Heliand - 11 - Die Flucht nach Ägypten

Heliand - 11 - Die Flucht nach Ägypten

Nun war des Waltenden
Gottes Engel zu Joseph gekommen
und sagt' ihm im Schlummer, im Schlafe bei Nacht,
der Bote des Herrn, das Gottes Gebornen
der arggesinnte König aufsuchen wolle,
ihn umzubringen. „Nun sollst du ihn in Ägyptens
Land entleiten, und unter den Leuten dort
mit dem Gotteskinde und der guten Jungfrau
weilen und wohnen, bis das Wort dir kommt
Gott des Herren, daß du das heilige Kind
zu diesen Landen wieder leiten dürftest,
deinen Gebieter!“ Alsbald aus dem Traum fuhr
Joseph im Gastsaal, und Gottes Gebot
sofort erkennend, beschickt' er die Fahrt,
der Junggesell mit der Jungfrau, ein ander Volk jenseits
der breiten Berge suchend, den Gebornen Gottes
den Feinden zu entführen.

Da erfuhr hierauf
Herodes, der König, in seinem Reiche dort,
die Weisen wären schon von Westen heimgekehrt,
zu ihrem östlichen Erbe andern Wegs gefahren.
So wußte er nun wohl, sie wollten ihm die Kunde
an seinem Sitz nicht sagen. Da sorgt' ihm die Seele,
im mürrischen Mute meint' er, sie täten es,
die Helden, ihm zum Hohne. Harmvoll saß er so,
erbost er in der Brust, und sprach, er müsse bessern Rat
hierüber erdenken: „Da ich sein Alter kenne,
weiß seiner Winter Zahl, so gewinn' ich es leicht,
daß er nicht alt wird auf dieser Erde,
hier unter dieser Herrschaft.“

Da erließ ein hart' Gebot
Herodes über sein Reich. Seine Recken hieß er fahren,
der König des Landes, daß sie der Kinder so viel
durch ihrer Hände Kraft des Hauptes beraubten,
als in der Burg zu Bethlehem geboren worden
und erzogen in zweien Jahren. Nicht zögerte mit der Bluttat
des Königs Gesinde. Da sollte manch kindischer Mann
sündenlos sterben. Nie sah man spät noch früh
so jämmerlichen Untergang des jungen Volks,
so klägliches Würgen. Da wehklagten die Frauen:
Ihre Säuglinge sahen die Mütter spießen
und hatten keine Hilfe, ob mit den Händen beiden
sie auch ihr eigen Kind, mit den Armen umfingen
den lieben kleinen Liebling, doch ließ er das Leben,
der Sohn vor der Mutter. Die Schandtat scheuten nicht
die Schergen, noch die Strafe. Mit der Schärfe der Waffen
vollführten sie den Frevel. So fielen vor ihnen
junger Männer in Menge. Die Mütter jammerten
um der Kinder Qual. Klage war in Bethlehem,
hallendes Heulen. Ob man ihre Herzen entzwei
schnitte mit den Schwerte, ihnen möchte solcher Schmerz
in dieser Welt nicht werden, den Weibern allzumal,
den Frauen zu Bethlehem, da sie vor sich die Söhne,
die kindjungen, sahen in Qualen verscheiden
blutig an ihrer Brust. Die Bluthunde mordeten
die unschuldige Schar, und scheuten mitnichten,
die Männer, vor Meintat, wollten den Mächtigen selbst,
den Christ, zu Tode quälen.

Doch die Kraft Gottes hatt' ihn
nun der Wut schon entnommen, da nachts hindann
ihn die Männer geleiteten nach dem Land der Ägypter,
die guten mit Joseph zu der grünen Au,
der edelsten Erde, wo eine Ache fließt,
der mächtige Nilstrom nordwärts zur See,
der schönste der Flüsse, wo das Friedenskind Gottes
nun willig wohnte, bis das Geschick hinwegnahm
den König Herodes, daß er die Kinder der Welt ließ,
der Männer Traum. Da sollte der Mark Gewalt
sein Erbwart haben, Archelaus geheißen,
und der Helmträger Herzog sein,
um Jerusalem künftig des Judenvolkes
als König walten.

Da war das Wort gekommen
dort in Ägypten zu dem edlen Manne,
das der Engel Gottes zu Joseph sprach,
der Herold des Herrn. Er hieß ihn das Kind
heimleiten zu Lande: „Dies Licht verließ nun
Herodes, der König, der es wegräumen wollte,
sein Leben gefährden. In Frieden geleite nun
das Kind zu den Euern, da der König starb,
der übermüt'ge Fürst.“ All erkannte da Joseph
die Gotteszeichen und verzog nicht lange,
der Degen mit der Jungfrau, da sie von dannen wollten
mit dem heiligen Kinde, dem Ratschluß gehorchend
und des Waltenden Willen, wie sein Wort ihm gebot.

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