Heliand - 56 - Judas, der Verräther.

Heliand - 56 - Judas, der Verräther.

Die Gesellen Christs
Erwachten bei den Worten: da gewahrten sie Volk
Den Berg hinauf ziehn in brausendem Schwarm,
Wüthige Waffenknechte. Judas wies den Weg,
Der grimmgesinnte; die Juden drangen nach
In feindlicher Volksschar. Sie trugen Feuer bei sich
In Lichtgefäßen flammend, und führten Fackeln
Brennend aus der Burg, da sie den Berg hinauf
Stiegen zum Streit. Die Stätte wuste Judas
Wohin er die Leute geleiten sollte;
Dazu noch zum Zeichen, eh sie zogen, sagt' er
Dem Volk zum Voraus, daß die Knechte nicht fiengen
Einen Andern aus Irrthum: „Ich gehe zuerst zu ihm
Und küss ihn kosend: das ist Christ selber dann,
Den ihr fahen sollt mit Volkskraft
Auf dem Berg, und binden und zur Burg ihn von hinnen
Geleiten vor die Leute. Er hat sein Leben
Verwirkt durch seine Worte.“ Die Gewaffneten eilten
Bis sie zu Christo gekommen waren,
Die grimmigen Juden, wo er mit den Jüngern stand,
Der mächtige Herr, des Gottesschickung harrend,
Der entscheidenden Zeit. Da schritt ihm der treulose
Judas entgegen, vor dem Gotteskinde
Mit dem Haupt sich neigend und seinen Herren grüßen,
Küsste den Kräftigen mit diesem Kuss
Ihn den Gewaffneten weisend, wie sein Wort verheißen.
Das trug in Geduld der theure Herr,
Der Walter dieser Welt; doch wandt er das Wort an ihn
Und fragt' ihn frank: „Was kommst du mit diesem Volk,
Leitest die Leute her? Du hast mich den leidigen
Verkauft mit deinem Kusse, den Kindern der Juden,
Verrathen dieser Rotte.“ Dann rief er die Männer an,
Die andern Gewaffneten, und fragte, Wen sie
Mit solchem Gesinde zu suchen kämen
Bei Nacht und Nebel, als gedächten sie Noth
Irgend wem zu schaffen. Da sprach die Waffenschar,
Man habe den Heiland auf der Höhe des Berges
Ihnen angezeigt, der da Zwietracht stifte
Unter den Judenleuten und sich Gottes Sohn
Selber heiße: „Den kommen wir suchen,
Und griffen ihn gerne. Von Galiläaland ist er,
Von Nazarethburg.“

Als nun der Nothhelfer Christ
Ohne Säumen sagte, er selber sei es,
Da ward von Furcht befallen das Volk der Juden,
So eingeschüchtert, daß sie hinunter liefen,
Eilends die ebene Erde zu suchen.
Die Gewaffneten wusten dem Worte Gottes nicht,
Seiner Stimme zu stehen, ob streitbare Männer.
Doch wieder aufwärts stiegen sie, stärkten ihr Herz,
Faßten frischen Muth und voller Bosheit
Giengen sie hastig näher bis sie den Nothhelfer Christ
Mit Waffengewalt umgaben. Die weisen Männer standen
In großem Kummer, die Jünger Christs,
Umher bei der heillosen That und riefen dem Herren zu:
„Wär es dein Wille nun, waltender Fürst,
Daß sie an der Speere Spitzen uns spießen sollten,
Mit Waffen verwunden, dann wär uns nichts so gut
Als standhaft im Streit für den Herrn zu sterben,
Im Kampf zu erbleichen.“ Da erboste sich
Der schnelle Schwertdegen Simon Petrus:
Ihm wallte wild der Muth, kein Wort mocht er sprechen,
So härmt' es ihn im Herzen als sie den Herrn ihm da
Zu greifen begehrten. Ingrimmig gieng
Der dreiste Degen vor den Dienstherrn stehn,
Hart vor seinen Herren. Sein Herz war entschieden,
Nicht blöd in der Brust. Blitzschnell zog er
Das Schwert von der Seite und schlug und traf
Den vordersten Feind mit voller Kraft;
Davon Malchus ward durch des Meßers Schärfe
An der rechten Seite mit dem Schwert gezeichnet,
Am Gehör verhauen: das Haupt war ihm wund,
Daß ihm waffenblutig Backen und Ohr
Borst im Gebein und das Blut nachsprang
Aus der Wunde wallend. Als die Wange schartig war
Dem vordersten Feinde, wich das Volk zurück,
Den Schwertbiß scheuend.

Da sprach der Sohn des Herrn
Zu Simon Petrus: „Dein Schwert stecke,
Das scharfe, in die Scheide. Wollt ich vor dieser Schar
Wider Gewaffnete mit Waffen kämpfen,
Dann möcht ich den mächtigen Gott wohl mahnen,
Den heiligen Vater im Himmelreiche,
Daß er so manchen Engel von oben sendete,
Des Kampf so kundigen, es könnten diese Männer
Sie im Streit nicht bestehn: stünde des Volks auch hier
Noch so mächtige Menge, doch möcht ihr Leben
Bewahrt nicht werden. Aber der waltende Gott
Hat es anders geordnet, der allmächtige Vater:
Wir sollen Alles dulden was dieses Volk uns
Bitteres bringt. Wir sollen uns nicht erbosen,
Nicht wider sie wehren, denn wer da Waffenstreit,
Grimmen Gerkampf gerne üben mag,
Der soll von des Schwertes Schärfen umkommen,
Traurigen Tod sterben. Unser Thun soll
Dem Waltenden nicht wehren.“

Da gieng er zu dem Wunden,
Leitete Leib zu Leibe weise
An seines Hauptes Wunde, daß heil sofort war
Des Schwertes Biß. Dann sprach der Geborne Gottes
Zu der wüthigen Waffenschar: „Wunder nimmt mich,
Wenn euch gelüstete mir Leides zu thun,
Was fiengt ihr mich nicht früher, wenn ich unter dem Volk
Im Weihthum war und manch wahres Wort
Den Sinnigen sagte? Da schien die Sonne,
Das theure Tageslicht: doch thatet ihr mir nie
Ein Leib bei dem Lichte. Und nun leitet ihr die Leute
In düstrer Nacht zu mir, wie man dem Diebe thut,
Den man fahen will, weil er verfallen ist
Dem Tod, der Uebelthäter.“

Der Tross der Juden
Griff da den Gottessohn, die grimme Rotte,
Der haßvolle Haufen. Hart umdrängten ihn
Scharen schonungslos: sie scheuten die Meinthat nicht.
Sie hefteten die Hände ihm mit harten Banden,
Die Arme mit Armschellen. Ihm war solche Angstqual
Nicht zu dulden Noth, nicht ertragen
Must er solche Marter: für die Menschen that ers,
Erlösen wollt er der Leute Kinder,
aus der Hölle heben in das Himmelreich,
In das weite Wohl. Darum wehrt' er nicht ab
Was ihr arger Wille ihm anthun wollte.
Da ward gar verwegen die jüdische Waffenschar,
Gar hochmüthig der Haufen, daß sie den heiligen Christ
In Gliederbanden leiten durften,
Gefeßelt führen.

Die Feinde eilten nun
Von dem Berge zur Burg. Der Geborne Gottes
Gieng unter der Heerschar die Hände gebunden
Betrübt zu Thal. Ihm waren die theuern
Freunde geflohen wie er früher gesagt.
Blöde Furcht wars nicht bloß, daß sie den Gebornen Gottes,
Den lieben, verließen: lange zuvor schon wars
Der Wahrsager Wort, daß es so werden würde:
Drum mochten sies nicht meiden. Hinter der Menge
Giengen Johannes und Petrus: die guten beide
Folgten von ferne, zu erfahren begierig
Was die grimmen Juden dem Gotteskinde wollten,
Ihrem Herren anthun.

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