Francke, August Hermann - Anfang und Fortgang der Bekehrung

Francke, August Hermann - Anfang und Fortgang der Bekehrung

Was mein Christentum betrifft, ist dasselbe, sonderlich in den ersten Jahren, da ich in Leipzig gewesen, gar schlecht und lau gewesen. Meine Intention war, ein vornehmer und gelehrter Mann zu werden; reich zu werden und in guten Tagen zu leben, wäre mir nicht unangenehm gewesen, ob ich wohl das Ansehen nicht hätte haben wollen, als wenn ich danach trachtete. Die Anschläge meines Herzens waren eitel und gingen aufs Zukünftige, welches ich nicht in meinen Händen hatte. Ich war mehr bemüht, Menschen zu gefallen und mich in ihre Gunst zu setzen, als dem lebendigen Gott im Himmel. In summa: Ich war innerlich und äußerlich ein Weltmensch und hatte im Bösen nicht ab-, sondern zugenommen. Das Wissen hatte sich wohl vermehrt, aber dadurch war ich immer mehr aufgeblasen. Über Gott habe ich wohl keine Ursache, mich diesfalls zu beklagen. Denn Gott unterließ nicht, mein Gemüt oftmals gar kräftig zu rühren und mich durch sein Wort zur Buße zu rufen. Ich war wohl überzeugt, daß ich nicht im rechten Zustande wäre. Ich warf mich oft nieder auf meine Knie und gelobte Besserung, aber der Ausgang bewies, daß es nur eine fliegende Hitze gewesen. Ich wußte mich wohl zu rechtfertigen vor den Menschen, aber der Herr erkannte mein Herz. Ich war wohl in großer Unruhe und in großem Elend, doch gab ich Gott die Ehre nicht, den Grund solches Unfriedens zu bekennen und bei ihm allein den wahren Frieden zu suchen.

Ich sah wohl, daß ich in solchen principiis, darauf ich mein Tun setzte, nicht acquiescieren könnte, doch ließ ich mich durch die verderbte Natur immer mehr einschläfern, meine Buße aufzuschieben von einem Tage zum andern. Demnach kann ich anders nicht sagen, als daß ich wohl vierundzwanzig Jahre nicht viel besser gewesen als ein unfruchtbarer Baum, der zwar viel Laub, aber mehrenteils faule Früchte getragen. Aber in solchem Zustande hat mein Leben der Welt gar wohl gefallen, daß wir uns miteinander gar wohl vertragen können. Denn ich liebte die Welt, und die Welt liebte mich. Ich bin da gar frei von Verfolgungen gewesen, weil ich bei den Frommen dem Schein nach fromm und mit den Bösen in der Wahrheit bös zu sein und den Mantel nach dem Wind zu hängen gelernt hatte. Man hat mich da der Wahrheit wegen nicht angefeindet, weil ich mir die Leute nicht gern zum Feinde machte, sie auch mit rechtem Ernst nicht sagen konnte, weil ich selbst nicht danach lebte. Doch hat solcher Friede mit der Welt meinem Herzen keine Ruhe bringen können, sondern die Sorge für das Zukünftige, Ehrsucht, Begierde, alles zu wissen, Gesuch menschlicher Gunst und Freundschaft und andere dergleichen aus der Weltliebe fließende Laster, insonderheit aber der immer heimlich nagende Wurm eines bösen Gewissens, daß ich nicht in einem rechten Zustand wäre, trieben mein Herz als ein ungestümes Meer bald auf die eine, bald auf die andere Seite, obzwar solches sich öfters gleichsam versteckte, daß ich's in äußerlicher Fröhlichkeit oft andern zuvortat. In solchem Zustande habe ich die meiste Zeit in Leipzig zugebracht, und kann mich bis Anno 1687 nicht erinnern, daß ich eine recht ernstliche und gründliche Besserung vorgenommen hätte. Aber gegen das vierundzwanzigste Jahr meines Alters fing ich an, in mich zuschlagen, meinen elenden Zustand tiefer zu erkennen und mit größerem Ernst mich zu sehnen, daß meine Seele davon möchte befreit werden. Sollte ich sagen, was mir zuerst Gelegenheit dazu gegeben, wüßte ich außer der allezeit zuvorkommenden Gnade Gottes von Äußerlichem nichts gewisser anzuzeigen als mein studium theologicum, welches ich sogar ins Wissen und in die Vernunft gefasset, daß ich vermeinte, ich könnte die Leute unmöglich damit betrügen, noch mich in ein öffentliches Amt stecken lassen, den Leuten vorzusagen, wes ich selbst in meinem Herzen nicht überzeugt wäre. Ich lebte noch mitten unter weltlicher Gesellschaft, war, mit Anlockungen zur Sünde um und um begeben. Dazu kam die lange Gewohnheit. Aber des alles ungeachtet war mein Herz vom allerhöchsten Gott gerührt, mich vor ihm zu demütigen, ihn um Gnade zu bitten und oftmals auf meinen Knien anzuflehen; daß er mich in eine andere Lebensbeschaffenheit setzen und mich zu einem rechtschaffenen Kinde Gottes machen wollte. Es hieß nun bei mir (aus Heb. 5, 12): „Die ihr solltet längst Meister sein, bedürfet ihr wiederum, daß man euch die ersten Buchstaben der göttlichen Worte lehre und daß man euch Milch gebe und nicht starke Speise.“

Denn ich hatte ungefähr sieben Jahr Theologiam studiert, wußte ja wohl, was unsere Thesis war, wie sie zu behaupten, was die Adversarii dagegen einwandten, hatte die Schrift durch- und wieder durchgelesen, ja auch von den libris practicis nicht wenig, aber weil dieses alles nur in der Vernunft und ins Gedächtnis von mir gefaßt und das Wort Gottes nicht bei mir ins Leben verwandelt war, sondern ich hatte den lebendigen Samen des Wortes Gottes bei mir erstickt und unfruchtbar sein lassen, so mußte ich nun gleichsam aufs neue den Anfang machen, ein Christ zu werden. Ich fand aber dabei meinen Zustand so verstrickt und war mit so mancherlei Hindernissen und Abhaltungen von der Welt umgeben, daß es mir ging wie einem, der in einem tiefen Schlamm steckt und etwa einen Arm hervorstreckt, aber die Kraft nicht findet, sich ganz loszureißen, oder wie einem, der mit Banden und Fesseln an Händen und Füßen und am ganzen Leibe gebunden ist und einen Strick zerreißt, aber sich herzlich sehnt, daß er auch von den andern möchte befreit werden. Gott aber, der Getreue und Wahrhaftige, kam mir mit seiner Gnade allezeit zuvor und bereitete mir gleichsam den Weg, ihm von Tage zu Tage gefälliger zu leben. Er hob bald durch seine starke Hand die schwersten äußerlichen Hinderungen, daß ich deren auch ohne Vermuten entladen wurde, und weil er zugleich mein Herz änderte, ergriff ich mit Begierde alle Gelegenheit, ihm eifriger zu dienen. In solchem Zustande war ich gleichsam in der Dämmerung und als hätte ich einen Flor vor den Augen. Ich hatte gleichsam einen Fuß auf die Schwelle des Tempels gesetzt und war dennoch von der so tief eingewurzelten Weltliebe zurückgehalten, nicht vollends hineinzugehen.

Die Überzeugung war sehr groß in meinem Herzen, aber die alte Gewohnheit brachte so vielfältige Übereilungen in Worten und Werken, daß ich daher sehr geängstet war. Hierbei war dennoch ein solcher Grund in meinem Herzen, daß ich die Gottseligkeit sehr liebte und ohne Falsch gar ernstlich davon redete und guten Freunden meine Intention, hinfüro Gott zu Ehren zu leben, ernstlich bezeugte, so daß ich auch wohl von einigen für einen eifrigen Christen gehalten ward und mir nach der Zeit gute Freunde bekannt, daß sie eine merkliche Änderung bereits in solcher Zeit an mir gespürt hätten. Ich weiß aber wohl und ist Gott dem Herrn nicht unbekannt daß der Sinn dieser Welt damals noch die Oberhand bei mir gehabt und daß das Böse so stark bei mir geworden wie ein Riese, dagegen sich etwa ein Kind auflehnt. Wer wäre elender gewesen als ich, wenn ich in solchem Zustande geblieben wäre, da ich mit der einen Hand den Himmel, mit der andern die Erde ergriff oder doch bald dem einen, bald dem andern widerstrebte und es also mit keinem recht hielt. Aber wie groß ist die Liebe Gottes, die er in Christo Jesu dem menschlichen Geschlechte erzeigt hat! Gott warf mich nicht weg um meines tiefen Verderbens willen, darinnen ich gesteckt hatte, sondern hatte Geduld mit mir und half meiner Schwachheit auf, daß ich dennoch den Mut nicht sinken ließ, sondern noch immer hoffte, ich würde besser durchbrechen zu einem wahrhaftigen Leben, das aus Gott ist. Ich habe an mir recht erfahren, daß man nicht Ursache habe, sich über Gott zu beklagen, sondern daß er bereit sei, Tür und Tor aufzutun, wo er ein Herz findet, das es redlich mit ihm meint und sein Angesicht ernstlich sucht. Gott ist mir allemal gleichsam vorgegangen und hat die Klötzer und Pflöcke aus dem Wege gehoben, damit ich überzeugt würde, das meine Bekehrung nicht mein, sondern sein Werk wäre. Gott nahm mich gleichsam bei der Hand und leitete mich, wie eine Mutter ihr schwaches Kind leitet, und so groß und überschwenglich war seine Liebe, daß er mich auch wieder ergriff, wenn ich mich von seiner Hand losgerissen hatte, und ließ mich dafür die Rute seiner Züchtigung wohl fühlen. Er erhörte auch endlich mein Gebet darin, daß er mich in einen freien und ungebundenen Zustand setzte, wo ich mit der Welt nichts oder doch so wenig zu schaffen hatte, daß ich mit größerem Unrecht über äußerliche Hindernisse und Abhaltungen meines Christentums würde geklagt haben.

Denn Gott fügte es, daß ich Leipzig, wo mich noch immer diese und jene Hindernisse gefangen hielten, verlassen mußte indem er meines Vetters D. Gloxini Herz dahin gelenkt, daß er mir das stipendium Schabbelianum wieder reichte, und weil er mit allem Ernst verlangte, daß ich das studium exegeticum vor allen Dingen prosequieren sollte, mir nach Lüneburg zu reisen auftrug und daselbst mich Herrn Sandhagens, damals Superintendentis zu Lüneburg, jetzt Generalsuperintendent in Holstein, Information in solchem studio zu bedienen. Dahin reiste ich also um Michaelis 1687, und zwar mit desto größerer Freudigkeit, weil ich hoffte, durch solchen Weg mich meines Hauptzwecks, nämlich ein rechtschaffener Christ zu werden, völliger zu versichern. Hier waren die äußerlichen Hindernisse vom lieben Gott gleichsam auf einmal weggenommen. Ich hatte mein Stübchen allein, darinnen ich nicht verunruhigt oder von jemandem in guten Gedanken gestört ward, dazu speiste ich bei christlichen und gottseligen Leuten.

Ich war kaum hingekommen, so ward ich um eine Predigt in der Johanneskirche daselbst abzulegen angesprochen, und zwar eine geraume Zeit vorher, ehe die Predigt sollte abgelegt werden. Nun war doch bereits damals mein Gemüt in solchem Stande, daß ich nicht die bloße Übung im Predigen, sondern vornehmlich die Erbauung der Zuhörer abzielte. Indem ich nun darauf bedacht war, geriet ich über den Text: „Dieses ist geschrieben, daß ihr glaubet, Jesus sei Christ, und daß ihr durch den Glauben das Leben habt in seinem Namen“ (Joh. 20, 31). Bei diesem Text gedachte ich sonderlich Gelegenheit zu nehmen, von einem wahren, lebendigen Glauben zu handeln und wie solcher von einem bloßen Menschlichen und eingebildeten Wahnglauben unterschieden sei. Indem ich nun mit allem Ernst hierauf bedacht war, kam mir zu Gemüt, daß ich selbst einen solchen Glauben, wie ich ihn erfordern würde in der Predigt, bei mir nicht fände. Ich kam also von der Meditation der Predigt ab und fand genug mit mir selbst zu tun. Denn solches, nämlich daß ich noch keinen wahren Glauben hätte, kam mir immer tiefer zu Herzen. Ich wollte mich hiermit und damit aufrichten und gleichsam die traurigen Gedanken damit verjagen, aber es wollte nichts hinlänglich sein. Ich war bisher nur gewohnt, meine Vernunft mit guten Gründen zu überzeugen, weil ich im Herzen von dem neuen Wesen des Geistes wenig erfahren hatte. Darum meinte ich auch durch solchen Weg zu helfen, aber je mehr ich mir helfen wollte, desto tiefer stürzte ich mich in Unruhe und Zweifel. Ich nahm zur Hand Herrn Job. Musaei collegium systematicum manu scriptum, welches ich mir bisher vor andern bekannt gemacht hatte, aber ich mußte es wieder weglegen und fand nicht, woran ich mich hätte halten mögen. Ich meinte, an die Heilige Schrift würde ich mich doch halten, aber bald kam mir in den Sinn: Wer weiß, ob auch die Heilige Schrift Gottes Wort ist? Die Türken geben ihren Alkoran und die Juden ihren Talmud auch dafür aus. Wer will nun sagen, wer recht habe? Solches nahm immer mehr die Überhand, bis ich endlich von dem allen, was ich mein Leben lang, insonderheit aber in dem über acht Jahre getriebenen studio theologico, von Gott und seinem geoffenbarten Wesen und Willen gelernet, nicht das Geringste mehr Übrig war, das ich von Herzen geglaubt hätte.

Denn ich glaubte auch keinen Gott im Himmel mehr, und damit war alles aus, daß ich mich weder an Gottes noch an Menschen Wort mehr halten konnte, und ich fand auch damals in einem so wenig Kraft wie in dem andern. Es war nicht etwa bei mir eine solche Ruchlosigkeit, daß ich aus weltlich gesinntem Herzen die Wahrheit Gottes in den Wind geschlagen hätte; wie gerne hätte ich alles geglaubt, aber ich konnte nicht. Ich suchte auf diese und jene Weise mir selbst zu helfen, aber es reichte nichts hin. Inzwischen ließ sich Gott meinem Gewissen nicht unbezeugt. Denn bei solcher wirklichen Verleugnung Gottes, welche in meinem Herzen war, kam mir dennoch mein ganzes Leben vor Augen, wie einem, der auf einem hohen Turm die ganze Stadt übersieht. Erstlich konnte ich gleichsam die Sünden zählen, aber bald öffnete sich auch die Hauptquelle, nämlich der Unglaube oder bloße Wahnglaube, damit ich mich selbst so lange betrogen. Und da ward mir mein ganzes Leben und alles, was ich getan, geredet und gedacht hatte, als Sünde und ein großer Gräuel vor Gott vorgestellt. Das Herz war hart beängstigt, daß es den zum Feinde hatte, welchen es doch verleugnete und nicht glauben könne. Dieser Jammer preßte mir viel Tränen aus den Augen, dazu ich sonst nicht geneigt bin. Bald saß ich an einem Ort und weinte, bald ging ich in großem Unmut hin und wieder, bald fiel ich nieder auf meine Knie und rief den an, den ich doch nicht kannte. Doch sagte ich, wenn ein Gott wahrhaftig wäre, so möchte er sich mein erbarmen. Und solches trieb ich oft und vielfältig. Wenn ich bei Leuten war, verstellte ich mein innerliches Elend, so gut ich immer konnte.

Einstmals, als ich abgespeist hatte, verlangte ich zu einem in der Nähe wohnenden Superintendenten mit meinem Tischwirt zu gehen, welcher auch einwilligte. Ich nahm inzwischen, vor dem Tische stehend, das griechische Neue Testament in die Hand, darin zu lesen. Als ich's aufschlug, sagte mein Tischwirt: „Ja, wir haben wohl hieran einen großen Schatz.“ Ich sah mich um und fragte ihn, ob er sehe, was ich aufgeschlagen hätte. Er sagte nein. So, sagte ich, sehe er die Antwort: „Wir haben aber den Schatz in irdischen Gefäßen“, 2. Kor. 4. Solche Worte mir gleich, als er solches gesagt, ins Gesicht fielen. Dieses ging mir zwar ein wenig zu Herzen und gedachte, daß es wohl nicht ungefähr also kommen möchte; es schien auch gleichsam ein verborgener Trost dadurch sich in mein Herz zu senken. Aber mein atheistischer Sinn brauchte bald die verdorbene Vernunft zu ihrem Werkzeuge, mir die Kraft des göttlichen Wortes wieder aus dem Herzen zu reißen. Ich setzte nebst meinem Tischwirt den vorgenommenen Weg fort, trafen auch erwähnten Superintendenten zu Hause an, welcher uns in die Stube führte und uns niedersitzen ließ. Kaum hatten wir uns niedergesetzt, fing erwähnter Herr Superintendent an zu discourieren, woraus der Mensch erkennen sollte, ob er Glauben habe oder nicht. über solche Frage ward Unterschiedliches unter ihnen geredet, so wohl einen Gläubigen hätte stärken mögen. Ich saß aber dabei, verwunderte mich anfänglich und gedachte, ob sie auch von ungefähr auf solchen mir höchst nötigen Discours kommen könnten, da doch keiner von meinem Zustand, wie auch sonst kein Mensch in der ganzen Welt, das Geringste wußte. Ich hörte ihnen auch fleißig zu, aber mein Herz wollte sich dadurch nicht stillen, sondern ich ward, vielmehr dadurch überzeugt, daß ich keinen Glauben hätte, weil ich gerade das Gegenteil von den Kennzeichen des Glaubens, so sie aus dem Grunde der Schrift anführten, an mir erkannte. Da wir Abschied genommen hatten und ich mit meinem Herrn Tischwirt wieder zurück in die Stadt ging, offenbarte ich demselben mein Herz, sagend: Wenn er wüßte, in welchem Zustand ich wäre, würde er sich wundern, wie sie eben auf solchen Discours gekommen wären. Und da er fragte, in welchem? antwortete ich: Ich hätte keinen Glauben. Er erschrak dessen und suchte alles hervor, mich aufzurichten. Ich legte mich dagegen mit meiner Vernunft und sagte endlich zum Beschluß: Was er angeführt, möchte ihn wohl stärken, aber mir könnte es nicht helfen. Nun hätte ich auch wünschen mögen, daß ich's bei mir behalten hätte.

Inzwischen fuhr ich in meinem vorigen Tun fort und hielt an mit fleißigem Gebet auch in der größten Verleugnung meines Herzens. Folgenden Tages, welches war an einem Sonntage, gedachte ich mich gleich also in voriger Unruhe zu Bette zu legen, war auch darauf bedacht, daß ich, wenn keine Änderung sich ereignete, die Predigt wieder absagen wollte, weil ich im Unglauben und wider mein eigen Herz nicht predigen und die Leute also betrügen könnte. Ich weiß auch nicht, ob es mir möglich gewesen sein. Denn ich fühlte es gar zu hart, was es sei, keinen Gott haben, an den sich das Herz halten könne, seine Sünden beweinen und nicht wissen, warum, oder wer der sei, der solche Tränen auspreßt, und ob wahrhaftig ein Gott sei, den man damit erzürnt habe; sein Elend und großen Jammer täglich sehen und doch keinen Heiland und keine Zuflucht wissen oder kennen. In solcher großen Angst legte ich mich nochmals an erwähntem Sonntagabend nieder auf meine Knie und rief an den Gott, den ich noch nicht kannte noch glaubte, um Rettung aus solchem elenden Zustand, wenn anders wahrhaftig ein Gott wäre. Da erhörte mich der Herr, der lebendige Gott, von seinem heiligen Throne, da ich noch auf meinen Knien lag. So groß war seine Vaterliebe, daß er mir nicht nur nach und nach solchen Zweifel und Unruhe des Herzens wieder benehmen wollte, daran mir wohl hätte genügen können, sondern damit ich desto mehr überzeugt sein würde und meiner verirrten Vernunft ein Zaum angeleget würde, gegen seine Kraft und Treue nichts einzuwenden erhörte er mich plötzlich.

Denn wie man eine Hand, umwendet, so war all mein Zweifel hinweg, ich war versichert in meinem Herzen der Gnade Gottes in Christo Jesu, ich konnte Gott nicht allein Gott, sondern meinen Vater nennen, alle Traurigkeit und Unruhe des Herzens ward auf einmal weggenommen, hingegen ward ich wie mit einem Strom der Freude plötzlich überschüttet, daß ich aus vollem Mut Gott lobte und pries, der mir solche Gnade erzeigt hatte. Ich stand anders gesinnt auf, als ich mich niedergelegt hatte. Denn mit großem Kummer und Zweifel habe ich meine Knie gebogen, aber mit unaussprechlicher Freude und großer Gewißheit stand ich wieder auf. Da ich mich niederlegte, glaubte ich nicht, daß ein Gott wäre, da ich aufstand, hätte ich's wohl ohne Furcht und Zweifel mit Vergießung meines Bluts bekräftigt. Ich begab mich darauf zu Bette, aber ich. konnte vor großen Freuden nicht schlafen, und wenn sich die Augen etwa ein wenig geschlossen, erwachte ich bald wieder und fing aufs neue an, den lebendigen Gott, der sich meiner Seele zu erkennen gegeben, zu loben und zu preisen. Denn es war mir, als hätte ich in meinem ganzen Leben gleichsam in einem tiefen Schlaf gelegen und als wenn ich alles nur im Traum getan hätte und wäre nun erstlich davon aufgewacht.

Es durfte mir niemand sagen, was zwischen dem natürlichen Leben eines natürlichen Menschen und zwischen dem Leben, das aus Gott ist, für ein Unterschied sei. Denn mir war zumut, als wenn ich tot gewesen wäre, und siehe, ich war lebendig geworden. Ich konnte mich nicht die Nacht über in meinem Bette halten, sondern ich sprang vor Freuden heraus und lobte den Herrn, meinen Gott. Ja, es war mir viel zu wenig, daß ich Gott loben sollte, ich wünschte, daß alles mit mir den Namen des Herrn loben möchte. Ihr Engel im Himmel rief ich, lobet mit mir den Namen des Herrn, der mir solche Barmherzigkeit erzeigt hat. Meine Vernunft stand nun gleichsam von ferne, der Sieg war ihr aus den Händen gerissen, denn die Kraft Gottes hatte sie dem Glauben untertänig gemacht. Doch gab sie mir zuweilen in den Sinn: sollte es auch wohl natürlich sein können, sollte man nicht auch von Natur solche große Freude empfinden können; aber ich war gleich dagegen ganz und gar überzeugt, daß alle Welt mit aller ihrer Lust und Herrlichkeit solche Süßigkeit im menschlichen Herzen nicht erwecken könne, als diese war, und sah wohl im Glauben, daß nach solchem Vorgeschmack der Gnade und Güte Gottes die Welt mit ihren Reizungen zu einer weltlichen Lust wenig mehr bei mir ausrichten würde. Denn die Ströme lebendigen Wassers waren mir nun allzu lieblich geworden, daß ich leicht vergessen konnte der stinkenden Mistpfützen dieser Welt. O wie angenehm war mir diese erste süße Milch, damit Gott seine schwachen Kinder speist! Nun hieß es aus dem 36. Psalm: „Wie teuer ist deine Güte, Gott, daß Menschenkinder unter dem Schatten deiner Flügel trauen! Sie werden trunken von den reichen Gütern deines Hauses, und du tränkest sie mit Wollust wie mit einem Strom. Denn bei dir ist die lebendige Quelle, und in deine Lichte sehen wir das Licht.“

Nun erfuhr ich wahr zu sein, was Lutherus sagt in der Vorrede über die Epistel an die Römer: „Glaube ist ein göttlich Werk in uns, das uns wandelt und neugebiert aus Gott (Joh. 1, 12) und tötet den alten Adam, macht uns ganz andere Menschen von Herzen, Mut, Sinn und allen Kräften und bringet den Heiligen Geist mit sich.“ Und: „Glaube ist eine lebendige, verwegene Zuversicht auf Gottes Gnade, so gewiß, daß er wohl tausendmal darüber stürbe. Und solche Zuversicht und Erkenntnis göttlicher Gnade macht fröhlich, trotzig und lustig gegen Gott und alle Kreaturen, welches der Heilige Geist tut im Glauben.“

Gott hatte nun mein Herz mit Liebe gegen ihn erfüllt, dieweil er sich mir als das allerhöchste und allein unschätzbare Gut zu erkennen gegeben. Daher konnte ich auch des folgenden Tages meinem Herrn Tischwirt, der um meinen vorigen elenden Zustand gewußt hatte, diese meine Erlösung nicht ohne Tränen erzählen, darüber er sich mit mir erfreute. Des Mittwochs darauf verrichtete ich nun auch die mir aufgetragene Predigt mit großer Freudigkeit des Herzens und aus wahrer göttlicher Überzeugung über den oben angeführten 21. Vers des 20. Kapitels Johannis und konnte da mit Wahrheit sagen aus 2. Kor, 4: Dieweil wir nun eben denselbigen Geist des Glaubens haben, nachdem geschrieben steht, ich glaube, darum rede ich, so glauben wir auch, darum reden wir auch.

Und das ist also die Zeit, dahin ich eigentlich meine wahrhaftige Bekehrung rechnen kann. Denn von der Zeit an hat es mit meinem Christentum einen Bestand gehabt, und von da an ist mir's leicht geworden, zu verleugnen das ungöttliche Wesen und die weltlichen Lüste und züchtig, gerecht und gottselig zu leben in dieser Welt; von da an habe ich mich beständig zu Gott gehalten, Beförderung, Ehre und Ansehen vor der Welt, Reichtum und gute Tage und äußerliche, weltliche Ergötzlichkeit für nichts geachtet; und da ich mir vorher einen Götzen aus der Gelehrsamkeit gemacht, sah ich nun, daß Glaube wie ein Senfkorn mehr gelte als hundert Säcke voll Gelehrsamkeit, und daß alle zu den Füßen Gamaliels erlernte Wissenschaft als Dreck zu achten sei gegen die überschwengliche Erkenntnis Jesu Christi unsers Herrn.

Von da an habe ich auch erst recht erkannt, was Welt sei und worin sie von den Kindern Gottes unterschieden sei. Denn die Welt fing auch bald an, mich zu hassen und anzufeinden oder einen Widerwillen und Verdruß über mein Tun spüren zu lassen, auch sich zu beschweren oder mit Worten mich anzustechen, daß ich auf ein ernstliches Christentum mehr, als sie etwa nötig vermeinten, dränge. Aber ich muß auch hierin die große Treue und Weisheit Gottes rühmen, welche nicht zuläßt, daß ein schwaches Kind durch allzu starke Speise, eine zarte Pflanze durch einen allzu rauhen Wind verderbet werde, sondern er weiß am besten, wann und in welchem Maß er seinen Kindern etwas auflegen und dadurch ihren Glauben prüfen und läutern soll. Also hat es auch mir nie an Prüfungen gefehlt, aber Gott hat dabei meiner Schwachheit allezeit geschont und mir erst ein gar geringes und dann nach und nach ein immer größeres Maß des Leidens zugeteilt, da mir aber allezeit nach der von ihm erteilten göttlichen Kraft das letztere und größere viel leichter geworden zu tragen als das erste und geringere.

Ich nenne solches meine eigene Bekehrung, weil ich mit Wahrheit sagen kann: Was ich vorhin für gute Bewegungen und äußerliche Bezeigungen mag haben von mir spüren lassen, daß doch vorhin kein Durchbruch geschehen sei, wie wohl Gott an seinem Teil an meiner Seele viel gearbeitet; aber daß die vor dieser Zeit von 1687 hergehende von der nachfolgenden so unterschieden, wie die Nacht und der Tag unterschieden ist, ja daß ich den empfindlichen Unterschied nicht genug beschreiben, aber es kürzer nicht ausdrücken kann, als daß vorhin die Sünde über mich geherrschet, hernach aber die Kraft Christi bei mir gewohnet, welches zwischen einem Wiedergebornen und Unwiedergebornen der reale Unterschied ist, den niemand verstehet, als der den Geist Gottes empfangen hat.

Zu wenig ist von dieser Sache geredet worden, und wenn ja davon gedacht worden ist, hat man solches gemeiniglich allein aus der Taufe, die wir in der Kindheit empfangen, geführet - die sonst allerdings in ihrer Würde nach der reinen Evangelischen Lehre zu lassen ist - eben, als wenn's damit alles ausgemacht wäre und man sicher von allen, die getauft wären, nun ihr Leben lang ihres Standes der Wiedergeburt - und daß sie wirklich darin geblieben - versichert sein könnte - da doch leider die allermeisten ihren Taufbund übertreten und aus dem Gnadenstande fallen.

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