Kirchengeschichte des Eusebius - Buch 3

Kirchengeschichte des Eusebius - Buch 3

1. So war die Lage der Juden. Die heiligen Apostel und Jünger unseres Erlösers aber hatten sich über die ganze Erde zerstreut. Nach der Überlieferung hatte Thomas Parthien (als Wirkungskreis) erhalten, Andreas Scythien, Johannes Asien, wo er nach längerem Aufenthalt in Ephesus starb. Petrus hatte offenbar im Pontus, in Galatien, Bithynien, Kappadozien und Asien den Diasporajuden gepredigt; schließlich kam er auch noch nach Rom und wurde seinem Wunsch entsprechend mit dem Kopf nach unten gekreuzigt. Was soll ich von Paulus sagen, der „von Jerusalem bis Illyrien das Evangelium Christi verkündet hatte“ und später in Rom unter Nero das Martyrium erlitt? So berichtet wörtlich Origenes im dritten Buch seiner Erklärungen zur Genesis.

2. Nach dem Martyrium des Paulus und Petrus erhielt zuerst Linus den bischöflichen Stuhl der römischen Kirche. Paulus gedenkt seiner bei Anführung der Namen am Ende des von Rom aus an Timotheus gerichteten Briefes.

3. Von Petrus wird ein Brief, der sogenannte erste, allgemein anerkannt. Ihn haben schon die alten Kirchenlehrer als unwidersprochen echt in ihren Schriften verwertet. Bezüglich des sogenannten zweiten Petrusbriefes wurden wir zwar belehrt, daß er nicht zur Bibel gehöre; doch erschien er vielen als lehrreich, so daß sie ihn den anderen Schriften gleichschätzten. Jedoch die Petrusakten, das Petrusevangelium, die Petruspredigt und die Petrusapokalypse sind, soviel wir wissen, nie zu den katholischen Schriften gezählt worden; kein Kirchenschriftsteller der älteren oder neueren Zeit verwertet sie als Zeugen. Im weiteren Verlauf meiner Kirchengeschichte werde ich mir daran gelegen sein lassen, nicht nur die Schriftsteller der Reihe nach aufzuzählen, sondern auch zu zeigen, welche von ihnen gelegentlich diese oder jene angefochtene Schrift benützt haben, und was sie von den Schriften sagen, die biblisch und anerkannt sind, und was von denen, die es nicht sind.

Die Schriften, welche den Namen des Petrus tragen, habe ich somit aufgezählt; doch ist davon, wie ich gefunden habe, nur ein einziger Brief echt und von den alten Kirchenlehrern allgemein anerkannt. Von Paulus aber sind sicher und bestimmt die vierzehn Briefe verfaßt. Es wäre indes nicht recht, außer acht zu lassen, daß manche behaupteten, der Brief an die Hebräer sei von der römischen Kirche nicht als paulinisch anerkannt worden, und denselben deshalb verwarfen. Wie übrigens früher über den Hebräerbrief geurteilt wurde, werde ich noch bei Gelegenheit mitteilen. Nach meinen Erkundigungen gehören auf jeden Fall die sogenannten Paulusakten nicht zu den unzweifelhaft echten Schriften. Wenn man behauptet, Hermas, der nebst anderen vom gleichen Apostel am Schluß des Römerbriefes bei den Grußworten erwähnt wird, sei der Verfasser des „Hirten“, so ist zu bemerken: diese Schrift ist zwar von einigen beanstandet worden, so daß sie nicht zu den allgemein anerkannten Schriften gezählt werden kann, wird aber von anderen als unentbehrlich vor allem für den Anfangsunterricht erklärt. Darum ist sie, soviel wir wissen, auch bereits in einigen Kirchen öffentlich verlesen und, wie ich festgestellt habe, von einigen der ältesten Schriftsteller benützt worden. Soviel sei zur Belehrung über die unbestrittenen und über die nicht allgemein anerkannten Schriften gesagt.

4. Daß Paulus durch seine Predigt an die Heiden den Grund zu den Kirchen „von Jerusalem und dessen Umgebung bis nach Illyrien“ gelegt hat, dürfte sich aus seinen eigenen Worten sowie aus dem Bericht des Lukas in der Apostelgeschichte ergeben. In wie vielen Provinzen Petrus denen aus der Beschneidung die frohe Botschaft von Christus gebracht und die Lehre des Neuen Bundes überliefert hat, dürfte sich deutlich aus den Worten des Petrus, nämlich aus dem erwähnten, allgemein anerkannten Brief desselben ergeben, in welchem er an die Hebräer der Diaspora im Pontus, in Galatien, Kappadozien, Asien und Bithynien schreibt.

Wieviele und welche Personen als rechte Nachfolger von Paulus und Petrus würdig befunden wurden, die von diesen gegründeten Kirchen zu weiden, ist nicht leicht zu bestimmen, abgesehen von dem, was man aus den Angaben des Paulus entnehmen könnte. Unzählig waren ja dessen Mitarbeiter und, wie er sie selber nannte, Mitstreiter. Die meisten derselben hat er eines Andenkens gewürdigt, das nicht vergessen werden wird; ein unvergängliches Zeugnis hat er über sie in seinen Briefen niedergelegt. Doch auch Lukas erwähnt in der Apostelgeschichte die Schüler des Paulus und nennt sie mit Namen. Wie berichtet wird, wurde Timotheus zum ersten Bischof der Kirche von Ephesus und Titus zum ersten Bischof der Kirchen von Kreta ernannt. Lukas, der aus Antiochien stammte und von Beruf Arzt war, lebte meist in der Gesellschaft des Paulus, verkehrte aber auch eifrig mit den übrigen Aposteln. Beweise der Seelenheilkunde, welche er von den Aposteln erlernt hatte, hinterließ er uns in zwei inspirierten Schriften. Die eine ist das Evangelium, welches er nach seiner Versicherung entsprechend den Überlieferungen ausgearbeitet hat, die ihm die ersten Augenzeugen und Diener des Wortes gegeben haben, denen er allen, wie er sagt, von Anfang an nachgegangen ist Die andere Schrift ist die Apostelgeschichte, in welcher er nicht mehr Gehörtes, sondern persönlich Erlebtes aufgezeichnet hat.

Wenn Paulus, als schriebe er über ein eigenes Evangelium, den Ausdruck gebrauchte „nach meinem Evangelium“, dann soll er nach seiner Gewohnheit auf das Evangelium nach Lukas verwiesen haben. Von den übrigen Schülern des Paulus reiste Krescens, wie der Apostel erklärt, nach Gallien, Linus aber, von dem er im zweiten Brief an Timotheus erzählt, daß er sich bei ihm in Rom befinde, erhielt zunächst nach Petrus den bischöflichen Stuhl der Kirche in Rom, wie ich schon oben gesagt habe. Klemens, der dritte Bischof der Kirche in Rom, wird von Paulus selbst als sein Mitarbeiter und Mitkämpfer erklärt. Ferner war der bekannte Areopagite namens Dionysius, von welchem Lukas in der Apostelgeschichte schrieb, daß er nach der von Paulus auf dem Areopag an die Athener gehaltenen Rede zuerst den Glauben angenommen habe, der erste Bischof der Kirche von Athen, wie einer von den Alten, ein anderer Dionysius, der Hirte der Kirche von Korinth, berichtet. Die weiteren im Lauf der Jahre sich ablösenden Nachfolger der Apostel werden wir im Verlauf unserer Kirchengeschichte bei Gelegenheit erwähnen. Wenden wir uns nun dem historischen Zusammenhang zu!

5. Nachdem Nero dreizehn Jahre über das Reich regiert hatte und die Herrschaft Galbas und Othos in einem Jahre und sechs Monaten beendet war, wurde Vespasian, der sich im Kampf gegen die Juden ausgezeichnet hatte, in Judäa selbst zum Kaiser ernannt, wo er von den dort stehenden Truppen als Alleinherrscher ausgerufen wurde. Sofort begab er sich auf die Fahrt nach Rom und überließ seinem Sohn Titus die Bekämpfung der Juden. Als nun nach der Himmelfahrt unseres Erlösers die Juden zu dem Verbrechen an dem Erlöser auch noch die höchst zahlreichen Vergehen an seinen Aposteln begangen hatten, als zunächst Stephanus von ihnen gesteinigt, sodann nach ihm Jakobus, der Sohn des Zebedäus und Bruder des Johannes, enthauptet und schließlich Jakobus, welcher nach der Himmelfahrt unseres Erlösers zuerst den bischöflichen Stuhl in Jerusalem erhalten hatte, auf die angegebene Weise beseitigt worden war, als die übrigen Apostel nach unzähligen Todesgefahren, die man ihnen bereitet hatte, das Judenland verlassen hatten und mit der Kraft Christi, der zu ihnen gesagt hatte: „Gehet hin und lehret alle Völker in meinem Namen!“ zur Predigt des Evangeliums zu allen Völkern hinausgezogen waren, als endlich die Kirchengemeinde in Jerusalem in einer Offenbarung, die ihren Führern geworden war, die Weissagung erhalten hatte, noch vor dem Krieg die Stadt zu verlassen und sich in einer Stadt Peräas, namens Pella, niederzulassen, und als sodann die Christgläubigen von Jerusalem weggezogen waren, und weil damit gleichsam die heiligen Männer die Königliche Hauptstadt der Juden und ganz Judäa völlig geräumt hatten, da brach zuletzt das Strafgericht Gottes über die Juden wegen der vielen Freveltaten, die sie an Christus und seinen Aposteln begangen hatten, herein und vertilgte gänzlich dieses Geschlecht der Gottlosen aus der Menschengeschichte.

Wieviel Elend über das ganze Volk damals überall hereinstürzte, wie vor allem die Bewohner von Judäa in äußerste Not gerieten, wieviele Zehntausende von rüstigen Männern samt ihren Weibern und Kindern dem Schwert, Hunger und unzähligen anderen Todesarten anheimfielen, wie zahlreich und verschiedenartig die Belagerungen jüdischer Städte waren, wie furchtbar, ja über alle Maßen furchtbar die Erlebnisse derer waren, welche sich nach Jerusalem selbst geflüchtet hatten, weil sie die Hauptstadt für eine sehr feste Burg hielten, wie der Krieg im ganzen und in allen seinen Teilen verlief, wie schließlich der von den Propheten verheissene Greuel der Verwüstung indem seit alter Zeit berühmten Gottestempel selbst sich dadurch verwirklichte, daß er vollständig zerstört und ganz und gar durch Feuer vernichtet wurde, dies kann jeder, der will, in der von Josephus geschriebenen Geschichte im einzelnen nachlesen. Doch halte ich es für notwendig, zu erwähnen, daß nach dem Bericht dieses Schriftstellers die Zahl derer, welche sich aus ganz Judäa in den Tagen des Osterfestes versammelt und in Jerusalem - um seine eigenen Worte zu gebrauchen - wie in einem Gefängnis eingeschlossen hatten, gegen drei Millionen betrug. Es sollte so sein, daß sie gerade in den Tagen, an welchen sie über den Erlöser und Wohltäter aller und den Gesalbten Gottes das Leiden verhängt hatten, wie in einem Gefängnis eingeschlossen wurden und von der göttlichen Gerechtigkeit den sie ereilenden Untergang erfuhren.

Ich übergehe alle jene Leiden, welche ihnen durch das Schwert oder auf andere Weise zugestoßen sind. Ich halte es nur für notwendig, die Leiden der Hungersnot zu erzählen, damit die Leser dieser Geschichte aus einem Ausschnitt ersehen, daß die Strafe Gottes für die Frevel an dem Gesalbten Gottes sie gar bald erreichte.

6. Nimm wiederum das Fünfte Buch der Geschichte des Josephus zur Hand und lies die damaligen traurigen Ereignisse durch!

Josephus berichtet: „Den Reichen gereichte das Verbleiben (in der Stadt) ebenfalls zum Verderben. Mancher von ihnen wurde, weil er Besitz hatte, unter dem Vorwand, er wäre ein Verräter, ermordet. Mit der Hungersnot wuchs auch die Wut der Aufständischen. Beide übel entbrannten von Tag zu Tag mehr und mehr. Nirgends mehr war Getreide zu finden. Da drangen sie in die Häuser ein, um sie zu durchsuchen. Fanden sie bei jemandem etwas, dann mißhandelten sie ihn, weil er geheuchelt hätte; fanden sie aber bei jemandem nichts, dann schlugen sie ihn in der Meinung, er habe seine Sache zu gut versteckt. Aus dem körperlichen Aussehen der Bedauernswerten schloß man darauf, ob jemand etwas hatte oder nicht. Von denen, die noch gut aussahen, glaubte man, sie hätten noch Überfluß an Speise und Trank. Die aber, welche bereits dahinsiechten, ließ man ihre Wege gehen; denn man hielt es für unvernünftig, die zu töten, welche vor Hunger schon dem Tode nahe waren. Viele gaben heimlich ihr ganzes Vermögen hin, um dafür, wenn sie reicher waren, einen Scheffel Weizen zu erhalten, bzw. wenn sie ärmer waren, einen Scheffel Gerste einzutauschen. Sodann verschlossen sie sich in die geheimsten Winkel ihrer Wohnungen um entweder aus Heißhunger die Körner ungemahlen zu verzehren oder um daraus nach einem von Not und Angst diktierten Rezept Brot zu backen. Ein Tisch wurde nirgends gedeckt. Noch ungekocht holte man die Speisen aus dem Feuer und zerriß sie.

Weinen mußte man beim Anblick dieser traurigen Mahlzeiten, wo die Stärkeren den Vorteil hatten, die Schwachen jammernd dastanden. Der Hunger übertönte alle Gefühle, nichts aber vernichtete er so wie die Ehrfurcht. Denn alles, was sonst der Achtung wert ist, wird, wenn man Hunger leiden muß, verachtet. Weiber rissen ihren Männern, Kindern ihren Vätern und, was das Schrecklichste ist, Mütter ihren Kleinen die Speisen aus dem Mund und scheuten sich auch nicht, ihren hinsiechenden Lieblingen die Milch zum Leben zu entziehen. Auch die, welche in solcher Gier aßen, konnten trotzdem nicht verborgen bleiben; auch gegen die, welche anderen die Nahrung entrissen, erhoben sich überall die Aufständischen. Wenn diese ein Haus verschlossen sahen, so war es ihnen ein Zeichen, daß die Bewohner etwas zu essen hatten. Sogleich brachen sie daher die Türen auf, drangen ein und holten die Bissen beinahe gewaltsam aus dem Schlund heraus und trugen sie davon. Greise, welche die Speisen nicht hergeben wollten, wurden geschlagen, und Frauen, welche das, was sie in der Hand hatten, verbargen, wurden an den Haaren herumgezogen. Weder mit dem Alter noch mit den Kleinen hatte man Mitleid. Kinder, welche krampfhaft ihre Bissen festhielten, hob man mit ihnen in die Höhe, um sie dann auf den Boden abzuschütteln. Drang aber jemand noch vor ihnen ein und schlang vor ihnen die gesuchte Beute hinunter, dann wurde er, wie wenn er ihnen ein Unrecht getan hätte, noch grausamer behandelt. Furchtbare Arten von Martern sannen sie aus, um Nahrungsmittel auszukundschaften. Mit Erbsen verstopften sie den Unglücklichen die Harnröhre und fuhren mit spitzen Stäbchen in das Gesäß. Man schaudert nur zu hören, was einer ausgestanden hat, bis er ein Stücklein Brot verriet und eine Handvoll versteckter Gerstengraupe anzeigte.

Die, welche diese Martern vollzogen, litten jedoch keineswegs Mangel; hätten sie dieselben aus Not vollzogen, dann wäre ihr Auftreten nicht so gemein gewesen. Sie handelten vielmehr, um ihre Tollheit auszulassen und sich für die kommenden Tage im voraus zu verproviantieren. Wenn sich nachts einige bis zu den römischen Posten vorgeschlichen hatten, um Feldgemüse und Kräuter zu sammeln, dann lauerte man diesen Leuten, die den Feinden bereits entronnen zu sein glaubten, auf und entriß ihnen, was sie bei sich hatten. Und mochten sie auch, wie es oftmals geschah, unter Anrufung des ehrwürdigen Namens Gottes bitten und betteln, ihnen doch etwas von dem, was sie unter Todesgefahr geholt hatten, zu lassen, man überließ ihnen auch nicht eine Kleinigkeit. Es war noch ein Glück, wenn sie außer den Lebensmitteln nicht auch das Leben verloren“.

Später fährt Josephus also fort: „Da die Juden nicht mehr die Möglichkeit hatten, aus der Stadt zu entkommen, war ihnen jede Hoffnung auf Rettung abgeschnitten. Die zunehmende Hungersnot raffte im Volk ganze Häuser und Familien dahin. Die Dächer waren voll von Frauen- und Kinderleichen, die engen Gassen voll von toten Greisen. Knaben und Jünglinge drängten sich aufgedunsen wie Gespenster auf den öffentlichen Plätzen und brachen zusammen, wo sie das Leiden dahinraffte. Die, welche erschlafft waren, hatten nicht die Kraft, ihre Angehörigen zu begraben, und wo noch Kraft war, scheute man davor zurück wegen der Menge der Toten und wegen des unheimlichen eigenen Schicksals. Denn viele starben schon neben denen, die sie beerdigten, und viele gingen an ihr eigenes Grab, ehe sie noch das Schicksal ereilt hatte. Trotz all dieser Leiden vernahm man kein Weinen und Klagen; denn der Hunger hatte die Gefühle erstickt. Die mit dem Tode rangen, sahen trockenen Auges auf die, welche ihnen im Sterben vorangingen. Tiefe Stille und eine todesschwangere Nacht hatte sich über die Stadt ausgebreitet.

Doch schlimmer noch als dies waren die Räuber. Sie brachen in die zu Gräbern gewordenen Häuser ein, raubten die Toten, rissen ihnen die Kleider vom Leibe und eilten dann lachend davon. An den Leichen erprobten sie die Schärfe ihrer Schwerter. Auch an manchem Lebenden, der hingestreckt dalag, versuchten sie, ihn durchbohrend, ihr Eisen. Wenn aber einer bat, die mordende Hand möge ihn nicht verschonen, dann überließen sie ihn in ihrem Übermut dem Hunger. Jeder Sterbende schaute unverwandten Blickes auf den Tempel hin, da er beim Hinscheiden die Aufständischen noch am Leben sah. Diese ließen anfangs noch die Toten auf Staatskosten begraben, da ihnen der Leichengeruch unausstehlich war; später aber, als sie nicht mehr konnten, warfen sie dieselben von den Mauern herab in die Schluchten. Als Titus bei einem Rundgang die Schluchten mit Toten angefüllt sah und unter den verfaulenden Körpern die Verwesungsflüssigkeit reichlich hervorströmen sah, seufzte er, streckte die Hände zum Himmel und rief Gott zum Zeugen an, daß er schuldlos daran wäre“.

Nach einigen weiteren Ausführungen berichtet Josephus: „Offen und frei sage ich, was mir der Schmerz gebietet. Wenn die Römer noch länger den Frevlern gegenüber gezögert hätten, wäre nach meiner Anschauung die Stadt entweder von der Erde verschlungen oder von einer Sintflut heimgesucht oder von den Blitzen Sodoms vernichtet Denn in ihr lebte ein Geschlecht, das noch viel gottloser war als die Menschen, welche von diesen Leiden heimgesucht worden waren. Durch den Wahnsinn solcher Leute ging das ganze Volk zugrunde“.

Im sechsten Buch schreibt Josephus: „In unendlicher Menge fielen die, welche in der Stadt durch Hunger zugrunde gingen; unbeschreiblich waren ihre Leiden. In jedem Hause, in dem noch ein Schatten von Speise zu sehen war, herrschte Krieg. Die, welche am engsten miteinander verbunden gewesen waren, wurden nun handgemein, da sie sich die ärmlichsten Lebensmittel entrissen. Nicht einmal an die Armut der Sterbenden wollte man glauben. Selbst der, welcher noch am Leben war, wurde von den Räubern durchsucht, die glaubten, daß er sich nur sterbend stelle und Speisen an seinem Busen versteckt habe. Die Räuber wankten und rannten gleich wütenden Hunden umher und sperrten vor Hunger den Mund auf. Wie trunken stürmten sie in die Türen und stürzten vor Ratlosigkeit zwei bis dreimal in einer einzigen Stunde in das gleiche Haus. Die Not zwang, alles Mögliche zu essen. Selbst das, was den schmutzigsten Tieren nicht zuträglich war, las man auf und brachte es über sich, dasselbe zu essen. Schließlich machte man sich an Gürtel und Schuhe und nahm von den Schilden das Leder weg und kaute es. Einige aßen die Überreste von altem Heu. Andere verkauften das kleinste Quantum von aufgelesenen Sehnen um vier attische Drachmen.

Wozu soll ich die schamlose Gier des Hungers nach leblosen Gegenständen erwähnen? Ich will eine Tat des Hungers mitteilen, wie sie weder die Griechen noch die Barbaren zu berichten wissen. Man schrickt davor zurück, sie zu erzählen; man will sie nicht glauben, wenn man davon hört. Am liebsten würde ich von dem unseligen Vorfall schweigen, um nicht den späteren Geschlechtern als Aufschneider zu erscheinen. Doch ich habe ja unter meinen Zeitgenossen zahlreiche Zeugen. Übrigens würde ich dem Vaterland einen säumigen Dienst erweisen, wenn ich seine Leiden unbeachtet ließe.

Eine durch Geburt und Reichtum ausgezeichnete Frau aus der Gegend jenseits des Jordans namens Maria, die Tochter Eleazars, aus dem Dorf Bathezor, übersetzt Ysop-Haus, flüchtete sich mit der übrigen Menge nach Jerusalem, wo sie die Belagerung erleben mußte. Ihr Eigentum wurde, soweit sie es aus Peräa in die Stadt gerettet hatte, von den Gewaltherrschern weggenommen, deren Gehilfen täglich bei ihr eindrangen, um ihr noch den Rest ihrer Kostbarkeiten und was sie etwa noch an Lebensmitteln vorfanden, zu entreißen. Große Erbitterung bemächtigte sich der Frau, und wiederholt suchte sie durch Schimpfworte und Verwünschungen die Räuber zur Gewalttat gegen sie zu reizen. Da keiner sich von Zorn oder Mitleid dazu hinreißen ließ, sie zu töten, sie es auch müde wurde, für andere Speise zu finden, nirgends aber auch mehr die Möglichkeit war, Nahrungsmittel zu erhalten, ihr selbst der Hunger in Eingeweiden und Mark wühlte und ihre Erbitterung noch ungestümer war als ihr Hunger, nahm sie infolge der Not den Zorn zum Ratgeber, sich an der Natur zu vergreifen. Sie packte ihr Kind, das noch ein Säugling war, und sprach zu ihm: Armer Kleiner! Zu welchem Ziel soll ich dich im Krieg, in der Hungersnot, im Aufstand noch erhalten? Kämen wir mit dem Leben davon, dann drohte uns römische Sklaverei. Doch der Hungertod kommt der Sklaverei zuvor, und schlimmer als Hunger und Sklaverei sind die Aufständischen. Wohlan, sei du mir Speise, werde den Aufständischen zum Rachegeist und den Lebenden zur Sage, die allein noch dem jüdischen Unglück fehlt! Bei diesen Worten tötete sie ihr Söhnlein. Dann kochte sie es und verzehrte es zur Hälfte. Den anderen Teil aber bewahrte sie heimlich auf. Bald nun waren die Aufständischen erschienen. Da sie den entsetzlichen Braten rochen, bedrohten sie die Frau mit dem sofortigen Tode, wenn sie ihnen nicht die Speise zeigen würde. Diese erklärte, sie habe ihnen eine schöne Portion aufbewahrt und zeigte ihnen die Überreste ihres Kindes. Sie wurden sogleich von Schauder und Entsetzen erfaßt und standen bei diesem Anblick starr da. Das Weib sagte: Mein eigen ist dies Kind, mein ist auch die Tat. Esset! Denn auch ich habe davon gegessen. Seid doch nicht weichherziger als ein Weib, nicht gefühlvoller als eine Mutter! Wenn ihr aber aus Pietät vor meinem Opfer zurückschreckt, dann möge mir, zumal ich schon euch einen Teil weggegessen habe, auch noch der übrige Teil bleiben. Nach diesen Worten zogen sich die Männer zitternd zurück, in diesem einen Falle allein sich feige zeigend; nur ungern hatten sie der Mutter die Speise überlassen. Rasch verbreitete sich in der ganzen Stadt die Kunde von der Schreckenstat. Jeder stellte sich das Verbrechen vor Augen und erschrak davor, wie wenn er es selbst begangen hätte. Die Hungernden sehnten sich nach dem Tod und priesen jene glücklich, die hinscheiden durften, ehe sie solche Schreckenstaten hören und sehen mußten“.

Dies war der Lohn für die Frevel und die Gottlosigkeit der Juden gegenüber dem Gesalbten Gottes.

7. Es gebührt sich, diesen Berichten die wahrheitsgemäße Prophezeiung unseres Erlösers beizufügen, in welcher er eben diese Ereignisse so voraussagte: „Wehe den Schwangeren und den Säugenden in jenen Tagen! Betet jedoch, daß eure Flucht nicht im Winter oder an einem Sabbat geschehe! Denn es wird alsdann eine große Trübsal sein, wie sie von Anfang der Welt bis jetzt nicht war und auch nicht sein wird“. Nach dem Geschichtsschreiber (Josephus) waren es derer, welche durch Hunger und Schwert zugrunde gingen, im ganzen eine Million und hunderttausend. Die übrigen Aufständischen und Räuber, welche nach der Eroberung sich gegenseitig anzeigten, seien hingerichtet worden. Die größten und schönsten Jünglinge habe man für den Triumph aufbewahrt. Von der übrigen Maße seien die, welche über siebzehn Jahre alt waren, gefesselt nach Ägypten zu den öffentlichen Arbeiten abtransportiert worden; die meisten aber habe man unter die Provinzen verteilt, wo sie in den Theatern durch Schwert oder wilde Tiere den Tod finden sollten. Die, welche unter siebzehn Jahren waren, seien gefangen abgeführt und verkauft worden. Von diesen allein habe sich die Gesamtzahl auf 90 000 belaufen.

Diese Ereignisse traten in der genannten Weise ein im zweiten Jahr der Regierung des Vespasian, und zwar entsprechend den Weissagungen unseres Herrn und Heilandes Jesus Christus, welcher in göttlicher Kraft diese Ereignisse als bereits gegenwärtig geschaut, darüber geweint und geklagt hatte. Denn so berichten die Schriften der heiligen Evangelisten, welche getreu seine Worte aufbewahrt haben. An Jerusalem selbst wandte er sich einmal mit den Worten. „Wenn doch wenigstens du an diesem Tag erkannt hättest, was dir zum Frieden gereicht! Nun aber ist es vor deinen Augen verschlossen. Denn es werden Tage über dich kommen, da werden dich deine Feinde mit einem Wall umgeben, dich ringsum einschließen, von allen Seiten einengen und dich und deine Kinder dem Erdboden gleichmachen“. Ein andermal sagte er über das Volk: „Große Not wird auf der Erde sein und Erbitterung über dieses Volk. Sie werden durch den Mund des Schwertes fallen und werden unter alle Völker in Gefangenschaft geführt werden. Und Jerusalem wird von den Heiden niedergetreten werden, bis daß sich erfüllen die Zeiten der Heiden“. Wiederum erklärt er: „Wenn ihr seht, daß Jerusalem von Heeren umzingelt ist, dann wisset, daß seine Verwüstung naht!“

Wenn jemand die Worte unseres Erlösers mit dem vergleicht, was der Geschichtsschreiber (Josephus) sonst noch über den ganzen Krieg berichtet, sollte er nicht voll Bewunderung bekennen, daß das Vorherwissen und Prophezeien unseres Erlösers wahrhaft göttlich und über die Maßen wunderbar ist? Nichts dürfte den Berichten über das Schicksal beizufügen sein, von welchem das ganze Volk nach dem Leiden des Heilandes und nach jenen Rufen heimgesucht wurde, mit denen die Menge der Juden den Räuber und Mörder vom Tode freibat, den Fürsten des Lebens aber aus ihrer Mitte zu entfernen flehte. Doch ist es wohl am Platz, noch als Beweis der barmherzigen und allgütigen Vorsehung zu erwähnen, daß diese noch volle vierzig Jahre nach dem an Christus verübten Frevel mit der Vernichtung des jüdischen Volkes zurückhielt; während dieser Zeit lebten noch die meisten Apostel und Jünger, auch Jakobus, der erste Bischof der Stadt, welcher der Bruder des Herrn genannt wurde, und weilten in Jerusalem selbst, wo sie gewissermaßen als die festeste Schutzwehr für den Ort blieben. So lange zeigte nämlich die göttliche Aufsicht ihre Langmut, um ihnen Zeit zum Bereuen ihrer Verbrechen zu lassen, auf daß sie noch Verzeihung und Rettung fänden. Außer dieser Langmut schenkte die Vorsehung aber auch noch wunderbare Zeichen, welche das den Reuelosen drohende Schicksal andeuten sollten. Da diese auch von dem genannten Geschichtsschreiber einer Erwähnung gewürdigt werden, ist es das beste, sie den Lesern meiner Schrift nicht vorzuenthalten.

8. Nimm das sechste Buch der Geschichte des Josephus zur Hand! Dort liest du so: „Die Verführer, welche Lügen über Gott verbreiteten, gewannen damals das unselige Volk für sich. Auf die klaren, die kommende Verwüstung andeutenden Zeichen achteten sie nicht; ihnen schenkten sie keinen Glauben. Wie wenn sie betäubt, blind und ohne Denkvermögen gewesen wären, überhörten sie die Predigten Gottes. Das eine Mal stand über der Stadt ein Stern, der einem Schwert glich, und war ein Jahr lang über ihr ein Komet ausgestreckt. Als ein anderes Mal noch vor dem Aufstand und vor der zum Krieg Führenden Unruhe sich das Volk am Fest der ungesäuerten Brote versammelt hatte, umstrahlte am achten Tag des Monats Xanthikos nachts um die neunte Stunde ein so gewaltiges Licht den Altar und den Tempel, daß man hätte glauben können, es wäre heller Tag; das Licht hielt eine halbe Stunde an. Die Unerfahrenen sahen darin ein gutes Vorzeichen; die Schriftgelehrten jedoch erschlossen es sofort, bevor die Dinge eintraten. Als am gleichen Fest eine Kuh vom Hohenpriester zum Opferaltar geführt wurde, brachte sie ein Lamm mitten im Tempel zur Welt. Das östliche Tor des inneren Vorhofes aber, das von Erz und sehr schwerem Gewicht war, nur mit Mühe von zwanzig Männern am Abend geschlossen und mit Eisen beschlagenen Querbalken verrammt werden konnte und sehr tiefgreifende Riegel hatte, öffnete sich nach Augenzeugen von selbst nachts um die sechste Stunde.

Wenige Tage nach dem Fest, am 21. Tag des Monats Artemisios, sah man eine wunderbare, unglaubliche Erscheinung. Was ich erzählen werde, könnte als Fabel erscheinen, wenn nicht Augenzeugen davon berichtet hätten und wenn nicht die Leiden, welche dann eintraten, den Zeichen entsprochen hätten. Vor Sonnenuntergang sah man nämlich über das ganze Land hin am Himmel Streitwagen und bewaffnete Heere durch die Wolken ziehen und die Städte umzingeln. Als ferner an dem sogenannten Pfingstfest die Priester nachts dem Brauch gemäß in den Tempel zum Gottesdienst kamen, vernahmen sie nach ihrer eigenen Aussage zunächst Unruhe und Geräusch, sodann aber den vollständigen Ruf: Wir ziehen von hinnen!

Noch schrecklicher ist folgender Vorfall: Als ein Mann namens Jesus, der Sohn des Ananias, ein ungebildeter Bauer, vier Jahre vor dem Krieg, da sich die Stadt noch größtenteils des Friedens und Wohlstandes freute, zum Laubhüttenfest kam, fing er plötzlich im Tempel an zu schreien: Stimme vom Aufgang, Stimme vom Untergang, Stimme von den vier Winden, Stimme über Jerusalem und den Tempel, Stimme an Braut und Bräutigam, Stimme an das Volk! Unter diesem Ruf zog er Tag und Nacht in allen Straßen umher. Einige von den angesehenen Bürgern ärgerten sich über diese heilverkündenden Rufe, ergriffen den Menschen und schlugen ihn wund. Er jedoch sprach kein Wort der Verteidigung für sich, auch kein persönliches Wort zu den Anwesenden, sondern schrie die obigen Worte ununterbrochen weiter. Da die Volksführer glaubten, der Mann würde - was tatsächlich der Fall war - von einer höheren Macht getrieben, Führten sie ihn zum römischen Prokurator. Hier wurde er bis auf die Knochen zerfleischt. Doch er jammerte und weinte nicht, sondern antwortete, soweit es ihm die Kräfte erlaubten, mit gedämpfter, klagender Stimme auf jeden Geißelstreich: Wehe, wehe, Jerusalem!

Noch etwas anderes berichtet Josephus, was noch merkwürdiger ist. Er nämlich, daß sich in den heiligen Schriften eine Weissagung finde, wonach zu jener Zeit aus ihrem Land einer hervorgehen werde, der die Herrschaft über den Erdkreis erhalten soll. Josephus nahm allerdings an, daß diese Weissagung an Vespasian in Erfüllung gegangen sei. Doch Vespasian herrschte nicht über den ganzen Erdkreis, sondern nur über das Römerreich. Mit größerem Recht kann man sagen, die Weissagung beziehe sich auf Christus, zu welchem der Vater gesagt hatte: „Bitte mich, und ich werde dir die Völker als dein Erbe und die Grenzen der Erde als dein Eigentum geben“. Denn gerade zu jener Zeit war es, daß die Stimme der heiligen Apostel Christi in alle Welt hinausdrang und ihre Worte bis an die Grenzen der Erde“.

9. Nach all dem, was wir berichtet haben, gebührt es sich, daß wir auch Josephus selbst, der doch so viel zu unserer vorliegenden Schrift beigetragen hat, kennenlernen und erfahren, aus welchem Land und welchem Geschlecht er stammte. Er gibt uns selbst darüber Aufschluß mit folgenden Worten: „Josephus, der Sohn des Matthias, ein Priester aus Jerusalem, kämpfte zuerst (freiwillig) gegen die Römer, nahm aber an den späteren Ereignissen aus Zwang teil“.

Von den damaligen Juden genoß Josephus weitaus das größte Ansehen, und zwar nicht bloß bei seinen Landsleuten, sondern auch bei den Römern. Er wurde in Rom sogar durch Aufstellung einer Bildsäule geehrt, und die von ihm verfaßten Schriften wurden der Aufnahme in die Bibliothek gewürdigt. Er schrieb über das ganze jüdische Altertum in vollen zwanzig Büchern, über die Geschichte des von ihm erlebten römischen Krieges in sieben Büchern. Nach seinem eigenen Zeugnis, das wegen seiner sonstigen Zuverlässigkeit Glauben verdient, hat er letztere Schrift nicht nur in der griechischen, sondern auch in seiner Muttersprache herausgegeben. Noch zwei andere beachtenswerte Bücher des Josephus werden überliefert, und zwar über „Das Alter der Juden“. Dieselben enthalten eine Entgegnung auf den Grammatiker Apion und dessen damals gegen die Juden gemachten Angriffe sowie auf andere, welche ebenfalls die Bräuche des jüdischen Volkes zu lästern versucht hatten. In dem ersten dieser beiden Bücher zählt Josephus die Schriften des Alten Testamentes auf. Diejenigen Schriften, welche bei den Hebräern infolge ihrer alten Überlieferung als echt galten, teilt er wörtlich also mit:

10. „Wir haben nicht unzählige Bücher, die ohne Zusammenhang sind und sich widersprechen. Wir besitzen nur 22 Schriften. Dieselben bilden aber eine Geschichte der ganzen Vergangenheit und werden mit Recht für göttlich gehalten. Fünf Bücher sind von Moses. Dieselben enthalten das Gesetz und die überlieferte Geschichte, angefangen von der Erschaffung des Menschen bis zum Tod des Moses; sie umfassen eine Zeit von fast dreitausend Jahren. Vom Tod des Moses an bis zum Tod des Artaxerxes, der nach Xerxes König der Perser gewesen war, haben die sich an Moses anschließenden Propheten die Geschichte ihrer Zeit in dreizehn Büchern niedergeschrieben. Die noch übrigen vier Bücher enthalten Lobgesänge auf Gott und Lebensregeln für die Menschen. Zwar ist auch noch von Artaxerxes an bis auf unsere Zeit alles aufgeschrieben worden, doch sind diese Aufzeichnungen nicht des gleichen Glaubens gewürdigt worden wie die früheren, weil die sichere Folge der Propheten fehlte“. „Wie hoch wir unsere eigenen Schriften schätzen, beweisen wir durch die Tat. Obwohl nämlich bereits so lange Zeit (seit ihrer Abfassung) verflossen war, hat niemand es gewagt, etwas hinzuzufügen, abzustreichen oder umzustellen. Allen Juden ist es schon von zarter Jugend an eingepflanzt, diese Schriften als Gottes Wort zu achten, sich daran zu halten und, wenn es notwendig ist, gern dafür zu sterben“.

Aus diesen Worten des Geschichtsschreibers (Josephus), die ich hier angeführt habe, möge man lernen! Derselbe hat noch ein anderes, nicht unbedeutendes Werk verfaßt, und zwar über „Die Herrschaft der Vernunft“. Manche haben demselben den Titel „Makkabäerbuch“ gegeben, weil es von den Kämpfen derjenigen Hebräer erzählt, welche nach den sogenannten Makkabäerbüchern für ihre Frömmigkeit gegenüber Gott mannhaft eingetreten waren. Am Ende des 20. Buches seiner „Altertümer“ erklärt Josephus, daß er den Plan gefaßt habe, in vier Büchern gemäß der ererbten jüdischen Lehre über Gott, sein Wesen, die Gesetze und über die Frage, warum in den Gesetzen das eine erlaubt, das andere verboten ist, zu schreiben. Auch noch auf andere Arbeiten verweist er in seinen Schriften. Damit das glaubwürdig erscheint, was wir aus seinen Schriften mitgeteilt haben, ist es gut, noch seine eigenen Worte, die am Schluß seiner „Altertümer“ stehen, anzuführen. Josephus macht dort dem Justus aus Tiberias, der gleich ihm sich an einer Geschichte jener Zeit versucht hatte, den Vorwurf der Unwahrhaftigkeit und richtet noch verschiedene andere Anklagen gegen ihn; dann fährt er wörtlich fort:

„Ich habe wahrlich nicht nach deiner Art wegen meiner Schrift Furcht gehabt, sondern habe meine Bücher den Kaisern vorgelegt zu einer Zeit, da die Ereignisse noch ziemlich aktuell waren. Ich war mir nämlich bewußt, daß ich mich in meinen Berichten an die Wahrheit gehalten habe. Und in der Erwartung, das bestätigt zu erhalten, habe ich mich nicht getäuscht. Aber auch noch vielen anderen Persönlichkeiten habe ich meine Geschichte vorgelegt, von welchen einige am Krieg teilgenommen haben, wie zum Beispiel König Agrippa und einige seiner Verwandten. Kaiser Titus hatte so sehr den Wunsch, daß man über die Geschichte der Ereignisse nur nach meiner Arbeit unterrichte, daß er mein Werk eigenhändig unterschrieb und den Befehl gab, es zu veröffentlichen. Und König Agrippa bezeugt in 62 Briefen meine wahrheitsgemäße Darstellung“ Zwei dieser Briefe fügt er seiner Schrift bei. Doch soll über ihn damit der Bericht abgeschlossen sein! Gehen wir zum folgenden über!

11. Nach dem Martyrium des Jakobus und der bald darauf folgenden Einnahme von Jerusalem kamen, wie berichtet wird, die damals noch lebenden Apostel und Jünger des Herrn von allen Seiten an einem Orte zugleich mit den leiblichen Verwandten des Herrn zusammen; denn auch von letzteren waren damals noch mehrere am Leben. Alle sollen nun gemeinsam darüber, wer es verdiene, Nachfolger des Jakobus zu werden, beraten und einstimmig Symeon, den Sohn des Klopas, den auch das Evangelium erwähnt, des Bischofsstuhles in Jerusalem für würdig erklärt haben. Symeon war, wie man erzählt, ein Vetter des Heilandes; denn nach dem Berichte des Hegesippus war Klopas der Bruder des Joseph.

12. Ferner wird berichtet, daß Vespasian nach der Eroberung Jerusalems wünschte, es solle kein Jude aus dem Königlichen Geschlechte mehr am Leben bleiben, und deshalb den Befehl erließ, alle Nachkommen aus dem Geschlechte Davids ausfindig zu machen. Dies habe eine neue, sehr schwere Verfolgung der Juden veranlaßt.

13. Nachdem Vespasian zehn Jahre regiert hatte, folgte ihm als Kaiser sein Sohn Titus. Im zweiten Jahre der Regierung des Titus hinterließ Linus, Bischof der Kirche von Rom, die bischöfliche Würde dem Anenkletus, nachdem er selbst dieselbe zwölf Jahre innegehabt hatte. Dem Titus aber folgte, nachdem er zwei Jahre und ebenso viele Monate Kaiser gewesen war, sein Bruder Domitian.

14. Im vierten Jahre des Domitian starb Annianus, der erste Bischof der Kirche von Alexandrien, nachdem er volle 22 Jahre im Dienste gewesen war. Ihm folgte als zweiter Bischof Abilius.

15. Im zwölften Jahre der Regierung des gleichen Kaisers folgte auf Anenkletus, welcher zwölf Jahre Bischof der römischen Kirche gewesen war, Klemens, den der Apostel in seinem Briefe an die Philipper als seinen Mitarbeiter bezeichnete, da er sagt: „mit Klemens und meinen übrigen Mitarbeitern, deren Namen im Buche des Lebens stehen“.

16. Ein einziger echter, umfangreicher und bedeutsamer Brief des Klemens ist uns überliefert. Klemens hatte ihn im Namen der römischen Gemeinde an die Gemeinde zu Korinth geschrieben, weil damals dort Streitigkeiten ausgebrochen waren. „Wie wir in Erfahrung gebracht haben, ist dieser Brief in den meisten Kirchen wie früher so auch jetzt noch in öffentlichem Gebrauch. Dafür, daß es zur erwähnten Zeit unter den Korinthern tatsächlich einen Aufstand gegeben hat, ist Hegesippus glaubwürdiger Zeuge.

17. Nachdem Domitian an vielen seine Grausamkeit erprobt, eine nicht unbeträchtliche Zahl von edlen und angesehenen Männern in Rom ohne genügenden Grund getötet und grundlos unzählige andere vornehme Männer in die Verbannung geschickt und ihr Vermögen konfisziert hatte, machte er sich schließlich noch durch seinen Haß und Kampf gegen Gott zum Nachfolger des Nero. Er war also der zweite, welcher eine Verfolgung gegen uns angeordnet hat, während sein Vater Vespasian nichts Feindliches gegen uns ersonnen hatte.

18. Damals soll der Apostel und Evangelist Johannes noch am Leben gewesen und wegen seines Eintretens für das göttliche Wort auf die Insel Patmos verbannt worden sein. Irenäus wenigstens äußert sich im Fünften Buche seiner Schrift „Gegen die Häresien“ da, wo er über die in der sogenannten Johannesapokalypse dem Antichrist beigelegte Zahl spricht, mit folgenden Worten über Johannes:

„Wenn der Name (des Antichrist) in der jetzigen Zeit hätte bekannt werden sollen, dann wäre er durch den mitgeteilt worden, welcher die Offenbarung geschaut hatte. Denn nicht schon vor langer Zeit wurde sie geschaut, sondern beinahe noch in unseren Tagen, nämlich am Ende der Regierung des Domitian.“

Zur erwähnten Zeit strahlte unsere Glaubenslehre bereits solchen Glanz aus, daß selbst Schriftsteller, welche unserer Lehre fernstanden, ohne Bedenken in ihren Geschichtswerken über die Verfolgung und ihre Martyrien berichteten. Sie haben auch die Zeit der Verfolgung genau bestimmt, sofern sie erzählen, daß im 15. Jahre des Domitian neben vielen anderen Flavia Domitilla, eine Tochter der Schwester des Flavius Klemens, eines damaligen römischen Konsuls, wegen ihres Bekenntnisses zu Christus auf die Insel Pontia verbannt worden sei.

19. Auf des Domitian Befehl hin, die Nachkommen Davids hinzurichten, sollen nach einem alten Berichte einige Häretiker die Nachkommen des Judas, eines leiblichen Bruders unseres Erlösers, angezeigt haben mit dem Bemerken, sie stammen aus dem Geschlechte Davids und seien mit Christus selbst verwandt. Hegesippus berichtet darüber wörtlich also:

20. „Noch lebten aus der Verwandtschaft des Herrn die Enkel des Judas, der ein leiblicher Bruder des Herrn gewesen sein soll. Diese wurden als Nachkommen Davids gerichtlich angezeigt. Ein Evokatus Führte sie vor Kaiser Domitian. Denn gleich Herodes fürchtete sich dieser vor der Ankunft Christi. Domitian fragte jene, ob sie von David abstammen. Sie bestätigten es. Sodann fragte er sie nach dem Umfange ihrer Besitzungen und nach der Größe ihres Vermögens. Sie antworteten, sie besäßen beide zusammen nur 9000 Denare, und davon gehöre jedem die Hälfte. Aber auch dieses Vermögen bestünde - so fügten sie bei - nicht in Geld, sondern im Werte eines Feldes von nur 39 Morgen, die sie mit eigener Hand bewirtschafteten, um davon die Steuern zu zahlen und ihren Lebensbedarf zu decken.

Hierauf zeigten sie ihm ihre Hände und bewiesen durch die Härte ihres Körpers und durch die Schwielen, welche sich infolge ihrer angestrengten Arbeit an ihren Händen gebildet hatten, daß sie Handarbeiter waren. Als man sie über Christus und über die Art, den Ort und die Zeit seines Reiches fragte, antworteten sie, dasselbe sei nicht von dieser Welt und Erde, es sei vielmehr ein Reich des Himmels und der Engel, das erst am Ende der Welt kommen werde, wenn Christus in Herrlichkeit erscheinen wird, um die Lebenden und die Toten zu richten und jedem nach seiner Lebensweise zu vergelten. Daraufhin verurteilte sie Domitian nicht, sondern verachtete sie als gemeine Leute. Er setzte sie in Freiheit und befahl, die Verfolgung der Kirche einzustellen. Sie aber erhielten nach der Freilassung, da sie Bekenner und Verwandte des Herrn waren, Führende Stellungen in der Kirche. Nachdem Frieden geworden war, lebten sie noch bis Trajan.“ So berichtet Hegesippus.

Ähnlich berichtet indessen auch Tertullian über Domitian. Er sagt: „Domitian, der seiner Grausamkeit nach nur ein halber Nero war, hatte einmal versucht, dessen Vorgehen nachzuahmen. Doch da er, wie ich glaube, noch etwas Einsicht besaß, ließ er sehr rasch davon ab und rief die Verbannten wieder zurück.“

Als nach 15jähriger Regierung des Domitian Nerva die Herrschaft übernommen hatte, faßte der römische Senat den Beschluß, dem Domitian seine Ehrentitel zu entziehen und die ungerecht Verbannten nach Hause zurückzurufen unter Zurückerstattung ihres Vermögens. So berichten die Geschichtsschreiber der damaligen Zeit. Nach alter christlicher Überlieferung kehrte damals der Apostel Johannes aus seiner Verbannung auf der Insel zurück und nahm wieder seinen Aufenthalt in Ephesus.

21. Nachdem Nerva etwas über ein Jahr regiert hatte, folgte ihm Trajan. In seinem ersten Regierungsjahre folgte in der Kirche zu Alexandrien Cerdo auf Abilius, welcher dreizehn Jahre die bischöfliche Würde innegehabt hatte. Cerdo war der dritte Bischof in Alexandrien; der erste war Annianus gewesen. Damals regierte noch Klemens in Rom. Er war von den Bischöfen, welche nach Paulus und Petrus auf dem dortigen Stuhle saßen, der dritte; der erste war nämlich Linus, der zweite Anenkletus.

22. Die Kirche von Antiochien wurde zuerst von Evodius regiert; als zweiter Bischof machte sich damals Ignatius berühmt. Zu gleicher Zeit hatte in Jerusalem nach dem Bruder unseres Heilandes Symeon als zweiter Bischof die Leitung der Kirche.

23. Damals lebte noch in Asien der Apostel und Evangelist Johannes, den Jesus liebte, und leitete die dortigen Gemeinden, nachdem er nach dem Tode des Domitian von der Insel zurückgekehrt war, auf die man ihn verbannt hatte. Die Tatsache, daß Johannes in den Tagen des Trajan noch am Leben war, wird durch zwei Zeugen genügend bestätigt. Dieselben dürften glaubwürdig sein, da sie für die kirchliche Orthodoxie eingetreten sind. Es sind Irenäus und Klemens von Alexandrien. Der erstere schreibt im zweiten Buche seiner Schrift „Gegen die Häresien“ wörtlich so.

„Alle Presbyter, welche in Asien mit Johannes, dem Jünger des Herrn, beisammen gewesen waren, bezeugen, daß Johannes so gelehrt habe. Denn er lebte noch bei ihnen bis zu den Zeiten Trajans.“

Im dritten Buche des gleichen Werkes gibt Irenäus denselben Gedanken also wieder: „Auch die von Paulus gegründete Kirche in Ephesus, in welcher Johannes bis zu den Zeiten Trajans lebte, ist eine wahrheitsgemäße Zeugin der apostolischen Überlieferung.“

In seiner Schrift „welcher Reiche wird selig werden?“ macht Klemens die gleiche Zeitangabe und erzählt noch eine Geschichte, welche besonders für diejenigen bestimmt ist, die das Schöne und Nützliche gerne hören. Nimm auch des Klemens Schrift zur Hand! Dort liest du:

„Vernimm eine Geschichte! Doch keine Legende, sondern einen Bericht. Er handelt von Johannes, dem Apostel. Er ist überliefert und durch die Erinnerung festgehalten Als Johannes nach dem Tode des Tyrannen von der Insel Patmos nach Ephesus zurückgekehrt war, besuchte er auf Wunsch auch die nahen Völker, um entweder Bischöfe einzusetzen oder ganze Gemeinden einzurichten oder aus den vom Geiste bezeichneten Männern einen einheitlichen Klerus aufzustellen. Nachdem er nun nach Ankunft in einer nicht ferngelegenen Stadt, deren Namen einige wissen wollen, die Brüder erquickt hatte, erblickte er schließlich einen jungen Menschen von schönem Körperbau, vornehmer Haltung und feurigem Gemüte. Das Auge auf den Bischof gerichtet, sagte Johannes: Diesen Menschen empfehle ich dir von ganzem Herzen und rufe die Gemeinde und Christus zu Zeugen an. Der Bischof wollte den jungen Menschen zu sich nehmen und versprach alles; Johannes aber wiederholte seine Worte unter Anrufung der gleichen Zeugen.

Sodann kehrte dieser nach Ephesus zurück; der Presbyter aber nahm den ihm empfohlenen Jüngling in sein Haus auf, erzog ihn, bewahrte ihn, pflegte ihn und erteilte ihm schließlich die Taufe. Sodann ließ er in seiner großen Sorgfalt und Wachsamkeit etwas nach, da er ihm das letzte Schutzmittel, das Siegel des Herrn, gespendet hatte. Der Jüngling, zu früh die Freiheit genießend, geriet in die verderbliche Gesellschaft einiger müßiger, liederlicher und an das Böse gewöhnter Altersgenossen. Zunächst gewannen sie ihn durch reiche Schmausereien, dann nahmen sie ihn auch mit, wenn sie nachts auf Diebstahl ausgingen; schließlich verlangten sie von ihm noch Schlimmeres. Der Jüngling gewöhnte sich allmählich an diese Dinge, und da er eine kraftvolle Natur war, wandte er sich gleich einem störrischen feurigen Pferde vom rechten Wege ab, biß in die Zügel und stürzte ungestüm in den Abgrund. Da er den Glauben an die Erlösung in Gott endgültig aufgegeben hatte, sann er nicht mehr nur auf kleine Sünden. Er verlangte, da er nun doch verloren sei, nach großen Vergehen und nach dem gleichen Schicksal, das den anderen drohte. Er gründete mit seinen Altersgenossen eine Räuberbande, von welcher er gerne als der Gewalttätigste, Blutdürstigste und Schlimmste den Hauptmann machte.

Nach einiger Zeit wurde Johannes aus irgendeinem Anlaß wieder (in die Stadt) gerufen. Nachdem er die Geschäfte, derentwegen er gekommen war, erledigt hatte, sagte er: Wohlan, o Bischof, gib mir zurück, was ich dir anvertraut habe! Ich und Christus haben es dir übertragen, wofür die Kirche, der du vorstehst, Zeuge ist. Der Bischof erschrak zunächst, da er meinte, er sei wegen Geldern, die er nicht (anvertraut) erhalten hatte, angeklagt. Einerseits konnte er, da er ja (kein Geld) erhalten hatte, (den Worten) nicht glauben, anderseits durfte er aber auch dem Johannes nicht mißtrauisch begegnen. Als aber dieser erklärte: Den Jüngling fordere ich zurück und die Seele des Bruders, seufzte der Greis tief auf, weinte und sprach: Er ist gestorben. Wie kam dies, und welchen Todes ist er gestorben? Der Bischof antwortete: Er ist für Gott tot. Denn er ist ein schlimmer, verkommener Mensch und sogar ein Räuber geworden. Den Berg hat er nun gegen die Kirche eingetauscht und sich einem gleichgesinnten, bewaffneten Haufen zugesellt. Da zerriß der Apostel sein Gewand, schlug sich unter lautem Klagen an den Kopf und rief: Als einen schönen Wächter über die Seele des Bruders habe ich dich zurückgelassen. Doch stelle man mir nun ein Pferd und einen Wegführer zur Verfügung! Und wie er war, ritt er von der Kirche weg.

Als Johannes in den Bereich der Räuber gekommen war, wurde er von ihren Vorposten festgehalten. Er floh nicht, noch bat er um Schonung, sondern rief: Weil ich das wollte, bin ich gekommen. Führet mich zu eurem Hauptmann! Dieser sah ihm, da er ja bewaffnet war, zunächst entgegen. Als er aber in dem Ankömmling den Johannes erkannte, wandte er sich aus Scham zur Flucht.

Johannes aber, sein hohes Alter vergessend, lief ihm eiligst nach und schrie: Mein Sohn, warum fliehst du vor mir, deinem Vater, einem wehrlosen Greise? Erbarme dich meiner, o Sohn! Fürchte dich nicht! Immer noch bleibt dir die Hoffnung auf das Leben. Ich will für dich bei Christus eintreten. Wenn es notwendig ist, gehe ich gerne für dich in den Tod, wie der Herr für uns in den Tod gegangen ist. Für dich will ich mein Leben hingeben. Halt an! Glaube! Christus hat mich gesandt.

Als der Räuber diese Worte hörte, blieb er zunächst mit gesenktem Blicke stehen. Dann warf er die Waffen weg und vergoß zitternd bittere Tränen. Er umarmte den Greis, der vor ihm stand, entschuldigte sich, so gut er konnte, unter Seufzern und empfing durch seine Tränen eine zweite Taufe. Nur seine rechte Hand hielt er verborgen. Johannes aber verbürgte sich unter Eid dafür, daß für ihn beim Erlöser Vergebung gefunden sei, drang mit Bitten in ihn, fiel vor ihm auf die Knie nieder und küßte ihm die rechte Hand, um zu zeigen, daß sie durch seine Reue gereinigt wäre. Dann Führte er ihn zur Kirche zurück. In inständigem Gebet flehte er um Begnadigung, in andauerndem Fasten machte er sich zu seinem Kampfgenossen, und durch zahlreiche gewinnende Worte besänftigte er sein Gemüt. Er verließ ihn, wie man erzählt, nicht eher, als bis er ihn der Kirche wiedergegeben und damit ein herrliches Beispiel wahrer Busse, ein schönes Denkmal der Wiedergeburt, ein Siegeszeichen der sichtbaren Auferstehung aufgestellt hatte.“

24. Diese Erzählung des Klemens ist hier aufgenommen aus geschichtlichen Gründen und zugleich auch zur Erbauung der Leser.

Nun wollen wir auch die unwidersprochenen Schriften desselben Apostels anführen. Zuerst sei - wie allgemein anerkannt - das Evangelium nach Johannes erwähnt, das allen Kirchen unter dem Himmel bekannt ist. Daß die Alten ihren guten Grund hatten, wenn sie dasselbe an vierter Stelle, also nach den anderen drei, eingereiht haben, dürfte sich aus Folgendem ergeben: Die gotterleuchteten und wahrhaft gottgefälligen Männer - ich meine die Apostel Christi Führten ein durchaus heiliges Leben und schmückten ihre Seele mit allen Tugenden. Sprachlich waren sie allerdings unbewandert, doch verließen sie sich auf die ihnen vom Erlöser gegebene göttliche, wunderwirkende Kraft. Sie konnten und wollten die Lehren ihres Meisters nicht in schmeichelnden, kunstvollen Worten vortragen, sondern hielten sich an den Erweis des göttlichen Geistes, der ihnen half, und an die in ihnen sich vollendende wundertätige Kraft Christi. So predigten sie auf dem ganzen Erdkreis die Erkenntnis des Himmelreiches, ohne viel Sorgfalt auf Schriftstellerei zu wenden. Sie handelten so, weil sie mit einem wichtigeren, Menschenmaß übersteigenden Dienst betraut waren.

Paulus etwa, obwohl der wortgewaltigste und geistreichste von allen, hat uns nur seine ganz kurzen Briefe hinterlassen. Und er hätte doch unzählige Geheimnisse mitteilen können, da er ja bis in den dritten Himmel geschaut hatte und sogar bis in das göttliche Paradies entrückt worden war, wo er gewürdigt wurde, geheimnisvolle Worte zu hören. Auch die übrigen Schüler unseres Erlösers, die zwölf Apostel, die siebzig Jünger und außerdem noch unzählige andere waren nicht ohne Kenntnis der gleichen Geheimnisse geblieben. Doch von allen haben uns nur Matthäus und Johannes Erinnerungen an die Lehrvorträge unseres Herrn hinterlassen; aber auch diese Männer haben, wie berichtet wird, sich nur gezwungen zum Schreiben herbeigelassen. Matthäus, der zunächst unter den Hebräern gepredigt hatte, schrieb, als er auch noch zu anderen Völkern gehen wollte, das von ihm verkündete Evangelium in seiner Muttersprache; denn er suchte denen, von welchen er schied, durch die Schrift das zu ersetzen, was sie durch sein Fortgehen verloren. Nachdem nun Markus und Lukas die von ihnen gepredigten Evangelien herausgegeben hatten, sah sich nach der Überlieferung schließlich auch Johannes, der sich ständig mit der mündlichen Predigt des Evangeliums beschäftigt hatte, zur Niederschrift veranlaßt, und zwar aus folgendem Grunde: Nachdem die zuerst geschriebenen drei Evangelien bereits allen und auch dem Johannes zur Kenntnis gekommen waren, nahm dieser sie, wie man berichtet, an und bestätigte ihre Wahrheit und erklärte, es fehle den Schriften nur noch eine Darstellung dessen, was Jesus zunächst, zu Beginn seiner Lehrtätigkeit, getan habe. Mit dieser Erklärung hatte er auch recht. Denn es ist klar, daß die drei Evangelisten nur das, was der Heiland nach der Gefangennahme Johannes des Täufers während eines einzigen Jahres getan hatte, aufgezeichnet haben und daß sie dies auch am Anfange ihrer Berichte zu erkennen geben. Matthäus deutet, nachdem er das vierzigtägige Fasten und die darauf folgende Versuchung erwähnt hat, die Zeit, über welche sich seine Schrift erstreckt, also an: „Als er gehört hatte, daß Johannes ausgeliefert war, kehrte er von Judäa nach Galiläa zurück.“ Markus erzählt in gleicher Weise: „Nachdem Johannes ausgeliefert war, ging Jesus nach Galiläa.“ Lukas bemerkt, ehe er den Bericht über die Taten Jesu beginnt, ähnliches und schreibt: „Herodes fügte zu seinen übrigen Verbrechen noch die Gefangennahme des Johannes.“ Nach der Oberlieferung hat nun deshalb der Apostel Johannes auf Bitten hin über die Zeit, über welche die früheren Evangelisten geschwiegen haben, sowie über die in diese Zeit, d. i. vor die Gefangennahme des Täufers, fallenden Taten des Erlösers in einem eigenen Evangelium berichtet, was er auch angedeutet habe, bald mit den Worten „Dies ist der Anfang der Wundertaten Jesu“, bald dadurch, daß er in den Bericht der Taten Jesu eine Erinnerung an den damals noch in Änon bei Salim taufenden Täufer eingeflochten; klar und deutlich gäbe er seine Absicht zu erkennen mit den Worten: „Denn noch nicht war Johannes ins Gefängnis geworfen worden.“ Johannes erzählt also in seinem Evangelium das, was Christus getan hatte, noch ehe der Täufer ins Gefängnis geworfen wurde; die übrigen drei Evangelisten aber berichten die auf die Einkerkerung des Täufers folgenden Ereignisse. Wer darauf achtet, dürfte nicht mehr Widersprüche in den Evangelien finden, da so das Evangelium nach Johannes den Anfang der Taten Christi mitteilt, während die anderen Evangelien die spätere Geschichte erzählen. Da Matthäus und Lukas bereits über die fleischliche Abstammung unseres Erlösers geschrieben hatten, hat füglich Johannes darüber geschwiegen. Er beginnt aber mit der Lehre von seinem göttlichen Wesen, da diese wohl für ihn, als einen bedeutenderen Mann, vom Geist Gottes aufgespart worden war.

Soviel sei über das Evangelium nach Johannes bemerkt! Ober den Anlaß des Markusevangeliums haben wir uns schon früher geäußert. Lukas teilt selbst zu Beginn seines Evangeliums mit, was ihn zur Abfassung desselben veranlaßt habe. Da nämlich - so erklärt er - viele andere allzu leichtfertig eine Geschichte der ihm genau bekannten Sachen gewagt hätten, sähe er sich, um uns gegen die zweifelhaften Meinungen anderer sicherzustellen, veranlaßt, eine genaue Darstellung dessen, was er gründlich und wahrheitsgemäß aus dem ständigen lehrreichen Verkehr mit Paulus und den übrigen Aposteln erfahren habe, in einem eigenen Evangelium zu bieten. So viel hierüber! Bei passender Gelegenheit jedoch werden wir versuchen, unter Verwertung der Ausführungen der Alten noch das mitzuteilen, was von anderen in dieser Beziehung behauptet worden ist. Von den Schriften des Johannes wird außerdem noch der erste Brief wie früher schon so auch jetzt als echt anerkannt; die beiden übrigen Briefe jedoch werden bestritten. Bezüglich der „Offenbarung“ gehen bis jetzt in der Regel die Meinungen auseinander. Indessen wird ein Zurückgreifen auf das Zeugnis der Alten bei gegebener Gelegenheit auch über die „Offenbarung“ endgültig entscheiden.

25. Es dürfte am Platze sein, hier die erwähnten Schriften des Neuen Testamentes zusammenzufassen. An die erste Stelle ist die heilige Vierzahl der Evangelien zu setzen, an welche sich die Apostelgeschichte anschließt. Nach dieser sind die Briefe des Paulus einzureihen. Sodann ist der sogenannte erste Brief des Johannes und in gleicher Weise der des Petrus für echt zu erklären. Zu diesen Schriften kann noch, wenn man es für gut hält, die Offenbarung des Johannes gezählt werden, über welche verschiedene Meinungen bestehen, die wir bei Gelegenheit angeben werden. Die erwähnten Schriften gehören zu den anerkannten. Zu den bestrittenen aber, welche indes gleichwohl bei den meisten in Ansehen stehen, werden gerechnet der sogenannte Jakobusbrief, der Brief des Judas, der zweite Brief des Petrus und der sogenannte zweite und dritte Johannesbrief, welche entweder dem Evangelisten oder einem anderen Johannes zuzuschreiben sind.

Zu den unechten Schriften sind zu zählen die Paulusakten, der sogenannte Hirt, die Offenbarung des Petrus, ferner der sogenannte Barnabasbrief, die sogenannte Apostellehre und, wie ich schon sagte, auch noch, wenn man will, die Offenbarung des Johannes, welche, wie erwähnt, von den einen verworfen, von anderen aber zu den echten Schriften gerechnet wird. Zu den unechten zählten nun manche auch das Hebräerevangelium, das vor allem bei den Hebräern, welche sich zum Christentum bekehrt haben, Ansehen genießt. Mögen auch alle diese Schriften zu den bestrittenen gehören, so hielten wir es doch für notwendig, auch sie aufzuzählen, zum Unterschied von den nach der kirchlichen Überlieferung wahren, echten und allgemein anerkannten Schriften und denen, welche daneben, wenn auch nicht zum Kanon gehörig und sogar bestritten, gleichwohl bei sehr vielen Kirchenmännern Beachtung finden. Wir zählten sie auf, damit wir in der Lage sind, eben diese und die Schriften zu kennen, die von den Häretikern unter dem Namen von Aposteln z. B. eines Petrus, eines Thomas, eines Matthias in Umlauf gesetzt worden sind oder Evangelien von noch anderen Männern oder die Akten eines Andreas, Johannes oder weiterer Apostel enthalten. Kein in der Überlieferung anerkannter kirchlicher Schriftsteller hat diese letzteren Schriften irgendwo der Erwähnung gewürdigt. Überdies weicht auch die Art ihrer Darstellung von der der Apostel ab. Auch ihre Gedanken und das in ihnen zum Ausdruck kommende Streben stehen im stärksten Gegensatz zu der wahren, echten Lehre und geben dadurch deutlich zu erkennen, daß sie Fiktionen von Häretikern sind. Man darf sie daher nicht einmal zu den unechten Schriften zählen, sondern muß sie als völlig fehl und als religionswidrig verwerfen.

26. Doch verfolgen wir die Geschichte in ihrem weiteren Verlaufe!

Auf Simon den Magier folgte Menander. Seine Lebensart offenbarte ihn als zweites, hinter dem ersten nicht zurückstehendes Werkzeug der teuflischen Kraft. Auch er stammte aus Samaria. Obwohl er gleich seinem Meister die Zauberei im höchsten Maße betrieb, übertraf er ihn noch durch seine Wundersprüche. Denn er erklärte, er wäre der zum Heile der Menschen von oben durch unsichtbare Äonen gesandte Erlöser, und lehrte, nur dadurch könne man Gewalt sogar über die die Welt bildenden Engel erhalten, daß man sich von der ihm selbst übergebenen Zauberkunst leiten und von ihm taufen lasse. Wer dieser Taufe gewürdigt würde, erlange schon in diesem Leben ewige Unsterblichkeit, da er nicht mehr sterben müsse, sondern auf Erden bleibe, ohne je zu altern und den Tod zu kosten. Hierüber kann man sich leicht bei Irenäus unterrichten. Auch Justin erzählt in gleicher Weise über Menander, und zwar im Anschluß an seinen Bericht über Simon. Er sagt nämlich:

„Wie wir wissen, trat ein gewisser Menander, der ebenfalls aus Samara, und zwar aus dem Dorfe Kaparattaia stammte, Schüler des Simon war und gleichfalls unter dem Einfluß der Dämonen stand, in Antiochien auf, wo er viele durch seine Zauberei irreführte. Denen, die ihm folgten, machte er weis, sie würden nicht sterben. Noch jetzt gibt es Leute, welche dies unter Berufung auf ihn behaupten.“

Es gehörte zum Plan der teuflischen Macht, durch solche Zauberer, die sich mit dem Namen Christen schützten, das große Geheimnis unseres Glaubens als Zauberei zu verleumden und die kirchliche Lehre von der Unsterblichkeit der Seele und der Auferstehung der Toten zu verspotten. Doch wer sich solchen Heilanden verschrieben hatte, ging der wahren Hoffnung verlustig.

27. Da der böse Dämon anderen den Glauben an den Christus Gottes nicht untergraben konnte, fand er eine andere schwache Seite an ihnen und gewann sie für sich. Die Alten nannten diese, da sie armselig und niedrig über Christus lehrten, treffend Ebionäer. Diese hielten Christus für einen ganz gewöhnlichen Menschen, der nur kraft seines hervorragenden sittlichen Lebenswandels gerecht geworden, und glaubten, er wäre durch die Gemeinschaft eines Mannes mit Maria erzeugt worden. Die Beobachtung des Gesetzes erachteten sie für durchaus notwendig, gerade als ob sie nicht allein durch den Glauben an Christus und auf Grund eines glaubensgemäßen Lebens selig würden. Eine andere Richtung unter den Ebionäern vermied zwar den erwähnten seltsamen Unsinn, sofern sie die Geburt des Herrn aus der Jungfrau und dem Heiligen Geiste nicht leugnete; allein auch sie wollte nicht zugeben, daß er als Gott, Logos und Weisheit präexistierte, wodurch sie gleich jenen in Gottlosigkeit verfiel, zumal auch sie für die fleischliche Gesetzesbeobachtung eintrat. Sie meinte, man müsse die Briefe des Apostels, von dem sie erklärte, er sei vom Gesetze abgefallen, vollständig verwerfen. Nur das sogenannte Hebräerevangelium benützte sie, den übrigen Schriften aber legte sie geringen Wert bei. Den Sabbat und die sonstigen jüdischen Bräuche beobachtete diese Richtung gleich den anderen, doch feierte sie auch gleich uns den Tag des Herrn zur Erinnerung an die Auferstehung des Erlösers. Wegen solcher Lehren erhielten diese Richtungen den erwähnten Namen; denn das Wort Ebionäer deutet ihre geistige Armut an. Die Hebräer bezeichneten nämlich mit diesem Worte einen armen Menschen.

28. Zur erwähnten Zeit lebte, wie wir erfahren haben, Cerinth, der Führer einer anderen Häresie. Gaius, den wir schon oben zitiert haben, schreibt über ihn in seiner Untersuchung: „Und Cerinth gibt uns in Offenbarungen, die den Anschein erwecken, als wären sie von einem großen Apostel geschrieben, wunderliche Berichte, von welchen er fälschlich behauptet, daß sie ihm von Engeln gegeben worden seien. Er sagt nämlich, daß nach der Auferstehung das Reich Christi auf Erden sein werde und daß die Leiber in Jerusalem leben und sich wiederum Leidenschaften und Vergnügungen hingeben werden. Und im Widerspruch mit den Schriften Gottes und in verführerischer Absicht erklärt er, daß ein Zeitraum von tausend Jahren in freudiger Hochzeitsfeier verfließen werde.“

Dionysius, der zu unserer Zeit Bischof der Kirche von Alexandrien geworden war, erwähnt im zweiten Buche seiner „Verheißungen“, in denen er unter Berufung auf alte Oberlieferung einiges über die Offenbarung des Johannes berichtet, Cerinth mit folgenden Worten: „Cerinth, der auch die nach ihm genannte cerinthische Sekte gestiftet hatte, wollte seinem Werke einen Namen von Klang geben. Der Inhalt seiner Lehre war nämlich: das Reich Christi wird auf Erden erscheinen. Wonach er selbst, der in seinen Leib verliebt und ganz fleischlich gesinnt war, verlangte, darin würde - so träumte er - das Reich Christi bestehen, d. i. in der Befriedigung des Magens und der noch tiefer gelegenen Organe, also in Speise und Trank und Beilagern und - wodurch er besseren Eindruck zu erwecken glaubte - in Festen, Opfern und Schlachtungen von Opfertieren.“

So berichtet Dionysius. Irenäus hat, nachdem er im ersten Buche seiner Schrift „Gegen die Häresien“ einige geheimere Truglehren des Cerinth angeführt hatte, im dritten Buche eine Geschichte, die nicht vergessen werden darf, überliefert. Auf Grund einer Mitteilung Polykarps berichtet er nämlich: „Der Apostel Johannes ging einmal in eine Badeanstalt, um sich zu baden. Doch als er erfuhr, daß Cerinth im Bade sei, verließ er die Anstalt und eilte dem Ausgang zu, da er es nicht über sich brachte, unter einem Dache mit ihm zu weilen. Seine Umgebung aber forderte er auf, das gleiche zu tun, mit den Worten: Lasset uns fliehen! Denn es ist zu fürchten, daß die Badeanstalt einstürze, da Cerinth, der Feind der Wahrheit, drinnen ist.“

29. Damals existierte kurze Zeit auch die sogenannte Häresie der Nikolaiten, deren auch die Offenbarung des Johannes gedenkt. Die Nikolaiten rühmten den Nikolaus als einen der Diakonen, die sich Stephanus angeschlossen hatten und von den Aposteln für die Armenfürsorge aufgestellt worden waren. Klemens von Alexandrien berichtet über ihn im dritten Buche der „Teppiche“ wörtlich also: „Da Nikolaus - so erzählt man - nach der Himmelfahrt des Erlösers wegen der Eifersucht auf seine hübsche Frau von den Aposteln zurechtgewiesen worden war, stellte er sie ihnen vor und überließ sie dem, der sie zu heiraten wünschte. Dies Verfahren stand - so sagt man - im Einklang mit seinem Worte: Man muß das Fleisch verachten; die, welche sich seiner Richtung angeschlossen, hielten sich einfältig und kritiklos an das, was geschah, und an seine Bemerkung und trieben in schamloser Weise Unzucht. Wie ich jedoch erfahren habe, hat Nikolaus nie mit einer anderen Frau als seiner eigenen verkehrt und haben seine Tochter als Jungfrauen ein hohes Alter erreicht und ist auch sein Sohn unverdorben geblieben. Wenn dem so ist, dann ist die Tatsache, daß Nikolaus seine eifersüchtig geliebte Frau in den Kreis der Apostel stellte, ein Beweis dafür, daß er der Leidenschaft Lebewohl sagte, und war das Wort Man muß das Fleisch verachten seinem Verzicht auf heiß ersehnte Genüsse entsprungen. Nach meiner Meinung wollte er dem Befehle des Erlösers entsprechend nicht zwei Herren dienen, der Sinnlichkeit und dem Herrn. Auch Matthias soll in gleicher Weise gelehrt haben, man müsse gegen das Fleisch kämpfen und es verachten, indem man seiner Sinnlichkeit in keiner Weise nachgibt; der Seele aber müsse man durch Glauben und Erkenntnis aufhelfen“.

Dies mag genügen bezüglich derer, welche zur erwähnten Zeit die Wahrheit zu verfälschen suchten, aber schneller, als man beschreiben kann, völlig verschwunden sind.

30. Klemens, dessen Worte wir soeben angeführt haben, erwähnt im Anschluß an das Gesagte um derentwillen, welche die Ehe verwerfen, jene Apostel, welche nachweislich im Ehestande gelebt haben. Er sagt: „Werden sie auch die Apostel verurteilen? Denn Petrus und Philippus haben Kinder erzeugt. Philippus hat auch seine Tochter verheiratet. Und Paulus trug kein Bedenken, in einem seiner Briefe sich an seine Frau zu wenden, welche er, um im Dienste freier zu sein, nicht überall bei sich hatte“.

Im Anschluß an diesen Bericht ist es nicht unpassend, noch eine andere erwähnenswerte Geschichte mitzuteilen, welche Klemens im siebten Buche der „Teppiche“ so wiedergibt: „Als der selige Petrus - so erzählte man - sah, wie seine Frau zum Tode geführt wurde, freute er sich über ihre Berufung und ihren Heimgang, rief ihr unter Namensnennung zu: Gedenke, Weib, des Herrn! und richtete an sie sehr ermunternde und trostreiche Worte. So sah die Ehe der Seligen aus, so die erhabene Gesinnung derer, die sich innig liebten“.

Diese Mitteilungen, welche in unser vorliegendes Werk einbezogen werden müssen, mögen an dieser Stelle ihren richtigen Platz gefunden haben.

31. Bereits früher haben wir über Zeit und Art des Todes von Paulus und Petrus berichtet sowie über den Ort, an dem nach ihrem Hinscheiden ihre Leiber beigesetzt worden waren. Die Zeit des Johannes haben wir schon erwähnt. Seine Begräbnisstätte aber ergibt sich aus einem Briefe, welchen Polykrates, Bischof der Kirche in Ephesus, an den römischen Bischof Viktor richtete. In demselben gedenkt er sowohl des Johannes als auch des Apostels Philippus und der Töchter des letzteren mit folgenden Worten:

„Denn auch in Asien haben große Sterne ihre Ruhestätte gefunden, welche am Jüngsten Tage bei der Wiederkunft des Herrn auferstehen werden. An diesem Tage wird der Herr mit Herrlichkeit vom Himmel kommen und alle Heiligen aufsuchen: nämlich Philippus, einen der zwölf Apostel, der in Hierapolis ruht, mit seinen beiden bejahrten, im jungfräulichen Stande gebliebenen Töchtern, während eine andere Tochter, die im Heiligen Geiste wandelte, in Ephesus entschlafen ist, und Johannes, der an der Brust des Herrn lag, den Stirnschild trug, Priester, Glaubenszeuge und Lehrer war und in Ephesus zur Ruhe eingegangen ist“. Soviel über den Tod des Philippus und Johannes.

In dem Dialog des Gaius, den wir vor kurzem erwähnt haben, äußert sich Proklus, gegen welchen die Schrift gerichtet ist, im Einklang mit den angeführten Worten über den Tod des Philippus und seiner Töchter also: „Nach ihm waren vier Prophetinnen, die Töchter des Philippus, in Hierapolis in Asien; ihr Grab und das ihres Vaters ist noch dort“.

Dies der Bericht des Gaius. Lukas erwähnt in der Apostelgeschichte, daß zu seiner Zeit die Töchter des Philippus zu Cäsarea in Judäa zugleich mit ihrem Vater weilten und der prophetischen Gabe gewürdigt worden waren. Wörtlich schreibt er: „Wir kamen nach Cäsarea, gingen in das Haus des Evangelisten Philippus, der einer von den Sieben war, und blieben bei ihm. Er hatte vier im jungfräulichen Stande lebende Töchter, welche Prophetinnen waren“.

Wir haben nunmehr dargelegt, was wir über die Apostel und ihre Zeit sowie über die heiligen Bücher, die sie uns hinterlassen haben, über die zwar bestrittenen, aber doch in den meisten Kirchen großenteils öffentlich gebrauchten Schriften und über die gänzlich unechten und mit der apostolischen Rechtgläubigkeit nicht im Einklang stehenden Schriften erfahren haben. Gehen wir nun auf die folgende Geschichte über!

32. Wie überliefert wird, entstand nach Nero und Domitian unter dem Herrscher, dessen Zeit wir gerade behandeln, vereinzelt in Städten infolge von Volksaufständen gegen uns eine Verfolgung. In dieser erlitt Symeon, der Sohn des Klopas, der, wie wir berichteten, als zweiter Bischof der Kirche von Jerusalem eingesetzt worden war, gemäß der Überlieferung das Martyrium. Zeuge hierfür ist jener Hegesippus, den wir schon oben verschiedentlich zitiert haben. Wie dieser in einem Bericht über einige Häretiker mitteilt, wurde Symeon zu jener Zeit von Seiten dieser Häretiker angeklagt, wegen seines christlichen Glaubens lange Zeit auf verschiedene Weise gepeinigt, wobei er die höchste Bewunderung des Richters selbst und seines Kollegiums erregte, und trug schließlich ein Ende, das dem Leiden des Herrn ähnlich war, davon. Doch ist es am besten, den Schriftsteller selber zu hören, welcher darüber also erzählt: „Gegen Symeon erhoben einige dieser Häretiker die Anklage, daß er von David abstamme und Christ sei, weshalb er im Alter von 120 Jahren unter Kaiser Trajan und dem Prokonsul Attikus den Martertod erlitt“.

Der gleiche Schriftsteller berichtet, daß, weil damals nach jenen gefahndet wurde, welche vom Königsgeschlechte der Juden abstammten, auch die Ankläger des Symeon als solche Nachkommen verhaftet wurden. Mit gutem Grunde läßt sich behaupten, daß auch Symeon den Herrn gesehen und gehört hat. Denn man kann sich hierfür auf sein hohes Alter berufen sowie darauf, daß das Evangelium Maria, die Frau des Klopas, erwähnt, dessen Sohn, wie schon früher gesagt, Symeon war. Wie Hegesippus mitteilt, lebten noch Nachkommen von einem anderen der sogenannten Brüder des Heilandes, nämlich von Judas, bis zur gleichen Regierungszeit, nachdem sie unter Domitian, wie schon oben erzählt, für ihren christlichen Glauben Zeugnis abgelegt hatten. Hegesippus schreibt:

„Sie kamen nun und erhielten als Bekenner und als Verwandte des Herrn Führende Stellungen in der ganzen Kirche. Nachdem tiefer Friede in der ganzen Kirche eingetreten war, lebten sie noch bis zur Regierung des Kaisers Trajan, bis zu jener Zeit, da der oben erwähnte Symeon, der Sohn des Klopas, von den Häretikern als Vetter des Herrn angegeben und unter dem Prokonsul Attikus aus eben diesem Grunde vor Gericht gestellt wurde. Trotzdem er viele Tage lang gemartert wurde, blieb er standhaft im Glauben, so daß alle und auch der Prokonsul sich wunderten, wie ein Mann von 20 Jahren solches aushalten konnte. Sodann befahl man, ihn zu kreuzigen“.

In seinem Berichte über die erwähnten Zeiten fügt Hegesippus jener Erzählung noch bei, daß die Kirche bis dahin eine reine, unbefleckte Jungfrau geblieben sei; denn die, welche die gesunde Lehre der Heilspredigt zu untergraben suchten, hielten sich damals, wenn es schon solche gab, wohl noch in Finsternis versteckt und verborgen. Als der heilige Chor der Apostel auf verschiedene Weise sein Ende gefunden hatte und jenes Geschlecht, welches gewürdigt worden war, mit eigenen Ohren der göttlichen Weisheit zu lauschen, abgetreten war, erhob sich zum ersten Male der gottlose Irrtum durch den Trug der Irrlehrer. Diese wagten nun, da keiner der Apostel mehr am Leben war, mit frecher Stirne der Lehre der Wahrheit eine falsche sogenannte Gnosis entgegenzusetzen.

33. Damals wurden an mehreren Orten so harte Verfolgungen gegen uns verhängt, daß Plinius Sekundus, einer der berühmtesten Statthalter, betroffen über die große Zahl der Märtyrer, an den Kaiser über die Menge derer, welche um des Glaubens willen ihr Leben lassen mußten, berichtete. Er teilte hierbei zugleich mit, daß nach seinen Erfahrungen die Christen nichts Gottloses und Gesetzwidriges tun, daß sie nur gleich bei Sonnenaufgang nach dem Erwachen Christus als Gott in Lobliedern verehren, daß sie aber Unzucht, Mord und dergleichen strafbare Verbrechen verabscheuen und in allem gesetzmäßig handeln. Auf diesen Bericht hin verordnete Trajan, man solle das Christenvolk nicht aufspüren, wohl aber gegen dasselbe, wo man es zufällig treffe, mit Strafen einschreiten. Infolge dieser Verordnung ließ die uns so schwer bedrohende Verfolgung zwar einigermaßen nach, aber für die, welche uns bedrängen wollten, verblieben nicht weniger Vorwände hierzu. Denn bald stellte uns der Pöbel, bald die Statthalter einzelner Länder nach, so daß, wenn auch die Verfolgung nicht allgemein verordnet war, sie doch vereinzelt in einzelnen Provinzen entbrannte und zahlreiche Gläubige verschiedenartige Martyrien bestehen mußten. Die Mitteilungen hierüber sind der lateinischen Apologie Tertullians, die wir schon weiter oben erwähnt haben, entnommen. Dieselbe berichtet in Übersetzung wie folgt:

„Wir haben jedoch gefunden, daß es verboten war, uns aufzuspüren. Nachdem nämlich Plinius Sekundus als Statthalter einige Christen verurteilt und ihnen ihre Würden entzogen hatte, erstattete er, da ihn ihre große Menge so sehr beunruhigte, daß er nicht wußte, wie er sich weiterhin zu verhalten habe, dem Kaiser Trajan Bericht und teilte ihm mit, daß er nichts Gottloses an ihnen gefunden habe, außer daß sie sich weigerten, den Götzen zu opfern. Er meldete ihm auch, daß die Christen am frühen Morgen aufstehen, Christus als ihren Gott in Liedern zu verehren, und daß sie, um ihre Sittenlehre zu beobachten, sich von Mord, Ehebruch, Habsucht, Diebstahl und anderen Verbrechen dieser Art fernhalten müssen. Darauf erwiderte Trajan, man solle das Christenvolk nicht aufspüren, wohl aber gegen dasselbe, wo man es zufällig treffe, mit Strafen einschreiten“. Soviel ist hierüber zu berichten.

34. Im dritten Jahre der Regierung des oben erwähnten Kaisers starb von den römischen Bischöfen Klemens und überließ das Hirtenamt dem Evaristus. Klemens hatte im ganzen neun Jahre der Lehre des göttlichen Wortes vorgestanden.

35. Nachdem Symeon auf die erwähnte Weise den Tod gefunden hatte, übernahm ein Jude, namens Justus, einer von den zahlreichen Männern aus der Beschneidung, welche damals den christlichen Glauben angenommen hatten, den bischöflichen Stuhl in Jerusalem.

36. Damals tat sich in Asien der Apostelschüler Polykarp hervor. Von denen, welche den Herrn noch gesehen und ihm gedient, hatte er die bischöfliche Würde der Kirche zu Smyrna erhalten. Zu seiner Zeit machte sich Papias, Bischof der Kirche zu Hierapolis, bekannt sowie der jetzt noch von den meisten hochgefeierte Ignatius, der zweite Nachfolger des Petrus auf dem Bischofstuhle der Kirche in Antiochien. Nach der Überlieferung wurde Ignatius von Syrien aus nach Rom geschickt und dort wegen seines Glaubens an Christus den wilden Tieren zur Beute ausgeliefert. Als er unter strengster militärischer Bewachung durch Asien transportiert wurde, stärkte er in den einzelnen Städten die Kirchengemeinden, mit denen er zusammentraf, durch mündliche Belehrungen und Mahnungen. Vor allem legte er ihnen besonders nahe, sie sollten sich vor den Häresien hüten, die gerade damals zum ersten Male auftauchten. Auch schärfte er ihnen ein, sie sollten unentwegt an der Überlieferung der Apostel festhalten, welche er, um ihnen Sicherheit zu geben, nunmehr auch durch schriftliches Zeugnis mitzuteilen für notwendig hielt. Als er in Smyrna weilte, wo Polykarp lebte, schrieb er einen Brief an die Gemeinde in Ephesus, worin er ihres Hirten Onesimus gedenkt“, und einen Brief an die Gemeinde in Magnesia am Mäander, worin er den Bischof Damas erwähnt, und noch einen Brief an die Gemeinde in Tralles, deren Vorsteher nach seiner Mitteilung damals Polybius war. Außerdem schrieb er einen Brief an die Gemeinde der Römer, worin er diese ersucht, sie möchten ihn nicht vom Martyrium losbitten und ihn nicht dadurch der ersehnten Hoffnung berauben. Zum Beweise des Gesagten dürfte es gut sein, aus diesem Briefe ganz kurz einiges anzuführen. Ignatius schreibt wörtlich:

„Von Syrien bis Rom kämpfe ich mit wilden Tieren zu Wasser und zu Land, bei Tag und bei Nacht, an zehn Leoparden gefesselt, worunter ich die militärische Bewachung verstehe, die, je mehr man ihr Gutes tut, um so schlimmer wird. Durch ihre Kränkungen werde ich immer mehr Jünger. Doch deswegen bin ich noch nicht gerechtfertigt. Ich möchte die Bestien, die mir bestimmt sind, genießen; ich hoffe, daß man bald welche für mich findet. Locken will ich sie, mich auf der Stelle zu fressen. Nicht sollen sie sich, wie sie es bei einigen gemacht haben, scheuen, mich anzugreifen. Und wenn sie zögern und sich sträuben, dann werde ich sie zwingen. Verzeihet mir! Was mir frommt, das weiß ich. Nun erst fange ich an, Jünger zu werden. Nichts von den sichtbaren und unsichtbaren Wesen möge mich reizen; denn Jesus Christus will ich gewinnen. Es mögen über mich kommen Feuerqualen, Kreuzigung, Rudel wilder Tiere, es mögen meine Gebeine zerstreut, meine Glieder zerhackt, mein ganzer Leib zermalmt werden, es möge der Teufel mich schinden: wenn ich nur Jesus Christus finde!“ Solche Worte schrieb Ignatius von der erwähnten Stadt aus an die aufgezählten Gemeinden. Als er bereits Smyrna hinter sich hatte, wandte er sich von Troas aus an die Christen in Philadelphia, die Gemeinde in Smyrna und noch eigens an deren Vorsteher Polykarp. Diesen preist er als apostolischen Mann und übergibt als echter, guter Hirte ihm die Herde von Antiochien mit der Bitte, eifrig für sie zu sorgen In einem Briefe an die Gemeinde zu Smyrna schreibt er, ohne daß ich seine Quelle anzuführen weiß, über Christus also:

„Ich weiß und glaube, daß er nach der Auferstehung im Fleische war. Als er zu denen kam, die bei Petrus waren, sagte er zu ihnen: Fasset mich an und berühret mich und erkennet, daß ich nicht ein körperloser Geist bin! Und sogleich berührten sie ihn und glaubten an ihn“.

Irenäus kennt das Martyrium des Ignatius und erwähnt seine Briefe. Derselbe sagt: „So erklärte auch einer von den Unsrigen, der wegen seines Glaubens an Gott zu den wilden Tieren verurteilt worden war; er hatte behauptet: Gottes Weizen bin ich, und ich werde von den Zähnen der wilden Tiere gemahlen, um als reines Brot erfunden zu werden „.

Auch Polykarp gedenkt dieser Schriften in dem sogenannten Briefe an die Philipper. Wörtlich sagt er: „Ich ermahne euch alle, gehorsam zu sein und euch in aller Geduld zu üben, welche ihr mit eigenen Augen nicht nur an den Heiligen Ignatius, Rufus und Zosimus, sondern auch an noch anderen Männern, die aus eurer Mitte stammen, sowie an Paulus selbst und den übrigen Aposteln beobachten konntet, und überzeugt zu sein, daß alle diese Männer nicht ins Leere gelaufen sind, sondern im Glauben und in der Gerechtigkeit gelebt haben und an den ihnen gebührenden Platz zum Herrn gelangt sind, mit dem sie gelitten hatten. Denn sie liebten nicht die gegenwärtige Welt, sondern den, welcher für uns gestorben und unsertwegen von Gott auferweckt worden ist“.

Sodann fährt Polykarp fort: „Ihr sowohl als Ignatius habt mir geschrieben, daß, im Falle jemand nach Syrien ginge, er die von euch gesandten Schreiben mitnehmen möchte. Dies wird bei passender Gelegenheit geschehen entweder durch mich selbst oder durch einen meiner Boten, den ich auch in eurem Namen schicken werde.

Die Briefe, welche Ignatius an uns geschickt hat, senden wir euch eurem Auftrage gemäß mit allen anderen, die in unserem Besitze sind. Sie sind diesem Briefe beigegeben. Ihr könnt aus denselben großen Nutzen ziehen. Denn ihr Inhalt ist Glaube, Geduld und jegliche Erbauung, die zu unserem Herrn Führt“. Soviel über Ignatius. Sein Nachfolger auf dem Bischofstuhle in Antiochien war Heros.

37. Unter den damaligen hervorragenden Männern war auch Quadratus, der gleich den Töchtern des Philippus mit der prophetischen Gabe ausgezeichnet gewesen sein soll. Zu gleicher Zeit machten sich noch mehrere andere einen Namen, welche den ersten Platz in der Nachfolge der Apostel einnahmen. Diese bauten als großartige Schüler so großer Männer auf dem von den Aposteln überall gelegten kirchlichen Grunde weiter, mehr und mehr ihre Predigttätigkeit ausdehnend und weithin auf dem ganzen Erdkreis den heilbringenden Samen vom Reiche Gottes ausstreuend. Sehr viele von den damals lebenden Jüngern zogen nämlich, nachdem sie, vom göttlichen Worte zu heißer Liebe für Philosophie begeistert, in Befolgung eines Erlöserwortes ihr Vermögen an die Armen verschenkt hatten, in die Ferne und waren als Evangelisten tätig und eifrig bemüht, denen, die noch gar nichts von der Glaubenslehre gehört hatten, zu predigen und ihnen die Schriften der göttlichen Evangelien zu bringen. Nachdem sie auf fremdem Boden nur erst den Grund des Glaubens gelegt hatten, stellten sie andere Männer als Hirten auf, um diesen die Pflege der Neubekehrten anzuvertrauen. Sodann zogen sie wieder in andere Länder zu anderen Völkern, von Gottes Gnade und Kraft unterstützt; denn damals wirkten noch in ihnen zahlreiche Wunderkräfte des göttlichen Geistes, so daß ganze Scharen gemeinsam schon bei der ersten Predigt bereitwillig den Glauben an den Weltschöpfer von Herzen annahmen.

Da es uns nicht möglich ist, alle jene Männer namentlich aufzuzählen, welche am Beginn der apostolischen Nachfolge irgendeinmal in den Kirchen des Erdkreises als Hirten oder Evangelisten aufgetreten sind, so erwähnen wir in unserer Geschichte füglich nur die Namen derer, deren apostolische Lehre uns bis auf den heutigen Tag in Schriften überliefert ist.

38. So besitzen wir wirklich Schriften von Ignatius in den Briefen, die wir aufgezählt haben, Schriften von Klemens in dem allgemein anerkannten Briefe, den er von der römischen Kirche aus an die Kirche in Korinth geschrieben hat. In diesem Briefe Führt Klemens zahlreiche Gedanken und selbst wörtliche Zitate aus dem Hebräerbriefe an, wodurch er deutlich beweist, daß diese Schrift nicht erst neueren Datums war, und begreiflicherweise zu der Meinung Anlaß gab, der Hebräerbrief gehörte zu den Schriften des Apostels. Man behauptet nämlich, Paulus habe in seiner Muttersprache an die Hebräer geschrieben, und die Übersetzung dieser Schrift habe entweder der Evangelist Lukas oder der erwähnte Klemens besorgt. Letztere Annahme dürfte die wahrscheinlichere sein wegen der Ähnlichkeit des Stiles im Klemens- und Hebräerbrief und wegen der Verwandtschaft der Gedanken in beiden Schriften.

Bemerkenswert ist, daß man auch noch von einem zweiten Klemensbriefe spricht. Doch wissen wir, daß er nicht gleich dem ersten Klemensbriefe anerkannt wird; denn wie uns bekannt ist, haben ihn auch die Alten nicht benützt. In neuester Zeit wurden noch andere wort- und umfangreiche Schriften unter dem Namen des Klemens herausgegeben; sie enthalten die Dialoge des Petrus und Apion Die Alten haben diese Schriften, welche auch die apostolische Rechtgläubigkeit nicht rein bewahrt haben, nirgends erwähnt. Der anerkannte Brief des Klemens, ebenso die Schriften des Ignatius und Polykarp, sind damit besprochen.

39. Von Papias werden Fünf Bücher überliefert. Sie tragen auch den Titel: „Erklärungen von Herrenworten“. Auch Irenäus erwähnt sie und bemerkt, sie seien das einzige von Papias verfaßte Werk. Irenäus schreibt: „Dies bezeugt schriftlich Papias, ein Hörer des Johannes, ein Freund des Polykarp, ein Mann aus alter Zeit, in seinem vierten Buche. Fünf Bücher hatte er nämlich verfaßt“.

So Irenäus. Indes erklärt Papias selbst in der Einleitung zu seiner Schrift, er habe die heiligen Apostel nicht gehört und nicht gesehen. Er bemerkt, daß er die Glaubenslehre von solchen empfangen habe, die den Aposteln nahegestanden seien. Er sagt: „Ohne zu zögern will ich für dich alles, was ich je von den Älteren genau erfahren und dem Gedächtnis genau eingeprägt habe, zugleich mit den Auslegungen verbinden, mich für dessen Wahrheit verbürgend. Denn nicht hatte ich wie die meisten an denen, die viele Worte machen, sondern an denen, welche die Wahrheit lehren, Freude, auch nicht an denen, weiche die fremden Gebote anführen, sondern an denen, welche die vom Herrn dem Glauben gegebenen und aus der Wahrheit selbst entspringenden Gebote bieten. Kam einer, der den Älteren gefolgt war, dann erkundigte ich mich nach den Lehren der Älteren und fragte: Was sagte Andreas, was Petrus, was Philippus, was Thomas oder Jakobus, was Johannes oder Matthäus oder irgendein anderer von den Jüngern des Herrn, was dann ja auch Aristion und der Presbyter Johannes, ebenfalls Jünger des Herrn, sagen Denn ich war der Ansicht, daß aus Büchern geschöpfte Berichte für mich nicht denselben Wert haben können wie das lebendige und beständige mündliche Zeugnis“.

An diesen Worten ist beachtenswert, daß Papias zweimal den Namen Johannes aufzählt. Das erste Mal zählt er Johannes zu Petrus, Jakobus, Matthäus und den übrigen Aposteln; er meint also offenbar den Evangelisten. Das zweite Mal, in einem neuen Satzteil, rechnet er Johannes zu einer anderen Kategorie, welche von der der Apostel verschieden ist; er stellt ihm den Aristion voran und bezeichnet ihn ausdrücklich als Presbyter. Damit bewahrheitet sich also der Bericht, daß in Asien zwei Jünger den gleichen Namen gehabt hätten, und daß in Ephesus zwei Grabmäler errichtet worden wären, von denen noch jetzt jedes den Namen Johannes trüge. Dies ist wohl zu beachten. Denn es ist wahrscheinlich, daß, sofern man nicht an den ersteren Johannes denken will, der zweite die unter dem Namen des Johannes gehende Offenbarung geschaut hat.

Der soeben von uns zitierte Papias gesteht, die Lehren der Apostel zwar von deren Schülern empfangen, Aristion aber sowie den Presbyter Johannes persönlich gehört zu haben. In seiner Schrift beruft er sich oft mit Namen auf sie und gibt ihre Überlieferungen wieder. Folgende Mitteilungen mögen nicht ohne Nutzen sein. Es ist am Platze, außer der angeführten Stelle aus Papias auch noch jene Erzählungen zu erwähnen, in denen er wunderbare Vorkommnisse und anderes berichtet, was er wohl dank der Überlieferung weiß. Bereits oben wurde mitgeteilt, daß sich der Apostel Philippus mit seinen Töchtern in Hierapolis aufgehalten habe; hier sei noch bemerkt, daß ihr Zeitgenosse Papias erzählt, er habe von den Töchtern des Philippus eine wunderbare Geschichte erfahren. Wie er nämlich mitteilt, stand damals einer von den Toten auf. Ein weiteres Wunder berichtet er über Justus mit dem Beinamen Barsabas. Derselbe habe nämlich, obwohl er tödliches Gift getrunken habe, infolge der Gnade des Herrn keine üblen Folgen verspürt. Von diesem Justus berichtet die Apostelgeschichte, daß die heiligen Apostel ihn nach der Himmelfahrt des Erlösers zugleich mit Matthias vorgeführt haben, um unter Gebet durch das Los an Stelle des Verräters Judas einen Ersatz zur Auffüllung ihrer Zahl zu finden. Die Schrift sagt: „Und sie stellten zwei Männer auf: Joseph, genannt Barsabas, mit dem Beinamen Justus, und Matthias, und sie beteten und sprachen“.

Papias bietet aber auf Grund mündlicher Überlieferung auch noch andere Erzählungen, nämlich unbekannte Gleichnisse und Lehren des Erlösers und außerdem noch einige sonderbare Berichte. Zu diesen gehört seine Behauptung, daß nach der Auferstehung der Toten tausend Jahre kommen werden, in denen das Reich Christi sichtbar auf Erden bestehen werde. Nach meiner Meinung hat Papias diese Anschauung zusammen mit alten Erzählungen der Apostel aufgenommen, wobei er das, was die Apostel geheimnisvoll in Andeutungen gesprochen hatten, nicht verstanden hat. Obwohl er, wie man aus seinen Worten schließen kann, geistig sehr beschränkt gewesen sein muß, hat er doch sehr vielen späteren Kirchenschriftstellern, die sich auf das Alter des Mannes beriefen, wie dem Irenäus und denen, die sonst noch solche Ideen vertreten, Anlaß zu ähnlicher Lehre gegeben. Noch anderes teilt Papias in seinem Werke aus des oben erwähnten Aristion Auslegungen der Herrenworte sowie aus der Überlieferung Johannes des Presbyters mit. Nachdem wir nun die wißbegierigen Leser darauf aufmerksam gemacht haben, halten wir es für unsere Pflicht, außer seinen obigen Bemerkungen nun auch noch die Überlieferung anzuführen, welche er bezüglich Markus, des Verfassers des Evangeliums, aufgezeichnet hat. Er schreibt:

„Auch dies lehrte der Presbyter: Markus hat die Worte und Taten des Herrn, an die er sich als Dolmetscher des Petrus erinnerte, genau, allerdings nicht der Reihe nach, aufgeschrieben. Denn er hatte den Herrn nicht gehört und begleitet; wohl aber folgte er später, wie gesagt, dem Petrus, welcher seine Lehrvorträge nach den Bedürfnissen einrichtete, nicht aber so, daß er eine zusammenhängende Darstellung der Reden des Herrn gegeben hätte. Es ist daher keineswegs ein Fehler des Markus, wenn er einiges so aufzeichnete, wie es ihm das Gedächtnis eingab. Denn für eines trug er Sorge: nichts von dem, was er gehört hatte, auszulassen oder sich im Berichte keiner Lüge schuldig zu machen. So berichtete Papias über Markus. Bezüglich Matthäus aber behauptete er: „Matthäus hat in hebräischer Sprache die Reden zusammengestellt; ein jeder aber übersetzte dieselben so gut er konnte“. Papias berief sich auch auf Zeugnisse aus dem ersten Johannesbrief und dem ersten Petrusbrief. Ferner Führte er aus dem Hebräerevangelium die Geschichte eines Weibes an, das wegen vieler Sünden vor dem Herrn angeklagt worden war. Auch dies mußten wir außer dem Erwähnten noch bemerken.

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