Harms, Claus - Am ersten Sonntag nach Trinitatis 1833.

Harms, Claus - Am ersten Sonntag nach Trinitatis 1833.

Gesang 660. Habe deine Lust am Herrn!

Bei dem Herrn ist Freud' und Leben;
Und er wird (denn er giebt gern)
Dir auch, was dir dienet, geben.
Seine Liebe beut dir an,
Was dein Herz nur wünschen kann.

Diese Lust am Herrn, davon der Gesang sagt, zu wecken, wo sie schlummert, und wo sie noch nimmer vorhanden gewesen wäre, sie daselbst hervorzubringen, wo sie aber in guter Regsamkeit vorhanden ist, in der Seele zu erhalten, und zu erhöhn durch heilige Befriedigungen; das zu thun ist von den Absichten unsrer Gottesdienste eine, und ist lange die letzte nicht. Möchte diese Absicht erreicht werden bei Allen; wo nicht bei Allen, bei Vielen doch, bei Einigen, bei Diesem und Jenem; wenigstens aber möchte ich, daß doch Eine Seele, wenn auch nicht mehr, mit geweckter und befriedigter Lust an Gott allemal den Gottesdienst verließe. Diese Lust ist unser Leben, ist unser rechtes Leben. Insonderheit soll unter den mehreren Theilen des öffentlichen Gottesdienstes die Predigt es sein, welche sich die Erweckung und Befriedigung dieser Lust zu ihrem Ziel setzet, zu ihrem Geschäfte macht. Sie nimmt oder ihr wird gegeben ein Wort Gottes; das soll sie dazu brauchen; damit soll sie ihren Weg gehen zu den Herzen der Hörer, und aus solcher Blume ein ganzes Blumenbeet machen, wenn sie es kann. Für den heutigen Sonntag ist der Predigt die Erzählung gegeben vom reichen Mann und dem armen Lazarus. Diese Erzählung, Geschichte oder Gleichniß, was von beiden sie denn sei, läßt uns in das zukünftige Leben blicken und auf die Verbindung zwischen diesem gegenwärtigen und jenem zukünftigen Leben. Das thut auch - es werde zuvor bemerkt - das Evangelium, welches wir bei Anfang des Kirchenjahres haben, am zweiten Advent. Nachdem mit dem ersten Advent für die erste Hälfte des Kirchenjahres, und mit dem Sonntag Trinitatis für die zweite Hälfte des Kirchenjahres die Thüren der heilsamen Lehre aufgethan sind, läßt eine alte gute Ordnung der Kirche sogleich beide Male ein Evangelium eintreten, welches die sich um dasselbe versammelnden Hörer über das gegenwärtige Leben wie hinweg in die zukünftige Welt hineinversetzet. Gelte, ihr Lieben, uns das, wofür es gewiß gelten soll, nämlich daß alle Verkündigung, die hier geschieht, ihre Kraft erhält und behält durch die Vorstellung, wie es mit uns werde in jener Welt, wohl oder übel, sehr wohl oder sehr schlimm, durch die Vorstellung von Feuer und Wasser, von Segen und Fluch, von Leben und Tod oder dessen, was noch viel schlimmer als der Tod ist. Dies soll die Hörer locken und schrecken zu aller weitern Rede, auf daß sie die suchen mit Begier und Aufmerksamkeit. Unser heutiges Sonntagsevangelium erträgt wohl, was die Kraft an den Gemüthern betrifft, die Vergleichung mit jenem des zweiten Advents. Ja, von allen fünfzig, sechszig Evangelien des ganzen Kirchenjahres möchte keins so viele Wirksamkeit gewiesen haben zu allen Zeiten, als unser heutiges gewiesen hat, zumal in früherer Zeit; keins mag so viele Gute beim Guten erhalten haben, so viele Böse vom Bösen losgebunden haben, zumal in früherer Zeit. Und ist's jetzt nicht mehr so? Was ist's, da das Evangelium, doch wirklich ganz dasselbe geblieben ist? Die Hörer sind nicht dieselben geblieben; allerlei Urtheil und Red' ist unter ihnen aufgekommen zu unsrer Zeit, was seine Kraft bei Vielen schwächet. Es sei unser Werk in dieser Stunde, dies abzuwehren.

Luc. 16, 19-31. Es war aber ein reicher Mann, der kleidete sich mit Purpur und köstlicher Leinwand, und lebte alle Lage herrlich und in Freuden. Es war aber ein Armer, mit Namen Lazarus, der lag vor seiner Thür voller Schwären, und begehrete sich zu sättigen von den Brosamen, die von des Reichen Tische fielen; doch kamen die Hunde, und leckten ihm seine Schwören. Es begab sich aber, daß der Arme starb, und ward getragen von den Engeln in Abrahams Schooß. Der Reiche aber starb auch, und ward begraben. Als er nun in der Hölle und in der Qual war, hob er seine Augen auf, und sahe Abraham von ferne, und Lazarum in seinem Schooß, rief und sprach: Vater Abraham, erbarme dich meiner, und sende Lazarum, daß er das Aeußerste seines Fingers in's Wasser tauche, und kühle meine Zunge; denn ich leide Pein in dieser Flamme. Abraham aber sprach: Gedenke, Sohn, daß du dein Gutes empfangen hast in deinem Leben, und Lazarus dagegen hat Böses empfangen; nun aber wird er getröstet, und du wirst gepeiniget. Und über das alles ist zwischen uns und euch eine große Kluft befestiget, dich die da wollten von hinnen hinab fahren zu euch, können nicht, und auch nicht von dannen zu uns herüber fahren. Da sprach er: So bitte ich dich, Vater, das du ihn sendest in meines Vaters Haus; denn ich habe noch fünf Brüder, daß er ihnen bezeuge, auf daß sie nicht auch kommen an diesen Ort der Dual. Abraham sprach zu ihm: Sie haben Mosen und die Propheten; laß sie dieselbigen hören. Er aber sprach: Nein, Vater Abraham - sondern wenn einer von den Todten zu ihnen ginge, so würden sie Buße thun. Er sprach zu ihm: Hören sie Mosen und die Propheten nicht, so werden sie auch nicht glauben, ob Jemand von den Todten auferstände.

Ob das verlesene Evangelium in einem Zusammenhange mit den vorhergehenden Worten stehe? Mir will's nicht scheinen; lassen wir das aber dahin gestellt sein, um so mehr, da unser Evangelium eines solchen Lichtes, wie ein nachgewiesener Zusammenhang es geben könnte, wahrlich nicht bedarf; es hieße bei hellem Tage ein Licht anzünden. Es werde denn hingenommen von uns, wie es für sich dasteht, und unsre Predigt darüber sei, heiße:

Eine Abwehr dessen, was die Kraft dieses Evangeliums bei Vielen schwächet. Nämlich was man hört als Urtheil und Rede darüber, davor es seine Kraft nicht zeigen kann, welches ist:

  1. daß die Lehre in so bildlicher Rede gegeben sei,
  2. daß in den Reichthum und in die Armuth eine solche Entscheidung gelegt sei,
  3. daß eine so große und befestigte Kluft gewiesen sei,
  4. daß Lazarus selig geworden sei ohne Christum,
  5. daß aller augenscheinliche Beweisgrund uns verweigert sei.

Was hiemit angegeben ist, davon halte ich, es sei das Vornehmliches, was man wider dies Evangelium redet und damit seine Kraft schwächet. Halten wir's von ihm ab.

1.

Eine bildlose Rede wird begehrt, in solchen wichtigen Dingen - ja wichtig genug ist das ewige Leben und die ewige Verdammniß -; da will man sich der Unbestimmtheit und Vieldeutigkeit der genommenen Bilder nicht anvertrauen, da soll es eigentliche, bestimmte Rede sein. Wir muffen sagen, Bilder sind allerdings hier, können sagen, die ganze Erzählung ist Bild, und was man eigentliche Rede nennt, findet sich kaum darin, sobald es über die Schwelle des gegenwärtigen Erdenlebens tritt. Eine Seele, die getragen wird, die von Engeln, die in Abrahams Schooß getragen wird - das Hinüberblicken, Hinübersprechen über die große Kluft, die Flamme, die heiße Zunge, die Fingerspitze in's Wasser getaucht - sind Alles Bilder, wie zu den Augen gesprochen und durch die Augen gehört. Das ist's aber, wie es Viele nicht wollen und verwerfen einen so gemachten Vortrag; daher denn auch ein so gemachter Vortrag an ihnen seine Kraft nicht hat. Aber so gebe man uns einen Augenblick Gehör, wenn wir in der begehrten bildlosen Rede also sprechen:

Fürs Erste. Christi Worte sind es; der hat in solchen Bildern von den künftigen Dingen gesprochen; der Schöpfer selbst ist's, der das Gehör und die Zunge und auch das Verständniß, das in dem Menschen ist, geschaffen hat - Joh. 1. Col. 1: alle Dinge sind durch ihn geschaffen. - Ihm, der selber das Wort heißt, welches ist seiner Namen einer, ist es doch gewiß zuzutrauen, daß er in allen Fällen die rechte Rede führen, den rechten, der Sache angemess'nen Ausdruck brauchen werde. Den Meister selbst sollten wir ehren wollen, einen andern Ausdruck, als den er gebraucht hat, begehrend von ihm? Wahrlich, das gebührt sich nicht! Für's Andre. Die Sache ist ja von der allergrößten Wichtigkeit, darüber wir in dieser Erzählung eine Lehre bekommen von Christo. Was ist sie anders, als eine an uns gelangte Bezeugung aus der andern Welt, zu verhüten, daß wir, die noch Lebenden, nicht auch kommen an den Ort solcher Qual, wenn wir gestorben sind. Und nun anzunehmen, Christus habe dies nicht in solchem Ausdruck bezeugt, wie es der Sache angemessen ist, habe sich so ausgedrückt, daß man um der von ihm gebrauchten Bilder willen die Lehre selbst nicht fasse oder gar verwerfe: nein, das wäre lästerlich von Christo geurtheilt. Er, welcher Aussätzige rein machte und eine verdorrte Hand wieder gesund machte, er sollte mit Fleiß undeutlich geredet haben und unüberzeugend in einer Sache, da Leib und Seele verderben kann in die Hölle? Für's Dritte. Wie kann hier die Bildlichkeit seiner Rede ihre Verständlichkeit hindern und ihre Ueberzeugungskraft? So wenig, sage ich, daß im Gegentheil seine Rede leichter verstanden wird und tiefer überzeugt, als wenn sie wo möglich in eigentlichen Worten, was man so nennt, gegeben wäre. Wo sind, die die Bilder nicht verstehn? Es ist die kindliche Sprache. Und wo sind, die durch ein Bild nicht stärker gefaßt und eingenommen werden, als wenn dieselbe Lehre entkleidet gegeben wild, auch wenn sie so gegeben werden kann? Es ist die Sprache, die auch dem größten Gelehrten wohl zusagt. Geb' ich ein Beispiel solches Ausdrucks aus dem alten Testament, Sprüchw. 30, 47: Ein Auge, das den Vater verspottet und verachtet der Mutter zu gehorchen, das müssen die Raben am Bache aushacken und die jungen Adler fressen. Wer versteht es nicht? Und ein Beispiel aus dem neuen, Luc. 6: Zeuch zuvor den Balken aus deinem Auge, und besiehe dann, daß du den Splitter aus deines Bruders Auge ziehest. Wer holt sich aus solchem Bilde nicht sogleich die gegebene Lehre heraus? oder vielmehr gefragt: Wer braucht sie erst herauszuholen? Sie ist mit dem bildlichen Worte in Einem gegeben. So verhält sich's mit unserm bildvollen Evangelium gleichfalls. Wer hört es und hört nicht heraus dieses: Es giebt zwei Oerter in der andern Welt, einen angenehmen und einen unangenehmen, schrecklichen; dieses: der angenehme Ort ist nicht für dir, so auf Erden glücklich und groß gewesen sind, ebenso wenig wie der unangenehme Ort denen bestimmt ist, deren Leben hier doch einmal ein unangenehmes gewesen ist, nein, das Evangelium zeigt uns einen umgekehrten Fall; dieses: Wohin wir kommen, dahin oder dorthin, darüber wird entschieden nach dem hier geführten Leben; - dieses: Die Einen wie die Andern wissen von einander; - dieses: Sie sind geschieden von einander; - dieses: Da wird so wenig aus dem Himmel wie aus der Hölle ein Bote geschickt auf die Erde, wir haben genug, wenn wir die in der Bibel enthaltenen Belehrungen der heiligen Männer hören! - Das ist's ja, was uns in dem Evangelio vorstellig gemacht wird und wahrlich nicht erst durch diese meine Angabe, sondern ein Kind fasset den Vortrag des Herrn so. Daher lassen wir den Einwurf nimmermehr gelten, daß um der Bildlichkeit willen diese Lehren des Herrn von der Zukunft nicht anzunehmen seien.

2.

Wo es eher einer Nachhülfe bedürfen möchte, das ist in dem zweiten Genannten: daß in den Reichthum und in die Armuth eine solche Entscheidung gelegt worden sei. Ja, der reiche Mann kommt in die Hölle und in die Qual, der arme Lazarus an den Ort, wo Abraham ist. Allerdings, hier ist ein etwas genaueres Zusehn erforderlich. Aber Christus hat dabei auf verständige und anderweitig unterrichtete Hörer Rechnung gemacht, die es wissen, daß Armuth an sich oder gar mit Schlechtigkeit verbunden noch nicht den Himmel aufthue, und daß der Reichthum an sich, und wenn er auch mit Tugend verbunden ist, nicht in die Hölle bringe. Das könnt' ich ja fragen, ihr Lieben, wen immer aus eurer Zahl, so viel weiß ein Jeder. Aber seht, was wird uns gewiesen als Gesinnung des reichen Mannes? Alle Tage herrlich und in Freuden leben, in Purpur und köstliche Leinwand sich kleiden, darin des Armen vergessen und seiner eignen Seele, was die begehret, vergessen - letzteres wird angedeutet damit, daß er sein Gutes damit empfangen habe, sein Gutes, was ihm das Gute war: herrlich und in Freuden leben. -: Bess'res kannte er nicht, um Höheres, Edleres bekümmerte er sich nicht, der sinnliche Mensch; das brachte ihn, nicht sein Reichthum, sondern dieser Gebrauch des Reichthums, brachte ihn in die Hölle. Wo soll er denn auch sonst hin? Der Himmel ist doch keine angemessene, zu geschweigen eine verdiente Stätte für einen solchen, wie man sich jetzt wohl ausdrückt, Lebemann Und wenn daneben Lazarus uns vorgestellt wird in seinem Hunger, in seinen Leibesschäden, wie er uns von Christo vorgestellt wird neben dem reichen, Gott und die nothleidenden Menschen vergessenden Prasser: denken wir dann wohl an einen solchen Armen, der sich selbst in Armuth und Krankheit gebracht hat? Gewiß nicht; sondern an einen Armen und Leidenden, der es ist durch Gottes Schickung - Lazarus, heißt es, Lazarus dagegen hat Böses empfangen - welches er geduldig trägt und hat es von Gott angenommen, greift zu keinem verbotenen Rettungsmittel: sondern trägt sein Kreuz geduldig, bis Gott es ihm abnimmt. Sagt, ob es denn befremden könne, wenn wir ihn im Himmel sehen, da er nach ausgestandenem Leiden von Gott getröstet wird? Nein, das befremdet uns nicht, und so den Armen wie den Reichen angesehn, dürfen wir nicht sagen, daß in den Reichthum und in die Armuth zuviel Entscheidung gelegt sei. Denn ihre Zustände sind es nicht gewesen, sondern ihre Gesinnungen, die haben den Einen in den Himmel, den Andern in die Hölle gebracht. Ihr Reichen, von welcher Gesinnung seid ihr bei eurem Reichthum? Arme, Dürftige, Sieche, mit welcher Gesinnung tragt ihr eure Gottesverhängnisse? Armer, wie trägst du deine Last? Reicher, wie stillst du deine Lust? Das entscheidet, das

3.

Unser Evangelium soll stehn und wir halten Jeden ab, der dieses herrlichen Evangeliums Kraft mit seiner Widerrede bei sich schwächen will. Nein, erfahre seine ganze Kraft, o Mensch, zum Heile deiner Seele. Es läßt dich zwei Orte sehn und eine Kluft zwischen den beiden. Höre das Wort noch einmal: Und über das Alles ist zwischen uns und euch eine große Kluft befestigt, daß die da wollten von hinnen hinabfahren zu euch können nicht, und auch nicht von dannen zu uns herüberfahren. So heißt die Stimme aus dem Ort der Seligen zu den Unseligen hinab. Das sei zuviel, meinet man, und giebt daher das ganze Evangelium auf als eine unrichtige Lehre von der andern Welt, als eine wenigstens so nicht annehmbare, so nicht glaubhafte. So nicht? Wie denn? Da haben ihrer Viele vieles gedeutet zur Mildrung; ihrer Viele - selbst in der lutherischen und reformirten Kirche, darunter Gelehrte von Ruf und Ruhm, auch fromme christliche Männer - haben den Ort, der im Text die Hölle heißt, Hades im Griechischen, nicht wollen die eigentliche Hölle, den Ort der ewigen Verdammniß sein lassen, sondern bloß einen Sammlungsort sämmtlicher abgeschiedner Seelen, mit mehrfacher Abtheilung, meistens mit dreien, als in der Richtung von oben nach unten gelegen. Oben, die von da noch vor dem jüngsten Tage in den Himmel kämen, nämlich wenn sie von dem wenigen ihnen beim Uebergang noch anklebenden Schlechten durch einige Büßungen vollends wären gereinigt worden, oder sie seien doch harrend daselbst auf eine noch kommende, seligere Zeit. In der Mitte befänden sich die, an denen sich viel Schlechtes fände, jedoch einiges Gute noch, wie hier am reichen Mann die Liebe, Sorg' und Fürbitte für seine fünf Brüder, als an welchem Guten die erbarmende Gottesliebe einen Anknüpfungspunkt hätte, um vermittelst härterer Büßungen noch einmal Selige aus ihnen zu machen, Himmelsbewohner. Unten, ganz unten, seien die, die schon, wenn sie sterben, - ihrer gänzlichen Verderbtheit wegen wie aufgegeben von Gott, der ihre Unfähigkeit sich je zu bessern vorhergesehn - in der eigentlichen Hölle wären, die wir gewöhnlich so nennen. Dazu muß ich sagen: Es ist mehr menschliche Vernunft als göttliche Offenbarung in solchen Annahmen von den Oertern der andern Welt, und wenngleich einige Schriftstellen, dunkle sind's, dafür zu sprechen scheinen, andre Schriftstellen, klare sind's, sprechen dawider, gleichwie es unser Evangelium thut. Hier ist die große Kluft wahrlich kein Graben, den man überschreiten, oder ein seichtes Wasser, durch das man waten kann, - wenn es anders etwas heißen soll. Hier ist eine Kluft: es geht nicht und nirgends an, her- oder hinüberzukommen: Hier ist die befestigte Kluft, die nicht zu erweitern, auch nicht zu verengen oder zu verschieben ist, daß man sie umgehen könnte. Dazu das eigentliche Wort, wenn eins kann eigentlich heißen: nicht von dannen zu uns herüberfahren. Da spreche, wer Sprache hat und Verstand, ob dies anders könne und solle verstanden werden als von einer ewigen Scheidung, von nur zwei Orten in der andern Welt, von nur Einem Himmel und nur Einer Hölle. Ist's harte Rede, ich habe sie nicht hart gemacht, ist's eine entsetzliche Lehre, ich habe die entsetzliche Lehre nicht gelehrt; der sie aber gelehrt hat, wird mich oben mit ihr erhalten und sich selber, und sollte sich's ja anders befinden als hier gelehrt, so wird er sich deshalb zu rechtfertigen wissen, gleichwie seinen ehrerbietigen Knecht auch, der es nicht hat wagen wollen, hinterher abzugehen von seines Herrn Wort. Die ihr seines höret und meines; meines ist es nicht, das aber ist meines: Bedenkt, was ihr thut, ob ihr nicht zu viel wagt, wenn ihr wider dies und alles Evangelium weniger als zwei und mehr als zwei Orte in der andern Welt annehmet. Ich rufe noch nach: Wie du stirbst, so fähest du; und wohin du fähest, da bleibst du.

4.

Gönnet, gebt unserm Evangelio seine ganze volle Kraft, die es hat und schwächt sie nicht an euren Seelen durch willkürliche Deutungen! Aber ich sehe im Geiste deren, die das Sonntagsevangelium nehmen und reden damit wider das Evangelium überhaupt, wider die Botschaft von unsrer Seligkeit durch Christum, allein durch Christum. Kommt heran! wir sind in dem Werke, daß wir abhalten, was den Worten Christi einen Eintrag thut: ob wir euch nicht davon abhalten können. Ihr sagt nach der Wahrheit: die Lehre der christlichen Kirche sei, daß wir allein durch Christum selig werden - und nun sprecht ihr weiter zu dieses Glaubens Verkündigern: Seht ihr aber doch in diesem eurem Text, daß Lazarus ohne Christum selig geworden ist? Ich erwiedre: Ob eben Lazarus genommen ist, wird, um unsern Glauben an die allein durch den Glauben an Christum zu erlangende Seligkeit mit dem Anblick der feurigen im Schooße Abrahams umzustoßen, ob Lazarus oder Abraham oder welcher Andre aus den Geschlechtern vor Christo genommen wird, gilt hier gänzlich gleich. Allein deshalb möchte den Gegnern unsers Glaubens mit Lazarus vornehmlich gedient sein, weil Christus selbst ihn hier als einen Seligen vorstellet. Laßt mich, liebe Zuhörer, frei über diese Sache mich aussprechen. Ich kann die Glaubensmeinung derer nicht theilen, welche dafür halten, daß Abraham, Isaak, Jacob und alle Frommen des alten Bundes sollten selig geworden sein in Kraft des neuen Bundes, nämlich daß sie gehofft hätten auf, geglaubt hätten an den kommenden Messias. Sie mögen sämmtlich diese Hoffnung auf den Trost Israels, wie sie genannt wird, gehegt haben, von einer Wirkung indeß auf ihr Leben sehe ich in den Nachrichten von ihnen keine Spur, sehe nicht die geringste Spur, daß sie deshalb, daß sie in Kraft dieser Erwartung ihrem Leben eine besondre Gestalt gegeben, von Bösen sich entfernt, zu gutem Werke sich fleißiger gewiesen hätten. Davon haben sie uns selbst andre Beweggründe vorgelegt, nämlich die Güte Gottes, die Gerechtigkeit Gottes, die den Lohn und die Strafe nach Befund des geführten Lebens über sie kommen lassende Gottesgerechtigkeit. Und was die Vergebung der Sünden betraf, so ist's das Opfer gewesen, welches sie brachten, die Reue, die sie bezeugten; gebe ich eurer Aufmerksamkeit ein schönes Bibelwort, 2. Kön. 22, 19, wo Gott dem Könige Josias sagen läßt: Darum, daß dein Herz erweichet ist und Hast dich gedemüthigt und hast geweinet vor mir, so habe ich's auch erhöret, - und der Vorsatz der Besserung, mit welchem Israel vor den Herrn trat und sich Gnade holte, das allerdings, aber von Gebrauch oder nur von Mißbrauch des Glaubens an Christum lesen wir ja kein Wort. Sie sind bei ihrem Glauben selig geworden in damals gewiesener Heilsordnung, halte ich dafür, ohne Christum, ja. Indeß, Freunde, wer da meinete, daß jetzt noch, in der Zeit des neuen Bundes, daß unter uns, denen der neue Bund d. h. die in Christo erschienene und allen Menschen angebotene neue Gottesgnade verkündigt ist und sonntäglich verkündigt wird, daß in dieser Gemeinde, ich will ganz bestimmt reden, da wahrhaftig das Zeugniß vom Heil in Christo kein geschwiegenes, sondern seit Jahren und auf vielen Canzeln verkündigtes ist, da noch behaupten wollen, daß unser einer auch könne ohn' Christum, ohne den Glauben an ihn in den Himmel kommen, zur Christenseligkeit kommen: wer dieses meinet, der mag fertig werden mit mir und mit meinen Gehülfen im Dienst am Wort, aber wie er bei sich fertig wird mit Christo selber, der doch gesagt hat: Wer da glaubet und getauft wird, der wird selig werden, - der doch gesagt hat: Niemand kommt zum Vater, denn durch mich - der doch hat sagen lassen: Es ist in keinem Andern Heil, ist auch kein andrer Name den Menschen gegeben, darin sie sollen selig werden als der Jesusname - wie, die solches hören und glaubend nicht, die solches nicht hören und wissen doch, wo und wann sie es könnten hören - wie die im Leben ruhig und im Sterben getrost sein können, ich versteh' es nicht. Wenn eine Seligkeit für sie ist, ein Himmel, für die unter ihnen, welche Gott weiß wodurch, geblendet, Christum nicht erkennen und thun gleichwohl einigermaßen, was Gottes Geboten äußerlich gemäß ist, hüten sich vor groben Sünden, und sind nicht ganz ohne, was die Welt nennt, gute Werke, - wenn für solche Gott einen Himmel hat und eine gewisse Seligkeit - ich bin nicht im Rath seiner Erbarmungen gesessen -: doch Christenseligkeit und der Christenhimmel kann es nimmer sein, denn sonst müßte am ganzen Christenthum kein einzig wahres Wort sein. Lazarus war ein Jude, auf den kann sich kein Christ berufen, der kannte das Gesetz nur, den Christen wird das Evangelium gepredigt. Gott ist der harte Mann nicht, welcher da erndten will, wo er noch nicht gesäet hat, aber das muß ihm die größte Milde zusprechen, wo er gesäet hat, daß er da auch zu erndten begehren darf. Ja, wenn du Christum nicht känntest, wie ihn Lazarus nicht kannte, so solltest du auch mit Lazarus in den Schooß Abrahams: aber mit dir steht die Sache anders. Hüte dich vor Christi Wort, daß du nicht stehst unter denen, zu welchen er sagen will: Ich habe euch nie erkannt, weichet Alle von mir, ihr Uebelthäter; Matth. 25, 46: Und sie werden in die ewige Pein gehen. Wie's in dieser Pein ist, sagt der reiche Mann: Sende Lazarum, daß er das Aeußerste seines Fingers ins Wasser tauche und kühle meine Zunge.

5.

Es sind deren unter euch, die sowohl wie in den Evangelium, oder vielleicht noch besser wie in den Evangelien, auch in Schillers Gedichten Bescheid wissen; deren Einer kann leicht bei sich sagen mit des Genannten Wort:
Sechstausend Jahre hat der Tod geschwiegen;
Noch kam kein Sterblicher aus seiner Gruft gestiegen,
Der Meldung that von der Vergelterin.
Oder ausgedrückt, wie ich's sagte in der Ankündigung: Das schwäche bei Vielen die Kraft unsers Textes, daß sie einen augenscheinlichen Beweis begehrten, welcher ihnen aber verweigert werde, und glauben daher nichts. Unser Letztes: Die sind gleiches Urtheils mit dem reichen Mann und finden seine Vorstellung gegründet. Laßt uns in die Erzählung hineintreten. Der reiche Mann hält dafür: Wenn jemand von den Todten zu seinen Brüdern ginge, dann würden sie Buße thun. Abraham ist der Meinung, es helfe nichts und giebet den Grund an: Hören sie Mosen und die Propheten nicht, so würden sie auch nicht glauben, ob jemand von den Todten auferstände. Wer soll bei uns Recht haben von den Beiden? Muß man denn nicht einräumen, denke ich, Abraham - der roch auch gewesen war, wo die fünf Brüder noch, nun aber seit Jahrhunderten wandelte und sah in dem himmlischen Lichte, und hatte einige Menschengeschlechter mehr wie der reiche Mann von seiner Höh' herabgesehn - der habe doch wohl die Sache richtiger verstanden? Doch, treten wir lieber aus der Erzählung heraus; der sie erzählt und Abrahams Wort spricht, das ist ja Christus selber. Der ist es und und nicht sowohl Abraham, Christus sagt: Hören sie Mosen und die Propheten nicht, so werden sie auch nicht glauben, ob jemand von den Todten auferstände.

Darum, die einen augenscheinlichen Beweis von den künftigen Dingen fordern und sind nicht zufrieden mit dem, was die heilige Schrift uns lehrt, reden die nicht wider Christum selbst damit? und möchten ihr Gutachten geltend Machen wider Christi gethanen Spruch? Unterlassen sie solches! Und wir, treten wir ihnen ja nicht bei! Was mich betrifft, so will ich lieber, freilich ein undenkbarer Fall, mit Christo irren, als mit Menschen Recht haben. Der Schein ist allerdings vorhanden. Der reiche Mann begehrt nur Einen; wenn zehn, wenn zwanzig, die wir begraben hätten, wieder kämen nach längerer Zeit, bekannte, auch als wahrheitsliebende uns bekannte Männer, und zeugten von dem Jenseitigen, da sie gewesen, wie sie's gefunden: das wäre allerdings ein starker Beweis. Aber seid aufmerksam darauf, wie wie wir uns doch sollten sicher stellen dabei vor aller Täuschung. In Leibesgestalt wiederzukommen ist ja eine offenbare Unmöglichkeit, einmal, und wenn es ihre Gestalt wäre wirklich, wer bürgte mir, daß nicht ein anderes Wesen sich hätte in diese gekleidet und machte für seine Absichten mit mir, vielleicht zu meinem Schaden, mir etwas vor? Davon ließe sich noch mehr sagen. Aber ich will nur das Eine vorstellen: Ein so erlangter Glaube hätte die Wirkung nicht an mir, die der Glaube auf Gottes Wort hat, es wäre kein Gehorsam unter Gott darin, und dieser Gehorsam im Glauben, der ist es doch allein, welcher meinem Glauben einen Werth verleiht, daß mir dafür ein Lob von Gott widerfahrt. Ihm soll ich glauben und seinen beglaubigten Gesandten allein, die er hat reden lassen, getrieben vom heiligen Geist dazu, Mosen und die Propheten, Christum und die Apostel. Die sind mir Zeugen vom Hier und vom Dort, von der Gegenwart und von der Zukunft, und außer ihnen nehm' ich weder einen irdischen Geist, noch einen überirdischen, noch einen unterirdischen Geist an, wer es auch sei und von wannen er auch komme. Ihm Gehör geben, was er auch spricht, heißt sein Gehör von Gott und Gottes Wort abwenden; das müsse Keiner thun! Und wenn es in unsern Zeiten bei Vielen gar schwach um ihren Glauben an ein Fortleben nach dem Tode steht, wenn offenbar Meinungen über das Künftige im Schwange gehn, bei welchen die Sünde grünt und das Laster blüht und die größten Verbrechen zur Reife kommen: das rührt alles daher, daß man hat Menschenpfündlein wider Gotteswort gesetzt und hat im vermeintlichen Besserwissen, und Wissenwollen das Evangelium vom reichen Mann und armen Lazarus verworfen. Unser Keiner thue das, und was ihr heute darüber habt predigen hören, habet das gehört, um dies Evangelium in seiner Kraft, in voller, in aller Kraft an euch wirken zu lassen, wie es gewirkt hat in früherer Zeit, also jetzt wieder, worauf ich heute ausgegangen - auch, das gebe Gott! zum Ziele gekommen bin. Amen.

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