Franz Graf-Stuhlhofer - Fromme Bücher kritisch lesen

Franz Graf-Stuhlhofer - Fromme Bücher kritisch lesen

Eine Lehr- und Arbeitsunterlage

Bücher, … Mengen von Büchern.

Viele Behauptungen, Argumente und Meinungen. Wer hat recht, wem soll man glauben?

Wer die eigene Abhängigkeit von den Meinungen anderer verkleinern will, wer zu eigenen Urteilen fähig werden will, muß selbst auch etwas dazutun. Dieses 1991 verfaßte Hilfsmittel will dabei unterstützen.

Wie erkennt man auch als Laie, ob Angaben falsch sind? Wie erkennt man, ob ein Argument sinnvoll ist, oder ob es ins Leere geht?

Hier findet der Leser eine Reihe von Erläuterungen, jeweils gefolgt von mehreren Beispielen (insgesamt mehr als hundert). Anhand dieser Beispiele soll der Leser üben, selbst zu urteilen. Im Anschluß finden sich die Lösungen. Die Beispiele sind der evangelikalen Literatur entnommen.

Das Ziel: Der mündige Leser. -

Der Weg dahin: Teils mühsam, teils unterhaltsam. -

Der Gegner: Faktisch und argumentativ schwache Bücher - und die eigene Denkfaulheit.

Einleitung

Der vorkritische Leser

Es ist nun schon ein Jahrzehnt her, als ich eine denkwürdige Erfahrung machte: Im Hinblick auf den Büchertisch unserer Gemeinde sollte ich ein Buch lesen und beurteilen. Ist es zu empfehlen? Soll es am Büchertisch aufliegen?

Ich las das Buch und fand es gut, und in diesem Sinne lautete dann auch mein schriftliches Urteil. Mehrere Jahre danach nahm ich das Buch neuerlich zur Hand, und war entsetzt: Diese Argumentation - keineswegs zwingend! Schlußfolgerungen, die vorschnell gezogen werden; ja sogar sachliche Fehler entdeckte ich.

Wie konnte ich all das zuvor übersehen haben? Habe ich mich von dem Lob, mit dem der betreffende Buchautor von Christen in meiner Umgebung überhäuft wurde, blenden lassen? Hatte ich mir in der Zwischenzeit zusätzliche Fachkenntnisse angeeignet? Oder war ich einfach kritischer geworden?

Hier sind wir schon bei dem Ziel dieses Buches: Dem Ziel nämlich, daß viele Christen ihre „vorkritische“ Phase verlassen und zu eigenständig urteilenden Menschen werden, die von ihren Kenntnissen und ihrer Logik Gebrauch machen. Denn, nüchtern betrachtet - wie sieht die Situation weitgehend aus? Wir sind zufrieden, wenn ein Buchautor unsere Meinung vertritt, und fragen dann gar nicht mehr lange, wie er diese Meinung begründet; wo wir uns selbst zuwenig auskennen, übernehmen wir die Beurteilung anderer Christen; Bücher von (unter uns) anerkannten Autoritäten empfehlen und schenken wir weiter - wenn sich Freunde, die keine Christen sind, dazu negativ äußern, nehmen wir an, daß sie eben für die Wahrheit, für das Evangelium, zuwenig offen sind …

Evangelikale Bücher

Hier geht es um evangelikale Literatur. Was heißt „evangelikal“? Im allgemeinen versteht man unter „evangelikal“ eine Strömung innerhalb des evangelischen Bereiches, wo dreierlei betont wird: Die Erfahrung von Bekehrung und Wiedergeburt als grundlegend für eine Beziehung zu Gott; die Bibel, Ausdruck des Willens Gottes, als höchste Autorität; die Evangelisation als vorrangige Aufgabe. Die Zuordnung eines Buches zum evangelikalen Bereich läßt sich am leichtesten anhand des Verlages vornehmen. Die größten evangelikalen Verlage sind die unter den Zeichen ABCteam und TELOS veröffentlichenden Verlage, außerdem Schulte+Gerth und CLV. Evangelikale Autoren bevorzugen meist evangelikale Verlage, und die meisten evangelikalen Leser suchen religiöse Belehrung vor allem bei evangelikalen Verlagen.

Wir untersuchen Fakten und Argumente

Unser „Kritisch Lesen“ soll hier die Fakten- und die Argumentationsebene betreffen. Werden Sachverhalte korrekt dargestellt? Ist die Argumentation überzeugend? Um diese Fragen geht es. Nicht wie man Irrlehren durchschaut, sondern wie man Fehler in der Sachverhaltsdarstellung und Mängel in der Argumentation erkennt.

Solche Mängel fallen vielen Lesern nicht auf, und das kann verschiedene Gründe haben:

  • Mangelnde Vorkenntnisse seitens des Lesers,
  • Die Leser rechnen hier - im Unterschied zu „weltlicher“ Literatur - gar nicht mit der Möglichkeit von Fehlern, angesichts von wiedergeborenen Christen als Autoren, bei denen der Leser mit dem hl. Geist auch besonderen Durchblick erwartet, und natürlich auch ein verantwortungsbewußtes Schreiben.

Hemmungen, die Fehler anderer Buchautoren aufzuzeigen

Auf solche Mängel wird kaum hingewiesen, wir beobachten hier eine bemerkenswerte Zurückhaltung. Während in Lehrfragen mitunter recht lautstark auf Abweichungen („Irrlehre!“) hingewiesen wird, und wenig Scheu besteht, vor anderen Christen zu warnen, scheint es auf der Fakten- und Argumentationsebene eine Hemmschwelle zu geben. Warum? Vielleicht, weil wir ja nicht „lieblos“ sein wollen (den anderen Autoren gegenüber, auf die Leser wird keine Rücksicht genommen!); vielleicht auch, weil Fehler auf dieser Ebene doch eher als „Kleinigkeiten“ gelten. Wer diese „Kleinigkeiten“ hochspielt, macht sich unbeliebt.

Mitunter beobachtet man hier eine Spannung: Einerseits erkennt ein Autor, daß die von ihm erwähnten Bücher teilweise mangelhaft sind, und irgendwie fühlt er sich auch verpflichtet, die Leser darauf hinzuweisen; andererseits hat er doch Hemmungen davor, andere christliche Autoren namentlich zu kritisieren. So sagt Jürgen Tibusek in seinem Buch über New Age am Ende seiner Bibliographie, bezogen auf zuletzt aufgelistete „Kritische Literatur aus christlicher Sicht“: „Nach Ansicht des Autors sind nicht alle diese Bücher empfehlenswert.“1) Ob dem Leser mit einem solchen Hinweis - eine Art Rätselaufgabe? - gedient ist? Ob er nicht doch von konkreten Hinweisen mehr gehabt hätte?

Ebenfalls um New Age geht es, wenn Lutz von Padberg sagt: „Manche in evangelikalen Verlagen zum Thema erschienene Bücher sind intellektuell, man muß es leider deutlich sagen, ein Armutszeugnis, finden aber gleichwohl zahlreiche Käufer. Eine genauere Analyse dieser Problematik müßte sich mit der Affinität mancher evangelikaler Kreise zu relativ einfachen Denkmustern und Argumentationsreihen beschäftigen.“2) Das ist eigentlich eine sehr scharfe Kritik, aber auch hier findet der Leser keine konkreten Namen genannt. Und so läßt man sich diese Kritik durchaus gefallen, denn man muß sich nicht betroffen fühlen; jeder Autor kann sich denken, daß damit doch wohl andere gemeint sein werden.

Aber auch wenn ein Name genannt wird, ist die Kritik oft mehr angedeutet als ausgesprochen: „Manchmal argumentiert Wilder Smith bei Entgegnungen gegen bibelkritische Theorien von seinem Standpunkt aus, ohne die Voraussetzungen der kritisch Denkenden stärker zu berücksichtigen, so daß diese sein Argument nicht stichhaltig finden werden (so z.B. S.14, wobei natürlich klar ist, daß wir letztlich nur von unserem eigenen Standpunkt aus argumentieren können).“3) Hier wird die ohnehin schon sehr vorsichtige Kritik in der Klammer gewissermaßen widerrufen: Wenn Wilder Smith es ohnehin so tut, wie man es gar nicht anders kann …

Bei Thomas Schirrmacher finden wir den Mut auch zu deutlicher Kritik; er urteilt über ein Buch von Marius Baar: „Die Aussagen über den Islam sind weitgehend unzuverlässig. Bei aller Notwendigkeit, vor dem Islam zu warnen, sollte man ihn doch wenigstens kennen, bevor man über ihn schreibt.“4) Allerdings: Konkrete Nachweise bringt Schirrmacher nicht, so daß der Leser sich damit begnügen muß, es Schirrmacher blind zu glauben.

Es wäre denkbar, eine Art „Kritisches Autorenlexikon“, evangelikale Sachbuchautoren betreffend, herauszubringen, worin Unterschiede zwischen guten Autoren und anderen sichtbar werden würden. Verschiedene Stellungnahmen zu meiner Serie „(Fromme) Bücher kritisch lesen“ in der Zeitschrift PUNKT (Juni 1990 bis Februar 1991) lassen allerdings befürchten, das Anliegen könnte mißverstanden, jedenfalls als der Gesinnung brüderlicher Liebe widersprechend empfunden werden. Jedenfalls hat demgegenüber eine solche Arbeitshilfe wie die hier vorliegende Vorteile: Sie lenkt nicht so stark ab, indem der Leser auf bestimmte Autoren und deren Stärken & Schwächen hingewiesen wird (und die Kritik am betreffenden Autor begrüßt oder sich darüber ärgert, je nach eigenem Standpunkt). Vor allem aber fördert ein „Arbeitsbuch“ wie das nun vorliegende die Eigenaktivität und Urteilsfähigkeit des Lesers stärker, als wenn ihm bloß kritische Bemerkungen zu den verschiedenen Autoren vorgelegt werden, und er diese zur Kenntnis nimmt.

„Fehler - na und?“

In Anbetracht der hier bei verschiedenen Texten aufgezeigten Fehler könnte man einwenden: 'Gut, es gibt da in den Einzelheiten manche Fehler, aber das ist nicht so entscheidend; wichtig ist, daß die wesentlichen Aussagen stimmen.' Dem stimme ich teilweise zu, aber nicht ganz. Und zwar aus folgenden Gründen nicht:

  • Manche Leser versuchen sich das Gelesene einzuprägen; sie haben dann falsche Aussagen gelernt.
  • Diese falschen Aussagen werden dann an andere Christen weitergegeben: In Predigten, Bibelkreisen, Schulungen …
  • Wenn ein Leser auf eine dem bisher Gelesenen widersprechende Darstellung stößt, muß er erst mühsam herausfinden, was nun wirklich stimmt.
  • Jedenfalls muß er das falsch Gelernte wieder umlernen.
  • Wenn der falsch informierte Christ sein vermeintliches Wissen in Gesprächen mit Andersdenkenden weitergibt, erkennen zumindest die kompetenten Andersdenkenden, daß der Christ zwar eine Überzeugung hat, die er vermitteln will, aber mit den Tatsachen gar nicht vertraut ist ('ein Fanatiker!'). Von kompetenten Gesprächspartnern wird dieser Christ - auch mit dem Evangelium - dann nicht mehr ernst genommen.
  • Durch das Weiterempfehlen/Verschenken solcher fehlerhafter Bücher kommt die evangelikale Bewegung bei informierten Leuten in Verruf ('von so inkompetenten und unlogisch argumentierenden Männern sind diese naiven Christen begeistert!?'), und somit wird auch die Verbreitung des Evangeliums behindert.

Es gibt also eine ganze Reihe von Gründen, die dagegen sprechen, fehlerhafte Einzelheiten auf die leichte Schulter zu nehmen. Aber trotzdem teile ich die Meinung, daß es vor allem darum geht, daß „die wesentlichen Aussagen“ stimmen. Aber ist das zu erwarten? Bei einem Autor, der sich in dem von ihm behandelten Fachgebiet nur unzureichend auskennt, der also bloß einige andere - mitunter ihrerseits unzuverlässige - Sekundärliteratur heranzieht, um daraus einige Angaben abzuschreiben; der außerdem stark im Zwang steht, die Sachlage so darzustellen, daß seine eigene - und die seiner intendierten Leser - Position möglichst eindeutig bestätigt wird (was umso leichter geht, je weniger er sich selber in der Materie auskennt); und der schließlich kaum imstande ist, die verschiedenen Argumente in ihrer Beweiskraft richtig einzuschätzen; ist bei einem solchen Autor zu erwarten, daß „die wesentlichen Aussagen“ stimmen?

In der Praxis führt diese Betonung 'Hauptsache, die wesentlichen Aussagen stimmen' zu einer Beurteilung anhand der Nähe oder Ferne zur eigenen Position: Bestätigt ein Autor - egal wie - die eigene Meinung, ist er gut; kommt er zu einem abweichenden Ergebnis, ist er schlecht. Eine sehr einfache Beurteilung!

Was die korrekte Darstellung von Sachverhalten betrifft: Die Gabe der Unfehlbarkeit ist mir nicht gegeben, und ich fordere sie auch nicht von anderen Buchautoren. Bei der Einschätzung von Fehlern ist natürlich auch deren Zahl und Gewicht mitzubedenken. Es ist ein großer Unterschied, ob gelegentlich, ausnahmsweise Fehler vorkommen, oder ob diese sich so häufen, daß sie eher die Regel darstellen.

Die beschwichtigende Reaktion, daß es sich bei den von mir aufgezeigten Fehlern doch ohnehin nur um Kleinigkeiten handle, ist mir von meinen Gesprächen mit Zeugen Jehovas schon sehr vertraut. Das Grundanliegen der Wachtturmgesellschaft, das Vertrauen der Menschen auf sich zu ziehen, führt auch dazu, daß die eigene Vergangenheit beschönigt und verzerrt dargestellt wird. Dem bin ich in meinem Buch Charles T. Russell und die Zeugen Jehovas. Der unbelehrbare Prophet (1990) nachgegangen; in einer Weise, die von manchen Zeugen Jehovas als kleinlich angesehen wird ('Entscheidend ist doch, wer die Wahrheit hat, nicht diese geschichtlichen Einzelheiten!'). Sehen wir einmal ganz von der Möglichkeit ab, daß hinter einer Irreführung Absicht stehen kann (daraus ergäbe sich noch ein besonderes moralisches Problem): Aber wenn wir feststellen müssen, daß dem Leser von Wachtturm etc. ein verzerrtes Bild von der Wirklichkeit vermittelt wird, so bleibt jedenfalls als Ergebnis, daß der Leser sich auf nichts verlassen kann, wenn er überall damit rechnen muß, daß ihm - mit oder ohne Absicht - Halbwahrheiten präsentiert werden.

Wenn ich das nun bei der Wachtturmgesellschaft so genau aufzeige, muß ich fair sein und darf nicht zweierlei Maß anlegen, indem ich bei den Zeugen Jehovas etwas kritisiere, was ich bei meinen Gesinnungsgenossen großzügig übersehe. Wie es so schön heißt, soll man ja zuerst vor der eigenen Tür kehren.

Mögliche Fehlerursachen

Manche Autoren unterschätzen die Schwierigkeit der zuverlässigen Ermittlung von Sachverhalten: sie meinen, es genüge, in einem anderen Buch nachzusehen.

Mitunter ist dem Autor die Zuverlässigkeit in einzelnen Aussagen nicht wichtig; ihm scheint es zu genügen, daß die „wesentlichen Aussagen“ stimmen (wobei für mich die Frage offen bleibt, warum er dann überhaupt Aussagen über Einzelheiten macht, wenn ihm diese ohnehin nicht wichtig sind …).

Eine weitere Fehlerursache ist die „Vielschreiberei“, die zwanghafte Neigung, möglichst schnell ein Buch nach dem anderen herauszubringen (wobei ich gar nicht unterstellen möchte, daß es dabei um finanziellen Gewinn geht).

Natürlich kann auch Zeitknappheit mitspielen: Der Autor hat vielen anderen Tätigkeiten (etwa Vortragsreisen) nachzukommen.

Gelegentlich entsteht ein Problem daraus, daß ein einzelner Autor glaubt, viele und umfassende Bereiche gleichzeitig behandeln zu müssen, und dabei überfordert ist. Hier ist an die Möglichkeit der Koproduktion mehrerer Autoren zu erinnern (man denke etwa an die vom R.Brockhaus Verlag herausgegebenen Lexika, die durch die Zusammenarbeit einer großen Anzahl von Fachleuten riesige Gebiete erfassen konnten).

Manche Autoren stehen in einer starken apologetischen Tendenz; d.h. die eigene Position soll als möglichst eindeutig herausgestellt werden, alle Tatsachen müssen sie - da sie doch wahr ist! - harmonisch stützen.

Fiktive oder echte Beispiele?

Ich habe überlegt, ob ich bei der Erläuterung verschiedener Überprüfungen, die der Leser vornehmen soll, selbst Texte erfinden soll. Der Leser könnte die verschiedenen Gesichtspunkte auch damit einüben. Dennoch glaube ich, daß es besser war, echte Beispiele zu nehmen. Hätte ich selbst Texte konstruiert, würde der Leser immer wieder denken: 'Ja, hier liegt natürlich ein Fehler vor, aber so einen Fehler macht doch überhaupt niemand! Das sind rein fiktive, konstruierte Beispiele!'

Nehme ich dagegen echte Beispiele, bleibt dem Leser ständig bewußt, daß er sich hier auf die Wirklichkeit vorbereitet. Außerdem hat er die Möglichkeit, bei jenen Büchern, die ihm selbst zugänglich sind, auch den weiteren Kontext anzusehen.

Aber natürlich vermittelt ein solcher Kurztext nicht unbedingt einen umfassenden Eindruck von dem Buch, aus dem er genommen ist. Letztlich geht es auch nicht darum, daß hier bestimmte Bücher beurteilt werden, sondern darum, daß der Leser anhand von - woher auch immer genommenen - Beispielen kritisches Betrachten einüben kann. (Die in der PUNKT-Serie verwendeten Beispiele habe ich hier großenteils weggelassen.)

Segenbringende schlechte Bücher?

'Dieses Buch hat schon viel Segen hervorgebracht!' - Durch eine solche Beobachtung scheinen manche Bücher gegen Kritik immun zu sein. Was will ich noch gegen ein Buch sagen, wenn sich offensichtlich Gott selbst zu diesem Buch gestellt hat?

Gott kann auch durch schwache Werkzeuge wirken. Darin liegt unsere Chance, denn wie könnte er uns sonst überhaupt gebrauchen? Wenn aber Gott z.B. mich gebraucht, dann ist damit keineswegs bewiesen, daß ich in irgendeiner Hinsicht perfekt wäre, daß Gott alle meine Ansichten teilen würde, oder daß Gott meine Fehler gutheißen würde.

Wir müssen auch achtgeben, daß wir nicht anstelle von „Wahrheit“ unversehens „Nützlichkeit“ anstreben. Im Sinne von: Wahr ist, was nützt; wenn eine Botschaft oder ein Buch sich als nützlich erweist („Menschen kamen zum Glauben!“), dann ist es als wahr anzusehen. Wohin diese Haltung im Extrem führen kann, zeigt Helge Stadelmann in seiner Kritik an einer russischen, auch ins Deutsche übersetzten Broschüre. Darin wird versucht, die Auferstehung Jesu unter Berufung auf frei erfundene, durch keine Geschichtsquelle belegte „Augenzeugen“ zu beweisen. Unter russischen Gläubigen - die im Kommunismus oft von den Bildungsmöglichkeiten ausgeschlossen wurden - wurde diese Broschüre stark verbreitet. Da der Inhalt aber nicht der Wahrheit entspricht, ist Stadelmann gegen diese Verbreitung. Ein rußlanddeutscher Heimkehrer meinte jedoch: „Wenn all diese Dinge wirklich verkehrt sind, dann sind sie hier für den Westen nicht gut zur Veröffentlichung, aber drüben im Osten tun sie einen guten Dienst!“5)

Der durch ein Buch hervorgebrachte Segen kann ein Indiz dafür sein, daß das Buch wertvoll ist. Allerdings ist unser Überblick zur Beurteilung des Segens normalerweise äußerst unzureichend. Angenommen, ein Buch wird in hoher Auflage (z.B. 50tausend Stück) verbreitet, und wir erfahren davon, daß 5 Menschen dadurch zum Glauben kamen. Fünf von 50tausend - ein Zehntel Promille der Exemplare erzielte also Wirkung. Das ist eigentlich sehr wenig! Aber vermutlich ist noch viel mehr geschehen als das, was wir - oft ganz zufällig - von einigen Personen über die Wirkung erfahren. Wir können normalerweise kaum ahnen, wie groß insgesamt die positive Wirkung war. Hier liegt unser erster Wissensmangel bezüglich der Wirkung. Zweitens fehlen uns auch die Vergleichswerte: Wenn durch ein massenhaft verbreitetes Buch einige Menschen zum Glauben kamen - vielleicht wäre durch ein anderes Buch, hätten die Christen es genauso stark verbreitet, noch mehr geschehen? Und drittens bleibt meist der Schaden völlig im Dunkeln. Um das vorige Beispiel aufzugreifen: Fünf Menschen kommen zum Glauben, und - angenommen - 500 Menschen, die prinzipiell offen gewesen wären, die aber doch auch kritisch mitdenken, erhalten von der evangelikalen Bewegung einen negativen Eindruck („diese naiven Anhänger schwärmen von Buchautoren, die ahnungslos sind und unlogisch argumentieren“), und sind in weiterer Folge dann skeptisch eingestellt gegenüber dem, was aus dem evangelikalen Raum auf sie zukommt. In diesem Fall ist das Ergebnis des Buches gar nicht so klar positiv. Vielleicht hätte sich durch ein anderes Buch ein ähnlicher Segen, aber ohne den gleichzeitigen Schaden, erzielen lassen?

Zur Lektüre dieses Textes

Dieser Text will, wie der Untertitel sagt, auch eine Arbeitsunterlage sein. Dem Leser werden Aufgaben vorgelegt, die er selbst zu lösen versuchen soll. Vielleicht klingen die Anweisungen an den Leser gelegentlich etwas schulmeisterlich („Versuche zuerst …, erst dann lies weiter“), aber es ist wichtig, daß der Leser sich wirklich selbst herausfordern läßt. So können ihm die Aufgaben zur Anregung für sein eigenes kritisches Denken dienen, und gleichzeitig dazu, daß er sich seiner eigenen Fähigkeiten bewußt wird.

Daß ich meine eigene Sicht, wie ich die Aufgaben lösen würde, unbescheiden mit dem Etikett „Lösungen“ versehen habe, darüber möge der Leser großzügig hinwegsehen. Mir war kein besserer Ausdruck eingefallen.

Auslassungen in den zitierten Abschnitten gehen normalerweise auf mich zurück. Die Abschnitte sind fortlaufend durchnumeriert. Die Quellen, aus denen ich sie entnommen habe, sind hinten zusammengestellt. Anmerkungen

Sind die Sachverhalte richtig dargestellt?

Wie kann der Leser erkennen, daß eine Angabe falsch ist? Je besser er sich im Thema des Buches auskennt, desto größer sind seine Chancen, Fehler im Buch zu erkennen. Das ist nun eine triviale Feststellung. Was hilft sie? Die meisten Leser eines Buches lesen dieses gerade deswegen, weil sie sich bei diesem Thema noch wenig auskennen. Welche Möglichkeiten bestehen nun auch für den nur bruchstückhaft vorinformierten Leser?

Erstens muß der Leser wissen, daß er mit der Möglichkeit von Fehlern rechnen muß. Wenn er von der Haltung des bedingungslosen Annehmens - da es sich doch um einen gläubigen Autor handelt! - wegkommt, wachsen seine Chancen, Fehler zu erkennen, schon sehr.

Zweitens muß der Leser mitdenken. Viele Fehler sind auch ohne besondere Vorkenntnisse zu entdecken.

Drittens beobachtet man gelegentlich, daß der Autor sich im Verlauf des Buches selbst widerspricht.

Viertens zeigt ein Blick auf den zitierten Text (z.B. einen Bibeltext) oft, daß dieser gar nicht das Behauptete enthält.

Fünftens entdeckt man beim Nachschlagen in verläßlichen Lexika und Lehrbüchern, daß etwas nicht stimmt.

Inhaltsverzeichnis

Anmerkungen

1)
Jürgen Tibusek: Die neue religiöse Kultur (31988) p.96
2)
In seinem Vortrag über „Evangelikale Apologetik“, in: Materialdienst der EZW 1990, p.184
3)
E.L. in: Fundamentum 1985, Heft 4, p.100
4)
In: Bibel und Gemeinde 1990, p.331, über Marius Baar: Nahost: Auftakt zu Weltbrand oder Weltfrieden?
5)
In: Bibel und Gemeinde 1980, p.404
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