3) Blick auf das Leben einiger Wiedertäufer

Aus dem bisher gesagten ergiebt sich deutlich, daß die Religionsverbesserung überhaupt, nicht bloß in St. Gallen, sondern auch in der ganzen Schweiz vom Volke ausgegangen, auch Volksangelegenheit geworden war. Es war aber leicht voraus zu sehen, daß sein unaufgeklärter wenigstens nur halb aufgeklärter Eifer, nicht nur die Gränzen der Klugheit, sondern auch der Wahrheit dabei überschreiten, und dem Gang der Kirchenverbesserung eine nicht ganz günstige Richtung geben würde. Ja einige neue Wahrheiten, die Luther unter das Volk gebracht, vorzüglich seine Schrift von der christlichen Freyheit, in welcher er behauptete, daß ein Christ Herr aller Dinge, und niemand unterworfen sey, mußten natürlicher Weise eine große Verwirrung in den Köpfen derer anrichten, die für diese Gegenstände noch kein Fassungsvermögen hatten.

Die Kindertaufe nämlich war es, mit der sie ihre Neuerungen anfiengen, und durch deren Bestreitung sich so hervor thaten, daß sie sämmtlichen Anhänger ihren Unterscheidungsnamen davon erhielten, und Wiedertäufer (Anabaptisten)1) genannt wurden. Die schon seit Jahrhunderten in der christlichen Kirche eingeführte Uebung die Kinder bald nach ihrer Geburt zu taufen, verwarfen sie, weil eine solche Handlung der Vernunft eben so sehr als der Absicht und Lehre Jesu zuwider sey. Mit einem Worte: sie verwarfen die Kindertaufe als eine unwirksame Ceremonie, und behaupteten, daß dies Einweihungssakrament erst in erwachsenen Jahren empfangen werden müsse. Ja, es fehlte ihnen nicht an Kunstgriffen, ihre Lehre von einer Seite darzustellen, wo sie einen sehr widrigen Eindruck zu machen, und auf den schwächsten Stützen zu ruhen schien. Auch die nördliche und östliche Schweiz verfiel in diese Schwärmerei, indem einige aus Sachsen vertriebene Wiedertäufer sich hier einzunisten, und das Gift ihrer Lehren zu verbreiten suchten. Bei vielen fand dies um so willkommnern Eingang, weil man ihrem zeitlichen Vortheile schmeichelte, die Befreyung von allen Steuern, Zinsen, Zehnten und Diensten, die sie bisher der Obrigkeit geleistet hatten, verhieß und Freiheit zu einem ungebundenen Wesen ertheilte.

Der hitzigste Verfechter der Wiedertaufe, der in der Schweiz als Haupt derselben betrachtet werden kann, war ohnstreitig Conrad Grebel, von Zürich. Aus guter Familie entsprossen, mit schönen Talenten von der Natur begabt2), gieng er frühzeitig nach Paris und Wien, um sich mit der hebräischen und griechischen Sprache, was damals etwas Seltenes war, vertraut zu machen, um als Lehrer der hohen Schule in seiner Vaterstadt, seinen Mitbürgern nützlich werden zu können. Aber durch jugendliche Unbesonnenheit und Eigensinn, durch Liebeshändel und andere tolle Streiche, stürzte er sich und die Seinen ins Unglück. Daß er in den Wissenschaften gar nicht ungeschickt gewesen, beweist besonders die Vorrede, die er einem, von seinem gelehrten und würdigen Schwager Joachim v. Watt, herausgegebenen lateinischen Schriftsteller (P. Mela) vorgesetzt hat.

Anfangs schätzte ihn selbst Zwingli, weil er ein guter Kopf, ein eifriger Feind der Unwissenheit und des Aberglaubens war, und für eine neue bessere Form viele Neigung zeigte. Durch Thomas Münzers Eingebungen und wiedertäuferische Schwärmereien veranlaßt, wollte er Zwinglin zur Errichtung einer besondern Kirche bereden; da dieser aber dazu keine Neigung hatte, und seine Hoffnung, eine griechische Professur in Zürich zu erlangen, fehl schlug, so verwickelte er sich aus Verdruß in das wiedertäuferische Unkraut, und trat mit Felix Manz, seinem Glaubensverwandten, nun öffentlich als Wiedertäufer auf. Durch Zwinglis Widerlegung mehr beschämt als bekehrt, streuten sie den Saamen ihrer fanatischen Grundsätze immer weiter aus, prahlten mit Erscheinungen, und höhern Eingebungen, tauften die, so sich zu ihnen wandten, liefen wie Besessene durch die Straßen, und schrien das Weh über die Stadt Zürich aus. Dabei predigten sie Gemeinschaft der Güter und Habe, hielten sich selbst für sündlos, erklärten die Wiedertaufe für ein Gegengift aller bösen Begierden, und behaupteten, ein Christ sei keiner weltlichen Obrigkeit Rechenschaft schuldt u.s.w.

Grebel begab sich nun, weil man ihn wegen seines aufrührischen Wesens aus Zürich vertrieb, in die Allmans-Gegenden und Schafhausen und von da nach St. Gallen, um das Gift seiner Lehre auch hier zu verbreiten. An letzterm Orte werden wir ihn nachher wiederfinden. Mit ihm stand in genauer Verbindung Dr. Balthasar Hubmeyer, von seinem Geburtsort Friedberg, oft auch schlechthin Friedberger genannt, Pfarrer zu Waldshut, ein berühmter Canzelredner seiner Zeit. Mit eben so großer Sorgfalt als Glück, führte er in seiner Gemeinde die Reformation ein, und war, ehe er mit der schwärmerischen Wiedertäuferei befallen wurde, ein sehr achtungswürdiger und treuer Lehrer seiner Pfarrkinder. Durch einen Besuch, den er mit einem Freunde von St. Gallen zufällig in dieser Stadt machte, gelangte der Ruf von seiner hinreißenden Beredtsamkeit auch in die Schweiz. Da hier die Kirchen die Menge Volkes vor welchem er auftrat, nicht fassen konnten, predigte er unter freiem Himmel, oder in seiner Wohnung zum Fenster hinaus, und kehrte mit Geschenken überhäuft, nach Waldshut zurück.

Hottinger meldet aber von ihm: „er sei vom Seil gefallen“, und spielt damit auf die wiedertäuferischen Irrthümer an, in die er sich nachher durch Th. Münzern, verstrickt habe. Dieser aus Sachsen vertriebene Schwärmer hatte sich auch nach Waldshut begeben, wo er sich Anhänger zu verschaffen wußte. Hubmeyer, mit der Lehre von der Kindertaufe ohnehin nicht ganz im Reinen, war bald von einem auf die Seite gebracht, wurde einer der hitzigsten Verfechter derselben, und vertheidigte sie sogar in Schriften. Er ließ sich nebst 60 andern Personen nochmals taufen, und kaum hatte er die Taufe empfangen, so wußte er 300 andere dazu zu überreden. Nachdem aber die Oestreicher, die sich die zu Waldshut entstandenen Streitigkeiten zu Nutze machten, die katholische Religion daselbst wieder einführten, so mußte Hubmeyer und sein Anhang flüchtig werden. Er begab sich nach Zürich, wo er eine Zeitlang bei einer gleichgesinnten Witwe, versteckt, nachher entdeckt und eingezogen wurde. Durch Zwinglis Bemühungen bekannte er endlich seinen Irrthum, und erbot sich selbst zum Widerruf. Es wurde daher ein Tag festgesetzt, an welchem er in der Kirche zum Frauen-Münster in einem öffentlichen Vortrage seinen Wiederruf aussprechen sollte. Zwingli predigte vorher von der Beständigkeit; als nun Hubmeyer auftrat, vertheidigte er vielmehr die Wiedertaufe, statt ihr abzusagen, indem er mit folgenden Worten seine Stimme und Hände gen Himmel erhob: „o, wie hab' ich in dieser Nacht viel Streit und Anfechtung gehabt über die Sprüche darauf ich mich gelassen. So sag ich hiermit: ich kann und mag die Wiedertaufe nicht wiederrufen.“ Das Volk murrte; Hubmeyer aber wurde ins Gefängniß nach dem Wellenberg, abgeführt, wo er sich nach Verlauf von einem Monate vernehmen ließ: „er wisse nicht, was er damals in der Kirche gesagt, habe er die Wiedertaufe vertheidiget, so habe es der Teufel gethan!“ Er versprach nun abermals zu wiederrufen, was er auch that. Man reichte ihm auf Zwinglis Fürbitte ein kleines Reisegeld, und entließ ihn, ohne ihn an den Kaiser auszuliefern, der ihn den Zürchern abgefordert hatte. Kaum aber sah er sich in Freyheit, so nahm er seine vorigen Irrthümer wieder an, und verläumdete noch überdies Zwinglin, der ihn doch so liebevoll und nachsichtig behandelt hatte 3). Wir werden weiter unten mehr von ihm hören.

Auch Wolfgang Ulmann, von St. Gallen, ein ehemaliger Conventual des Klosters St. Luzien in Chur, gehört in diese Klasse. Er hatte beim Ausbruch der Reformation seine Clausur verlassen, und sich in seine Vaterstadt zurückgezogen. Gerade damals zeigte sich unter den dortigen Bürgern ein solcher Eifer nach der reinen Quelle des Wortes Gottes, daß man auf den Straßen und in den Zunftstuben der Stadt seinen Durst mit dem Wasser des Lebens stillen wollte. Nachdem sich Keßler von diesem Geschäfte zurückgezogen, erbat man W. Ulmann, diese biblischen Erbauungsstunden zu übernehmen, wozu er sich auch verstand. Da er aber ein Handwerk zu erlernen willens, und es weder ihm noch seinem Meister ganz schicklich war, viele Zeit auf diese Vorlesungen zu verwenden, so trat er sie an einen anderen Lehrer der Stadt wieder ab. Durch die Bekanntschaft mit einem seiner Mitbürger aber, Lorenz Hochreutener, seines Handwerks ein Weber, von dem Gifte der Wiedertaufe angesteckt, begab er sich nach Schaffhausen, suchte Grebeln auf, und wurde von diesem so sehr in seinem Irrthume bestärkt, daß er bat, ihn nicht blos aus einer Schüssel mit Wasser zu taufen, sondern sich völlig entblößen, und im Rheinstrome ganz mit Wasser bedecken zu dürfen. - Sein trauriges Ende werden wir in der Folge anzeigen.

So tief sinken Menschen die die Richtschnur der Vernunft verlassen, die Sprüche der hl. Schrift mißbrauchen, und nur ihre eigenen schwärmerischen Einfälle für göttliche Eingebungen erklären. Sie stehen in Gefahr sich in die unseligsten Abgründe zu stürzen, erlauben sich allerley Laster, und weil sie meinen, daß sie nicht mehr im Fleische, sondern im Geiste leben, so halten sie selbst ihre Ausschweifungen nicht mehr für Sünde. - Traurige Belege dazu lieferte uns leider die neueste Tagesgeschichte.

1)
Ich bin geneigt, die Wiege dieser Sectirer in die Gebirgstheile des Allmans, und ins Fischenthal Kant. Zürich zu verlegen. Hier zeigten sich schon vor dem 13ten Jahrhunderte Landleute, welche von den Lehrmeinungen der Kirche abwichen, und ihnen widersprachen; nur trugen sie damals andere Benennungen, und wurden von ihren Stiftern Brusi und Hanrich Brusianer und Hanrichaner genennt. Ihr Hauptsatz war schon damals: der Mensch müsse erst dann getauft werden, wenn er von seinem Glauben Rechenschaft ablegen könne.
2)
Joachim v. Watt (Vadian), sein Schwager in St. Gallen, sagt in einem Briefe an Johannes Zwickl den 10ten Aug. 1540 von ihm: Chunradus ille meus Grebelius, Tig. magnis dotibus praeditus, praeclaroque familia natus homo etc.
3)
Zwingli schreibt von ihm: In eo homine nihil, quam immoderatam rei gloriaeque sitim, deprehendisse visua sum, ipse mihi.
Cookies helfen bei der Bereitstellung von Inhalten. Diese Website verwendet Cookies. Mit der Nutzung der Website erklären Sie sich damit einverstanden, dass Cookies auf Ihrem Computer gespeichert werden. Außerdem bestätigen Sie, dass Sie unsere Datenschutzerklärung gelesen und verstanden haben. Wenn Sie nicht einverstanden sind, verlassen Sie die Website.Weitere Information
autoren/f/franz_jf/kapitel_3.txt · Zuletzt geändert: von 127.0.0.1
Public Domain Falls nicht anders bezeichnet, ist der Inhalt dieses Wikis unter der folgenden Lizenz veröffentlicht: Public Domain