Heuser, Wilhelm - Abrahams Führungen - XI. - Die Aufopferung Isaacs.

Heuser, Wilhelm - Abrahams Führungen - XI. - Die Aufopferung Isaacs.

Die Klänge des Himmelfahrtfestes sind vorüber, was für eine Segnung sollten wir, meine theuren Freunde, gerade aus dem diesjährigen Himmelfahrtfest mit uns herausgenommen haben, was für einen Muth, was für Trost und unbewegliche Hoffnung gegen alle gegenwärtigen und gegen alle kommenden Bedrängnisse! Die bürgerlichen Erlebnisse, die an diesem Tage in unsrer Nachbarstadt eintraten, die stille Heiterkeit und Ruhe, die auf einmal über uns aufging und an Stelle der drückenden Gewitterschwüle trat, welche eine Woche lang doch auch auf uns lastete, war das nicht unsern staunenden Blicken ein neues Siegel auf die alte, ewige Predigt des Himmelfahrtfestes: Der Herr ist König und herrlich geschmückt; der Herr ist geschmückt und hat ein Reich angefangen, so weit die Welt ist und zugerichtet, daß es bleiben soll. Von dem an stehet dein Stuhl fest und bist ewig. Herr, die Wasserströme erheben sich, die Wasserströme erheben ihr Brausen, die Wasserströme heben empor die Wellen und brausen greulich; der Herr aber ist noch größer in der Höhe. (Ps. 43.) War das nicht ein neues Amen auf einen andern Psalm: Warum toben die Heiden und reden die Leute so vergeblich? Lehnen sich auf, rathschlagen mit einander wider den Herrn und seinen Gesalbten: lasset uns zerreißen ihre Bande und von uns werfen ihre Seile! Aber der im Himmel wohnet, lachet ihrer, und der Herr spottet ihrer. Er wird einst mit ihnen reden in seinem Zorn und mit seinem Grimme wird er sie schrecken. (Ps. 2.)

Wie glücklich sollten wir doch sein, wie von aller kümmernden Sorge frei und von aller grämenden Angst durchaus entledigt, die wir doch wissen, in wessen Händen das Scepter der Weltherrschaft und die Zügel des Regiments liegen, und daß es die Hände Jesu, unsres Immanuels sind. Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden. So sprach der Allerdemüthigste auf Erden, bevor noch als der Tag seiner Krönung in Anbruch war, seine Auffahrt gen Himmel vor Augen. Können wir uns nun wundern, wenn die Zeugen seines Eingangs in die Herrlichkeit, wenn seine Jünger unter dem Schirmen dieses ihres geliebten Herrn, ihres Bruders und ihres Hauptes, unter allen Stürmen ihres, mit so vielem Jammer durchwebten Lebens, sich so wohlversorgt, so stark beschützt, ja so unverletzlich fühlten, bis auf das Haar des Hauptes? Nein, aber nun sollte auch dich nichts mehr quälen und ängsten in dem trüben Irrsal dieses Lebens; und wenn du nur singen kannst:

Hab' ich doch Christum noch
Wer will den mir nehmen?
Wer will mir den Himmel rauben,
Den mir schon Gottes Sohn
Zugelegt im Glauben?

was hat dann alles, was widrig genannt werden mag, zu sagen? Dürfen wir je verzagen? Dürfen wir je besorgen, daß Unglaube, Schwindelgeist, Zügellosigkeit und ruchlos Wesen, wie heftig sie sich geberden, das Reich Jesu Christi erschüttern und das Band seiner ewigen Ordnungen zerreißen werden? Sorgen wir vielmehr dafür, daß kein Sturm, der sich erhebt, wie dunkel und brausend auch, uns im Glauben an die Allgewalt Jesu erschüttre, der noch immer der Mann ist, dem Wind und Wellen unterthan sind. Trachten wir danach, daß keine Nacht der Drangsal, wie finster sie sich herabsenkt, uns den Ausblick auf seinen Herrscherstuhl verdunkle und den Glanz seines Scepters verhülle!

Fragen wir aber, wodurch denn Jesu, dem Menschensohn, die Gewalt über alles und der Thron der Weltherrschaft auch nach seiner menschlichen Natur geworden, so vernehmen wir Anklänge einer Antwort darauf in der heute vor uns liegenden Betrachtung, in der vorbildlichen Aufopferung Isaacs: Darum, daß Jesus Christus sich selbst entäußert und Knechtsgestalt angenommen hat, und gehorsam geworden ist bis zum Tode, ja bis zum Tode am Kreuze, darum hat ihn Gott erhöhet und hat ihm einen Namen gegeben, der über alle Namen ist. (Phil. 2,8.) Durchs Kreuz zur Krone! Durch Leiden des Todes gekrönt mit Preis und Ehre! Das war seine Sonnenbahn! Mögen die Fingerzeige, welche die vorbildliche alttestamentliche Geschichte enthält, uns tiefer in die erfüllte neutestamentliche einführen, mögen sie uns gesegnet sein!

1. Mose 22, 9-14.

Und als sie kamen an die Stätte, die ihm Gott sagte, baute Abraham daselbst einen Altar und legte das Holz darauf und band seinen Sohn Isaac, legte ihn auf den Altar oben auf das Holz und reckte seine Hand aus und fassete das Messer, daß er seinen Sohn schlachtete. Da rief ihm der Engel des Herrn vom Himmel und sprach: Abraham! Abraham! Er antwortete: Hier bin ich. Er sprach: Lege deine Hand nicht an den Knaben, und thue ihm nichts. Denn nun weiß ich, daß du Gott fürchtest, und hast deines eigenen Sohnes nicht verschonet um meinetwillen. Da hob Abraham seine Augen auf und sahe einen Widder hinter ihm in der Hecke mit seinen Hörnern hangen und ging hin und nahm den Widder und opferte ihn zum Brandopfer an seines Sohnes Statt. Und Abraham hieß die Stätte: Der Herr siehet. Daher man noch heutigen Tages saget: Auf dem Berge, da der Herr siehet.

So sind wir denn im Verfolge dieser unaussprechlich großen Geschichte zu dem Schlußpunkt derselben gekommen. Von diesem aus strahlet uns das helle Licht entgegen, welches das Ganze erleuchtet. Zuvor aber werfen wir einen Rückblick auf das Frühere, um uns im Zusammenhang der Betrachtung zu erhalten und die Mitte nicht zu verlieren.

Manche Prüfungen hat Abraham bestanden. Dem ausdrücklichen Rufe Gottes folgend, hatte er die Heimath und was sie ihm in den fruchtbaren Fluren Mesopotamiens darbot, verlassen, um in dem fernen gebirgigen Canaan mit nicht geringen Beschwerden zu kämpfen. In steten Wanderungen hat er hier seine Hütte aufgeschlagen, Bäume gepflanzt und den Namen des Herrn gepredigt, um bald wieder aufzubrechen und neue Niederlassungen zu suchen. Ein Mißverhältnis; mit Lot hat er durch edle Nachgiebigkeit beseitigt: er ward in Krieg verwickelt, er hat den Rauch von Sodom und Gomorrha, wie einen Rauch vom Ofen aufsteigen sehn, - alle diese Proben hat er bestanden, - diese aber, die das göttliche Geheiß ihm jetzt auflegt: nimm Isaac, deinen einigen Sohn, den du lieb hast und gehe hin in das Land Morija und opfere ihn daselbst auf dem Berge, den ich dir sagen werde, diese war doch die schwerste unter allen, wahrhaft furchtbar, eine solche, vor welcher auf den ersten Blick das menschliche Gefühl erschauert und jede natürliche Einsicht sich empört. Wir sahen zuletzt, wie er hinzieht, stark im Glauben, hoffend, da nichts zu hoffen ist, und schloffen mit der Antwort, die der Vater auf die Frage des Sohnes: siehe, hier ist Feuer und Holz, wo ist aber das Schaaf zum Brandopfer? ertheilte: Mein Sohn, Gott wird ihm ersehn ein Schaaf zum Brandopfer. Der Herr wird ihm ein Opfer ersehn, diese Worte sind der Schlüssel des Verständnisses, daß der Herr sich ein Opfer zur Entsündigung der Welt ersehn und welch' ein Opfer! und wie er selbst aus seinem Vaterherzen heraus dies Opfer der Welt gegeben, das sollte in dieser Geschichte vorgebildet werden und was dunkel und räthselhaft vor uns lag, in diesem Lichte löset sich alles! Diesem Fingerzeig folgend, betrachten wir die Aufopferung Isaacs zuerst nach

  1. ihrem geschichtlichen Verlauf und sodann
  2. nach ihrer innern vorbildlichen Bedeutung.

1.

Abraham hat die Höhe des Berges erreicht. Er schlägt seine Augen zum Himmel auf, ob ihm nicht ein milderes Licht erscheine, ein tröstendes Wort entgegenkomme. Aber die einsame Stille ringsum deutet ihm das Fortbestehn des ehernen Gebotes und sein Gehorsam soll bis fast zur Vollendung der That sich erproben, Abraham baute daselbst einen Altar und liegte das Holz darauf - von seines Kindes Schulter nahm er es mit zitternden Händen und legte es auf den Altar - und band seinen Sohn Isaac - und hält den fragenden Blick des staunenden und doch schweigend duldenden Jünglings mit brechendem Vaterherzen aus, kämpft sein Vatergefühl nieder - und legte ihn auf den Altar oben auf das Holz - bittet um Kraft von Oben - und reckte seine Hand aus - und faßte das Messer, daß er seinen Sohn schlachtete.

Ich habe eine Frage an euch, ihr werdet sie kaum zu entscheiden vermögen. Saget, wer von diesen beiden ist bewundernswerther, stärker? Der Vater, der das vermag, und auf Gottes Befehl den geliebten Sohn mit eigner Hand auf den Scheiterhaufen legt - oder der Sohn, der, zu einem kräftigen Jüngling gereift, sich von seinem alterschwächern Vater auf den Altar legen läßt oben auf das Holz? der Vater, der die Hand ausreckt und das Messer fasset, es in die Brust des ewigen Sohnes zu senken, oder der Sohn, der ohne einen Schrei des Entsetzens das Opfermesser über sich blinken sieht und thut seinen Mund nicht auf, wie ein Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird und wie ein Schaf, das verstummt vor seinem Scheerer und seinen Mund nicht aufthut? Was bewundert ihr mehr? Ihr staunet über des Vaters unbedingten Gehorsam, über seine Verleugnung der allerstärksten Gefühle, über seine schrankenlose Gebundenheit an den Willen seines Gottes und Herrn und ihr staunet über des Sohnes willenlose Hingebung, der, den Hals unter des Vaters Hand gebogen, den Stoß des Schlachtmessers erwartet, und er sträubt sich nicht, er wehrt sich nicht mit dem Uebergewicht seiner jugendlichen Stärke gegen den schwachen Arm des greisen Vaters und er stößt die Hand nicht von sich hinweg, die das Messer zuckt: Neider That, ein staunenswürdiges Opfer! Beider That, im Thun und im Leiden, so groß, daß sie ein würdig Vorbild jener, allen Gedanken unerreichbaren Gottesthat ist, welche durch dieses Opfer abgeschattet werden sollte, die Hingabe des eingebornen Sohnes nach dem Willen des himmlischen Vaters.

Innerlich hat Abraham das Opfer vollendet. Und das unsichtbare Zeugenauge dieser Stunde, der Herr im Himmel? Wird die ewige Liebe es auch zur äußerlichen Vollziehung gelangen lassen? Nein! in diesem Augenblick der äußersten Willensausopferung, und erst in diesem letzten, entscheidungsvollen, kommt das tröstende Wort: Da rief ihn der Engel des Herrn vom Himmel. Da, o hülfreiches Da! Es kommt auch dir, es hat auch uns wie oft schon und jetzt von neuem in dieser Woche der beängstigenden Sorge ertönt, dieses rettende, freudenreiche Da. Und wie oftmals unerwartet und eben so eilig, wie hier die Stimme des Engels in dringender Eile ruft: Abraham, Abraham! Und Abraham antwortete: Hier bin ich. Ruft der Herr zum Opfer und zu Schmerzen, Abraham ist sogleich bereit; ruft er zum Segen und zu Freuden, auch dann ist er bereit. Und der Engel des Herrn sprach: Lege deine Hand nicht an den Knaben und thue ihm nichts. Welch eine Botschaft! Mit welchen Blicken sehn sie einander an, der Vater und der Sohn! Das Weh des blutenden Vaterherzens und der Schrecken des Sohnes, die Schauer, den Tod verhängen, und die Angst, ihn leiden zu müssen, alles hat sich in Errettung, in Freude, in Lohn des Glaubens verwandelt! Denn nun weiß ich, fährt die Rede fort, daß du Gott fürchtest. Nun weiß ich. Gewiß wußte der Herr die Treue seines Knechtes und der Versuchung Ausgang im Voraus. Aber die Prüfung mußte zur That werden, auf daß auch die Treue zur That und Wahrheit werde und vor aller Welt bewährt erscheine. Nun weiß ich, daß du Gott fürchtest und hast deines einigen Sohnes nicht verschont um meinetwillen. So schließet der Herr selbst das Innerste seines Knechtes uns auf. Um meinetwillen. Sehet hier, Geliebte, das verborgene, das kündlich ernste Geheimniß der Gottesfürchtigen, die Grundgesinnung der Gotteskinder, den Grundzug der Heiligen. Es ist ein Brennen und Treiben in ihnen, das mit aller Innigkeit der Liebe nur Eins schätzt, mit allen Kräften und Trieben nur Eins will, und dies Eine heißt: Gott über alle Dinge fürchten, lieben und vertrauen. Um Gotteswillen. Stehet das Wort, wie auf den Tafeln der Gebote, so auch auf den Tafeln meines Herzens, dann kann mir in meinem Christenberuf kein Opfer zu schwer, und auch im Laufe meines Lebens keine Last zu sauer werden, um deswillen, der mich geliebt hat, überwinde ich weit in dem allen!

So hatte Abraham die Probe bestanden; und da sie bestanden war, hub Abraham seine Augen auf und sah einen Widder hinter ihm in der Hecke mit seinen Hörnern hangen, und ging hin und nahm den Widder und opferte ihn zum Brandopfer an seines Sohnes Statt.

Hier sind wir nun an dem eigentlichen Schluß der Geschichte angelangt. Das noch weiter Folgende, der bedeutungsvolle Name, welchen Abraham in Beziehung auf die Worte, die er beim Hinaufgehn sprach, Gott wird sich ersehn ein Schaf zum Brandopfer, der Stätte gab: Berg, da der Herr siehet, eigentlich: Berg, da der Herr gesehn wird, da er erscheint, hindeutend auf die Offenbarung des Herrn, die im Tempel auf Morija geschah und in Christo sich vollendete - endlich die Verheißung, welche Abraham von einem gesegneten Saamen und von einem Segen über alle Völker bestätigt wird - das alles soll uns

2.

über die höhere, innere, vorbildliche Bedeutung dieser Begebenheit Aufschluß geben, zu deren Betrachtung uns der zweite Abschnitt unsrer Andacht leitet.

Fragen wir also näher nach der Absicht dieses Opfers, welches Abraham auferlegt ward, so ist allerdings das erste, das für Abraham nächste Absehn da, wo die Erzählung eröffnet wird, angegeben: Abraham zu versuchen. Der Mann, den Gott auserwählt, daß er, der Träger seines Lichts und seiner Gnadenverheißungen werde, ein Vater der Gläubigen, der Stammvater Jesu Christi nach dem Fleische, sollte durch eine Probe bewährt werden, welche diesem hohen Berufe entsprach und das Staunen der Welt erregte. Ja, spricht die Welt, du sagst mit Recht, unser Staunen. Wie kann doch der heilige Gott eine so harte und schauerliche Prüfung über einen Menschen verhängen, eine Prüfung, welche dem Menschen nur ein beklagenswerthes Entweder - Oder übrig läßt: entweder er muß das tiefste menschliche Gefühl verleugnen, oder er muß, wenn er dem mächtigen Zuge des Vaterherzens folgt, dem göttlichen Befehl ungehorsam werden. So hat die Welt gesprochen, und sie hat durch diese Einwendungen gerade den Beweis gestärkt, daß diese Geschichte eine höhere Bedeutung habe, daß sie größere Dinge, solche, die zum Heil der ganzen Menschheit gereichen, darstelle, und daß wir, zu ihrem völligen Verständniß, mit jenen Anfangsworten auch die Schlußworte: durch deinen Saamen sollen alle Völker der Erde gesegnet werden, verbinden müssen. Wenn jene Anfangsworte in nächster Beziehung auf Abraham sagen: Gott habe ihn versucht, dann weisen diese Schlußworte auf die weite Zukunft, auf alle Geschlechter, auf alle Zeiten, auch auf uns und auf die Fülle der Segnung hin, welche der Name des Erlösers in sich schließt. Sein Kommen in die Welt war schon längst, ehe Abraham seine Heerden in Canaan weidete, der Welt verheißen. Seine Herkunft von einem Weibe, auch die Größe seines Werkes, daß er der Schlange den Kopf zertreten werde, auch der Schmerz und die Schmach seines Todes, daß er den Fersenstich erdulden werde, das war eine Kunde, welche schon die ersten Menschen empfingen. Diese Kunde pflanzte sich, als der süßeste Trost der Erde, von Geschlecht zu Geschlecht, fort, sie wurde dem Vater des zweiten Menschengeschlechts, Noah, in der Verheißung über Sein erneuert; sie wurde, wie wir in einer frühern Betrachtung sahen, durch Melchisedeks Opfer und Segen dargestellt. Sehen wir sodann in die späteren Zeiten nach Abraham hin, war nicht diese ganze Zwischenanstalt des Gesetzes mit Priesterthum und Opferdienst Voranstalt der Erlösung? Schattenriß der zukünftigen Güter? Hat nicht die Stimme der Weissagung durch die glänzende Reihenfolge der Propheten die Erscheinung des Heilandes immer vernehmbarer der Welt vergegenwärtigt, die Zeit, den Gang, die Ordnung seiner Ankunft, sein Wirken, sein Leiden, seine Verwerfung und das in ihm anbrechende, ewige Heil immer lauter geoffenbart? Ueberall Jesus Christus vor Augen gemalt! Jesus Christus die Mitte der Geschichte! Jesus Christus derselbe, gestern und heute und in alle Ewigkeit!

Diese geringen Andeutungen habe ich nicht ohne Bedacht vorausgeschickt. Den Einen, großen, alles beherrschenden Gesichtspunkt auf den, in welchem alle Völker der Erde gesegnet werden sollen, vor Augen, wie wird uns von ihm aus, auch in unsrer Geschichte das Ganze und das Einzelne so groß, so licht, so ehrwürdig, so heilig!

Fassen wir zuerst das Ganze der Geschichte, die Thatsache, das Opfer Abrahams ins Auge. Meine Lieben, warum denn ein Opfer? Damit durch eine äußerliche Handlung der Rathschluß unsrer Erlösung durch die Vermittlung eines Opfers abgeschattet werde, jenes erhabne Gotteswerk, aufgeschlossen in den Worten: Also hat Gott die Welt geliebt, daß er ihr seinen eingebornen Sohn gegeben. Hier siehst du einen Vater, der auf Morija's Höhen um Gottes willen seines einigen Sohnes nicht verschonen will; blicke höher hinauf und du siehst, da die Zeit erfüllet war, auf derselben Höhe die That dessen, der wirklich seines eingebornen Sohnes nicht verschonet hat, sondern hat ihn für uns alle dahingegeben. O unausdenkliche Liebe des göttlichen Vaterherzens gegen eine abgefallne, verlorne Welt. Ein Abgrund ruft den andern. Jeder Abfall von Gott - zeigt das nicht auch unsere Gegenwart - öffnet einen Abgrund des Verderbens, aber ein Abgrund ruft den andern; der Abgrund menschlichen Elends ruft die unergründliche Tiefe der göttlichen Erbarmung. Unsre Verderbniß, unser Verlorensein beweget das Herz unsres Gottes, beweget das unendliche Wesen, den majestätischen Herrn der Welt, das Ebenbild seines Wesens, den Abglanz seiner Herrlichkeit hinzugeben in Noch und Thränen, in Schmach und Tod, uns das Leben wiederzubringen, die Sünde zu versöhnen, Genugthuung zu leisten, Frieden zu stiften, Gerechtigkeit zu erwerben, den Himmel zu öffnen. Sehet das schimmernde Licht, das über Morija's geheimnißvollen Höhen aufgeht! Unglaubliches wird durch Unglaubliches abgebildet, Unerhörtes durch Unerhörtes!

Jedoch, wir wollten auch in's Einzelne gehn. Wo geschah denn diese Opferthat? Auf dem Berge Morija, auf dessen Höhen einer später das Heiligthum des Herrn, der Tempel mit seinen täglichen Opfern stand, und nahe daran der Felsenhügel Golgatha. Noch ein Jahrtausend später und der Wolkenschleier, der über Abrahams und über des Tempels Opfer liegt, zerfließt im Sonnenlicht der Wirklichkeit. Beides, das Werk des Vaters und des Sohnes vollendet sich auf demselben Berge. Das Gegenbild verklärt das Vorbild. O seliges Geheimniß! O herrlicher Zusammenklang der Schrift!

Gehn wir noch näher in's Einzelne. Es fehlt auch an andern Beziehungen nicht, worin sich der Sinn und die Bedeutung des Vorbildes ausprägt. Denn mußte Abrahams Sohn drei Tage lang wandern, bis er jene ernste Stätte erreichte, so sprach auch Jesus: Ich muß heute und morgen und am Tage darnach wandeln und am dritten Tage werde ich ein Ende nehmen. (Luc. 13, 32.) War Isaac, da die Knechte zurückblieben, mit seinem Vater ganz allein, so sprach auch Jesus: siehe, es kommt die Stunde und ist schon kommen, daß ihr zerstreuet werdet, ein jeder in das Seine und mich allein lasset, aber ich bin nicht allein, denn der Vaterist bei mir. (Joh. 16, 32.) Trug Isaac das Opferholz auf seinem Rücken den Berg hinauf, so lastete auch auf Jesu Schulter das schwere Kreuz, das Holz des Fluchs, das Bild und die Strafe unsrer Sünden. Fragte Isaac geängstet, wo das Schlachtopfer sei, und ergab sich dennoch in Ehrfurcht dem Willen des schweigenden Vaters, so sprach auch Jesus vor dem Opfer erschauernd: Vater, willst du, so nimm diesen Kelch von mir, doch nicht mein, sondern dein Wille geschehe. (Luc. 22,42.) Ward Isaac, da der Opferaltar errichtet war, gebunden, so wurde auch Jesus gebunden dem Richter überantwortet. Ward Isaac von der Erde auf den Altar heraufgehoben, so ward auch Jesus am Kreuz über die Erde erhöht. Kam Isaac wieder lebend zu denen zurück, die er vorher verlassen hatte, so kam auch Jesus nach seinem Tode zu denen zurück, die er verlassen hatte, um dann, nachdem er sein Leben zum Schuldopfer gegeben, in die Länge zu leben.

Ist das genug, euch zu überzeugen, wie auch in dieser Geschichte das helle Evangelium ist, und welche neutestamentliche Lichtblicke darin glänzen? Nun wohlan, meine Themen, so lasset auch eines an Euch geschehn. Sehet an diesem Schattenbilde beides, die grundlose Liebe des Vaters, die eure Erlösung beschlossen und die bittern Schmerzen, die eure Erlösung dem Sohne gekostet, sehet in diesem Spiegel, wie theuer ihr erkauft seid, und daß ihr dafür euren Gott und Heiland zu loben und ihm zu danken, und euch ihm mit Leib und Seele zum Gegenopfer darzubringen schuldig seid! Die Worte, die einst jemand unter ein Schmerzensbild des Erlösers gezeichnet fand, und die von da an unauslöschlich in seinem Innern standen, lauteten: Das that ich für dich, was thust du für mich? O Christen, ihr theuer erlöseten Christen, warum tretet ihr nicht allesammt heraus aus dem Dienste der vergänglichen Welt, heraus aus den dumpfen Kreisen der Sünde hinein in das selige Reich Jesu Christi? Der Zugang ist euch allen durch sein Opfer geöffnet und er ruft, ja er bittet: kommt! Und gehet der Ruf und die Bitte euch, wie jenen am Pfingstfest, durchs Herz, dann geht auch hier durch eure Tage, treu und immer treuer im Gehorsam, fest und immer fester im Streit gegen den kranken Willen des verderbten Fleisches, standhaft und immer standhafter in der Verleugnung eurer selbst und der Welt. Wollet ihr Abrahams Kinder sein, dann thut auch Abrahams Werke! (Joh. 8, 39.)

Werdet ihr auf versuchende Proben gestellt - o ihr Geschäftsleute, der kleinen Versuchungen im täglichen Verkehr ist eine ungeheure Zahl, und grade die kleinen Verleitungen zu einer unbilligen Uebervortheilung, zu einer ungerechten Verkürzung sind fast die gefährlichsten, achtet das Kleine nicht gering, seid auch im Kleinsten treu, wie Abraham, wachet über euch selbst!

Werdet ihr zu übler Laune, zum grämenden Aerger über eine erlittene Kränkung, zur Wiedervergeltung des Bösen mit Bösem gereizt - o ihr Ehegatten! ihr könnet euch dadurch selbst euer Eheglück zerstören, euer Zusammenleben verbittern; hütet euch davor, lernet von Isaac das schweigende Dulden!

Ward ein Isaacs-Opfer von euch gefordert - o ihr Mütter! euer weinend Auge ruhte mit unendlichem Schmerz auf den, auch noch im Tode so lieblichen Zügen eures erblaßten Kindes, habt ihr da, wenn auch unter Thränen sprechen können: Der Herr hats gegeben, der Herr hats genommen, der Name des Herrn sei gelobet!?

Müßt ihr schwer an den Bürden des Lebens tragen - o ihr Beladenen! sorget nur nicht so angstvoll, sondern werfet alle eure Sorgen auf den Herrn mit diesem: Der Herr wird's versehen!

Wen soll ich noch weiter anreden? Ich bitte euch alle. Ich möchte euch allen einen Segen mitgeben aus dieser Betrachtung. Ich rufe euch zu: seid, wie Abraham ergeben in Gott, treu im Gehorsam, stark im Glauben, fest in der Liebe, sieghaft im Vertrauen, geduldig in Trübsal, fröhlich in Hoffnung, haltet an im Gebet, immer den Blick auf Morija gerichtet! Amen.

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