Hamann, Johann Georg - An J. G. Lindner (nach Riga) 1761.

Hamann, Johann Georg - An J. G. Lindner (nach Riga) 1761.

Königsberg, 21. März 1761.

Da meine Nächsten schon einmal unter sich einig geworden, jeden Zug der Wahrheit, der mir entfährt, Beleidigung zu nennen, und das Recht, Dingen Namen zu geben, ein Prärogativ der menschlichen Natur ist, das ebenso, wie das Regal, Münzen zu schlagen, geschändet wird, so muß ich schon diese Schwachheit, so gut ich kann, tragen und mich in selbige zu schicken wissen. Der größte Liebesdienst, den man seinem Nächsten thun kann, ist, ihn zu warnen, zu bestrafen, zu erinnern, sein Schutzengel, ein Hüter zu sein; diesen Kreuzzug hält nicht jeder Ritter aus. Die Rotte Dathan und Korah hatte große Ursache, ihrem Heerführer die krummen Wege vorzuwerfen, die er sie gehen ließ. Das Zeugniß der Wolken- und Feuersäule war nicht stark genug, sein Ansehen zu schützen. War Mose der Eiferer, der Mann mit Hörnern Schuld daran? Nein - er war ein sehr geplagter und sanftmüthiger Mann, sondern das Volk, dessen Glauben Gott versuchte. Aber hier heißt es abermals: was machst du aus dir selbst? Bist du Mose? Du bist ein eitler Oelgötze und deine Muse eine Mohrin. Gesellen Sie sich nicht zu dem Haufen derer, die lästern, da sie nichts von wissen, damit Sie nicht ein gleiches Urtheil mit ihnen empfahen. Sondert euch ab, heißt es. Habe ich Leidenschaften, so fürchten Sie diese Tischfreunde. Sie predigen mir immer die Liebe. Ist die nicht die Königin der Leidenschaften? Ein Kenner nennt ihre Gluth feurig und eine Flamme des Herrn. Ihre Liebe hat aber, wie es scheint, zum Symbolum: thu du mir nichts und ich thue dir wieder nichts. Wenn Sie nicht Leidenschaften haben, so fehlt es Ihnen vielleicht an deren Stelle nicht an Lüsten; die sind so gefährlich als jene. Reden Sie nicht so leichtsinnig von Kindern des Lichts, und pochen Sie nicht so, daß ich ans Licht kommen soll. Wenn meine Stunde kommen wird, so wird meine Gerechtigkeit hell genug hervorbrechen, aber Mancher Augen werden es fühlen, und manche Liebesdienste werden zu Werken der Finsterniß offenbar, und ihr todter Glanz vernichtet werden. Ich lasse mit Fleiß vieles schlafen, weil die Zeit noch nicht dazu ist.

Der Grundsatz der Liebe kann Ihnen nicht heiliger sein, als er mir ist. Aber die Anwendung muß uns nicht Fleisch und Blut lehren. Geduld! Geduld! Lassen Sie sich die Zeit nicht lang werden nach Licht. Der Tod ist der große Lehrer, den wir uns wünschen, wenn wir um Licht schreien. Wenn er Sonne und Mond auslöscht unsern irdischen und fleischlichen Augen, die kein ander Licht, als das erschaffene erkennen wollen, so wird ein höheres, geistiges, ewiges Licht aufgehen, wo alle Flecken zu Sonnen und alles gemalte Licht hier zu Schatten werden wird.

Da ich ein für allemal Ihre Denkungsart weiß, die ich in allen Würden lasse, weil das Gewissen nicht gebunden sein muß unter wahren Freunden, so werde ich mich auf das Strengste darnach richten, und Sie sollen inskünftige nicht mit solchen passiven Liebesdiensten beschwert werden. Das ist wahr und nicht bitter, was ich schreibe und wozu ich mich verbindlich mache. Haben Sie nur Geduld. Sie werden noch mehr erleben, als Sie glauben erlebt zu haben. Die rechten Jünger der Liebe sind Donnerkinder. - Wenn Sie wahrhaftige Liebe für mich haben, so wird Ihnen jeder Schein der Gerechtigkeit gut sein, meine Fehler, meine Irrthümer zu entschuldigen, zuzudecken. Gott empfohlen. -

Quelle: Renner, C. E. - Auserlesene geistvolle Briefe der Reformatoren

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