeben, zurücklassen, o wie bitter fällt das der Natur! Der Erlöser aber spricht: wer nicht verlässet alles, was er hat, wer nicht das eigne Leben verliert, wer die Hand an den Pflug legt und stehet zurück, der ist nicht geschickt zum Reiche Gottes, der kann seine Seele nicht erretten.

Errette deine Seele und siehe nicht hinter dich, ermahnt darum die Stimme der Engel, auch stehe nicht still in dieser ganzen Gegend, auf die Berge rette dich, daß du nicht umkommest. Jedes Wort hat seinen besondern Nachdruck, und dieses nicht hinter sich sehn, nicht stille stehn, verdiente, wenn es der Raum dieser dahineilenden Stunde gestattete, , sorgsam erwogen zu werden. Schreiten wir denn zur Hauptsache fort. Wer gedenket nicht, wenn die Engel zur Rettung auf die Berge mahnen, welche von beiden Seiten das Thal Sodoms umkränzten, an dieselbe Weisung, die der Herr bei Annäherung der Zorngerichte über Jerusalem seinen Jüngern ertheilte: wenn ihr sehn werdet den Greuel der Verwüstung, alsdann fliehe auf die Berge, wer im jüdischen Lande ist. (Matth. 24.) Allerdings, das ist, geistlich verstanden, der Weg der Errettung auch jetzt noch. Auf die Berge! Auf den Berg Sinai, daß wir den großen Ernst und die unverletzliche Heiligkeit des göttlichen Gesetzes erkennen im beugenden Gefühl unsrer Verschuldung, als arme, verlorne Sünder vor dem Richter aller Welt in den Staub niederfallen, um Erbarmung rufen und in fortgesetzter, beharrlicher, täglicher Buße das Unkraut im Herzen, das immer neue Triebe schießt, ausreißen und ablegen die Sünde, so uns immer anklebt und träge macht. (Hebr. 13, 1) Auf den Berg Golgatha, daß wir den erkennen, dessen Fürbitte allein die Gerichte aufhält von der schuldigen Erde und sie mitleidig mildert, daß wir die Gerechtigkeit und den Frieden ergreifen, den er uns um so theuern Preis erworben, er, der unsre Sünde versenket in die Tiefe des Meers, und die Handschrift, die wider uns ist, mit seinem Blute durchstrichen, er, der uns errettet hat von dem zukünftigen Zorn, er, auf dessen Verdienste steuernd, einst ein gläubiger Mensch aus voller Brust und mit großer Zuversicht muthig in die Welt hineinlief: Wer will die Auserwählten Gottes beschuldigen? Gott ist hie, der gerecht macht. Wer will verdammen? Christus ist hie, der gestorben, ja vielmehr, der auch auferweckt ist, welcher ist zur Rechten Gottes und vertritt uns. (Röm. 8, 33.) Auf den Berg Zion, daß wir in jeder Bedrängniß auf Erden seiner königlichen Fürsorge vom Himmel und seiner treuen Durchhülfe uns versichert halten und durch die dunkeln Wolken hindurch hinaufblicken zu der Stadt des lebendigen Gottes, die Gott zubereitet hat zur Ruhe und Pracht für die Seinen. Diese Berge sah der Psalmist, wenn er spricht: ich hebe meine Augen auf zu den Bergen, von welchen mir Hülfe kommt. (Ps. 121,1.) Auf diesen Bergen, Geliebte, ist unser Zoar!

Wie war es nun mit Lot? Er erbebte vor dein Gedanken, in die Wildniß des Gebirges sich hineinflüchten zu sollen, dessen Schluchten noch bis in die späteren Zeiten hinab, wie ihr aus dem Gleichniß vom barmherzigen Samariter wißt, Räubern und Mördern einen willkommnen Aufenthalt bot. Er bittet, daß ihm eine Zuflucht in der naheliegenden kleinen Stadt Zoar eröffnet werde. Ist sie doch klein, sagt er, warum sollte sie nicht verschont bleiben? Wiederum ein Beweis, wie schwer es Lot fiel, aus den Banden des Eigenwillens herauszukommen, und sich ganz und gar des Herrn Willen wohlgefallen zu lassen. Was fürchtet er doch, daß ihm im Gebirge irgend ein Unfall begegne, da Gottes Hand ihn schützte? Wie konnte ihm ein Ort sicher erscheinen, der Sodom nahe und gleicher Strafe schuldig war? Es war Schwachheit des Glaubens und die Reue folgte ihm auf dem Fuße. Wir lesen weiterhin, er fürchtete sich in Zoar zu bleiben und zog aus und blieb auf dem Berge. Nun wohlan, da sei unser Zoar! Freier, höher, sichrer gelegen, als irgend eine Zufluchtsstätte auf Erden! Sind wir der Gemeinschaft mit dem gewiß geworden, der auf Golgatha die ewig gültige Bürgschaft für alles geleistet, was Sinai von uns fordert und der auf Zion in dem himmlischen Jerusalem als unser König und Hoherpriester thront, dann sind wir, auch wir sind dann die Glücklichen, welche die Freistatt und den Weg der Errettung gefunden! Auf denn, ohne Säumen, daß wir auch

3.

die rechte Weise der Errettung befolgen, welche Lot vorgeschrieben' ward. Seine Bitte wird erfüllt. Siehe, heißt es, ich habe auch in diesem Stücke dich angesehn, daß ich die Stadt nicht umkehre, davon du geredet hast; eile nun und errette dich daselbst. Das Drängen der Engel wird immer eifriger. Zuerst in der Stadt sagen sie: Mache dich auf, sodann, da sie ihn hinausgeführt: Errette deine Seele, und jetzt, da das Morgenroth immer lichter wird: Eile und errette dich daselbst. Die Strahlen der kommenden Sonne zucken durch den Himmel, wenn das Licht der aufgegangenen die Erde erleuchtet, dann soll der Himmel flammend über Sodom erglühen und das Feuer des strafenden Gerichts sich über die sündenvolle Stadt ergießen. Die Gefahr wird dringend, jede Minute kostbar, und doch, o des Wunders der erstaunlichen Langmuth und Güte! Doch hieß es: ich kann nichts thun. Wunderbares Wort! Der Herr selbst zögert, es ist etwas da, was die Schritte seiner Gerechtigkeit aufhält - ich kann nichts thun, bis daß du hinein kommst und geborgen bist, eile, eile und errette dich! Was der nächste Sonnenaufgang über uns bringen wird, das wissen wir nicht; das aber wissen wir, der Tag der richterlichen Zukunft des Herrn, dessen Vorspiel wir an Sodom ersehn, rücket uns mit jedem Augenblicke näher, obgleich keine menschliche Berechnung Zeit und Stunde bestimmen kann, und uns freilich ein Auftrag, wie ihn diese Engel hatten, nicht ertheilt ist. Indeß die Zeichen seiner Erscheinung sind uns angekündigt; wir sollen darauf achten; sie häufen sich, und eins der deutlichsten scheint uns in diesen Zeiten des Abfalls, des Aufruhrs, des Umsturzes, des Verleugnens göttlicher Wahrheit mit Blitzeshelle in die Augen; vielleicht sind die letzten heißen Kämpfe des Reiches Christi mit dem Menschen der Bosheit näher, als. wir es ahnen. Was gilt hier mehr, als das Wort des Apostels: wartet und eilet!? (2. Petri Z.) Beides; wartet, wenn der Tag des Gerichts zögert. Der Herr zögert, auf daß vor der letzten Scheidung noch viele gesammelt, bekehrt und in das Bündlein der Lebendigen gebunden werden. Seine Geduld sollen wir unsre Seligkeit erachten. Der Herr konnte ja auch Sodom nicht umkehren, bis daß Lot in Zoar eingekommen war. Aber auch diese wartende Geduld hat ein Ende und wie dringend ruft sie: Eilet! eilet!

Bedenket dabei, die Jahre stoßen einen jeden von uns unwiderstehlich einer richterlichen Stunde entgegen. Diese unsre irdische Behausung ist bei vielen ein sehr zerbröckelt, bei allen ein höchst zerbrechlich Gefäß. Wie mancher, der vor einigen Monaten, vor einer Woche noch kräftig unter uns wandelte und wirkte, ist in die enge Kammer hinabgebettet und bei wie manchen unter uns wird es, wenn nicht nach einer Woche, nach einigen Monaten, nach einem Jahre wahr werden, was Hiob von einem Tage sagt: Wenn man mich morgen sucht, werde ich nicht da sein. Wir wissen nicht, ob sich nicht das Wort: Diese Nacht wird man deine Seele fordern, an uns erfüllen wird, aber das wissen wir, es ist dem Menschen gesetzt, einmal zu sterben, danach das Gericht. Was habt ihr hinfällige Menschen an diesem kurzen Vorabend Dringenderes zu thun, als zu eilen, eure Seele zu erretten?

Der Tag, der über Sodom aufging, war ein Tag gewaltiger Umkehr. Von einem noch gewaltigern weissagt Petrus, da die Himmel vergehn werden mit großem Krachen, die Elemente werden vor Hitze zerschmelzen und die Erde und die Werke, die darinnen sind, werden verbrennen (1. Petri 3, 11.), von jenem schrecklichen Tage, da die Verächter und Gottlosen werden Stroh sein und der künftige Tag wird sie anzünden, spricht der Herr Zebaoth und wird ihnen weder Wurzel noch Zweig lassen. (Mal. 4, 1.) Das halten wir für wahr, wir wissen es, aber ach, wir wissen es mit kaltem Herzen - o wisset es recht! Sehet euch selbst inbegriffen in diese großen Ereignisse, sehet, ich bitte euch, was jetzt noch eine kleine Zeit zukünftig ist, was aber gegenwärtig werden wird, als ein Gegenwärtiges an, in das ihr eingeflochten seid, das gewiß Bevorstehende als ein Eingetretenes; welche Regungen werdet ihr dann empfinden! welche Furcht, welchen Eifer, welche Gebete! Lasset diese ernsten Bewegungen euch ganz und gar durchdringen, machet diese heiligen Gedanken euch zu den vertrautesten, und was wird geschehn? Ihr werdet die gleiche Mahnung, welche die Engel an Lot richteten, in eurem Innern hören: Eilet und errettet euch! Das wird geschehn. Ihr werdet den Schlaf von euren Augen wischen, ohne Aufschub umkehren und Buße thun. Das wird geschehn. O lasset es geschehn. Zaudert nicht, diese Weise eurer Errettung zu ergreifen. Entscheidet euch zur rechten Zeit, ehe es zu spät ist und die Thüren verschlossen sind! Heute, so ihr Gottes Stimme hört, verstocket eure Herzen nicht. Seid wacker und betet! Thut es aber von Herzensgrund, und singet auch von Herzen, was wir jetzt mit unsern Lippen singen werden:

Nun, so laßt uns immerdar
Wachen, flehn und beten
Und vermehrt sich die Gefahr,
Inniger noch beten;
Denn die Zeit
Ist nicht weit,
Da uns Gott wird richten
Und die Welt vernichten.

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