Flügge, Carl August - Die leiblichen Verwandten Jesu

Flügge, Carl August - Die leiblichen Verwandten Jesu

Als der durch seine realistischen Kriegsbilder bekannte Maler Wereschtschagin sein Bild „Die heilige Familie“ in Wien ausstellte, auf dem Jesus als Jüngling in der Umgebung von Brüdern und Schwestern erscheint, erregte dieses dort in den klerikalen Kreisen solchen Anstoß, daß man seine Entfernung verlangte und die Herren Jesuitenpatres an der Universitätskirche einen Sühnegottesdienst zur Begleichung des angeblichen Ärgernisses abhielten. Es ist bekannt, daß aus dogmatischen Gründen die katholische Kirche nicht zugeben will, daß die „Jungfrau Maria“ außer Jesu noch eheliche Kinder geboren hat; Jesu Brüder und Schwestern müssen zu seinen Stiefgeschwistern (aus Josephs angeblicher erster Ehe) gemacht oder als seine Vettern und Cousinen erklärt werden. Was sagt dazu die Schrift?

Paulus schreibt Gal. 1,18.19: „In Jerusalem sah ich Jakobus, den Bruder des Herrn“ und 1. Kor. 9,5: „Haben wir nicht auch die Befugnis, eine Schwester als Weib mitzuführen, wie auch die übrigen Apostel und die Brüder des Herrn und Petrus?“

Die Brüder Jesu waren also alle nach Pfingsten gläubige, angesehene Glieder der Gemeinde und wie alle Apostel verheiratet mit Schwestern aus der Gemeinde, die sie auf ihren Missionsreisen zu begleiten pflegten, sonst aber beachtenswerterweise nie genannt werden.

Zuerst freilich heißt es: „Seine Brüder glaubten nicht an ihn.“ Joh. 7,5, in auffälligem Gegensatz zu anderen, Joh. 2,11.23; 4,39. Sie konnten Jesum gar nicht verstehen, sprachen: „Er ist von Sinnen.“ Mk. 3,21, und werden Mat. 12,46-50; Mk. 3,31-35; Luk. 8,19-21 als die Draußenstehenden geschildert und in Gegensatz gebracht zu den geistlichen Verwandten des Herrn.

Die Überlieferung nennt die Schwestern Jesu: Esther und Thamara. Mk. 6,1-3 und Mat. 13,53-56 heißt es: „Ist dieser nicht der Zimmermann, der Sohn der Maria und der Bruder des Jakobus und des Joses und des Judas und des Simon? Und sind nicht seine Schwestern hier bei uns?“

Joh. 2,12 (Apg. 1,14; 12,17) scheint anzudeuten, in welcher Reihenfolge sie genannt und unterschieden werden: „Jesus selbst, seine Mutter und seine Brüder und seine Jünger.“ Nach Luk. 2,7 war Jesus das erstgeborene Kind der damals noch jungfräulichen Mutter.

Über Joses und Simon ist nichts zu erwähnen; Judas, der dritte Bruder des Herrn, nennt sich selbst: „Judas, ein Knecht Jesu Christi, aber ein Bruder des Jakobus“, des Gerechten. Er ist allgemeiner Annahme nach der Verfasser des vorletzten Buches der Bibel, wenn es nicht einer armenischen Tradition zufolge Judas Thaddäus ist.

Jakobus, der Gerechte, verharrte auch zu Jesu Lebzeiten in zweifelnder Zurückhaltung, bis er ohne Zweifel durch die 1. Kor. 15,7 erwähnte Erscheinung des Auferstandenen zum Glauben kam und mit seiner Mutter und den Brüdern sich den Jüngern anschloß, Apg. 1,13. Nach dem Tode des Jakobus Zebedäus und der Flucht des Petrus wurde er Vorsteher der Gemeinde und wurde als eine der Säulen des Urchristentums angesehen, Apg. 12,2ff.; 15,1ff.; 21,18; Gal. 1,17; 2,6-12.

Von Jugend an hatte er nichts Berauschendes getrunken, auf sein Haupt kam kein Schermesser; er trug nur leinene Gewänder. Durch seine Sittenstrenge erwarb er sich den Namen des „Gerechten“ und die Achtung auch seiner ungläubigen Volksgenossen, für die er täglich auf den Steinplatten des Tempels kniend betete, indem er sein Haupt auf den Boden neigte, wodurch er an den Knien und der Stirn eine Hornhaut erhalten haben soll.

Nach Josephus, Eusebius und Hegesipp (ca. 170 n.Chr.) habe er immer mehr und mehrere seines Volkes zu Jesu bekehrt, bis er endlich von den Pharisäern und Schriftgelehrten, nachdem er von der Tempelzinne ein Zeugnis abgelegt habe, von dort herabgestürzt und mit Walkerknüppeln erschlagen worden sei. Er wird als der Verfasser des Jakobusbriefes angesehen.

Joseph, der Verlobte der Maria, der Pflegevater Jesu, wird uns geschildert in Mat. 1,19.20; 2,13.19; Luk. 1,27; 3,23; 4,22; Joh. 1,45; 6,42. Nach Mat. 1,16 war er der Sohn eines Jakob, und nach dessen früh erfolgtem Tode der Pflege- und spätere Schwiegersohn des Eli, der nach alter Überlieferung, die selbst bis in den Talmud drang, der Vater der Maria gewesen; beide stammen aus dem Hause Davids. Der Stammbaum Mat. 1,6-16 gibt die salomonische, die Stammtafel Luk. 3,23-31 die nathanische Linie an.

Justin, der Märtyrer (gest. 165) berichtet, daß Jesus Pflüge und Joche, Mat. 11,29.30, verfertigt habe. Er hat dieses von seinem Pflegevater gelernt, der Zimmermann war, Mat. 13,55. Er starb wohl vor Jesu Kreuzigung, Joh. 19, 25-27.

Von Maria, der Mutter unseres Herrn, weiß die Tradition unendlich viel, die heilige Geschichte aber nur verschwindend weniges zu berichten. Dieses muß nicht nur der katholischen Kirche, die sie fast als weiblichen Gott verehrt, sondern auch denen in der heutigen Christenheit, die dem schrift- und naturwidrigen Feminismus heutzutage so sehr das Wort reden, eigentümlich anmuten. Es ist bezeichnend, wie sie und die Frauen der Apostel, 1. Kor. 9,5, so ganz zurücktreten; wie würde wohl unsere heutige religiöse Literatur von ihnen erfüllt sein!

Wir lesen von Maria nur in Mat. 1;2; Luk. 1-3; Mat. 12,46; Mk. 3,31; Luk. 8,19; Joh. 2,1-12; 19, 25-27; Apg. 1,14. Ihr bestes Wort außer ihrem Lobgesang und zugleich das letzte von ihr aufbewahrte finden wir Joh. 2,5: „ Was er euch sagt, das tut!“

Weil die katholische Christenheit sie in unbiblischer Weise geradezu anbetet, sollte die evangelische doch nicht in den entgegengesetzten Fehler fallen. Sie ist und bleibt die demütig reine Magd, die selig preisen alle Kindeskinder, vom Engel begrüßt als die, die besondere Gnade bei Gott gefunden, als Maria, die Holdselige, die Gebenedeite unter den Weibern, Luk. 1,26-30.48.

Simon oder Symeon, ein Vetter Jesu, leitete die Urgemeinde von der Zerstörung Jerusalems ab, bis er als 120jähriger unter Kaiser Trajan (107 oder 115) gekreuzigt wurde.

Zuletzt hören wir von Socer und Jakobus, den zwei Enkeln des Judas, des Bruders Jesu. Sie waren bei Domitian als zwei nach dem Thron trachtende Davididen verklagt und dieserhalb dem Kaiser in Rom vorgeführt worden. Als dieser aber die harten Arbeitsschwielen an den Händen dieser friedlichen Bauern aus Galiläa sah, ließ er sie spöttelnd wieder frei.

Selig, wer aus Jesu Mund einst hört: Du hast getan den Willen meines Vater; mein Bruder, meine Schwester, komm, ererbe das Reich! Mat 12,50; 25,34

Quelle: Flügge, Carl August - Der Schriftforscher

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