Goßner, Johannes Evangelista - Am Michaelistage. (d. 29. Sept.)

Goßner, Johannes Evangelista - Am Michaelistage. (d. 29. Sept.)

Evang. Matth. 18,1 -11.

Das Engelfest.

Wie schön, wie wichtig ist dieses Evangelium! unserer Betrachtung wohl werth, wenn auch kein Engelfest wäre, und wir die Engel nicht lieb hätten. Denn dieses Evangelium zeigt uns, wie wir Engel werden, d. i. so heilig und selig wie Engel seyn können. Wir sind aber berufen und bestimmt, nicht nur wie Engel, sondern selbst dem Ebenbilde des Sohnes Gottes gleichförmig zu werden (Röm. 8, 29.), durch Sein Verdienst und Martertod am Kreuze. Um so mehr müssen wir die Engel lieben und uns ihrer freuen. Sind sie nicht allzumal dienstbare Geister, ausgesendet zum Dienste derer, die die Seligkeit ererben? Hebr. 1. Sollen wir sie nicht lieben, da sie unsre Diener sind? Nicht sie anbeten, nicht dienen sollen wir ihnen - denn sie dienen ja uns, sind zu unserm Dienst geschaffen und ausgesendet. Aber solche himmlische Diener, durch die wir geehret sind, müssen wir lieb haben, schon weil sie von Ihm kommen, der uns geliebt und sich selbst für uns gegeben hat. Lagern sie sich nicht um diejenigen, die den Herrn fürchten, und helfen ihnen aus? Pf. 34, 8. Sind sie nicht starke Helden, die Gottes Befehle ausrichten - wie die Winde und Feuerflammen? Ps. 11,3, 20. 104, 4. Solche Dinner haben wir, die uns vom Himmel, aus unserer ewigen Heimat gesandt sind! Was haben sie Abraham, Loth, Jakob rc. für Dienste geleistet! Was unserm Heiland bei Seiner Verkündigung, Geburt, Versuchung, bei Seinen Leiden und Aengsten am Oelberg, bei der Auferstehung und Himmelfahrt! Was den Aposteln, dem Petrus im Kerker, dem Paulus in seinen vielen Gefahren und Leiden! Wie oft haben sie sich freundlich, dienstfertig, zuvorkommend, theilnehmend sehen lassen - diese unsichtbaren Brüder in unserm himmlischen Vaterland?! - Doch auch zur Strafe, zu Gerichten, Zerstörungen und schweren Plagen hat sie der Herr gebraucht, denn sie dienen nicht ihrem Willen, sondern Gottes Willen und Befehle. Ihre Stärke bewiest sich sehr oft, namentlich in Egypten, da Einer von ihnen in einer Nacht alle Erstgeburten der Egypter erwürgte, und von der mit Blut bemalten Thürschwelle aller Israeliten vorüberging; ferner in der Wüste im Lager Israels, da Einer siebzig tausend erschlug, und im assyrischen Lager hundert achtzig tausend in einer Nacht tödtete. Auch im Neuen Testamente hatten sie solche Befehle auszurichten, indem einer den stolzen Herodes schlug, daß ihn die Würmer fraßen und seiner Vergötterung ein Ende machten. Apg. 12, 23.

Das Schönste an ihnen ist aber doch ihre brüderliche Theilnahme, die sie gegen Sünder und Kinder bezeugen. Was ist lieblicher, als wenn wir in unserm heiligen Buche öfters lesen: Es ist Freude vor den Engeln über einen Sünder der Buße thut, mehr als über neun und neunzig Gerechte. Luc. 15, 7. Was geht sie denn ein Sünder an? Gott will, daß alle Sünder selig werden. Ist nicht der Sohn Gottes, der Heiland für Sünder gestorben? Hangt nicht Sein Blut an ihnen, sollen die Engel das nicht sehen? Sahen sie doch Ihn Blut schwitzen am Oelberg für die Sünder; sollen sie sich also nicht freuen, wenn sie sehen, daß das Blut Jesu an den Sündern nicht verloren geht, sondern daß sie durch dasselbe gerettet, selig und ihre Brüder werden? Sollten sie sich nicht allemal freuen, wenn sie einen Himmelsbürger und Hausgenossen mehr kriegen? Sind sie nicht von Gott dazu bestimmt und gesandt, wiederkehrenden, bußfertigen Sündern, die die Seligkeit ererben, zu dienen? Das ist ja gerade ihr Amt und Werk, ihr Dienst und ihre Bestimmung - Sie sollen dem Heiland Seinen Schmerzenslohn einsammeln, sie sind ja die Schnitter, die am Ende der Welt, am großen Erndtefeste, die Garben alle sammeln und in die Scheuern Gottes tragen. Wie werden sie da eilen mit ihren Garben, und sich freuen, wenn sie viel einbringen! Wie werden sie da die Garben heben und wägen, die leeren wie das Unkraut in's Feuer werfen, und die vollen, gewichtigen, schweren mit Jauchzen dem Heiland zuführen, und mit in Sein Reich tragen. O welche Freunde haben wir im Himmel, die uns jetzt schon unsichtbar umgeben, die Zeugen unsers Thuns sind, und Theil nehmen, wir mögen Gutes oder Böses thun; vor denen wir uns wohl scheuen sollen, durch Böses thun ihre Herzen zu betrüben und ihre Liebe zu beleidigen. Denn sie sagen's dem Herrn und bringen, so wie unsere Gebete, gewiß auch unsere Untreue und Abweichung vom Wege des Herrn vor Ihn. Und dann können sie auch den Auftrag bekommen, uns zu züchtigen.

Aber das Allerlieblichste und Schönste ist doch, daß sie besondere Freunde und Diener der Kinder sind, wie wir aus dem Munde des Herrn im heutigen Evangelio es hören. Wer würde es sonst errathen oder wagen zu glauben, daß sie sich der Kleinen so sehr annehmen. Die Kleinen, die sonst von den Menschen, selbst oft von Eltern und Geschwistern für nichts oder doch gering geachtet werden, die sind von den Engeln hochgeachtet, und also auch bei Gott, der die Engel bestellte für die Kinder und zwar die vornehmsten, die Thronen, die Thron-Engel, die immer vor dem Angesicht Gottes stehen und zunächst das allerschönste Angesicht schauen. Seine Leibwache schickt Gott gleichsam den Kindern, weil sie Seine Lieblinge sind; daß sie sie bewachen, beschützen, ihre Hüter, Vertheidiger und Schutzgeister seyn sollen. Wie erfreulich und tröstlich für Eltern und jeden Kinderfreund, daß diese kleinen Wesen solche hohe Geister und unsichtbare Hüter und Begleiter, Wächter und Schutzengel um sich haben, die sie Tag und Nacht bewachen und bewahren. Man glaubt das viel zu wenig, und denkt nicht so daran, wie man soll. Darum ruft uns der Heiland zu: Sehet zu, das ihr nicht Einen von diesen Kleinen verachtet, denn ich sage euch: Ihre Engel sehen allezeit das Angesicht eures Vaters im Himmel. So achtet Gott die Kleinen, daß Er die Engel, die Ihm am nächsten stehen und Sein Antlitz unaufhörlich schauen, die Ihm die liebsten sind, auch diesen Kleinen giebt, und so für sie bestimmt hat, daß sie Christus „ihre“ Engel nennt. Das allerhöchste Wesen und diese allerkleinsten Wesen haben dieselben Engel. Da sieht man, was diese Kleinen gelten im Himmel, wie sich Gott in Seinen Engeln ihrer annimmt, und wie auch wir sie achten sollen um der Engel willen, und um Gottes willen, der eine solche hohe Schildwache diesen kleinen Prinzen des Himmels giebt. Wer, wenn er ein Kind sieht, denkt daran und glaubt's so, wie es Christus sagt, daß solche himmlische Thronwächter bei ihnen sind, die zugleich vor Gott stehen und Gottes Angesicht schauen? so wie sie auf diese Erben Gottes und des Himmels schauen? Wer glaubt s, daß diese Kleinen so viel gelten vor Gott, so in Schutz genommen und so gehütet werden? Wer nimmt sich so in Acht vor Kindern etwas zu reden und zu thun, was er, wenn er den Engel Gottes, der beim Kinde steht, sehen würde, gewiß nicht reden und thun würde? O würden wir diese himmlische Dienerschaft bei den Kindern sehen, wir würden ganz anders uns gegen sie betragen, und auf sie achten. Wer aber das nicht thut, weil er die Engel nicht sieht, der glaubt nicht, was er nicht sieht, der verachtet die Kleinen und die ungesehnen Engel. Denn das nicht achten, heißt Christus: sie verachten: Sehet zu, daß ihr nicht verachtet Einen von diesen Kleinen. Wenn ihr sie nicht achtet, so verachtet ihr sie, und glaubet nicht, daß Engel sie achten und bewachen, Engel, die allezeit vor Gott stehen und Gottes Angesicht schauen.

Warum sind denn aber Kinder so hochgeachtet vor Gott und Seinen Engeln? Das wird uns aus dem heutigen Evangelio recht klar.

Die Jünger traten zu Jesu und fragten: Wer ist doch der Größte im Himmelreich? Wahrscheinlich fragten sie so, weil sie das, was Christus Matth. 16, 18. 19. zu Petrus sagte, nicht verstanden, und gerne wissen mochten, warum Er Cap. 17, 1. die drei Jünger, Petrum, Jakobum und Johannem allein mit auf den Berg zur Verklärung nahm; ob diese drei, oder ob Petrus allein der Größte und Vornehmste unter ihnen wäre. Und wie antwortet ihnen Jesus? Welchen erklärt Er für den Größten oder welche für die Vornehmsten? Keinen, sondern Er sagte Allen, daß sie nicht groß, sondern klein und Jeder gern der Kleinste werden sollte. Er rief ein Kind, ein Knäblein zu sich und stellte es mitten unter sie, und sprach: Wahrlich, ich sage euch, es sey denn, daß ihr umkehret und werdet wie die Kinder, so werdet ihr nicht in das Himmelreich kommen. Wer sich selbst erniedriget, wie dies Kind, der ist der Größte im Himmelreich - im Reich des Messias. Also weder Petrus noch Jakobus, noch Johannes, noch sonst einer ihrer Nachfolger, wie er immer heißen mag - Paulus oder Kephas oder Apollo. Der Kleinste ist der Größte. Das Himmelreich ist die umgekehrte Welt. Was in der Welt sich groß, dick und breit macht, das ist im Himmelreich ein Gräuel - gilt für nichts, ja zum Ausspeien und Auskehricht. Dagegen was thöricht ist vor der Welt, das hat Gott erwählt, daß Er die Weisen zu Schanden mache, und was schwach ist vor der Welt, das hat Gott erwählet, daß Er zu Schanden mache, was stark ist; und das Unedle vor der Welt und das Verachtete hat Gott erwählt, und das da nichts ist, daß Er zu Nichte macht, was Etwas ist; auf daß sich vor Ihm kein Fleisch rühme. 1 Kor. 1, 27. - Darum wer da gelten will im Reiche Christi, der werde thöricht. schwach, verachtet und nichts, d. i. er werde ein Kind, so demüthig und anspruchslos, so einfältig und kindlich, wie die unverdorbnen Kinder, die durch schlechte Erziehung noch nicht verdreht und verkehrt sind, denn dieser ist das Himmelreich, solche Leute müssen's seyn, solche will der König haben - nichts Großes, Stolzes, Anmaßendes, Ehrgeiziges und Uebermüthiges kann in den Himmel eingehen oder Jesu angehören. Die Jünger wollen groß werden, da sagt der Heiland: Klein müßt ihr werden; nicht hinaufsteigen, sondern herabsteigen müßt ihr, nicht größer wachsen, sondern kleiner, wiederum wie die Kinder werden - sonst kann ich euch nicht brauchen. Im Himmelreiche gilt also nichts, als eine neue Kreatur, nichts als Kindersinn und Kindereinfalt, die man durch die Wiedergeburt vom heiligen Geist erlangt.

Darum sind Kinder so geachtet vor Gott, und mit himmlischer Wache und Schutz versehen, darum sollen auch wir sie nicht verachten, weil sie das Vorbild sind, dem alle Großen wieder nachgebildet und ähnlich werden sollen. Das unselige Groß seyn und werden wollen steckt in allen Menschen, sogar die Jünger des Herrn waren nicht frei davon, obwohl sie arme Fischer und Zöllner waren. Das - sich erheben und etwas dünken,„ da man doch nichts ist, macht uns ganz untüchtig zum Himmelreiche; daher muß Jeder, der in das Reich Gottes, ein Jünger Jesu werden oder in den Himmel will, sich erst erniedrigen, und klein werden wie ein Kind durch die Wiedergeburt und Erneuerung des heiligen Geistes, sonst kann er unmöglich bei der engen Thüre. in das Himmelreich eingehen. Kinder nur kommen durch und gehen ein, Große bleiben draußen stehen.

Ein kindlich Herz und Wesen ist dem Vater angenehm,
Und nach dem Ausspruch Jesu Christ zum Himmelreich bequem.
Die aber hohen Muthes sind, die stürzt der Herr vom Stuhl,
Drum werd' ich herzlich gern ein Kind und geh' in Christi Schul'.

Da krieg ich einen Kindersinn, ich wird‘ und bleibe klein.
Und habe davon den Gewinn, dem Höchsten nah zu seyn.
Der Hohe und Erhabene hält Seine Kinder werth,
Und sieht gern auf das Niedrige im Himmel und auf Erd‘!

Da nun die Großen Kleine werden müssen, weil der Himmel mit lauter Kleinen besetzt wird, und kein Großer hineinkommen kann, so gilt das, was der Heiland von den Kleinen sagt: „Verachtet sie nicht, ihre Engel sehen stets Gottes Angesicht,“ nicht nur von kleinen Hindern, sondern auch von klein- und Kinder gewordenen Großen und Erwachsenen - von allen wahren Christen, denn alle Christen müssen Kinder, klein und demüthig seyn, oder sie sind nicht) was sie heißen und scheinen. Alle haben besondere Engel, die sie bewachen, und dort vor Gottes Angesicht stehen, und daher Alles vor Gottes Angesicht bringen, Gutes und Böses, Gebete, Seufzer und Leiden; wie ja schon aus den oben angeführten Sprüchen: Ps. 34. und Hebr. 1, 14. erhellet. Denn wie die Kinder ein besonderes Augenmerk Gottes und der heiligen Engel sind, so sind es auch alle kindliche Herzen, alle einfältige Gemüther, die demüthig und anspruchslos, sich selbst für nichts achten, nur auf Jesum sehn, nur an Jesu hängen, und nichts wissen, als Jesum den Gekreuzigten. O gewiß diese sind die Augenweide der Engel, je kleiner in sich, desto größer und angesehener im Himmel.

Ja, der Heiland sagt sogar: Wer ein solches Kind, oder einen solchen kindlichen Christen, aufnimmt in meinem Namen, der nimmt mich auf. Wie leicht kann also Jemand, der den Heiland lieb hat, Ihn haben und in sein Haus und in seine Arme nehmen. Du sagst, du habest Jesum lieb? Ist's denn wahr? Warum nimmst du Ihn denn nicht in dein Haus auf, in deine Arme, wenn Er in armen kleinen Kindern vor deiner Thür bettelt, oder ohne Brod und Kleid, ohne Vater und Mutter, ganz verlassen, ohne Erziehung und Pflege umherirrt, Aufnahme sucht und nicht findet? Du willst Christ seyn, und gibst vor, Christum lieb zu haben, und verachtest Kinder oder kindlich gläubige Christen, schämst dich ihrer oder verachtest sie! Wer solche verachtet oder nicht aufnimmt, der verachtet Christum in ihnen; wie kann damit die Liebe Christi bestehen?

Noch mehr spricht der Herr Seine Achtung und Liebe zu den Kleinen aus, wenn Er ferner sagt: Wer aber ärgert einen dieser Geringen, die an mich glauben, dem wäre besser, daß ein Mühlstein an seinen Hals gehängt würde, und er ersäuft würde im Meer, wo es am tiefsten ist.

Bei keiner Sünde hat der Heiland sonst eine solche Strafe ausgesprochen, als etwa dort bei Judas Verrath: „Es wäre ihm besser, daß er nie geboren wäre.“ Es muß also wohl die Verführung eines Kindes, oder kindlichen Christen das ärgste seyn unter allen Lastern, die von Menschen begangen werden, arger als Mord, Diebstahl, Hurerei und Ehebruch, Gottes Lästerung und Blutschande und was genannt werden mag. Man greift dem Heiland in's Auge - und Seinen Augapfel an, wenn man einem kindlichen Gemüthe Anstoß giebt, es aus seiner Einfalt und Kindlichkeit reißt, und Weltklugheit, Wollust, Stolz, Ehrgeiz, Eigenliebe, Selbstsucht und dergleichen in ihm erweckt, oder es mit irgend einer Sünde bekannt macht, oder auf irgend eine Weise verderbt, verführt, ihm das nimmt und in ihm zerstört, was Gott und den Engeln so wohl gefallt. Besser wäre es einem solchen Menschen, daß er selbst vorher unschuldig wäre hingerichtet, oder vom Blitz erschlagen oder auf die grausamste Weise gemartert worden, daß er ein solches gräuliches Laster nicht hätte begehen können. Der Mühlstein am Halse und das Ersäufen im Abgrund des Meeres hätte ihm nicht schaden, sondern ihn nur bewahren können vor dem gottlosesten Verbrechen. Wie muß den Engeln seyn, wenn sie zusehen, wie ihre Lieblinge von Menschen verführt werden! Wie Christo, der sie so theuer erkauft hat!

Deutlicher und kräftiger hätte der Heiland wohl nicht aussprechen können, wie sehr Er die Kinder liebt, und sie bewahrt wissen will von Engeln und Menschen. Möchte dieser Mühlstein Allen vor Augen schweben, die mit Hindern umgehen! Allen Müttern, allen Wärterinnen, allen Erziehern und Jugendlehrern!

Wenn der Heiland sagt: Dieser Geringen, die an mich glauben; so muß man annehmen, daß entweder die kleinen Kinder, so klein sie sind, schon glauben und getauft werden können, wie Johannes im Mutterleib; oder man muß zugestehn, daß der Herr nicht nur Kinder, sondern überhaupt alle gläubige, kindliche Gemüther und einfältige Christen gemeint hat. Es ist wohl beides anzunehmen, denn der Herr muß doch in Kleinen und Großen alles thun und wirken. Wer kann glauben ohne Ihn? wenn Er nicht den Glauben wirkt in uns, Er der Anfänger und Vollender unsers Glaubens?

Wehe der Welt der Aergerniß halber; es muß ja Aergerniß kommen, aber wehe dem Menschen, durch welchen Aergerniß kommt. Dieses Wehe hangt der Herr noch an, um Seine Drohung recht zu verstärken. Man sieht, es ist Ihm erstaunlich Ernst; Er kann nicht genug warnen vor diesem schrecklichsten aller Laster; welches doch wegen der Verdorbenheit und tiefem Verfall der Menschen unvermeidlich ist, und zur Prüfung der Frommen und Offenbarung der Bösen, daß an den Tag kommt, was in ihnen ist, nothwendig zugelassen werden muß. Darum sagt Er: Es muß Aergerniß kommen. Aber wehe dem Verführer! das entschuldigt und rechtfertigt ihn nicht. Denn der Heiland sagt ferner:

So aber deine Hand oder dein Fuß dich ärgert, so haue ihn ab, und wirf ihn von dir; wenn dich etwas, es sey dir gleich so lieb und unentbehrlich als Hand und Fuß, zu dieser oder einer andern Sünde reizt und treibt, oder von der Gottesfurcht und Gottseligkeit abhalten will, so verläugne es, entferne dich davon, oder meide es, wirf es weg, hau es ab, setze dich aus der Verbindung und dem Zusammenhang mit ihm, es sey ein Mensch oder was für ein Ding - schone nicht, wenn's auch solche Schmerzen machte, wie das Handabhauen und Fußausreißen - es muß weg; denn es ist besser lahm und krüppelhaft, einfüßig und einhändig selig werden, als mit zwei Füßen und zwei Händen in die Hölle fahren. Lieber todt als ungetreu. So ist es eben, mit den Augen; wenn du etwas noch so gern siehst, daß es deiner Augen höchste Lust und Weide ist: sobald es aber in dir böse Lust und Begierde erweckt, dir zum Stricke wird, so gib es hin, mach dich los, und sollte es auch so wehe thun, als das Augausreißen, es ist dir ja besser einäugig in den Himmel gehen, als mit beiden Augen in's höllische Feuer geworfen zu werden.

Den meisten Menschen ist aber das Himmelreich zu theuer, sie geben keinen Finger, geschweige Hand und Fuß, und Aug und Ohr, und keine Zehe, keine Thräne dafür, sie mögen es umsonst und geschenkt nicht. Denn wenn sie auch Hände und Füße und Augen und alle Glieder, Leib und Leben dafür gäben, so wäre es ja doch geschenkt und lauter Gnade.

Der Schluß des heutigen Evangeliums: denn des Menschensohn ist gekommen selig zu machen, was verloren ist; soll uns Vertrauen und Muth einflößen, daß dem, der glaubt, kein Ding unmöglich ist, und wer selig werden will, leicht selig werden kann. Er kann, wenn er auch groß ist, doch wieder ein Kind werden, er kann, wenn er auch noch so viele Anstöße und Aergernisse hat, sie alle überwinden, kann Augen, Hände und Füße ausreißen und abhauen, kann Leib und Leben verläugnen und dran geben, denn Jesus ist dazu in die Welt gekommen, ihm zu Allem zu helfen und ihn selig zu machen. Er kann ein Engel werden für Kinder, und dann wie Engel Gottes Angesicht schauen. Aber eben, weil Gottes Sohn gekommen ist, Verlorne selig zu machen, und besonders Kinder, die von Natur auch zu den Verlornen gehören, so soll er sie nicht verachten, sondern wie die Engel sie achten und bewahren und Engelsdienste bei ihnen verrichten. O Herr! sind wir verloren, so bist Du ja gerade für uns da, uns selig zu machen, Engel aus uns zu schaffen! Hier sind wir, thue Dein Amt an uns! Amen.

Reine Engel! ungesehen schwebt ihr um die Menschheit her;
Oder, ist die Welt der Welten, Licht und Raum von Bürgern leer?
Von dem Wurme bis zum Menschen steiget Schönheit, Kraft und Licht.
Nein, die große Wesenkette schließt sich mit den Menschen nicht.

Reine Wesen, Himmelskinder, schön durch ew'ge Heiterkeit!
Ach, der Glaube ist so selig, daß ihr unsre Brüder seyd!
Daß euch unser Schicksal rühret, daß ihr uns zur Seite steht,
Unsre frommen Wünsche segnet, jede Thrän' der Reue seht.

O wer wollte sich nicht schämen vor der stillen Lasterthat?
Nicht mit Scham zurücke treten vom verborgnen Sünderpfad?
Ist es möglich, daß der Pilger sein erhabnes Ziel vergißt,
Wenn er den Gedanken denket, daß er unter Engeln ist?

Auf, mein Geist, in jene Welten, wenn die Erde dich umstrickt,
Auf, zu jenen Freigebornen, wenn dich deine Knechtschaft drückt!
Strebe muthig nach dem Ziele, aus der Finsterniß zum Licht!
Gott und Engel sind dir nahe! Glaube, ringe, weiche nicht!

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