Harms, Claus - Am einundzwanzigsten Sonntag nach Trinitatis - 1845

Harms, Claus - Am einundzwanzigsten Sonntag nach Trinitatis - 1845

Ges. 516. Ich weiß, an wen mein Herz sich hält.

Zur Zeit des Vergangs in der äußerlichen Schöpfung - das Gras verdorret, die Blumen fallen ab, die Vögel sind mehrentheils verstummt, und so viel Leben, das sich ein halbes Jahr wies, hat sich verborgen - zu dieser Zeit ist es an der Zeit, durch ein Wort sich auf den allgemeinen Vergang hinzeigen zu lassen: Der Erde glänzend Nichts vergeht. Allein zu derselben Zeit ist es auch die rechte Zeit, sich hinzeigen zu lassen auf ein Bleibendes, Bestehendes, wie der Gesang gethan: Nur des Gerechten Ruhm besteht in allen Ewigkeiten. Fügen wir ein Schriftwort daran, 1. Joh. 2: Die Welt vergeht mit ihrer Lust, wer aber den Willen Gottes thut, der bleibet in Ewigkeit. Die Schrift steht uns Rede; wir fragen sie: Was ist Gottes Wille? Da antwortet sie, Joh. 6, 40: Das ist der Wille des, der mich gesandt hat, daß wer den Sohn siehet und glaubt an ihn habe das ewige Leben, und ich werde ihn auferwecken am jüngsten Tage.

Der alsdann alle Todten auferweckt, hat auch, als er sichtbar auf Erden ging, den einen und andern Todten zum leiblichen Leben auferweckt. Eine evangelische Erzählung einer solchen That ist nach unserer Ordnung dieses Jahr der heutige Text und soll die Predigt werden. Zwar ein Wunder ist ein Wunder, und es genau nehmend, können wir nicht von einem großen und kleinen Wunder sprechen; jedoch eines erscheint uns vor dem andern so; gleichwie auch eines mehr als ein anderes den Zweifel zurückweist, ob es wirklich ein geschehenes Wunder sei. So betrachtet, steht die Auferweckung des Lazarus, wir verstatten uns den Ausdruck, unter allen Wunderthaten Christi obenan. Es wird der christlichen Versammlung angenehm sein, wie's mir angenehm ist, daß diese Erzählung, die kein Sonntagsevangelium geworden ist, uns einmal als Predigttext geboten ist. Hört sie nach ihrem zweiten, letzten Theile verlesen; der erste Theil wird von euch gelesen werden daheim in euren Häusern.

Joh. 11, 32-46. Als nun Maria kam, da Jesus war, und sah ihn, fiel sie zu seinen Füßen, und sprach zu ihm: Herr, wärest du hier gewesen, mein Bruder wäre nicht gestorben. Als Jesus sie sahe weinen, und die Juden auch weinen, die mit ihr kamen; ergrimmete er im Geist, und betrübte sich selbst, und sprach: Wo habt ihr ihn hingelegt? Sie sprachen zu ihm: Herr, komm und siehe es. Und Jesu gingen die Augen über. Da sprachen die Juden: Siehe, wie hat er ihn so lieb gehabt! Etliche aber unter ihnen sprachen: Konnte, der dem Blinden die Augen aufgethan hat, nicht verschaffen, daß auch dieser nicht stürbe? Jesus aber ergrimmete abermal in ihm selbst, und kam zum Grabe. Es war aber eine Kluft, und ein Stein darauf gelegt. Jesus sprach: Hebet den Stein ab. Spricht zu ihm Martha, die Schwester des Verstorbenen: Herr, er stinket schon; denn er ist vier Tage gelegen. Jesus spricht zu ihr: Habe ich dir nicht gesagt, so du glauben würdest, du solltest die Herrlichkeit Gottes sehen? Da hoben sie den Stein ab, da der Verstorbene lag. Jesus aber hob seine Augen empor, und sprach: Vater, ich danke dir, daß du mich erhöret hast; doch Ich weiß, daß du mich allezeit hörest; sondern um des Volkes willen, daß umher stehet, sage ich es, daß sie glauben, Du habest mich gesandt. Da er das gesagt hatte, rief er mit lauter Stimme: Lazare, komm heraus! Und der Verstorbene kam heraus, gebunden mit Grabtüchern, an Füßen und Händen, und sein Angesicht verhüllet mit einem Schweißtuch. Jesus spricht zu ihnen: Löset ihn auf, und laßt ihn gehen. Viele nun der Juden, die zu Maria gekommen waren, und sahen, was Jesus that, glaubten an ihn. Etliche aber von ihnen gingen hin zu den Pharisäern, und sagten ihnen, was Jesus gethan hatte.

Es ist euch, liebe Zuhörer, dann und wann gesagt worden, wie ein Prediger zu Werke gehe mit dem Text, der es am nächsten Sonntage sein soll. Er sitzt darüber und sinnet, thut auch wohl mehr und überlegt, ob der Text nach seiner Länge oder nur ein Stück von ihm, ein Satz aus ihm zu nehmen sei. Wenn Letzteres, welcher? So ist es mit dem verlesenen Evangelium mir gegangen die vorige Woche. Christus spricht zu Martha: So du glauben würdest, solltest du die Herrlichkeit Gottes sehen. Das zog mich zuerst an. Darnach der Ruf Christi: Lazare, komm' heraus! Darnach, und was mich festgehalten hat, Christi Wort: Hebet den Stein ab. Wir wenden es geistlich heute; wie ja Bibel und Gesangbuch und die Sprache der Erbauung vielfach die geistliche Auferstehung vorkommen lassen.

Dieses Wort ist also das Thema: Hebet den Stein ab.

Sei auch die Predigt das; in diesem Wege:

  1. Was ist er?
  2. Wovor liegt er?
  3. Wie wird er angefaßt?

1.

Jesus hätte auch wohl selbst den Stein abheben können. Der einen Todten erwecken kann mit seinem Worte, kann auch einen Stein fortschaffen mit seinem kleinen Finger oder mit einem Worte. Aber was Menschen thun können mit ihrer Macht, dazu bedient er sich nicht der Wunderkräfte; den Stein läßt er durch Menschen aufheben. Sei das eine gegebene Weisung, wie wir auch sollen etwas thun, bevor ein Gottesthun eintritt. Zuerst müssen wir den Stein abheben, was für einer es auch sei, darnach mögen wir erwarten, was durch eine höhere Gottesmacht geschiehet. Es sind aber dreierlei Steine, die wir abheben und bei Seite schaffen sollen.

a.

Es ist der Stein des eignen Anders- und Besserwissens. Wovon wir reden heute wie allezeit, welches uns auch zu reden gegeben worden - nennen wir es Evangelium oder Gesetz, dazu die Gotteszeichen, mit welchen das eine wie das andre sich eingeführt hat auf der Erde, welches sich auch in Kraft dieser Zeichen und ihrer Zeugnisse erhält - das ist der Weg der Offenbarung, gegangen mit dem Erfordern an uns Menschen: Glaubet es. Was stellet sich diesem entgegen, wehret den Eingang und, wenn tiefer zurück in des Menschen Herzen ein Glaubenwollen und Glaubenmögen vorhanden ist, was hindert das Aufkommen und Heraustreten zu einem öffentlichen Bekenntnisse? Der Stein davor ist das Selbstwissen, das eigne Anders- und Besserwissen. So hat es im allerersten Anfang sich gezeigt bei dem Gottesgebote: „Von dem Baum sollt ihr nicht essen; denn welches Tages ihr davon esset, sollt ihr des Todes sterben.“ Eva meinte es anders und gab der Schlange Beifall, welche sprach: Ihr werdet mit nichten des Todes sterben; sondern Gott weiß, wenn ihr esset von dem Baum, so werden eure Augen aufgethan und werdet wie Gott sein. So gehet es bis auf den heutigen Tag, so weit auf der Erde Gottes Wort gehet und das Licht der Offenbarung vorgetragen wird. Hiervon kann vornehmlich unsre Zeit sprechen und kann auch unsre Gemeinde ein Lied singen, den Meisten von uns hier, wo nicht Allen, bekannt. Ich möchte wissen, welche Predigt, welches Maaßes sie geoffenbarte Gotteslehre enthalt, eine allgemeine Zustimmung unter den Hörern fände; ihrer Einige wissen es immer anders und besser. Das ist der Stein, von welchem ich sage, daß er abzuheben, bei Seite zu schaffen ist.

b.

Ist's dieser nicht, so ist's ein anderer, den wir nennen den Stein der eignen Gerechtigkeit. Das Selbstwissen, das Anders- und Besserwissen hat Theil daran, doch ist die eigne Gerechtigkeit auch ein Besonderes, Selbstständiges, etwas für sich. Ihre Sprache ist das: Wir wissen selbst, was wir brauchen, und wenn wir nicht gerecht sind, können wir's in eigner Kraft noch werden. Wozu das Fremde, daß wir dasselbe uns zu eigen machen und unsre Natürlichkeit damit zu Grunde richten? Der Mensch ist gut geschaffen und ist gut geblieben, und was daran fehlt, das holt er herbei, wo ein Flecken an ihm ist, den wascht er ab. Was soll uns ein Evangelium, das Gnade anbeut? und ein Christus, der uns bei Gott vertritt? Wir hören von ihm, daß er Wunder gethan; dem ist aber nicht so, wir wissen es besser; man preiset seinen Tod als ein Opfer, als ein Schuldopfer, für uns gebracht: das mag Gott annehmen, wir nicht; aber Gott nimmt es auch nicht an; wir haben heute mitgesungen: Des Gerechten Ruhm besteht; - gerecht ist, wer sich selbst gerecht macht, wer da thut, was er kann nach Maaß seiner Erkenntniß und Kraft; was etwa fehlt, wenn des etwas sein kann, das muß Gott verzeihn. - Das ist der andere Stein.

c.

Der eine, der andere, der dritte Stein, meistens sind sie beieinander, in einander gefügt, auf einander gelegt. Den dritten nenne ich: die Gemeinschaft. Das war ehedem nicht so. Allerdings hat es Ungläubige gegeben, so lang' es Propheten und Apostel gegeben hat; aber sie waren unter den Gläubigen zerstreut, hier einer und da einer, aber zu einer Gemeinschaft, zu einer Art von Gemeinschaft sind sie erst in diesen letzten Jahren gekommen. Sie stellen sich zu Hunderten, zu Tausenden zusammen, stiften Vereine, entwerfen Statuten, schreiben und unterschreiben neue Bekenntnisse, reichen sich die Hände aus Entfernungen, halten Zusammenkünfte. Das zieht, das lockt, das bindet und Einer lehnet sich an den Andern an. Diese Alle werden ja doch nicht irren, wenn du auch irrtest; unter ihnen sind Männer von Wissenschaft und Ansehn in der Welt, die werden es ja verstehen, wenn ich es nicht verstände und werden meine Beistände sein, wenn jemand mich wegen meiner Abweichungen antasten will. So Ein Caiphas, der sich ja auch nach Lazari Erweckung vernehmen ließ, der gilt für Viele als der Mund der Wahrheit. Das ist der Stein der Gemeinschaft, welcher abgehoben werden muß, und auf den wir des Herrn Wort kehren, wenn er spricht: Hebet den Stein ab.

2.

Wovor derselbige lieget?

a.

Nun, nach dem Text gesprochen, vor dem Grabe, nicht vor einem leeren Grabe, es ist etwas darin, ein Todter; unsern Text geistlich gedeutet, liegt er vor dem Grabe, darin der christliche Glaube todt lieget. Reden wir ganz bestimmt. Es wird der Glaube gemeint, daß Christus der Sohn Gottes, der eingeborne Sohn Gottes sei. Dies ist nicht etwa von den mehrern Glaubenssätzen einer, sondern ist der Inbegriff aller; die ganze christliche Religion steht und besteht darin. Ob dieser Glaube denn gestorben sei und im Grabe liege? Wir sagen l Ja, bei Vielen; und ist so todt, wie es Lazarus war. Sie haben ihn gehabt, die Meisten, in einer früheren Zeit, als ihr damaliges Fürwahrhalten, vielleicht als noch etwas mehr; aber er ward krank an der Zweifelsucht und starb und wurde begraben. Da liegt er nun und verwest bei den Mythen und Fabeln des heidnischen Alterthums. Wenn von ihm geredet wird unter ihnen, so ist's als von einem Gestorbenen, und wenn sie hören, zu Zeiten hören müssen, daß der Glaube noch lebe, achten sie's für Schwärmerei, Phantasie, dem Gespensterglauben gleich. Christen, so ist es, der Glaube ist todt. Sie haben eine Kluft in sich, und es liegt ein Stein davor. Aber wir sprechen von Stein und Grab hier, unter mehrentheils, acht' ich, Gläubigen. Hat er sein Leben in uns denn? recht das volle, frische freudige Leben in uns, wenn auch des Maaßes nicht, doch bis an das Paulusmaaß hinan, Gal. 2, 24: Ich lebe, doch nun nicht ich, sondern Christus lebet in mir; denn was ich lebe im Fleisch, das lebe ich in dem Glauben des eingebornen Sohnes Gottes, der mich geliebet hat und sich selbst für mich dargegeben, - er sich für mich, ich mich wieder an ihn, - steht es mit unserm Glauben so? Ach, daran mag bei uns Allen noch viel fehlen! Soviel aber daran fehlt, ist unser Glaube krank oder gar todt, wie Lazarus im Grabe.

b.

Und nicht allein hat dieser Glaube, da er lebt, innerhalb der gläubigen Seele sein Leben, obschon er seine eigentliche Stätte da hat, in Trost, Frieden und manchmal Freude. Er hat sein Ausleuchten, Ausstrahlen, und giebt sich kund, wir nennen es, in einen christlichen Wandel. Wie um den es bei uns Gläubigen stehet? O Manche, das weiß ich und mir selbst auch ist die Sache nicht fremd, betrüben sich darüber, daß ihr christlicher Glaube sich so schwach und so wenig in einem christlichen Wandel zeigt. Andre, die keinen Christum haben, einen Gott kaum, arbeiten so viel, dienen so viel, tragen und ertragen so viel, geben und vergeben so viel, und sind in ihren Leiden so ruhig, geduldig, ergeben, als der Gläubigsten einer ist. In welcher Kraft thun sie das? Wir wollen es dahin gestellt sein lassen und sagen: Was diese treibet, das wissen wir nicht; - allein es hilft nicht, die Vorstellung kommt wieder: Sie ohne Christum so gut, wir mit Christum so schlecht! Was ist dieses? Das ist's, daß der Glaub' in uns so sehr todt ist, und bei uns als im Grabe lieget. Ach, würd' er geweckt! Und den Stein vor dem Grabe, wer hebt ihn ab?

c.

Wovor lieget der Stein? Vor dem christlichen Glauben, vor dem christlichen Wandel und - vor dem christlichen Sterben. Ob das ein besonderes Sterben sei? Allerdings, ein ganz besonderes. Nicht um der Ruhe und Kaltblütigkeit willen, in welcher man stirbt, das kann jeder Mensch, und die an keine Fortdauer nach dem Tode glauben, können es noch leichter, als die eines künftigen Lebens gewiß sind, - die Rede von den Todesschrecken, wie man sie ehedem führte, muß zu unserer Zeit gemäßigt werden, man geht in's Grab, wie in sein Bett. Aber das wird gemeint unter einem christlichen Sterben: Gewiß sein von einem künftigen Leben, gewiß sein von zwei Orten in der Ewigkeit, die dahin, die dorthin, sich einen Sünder wissen, der auf Tausend nicht Eins antworten kann, und doch ruhig, doch getrost sein, und kennen den Grund des Trostes, der Ruhe, wie der fest sei; selbst Lust haben, nicht um der Schmerzen entledigt zu werden, sondern die Lust haben, abzuscheiden und bei Christo, um bei Christo zu sein, das nenn' ich ein christliches Sterben. Ob man es finde bei den Gläubigen? Bei Allen nicht. Ob man es finden werde bei uns, wenn wir in unsern letzten Zügen liegen? Wer sagt: bei mir gewiß so? Ach, daß wir nicht Alle so sagen, das nenn' ich Tod, geistlichen Tod, darin bei uns der Glaube liegt als im Grabe und ist ein Stein davor.

3.

Hebet den Stein ab! spricht Christus, da er den Todten erwecken will. Ja, das will er thun, wie er es hier bei Lazarus that; allein den Stein ließ er von Menschenhänden bei Seite schaffen, darnach erst rief er: Lazare, komm heraus! Sehet da, meine Lieben, was uns zugewiesen ist als unser Thun. Wie wird aber der Stein angefaßt? Drittens. Was immer auch geschrieben steht von unserm geistlichen Unvermögen, dies steht auch geschrieben: Hebet den Stein ab! Was immer gelehret wird, daß Christus alles thue, dies ist auch zu lehren: Hebet den Stein ab! Seine göttliche Macht fordert unsre menschliche Vorbereitung, Zurichtung, so zu sprechen, Handlangung. Nicht, als wenn der Wunderthäter nicht auch selbst das beschaffen könnte, wir kennen einen andern Stein vor einem Grabe, den wälzte keine Menschenhand ab. So wissen wir auch von der Wunderthat zu Cana, das Wasser machte er zu Wein, aber das Wasser ließ er von den Dienern schöpfen. So hier, den Todten weckt er auf, aber den Stein vor dem Grabe läßt er abheben, er hat's nicht gewollt, sondern uns zugewiesen, daß wir es thun. Wie? Hört mich antworten: mit leeren Händen, mit betenden Händen, mit vereinten Händen. Laßt mich noch von jedem Genannten besonders sprechen.

a.

Mit leeren Händen. Wie sich's ja auch von selbst versteht. Die auch, welche dort den Stein abhuben, mußten den Stock wegsetzen oder was sie sonst in der Hand hielten, um den Stein anzufassen. Leere Hände, sie bedeuten die Selbstverleugnung. Wissen wir wohl, daß Christus diese so oft gefordert hat? Wer mein Jünger sein will, der verleugne sich selbst. So sollen wir alles Anders- und Besserwissen aufgeben mit dem Vorsatz: Ich will einmal einen Andern hören, als immer mich selber, will einmal mich abwenden von denen, die nicht mehr wissen, als ich selber weiß; da ich höre, daß Gott spricht, will ich mich wenden und was in meine Seel' als ein Strahl aus der höhern Welt fällt, das will ich auffangen. Ich will einmal meine Gerechtigkeit ausziehen, von der geschrieben steht, - lasse mich es sagen, wo es steht, du weißt es wohl nicht, - Jes. 64: Unsre Gerechtigkeit ist ein unfläthig Kleid. Nimm dazu Br. Judä V. 23: Hasset den befleckten Rock des Fleisches. - Nun, ich will diesen Rock und dieses Kleid einmal ausziehn. Mit leeren Händen. In deiner Hand liegt die eines Andern, und ihr bildet eine Kette zu eures Unglaubens Befestigung. Laß los, tritt aus diesem Kreis heraus und stehe allein für dich, sag' ihnen: Was hab' ich von euch? Denn ihr habt so wenig einen Glauben an Gott, wie ich ihn habe, und keine Erwartung, daß ihr die Herrlichkeit Gottes zu sehen bekommt, wie ich keine habe; ich isolire mich, ob denn nicht in meine Seele ein neues, göttliches Leben einströmt. So wird der Stein angefaßt, mit Selbstverleugnung.

b.

Und ferner mit Gebet oder mit betenden Händen. Dem Wunderthäter war es leichter, den Todten aus dem Grabe zu rufen, als es den Leuten war, den Stein abzuheben, doch betete er. Ich enthalte mich nicht des Nachsprechens: Jesus aber hub seine Augen empor und sprach: Vater, ich danke dir, daß du mich erhöret hast; doch ich weiß, daß du mich allezeit hörest, sondern um des Volkes willen, das umher stehet, sage ich's, daß sie glauben, du habest mich gesandt. Dann sprach er mit lauter Stimme: Lazare, komm' heraus! - und Lazarus kam. Wir sollen nur den Stein abheben; legen wir betende Hände daran und beten ihn von seiner Stelle. Doch das wird gesagt von mir nicht sowohl zu den hier etwa stehenden Ungläubigen, sondern zu uns, die wir glauben, nur so todt, - das ist ja wohl unser Aller Geständniß -: Laßt uns betende Hände daran setzen. Liegt denn etwas unter, hinter dem Stein? O gewiß, gewiß, ein Freund Christi, den er lieb gehabt. Wie Mancher weiß von einer Zeit, da der lebte in seinem Herzen und nun ist dieses Herz sein Grab. Hilf, Herr, ruf ihn auf, und wenn ich auch nicht einmal den Stein davor wegzunehmen vermag, so hilf mir auch bei diesem.

c.

Da huben sie den Stein ab. Sie, ihrer Mehrere zugleich. Eben sagte ich vom Losreißen ans einer Gemeinschaft, jetzt empfehl' ich eine Gemeinschaft. Verstanden wird die, da sich ein Jeder todt weiß und möchte gern auferweckt werden, wissen von dem Stein davor und können den nicht abheben. So faßt selbander, selbdritt, kommt eine Zahl zusammen und lege Hand an, vereinigte Hand. Wo finden sich ihrer beieinander: Ich will kühn sprechen: Hier! Eine Gemeinschaft wie diese kann doch wohl etwas ausrichten. Sucht sie öfter. Findet euch Alle darin. Achtet es keine Redekünstelei, wenn ich saget Gewiß, ihr findet euch in Gemeinschaft derer, die Alle wollen, was Einer will: den Stein abheben. Laßt die Augen gehen, sie kommen auf den und die, welche den ernsten Vorsatz den Stein abheben wollen, und ihr sehet's ihnen an. Der auch? Die auch? Ja, der auch, die auch ist im Augenblick bei dem Stein und spricht: Wenn mir Jemand hülfe! Wir helfen dir. Der Stein soll fort. Wir lieben dich, wie Jesus Lazarum lieb hatte und ließ ihn nicht im Grabe. Dort ging alles sichtbar zu; ach, daß man sehen könnte, was in manchen heiligen Stunden, vielleicht auch in der heutigen und in diesem Augenblicke in der Seele unsichtbar vorgeht, Abhebung des Steins, Auferweckung und ein Hervorgehn des Todten: Herr Jesu, du Sohn Gottes, zeige die Herrlichkeit Gottes in dem einen und in dem andern Werke. Lege deine allmächtige Hand auch an den Stein. Amen.

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