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Diedrich, Julius - Einleitung.

Diedrich, Julius - Einleitung.

Wenn sonst je eines Menschen Worte geschickt sind uns einen Einblick in seine Seele zu gewähren, so sollen wir im höchsten Maße durch die sieben Worte unsers Heilandes am Kreuze, welcher die Wahrheit selbst ist und keinen Betrug in Seinem Munde erfinden läßt, in Sein treues Herz hineinschauen. Um Ihn drehen sich Himmel und Erde, und Er ist auch der Mittelpunkt, der Lebensquell und das Herz der ganzen sündigen Menschheit, nachdem Er als einer der unsrigen, ja ganz für uns in unsre Mitte und in unser Fleisch eingetreten ist. Er ist Gott in unsrer Menschheit, also auch der Mensch, welcher zugleich wahrer Gott ist, und der legt uns Sein Inneres in den sieben Kreuzesworten erkennbar vor. Am Kreuze vollendet Er Seine ganze Erlösungsarbeit, hier vollbringt Er unsre Seligkeit: und dazu giebt Er uns durch Seine Worte die Erklärung selbst. Durch Sein Kreuzesleiden will Er uns sowohl Seine Gottheit als auch die Herrlichkeit Seiner reinen, sündlosen Menschheit offenbaren: in Seinem Kreuzesleiden ist Sein ganzes irdisches Leben und Wirken zur herrlichsten Blüthe aufgeschlossen. Freilich sind unser Fleisch und Blut voll Hoffahrt und Wollust ganz ungeschickt dazu solche Herrlichkeit des Sohnes in Seinem Leiden zu erkennen. Uns, denen doch Leiden am Fleische so nöthig und nützlich sind, damit wir von Sünden aufhören; uns gerade widern die Kreuzesleiden unsers Hauptes und Herren von Natur nur an. Uns, die wir gern Frieden fühlen, auch wo keiner ist, und nicht tief nachfragen, weil wir an der Oberfläche lüstern genießen wollen, - und deßhalb auch die Verheißung des Friedens Gottes gern äußerlich zum Troste des Fleisches mißbrauchen wollen - uns ist es zuerst unerklärlich, daß wir den wahren Menschen, den wahrhaftigen Gott in unserm Fleische, zittern und zagen sehen und am Kreuze ein ängstliches „Warum?“ an Seinen himmlischen Vater richten hören. Sagt nicht Paulis,: Wir verzagen nicht? - haben wir nicht lauter Ja und Amen in GM? und doch zagt Dieser und fragt „Warum?“ der unser Herr und Heiland sein soll? darauf antwortet uns, Jesus vom Kreuze her. Sein Herz will zu unserm Herzen reden, damit wir Ihn recht verstehen und in ewigen Freudenjubel darüber ausbrechen, was wir an Ihm haben. Möchten Seine Worte uns recht verständlich sein und immer verständlicher werden! Wir sollen es aus ihnen erkennen, daß gerade Dieser, Der so große Leiden duldet und dieselben so rückhaltlos ausspricht und sich ihrer gar nicht schämt, daß Der und kein andrer der wahrhaftige Gott und das ewige Leben in unserm Fleische ist. Um aber auch nur einen Anfang solches Verständnisses zu machen, dazu muß man alle eignen Gedanken von Gott und Gottes Majestät erst fahren lassen. Der natürliche, heidnische Mensch denkt sich nämlich Gottes Majestät in kalter, eisiger Höhe, er meint Gott recht zu ehren und Ihm im Geiste zu dienen, wenn er Ihn sich möglichst ohne Gefühl vorstellt: er denkt Ihn sich als einen zermalmenden Herrscher, und das kommt von seinem bösen Gewissen her. Ja Gott ist wohl die höchste Majestät: Er ist zermalmende Gewalt gegen die Sünde und. ihr Reich; aber so ist Gott nicht an sich. Gott ist gerade das allerzarteste und innigste Gefühl: Er ist selbst die Liebe: Liebe über alle Brautliebe und über alle Mutterliebe: ewige, wahre und ganze Liebe und gar nichts hemmendes in der Liebe. -

Als solcher nun, der lauter Liebe ist, spricht sich unser Jesus an Seinem Kreuze aus: und wer nach der ewigen Liebe durstet, der wird Ihn wohl verstehen lernen. In der Liebe, mit der Er Feinde, Verbrecher und Freunde liebt, ist Er offenbar der Erste und Oberste. In der Liebe hat Ihn nie Jemand erreicht, geschweige übertreffen. Seine Liebe bekundet sich aber durch lauter Leiden und das ist ihre höchste und herrlichste Weise, daß sie sich mit dem leidenden Geliebten ganz eins macht und seine Qualen duldet. Er leidet auch unsre Gottverlassenheit und Er kann sie hier, in dieser Welt auch nur so leiden, wie sie gelitten sein muß, weil Er, der mit dem Vater Eins ist, allein weiß, wie selig die vollkommenste Gottesgemeinschaft ist. Daß Er aber die Gottverlassenheit auf's tiefste fühlen kann und sie als Sein bitterstes Leid beklagt, das beweist, daß El in ganz besondrer, innigster Gemeinschaft mit Gott stehen müsse, daß Er wahrer Gott sei. Außerdem sehen wir an Ihm durch Seine Worte, daß Sein ganzes menschliches Leben und Dasein nichts andres als lauter Gehorsam und lautre Ergebenheit in des Vaters Willen ist, selbst da, ja da am meisten, wo des Vaters Wille lauter Schmerz des Fleisches ist.

So wie wir Ihn am Kreuze sehen und hören, können wir Ihn nirgends sonst sehen und hören, obwohl Er ja immer Derselbe ist. Seine sieben Worte gehen uns über alle Reden und Gleichnisse des HErrn; Sein Leiden über alle Seine Wunderthaten. Hier ist die Eine große That vollbracht, darauf die ganze Menschheit von Gott fest gegründet ist, auf deren Grunde sie zur seligen Vollendung entgegengeführt wird. Durch Lust sind wir gefallen und von Gott entfremdet zur Verdammniß: durch Leiden werden wir wieder gewonnen; aber nicht durch unser Leiden; sondern durch das vollkommne Leiden des Heiligen und Gerechten, des Menschen, des wahren Gottes, durch Leiden der heiligen Liebe selbst, welche Leiden freilich jetzt auch unserm bösen Fleisch lauter Leiden und Sterben erwirken. In diesem Schmerzensmann erkennen und verehren wir Christen unsern Gott, denn dieser ist die höchste Liebe im bittersten Leiden. In Ihm haben wir auch unser Vorbild für unsern Wandel, denn Er ist lauter Gehorsam gegen den Vater, und Er läßt Den immer gleichermassen Seinen Vater sein, Der Ihn doch für uns Sünder in den bittersten Tod begiebt.

Je tiefer darum Seine Schmach und Seine Schmerzen desto herrlicher strahlt Seine Gottheit in unserm Fleische. -

In Ihm und Seinem Kreuzesleiden ist nun alles erfüllt, was in der Menschheit je durch den Geist Gottes zuvor von Erlösung geweissagt worden war. Er ist der wahre Israel, nach Dem einst Jakob genannt wurde, als er vorbildlich in der Nacht gekämpft hatte: denn Er hat also in Wirklichkeit mit Gott gekämpft und gerungen, daß Er in Ewigkeit nun zur Rechten Gottes sitzt und uns Alle nach Sich zieht. Er ist der wahre Knecht Gottes, von dem die Propheten geweissagt haben, denn Er hat allen Willen des Vaters in tiefstem Leiden vollbracht, so daß nun eine ewige Gottesfamilie von vielen Kindern um den himmlischen Thron versammelt ist. - Er ist der wahre Hiob, der wirklich fromme und sündlose, an dem Gott durch Sein bitterstes Leiden den herrlichsten, ewigen Sieg gegen den Satan erstreitet. Er fehlt auch in keinem Worte! Darum ist Er der vollkommene Mann. Die schönsten Worte auf Erden sind die Worte, welche der Gottmensch am Kreuze sprach.

So können wir denn nun mit Gewißheit sagen: Nirgends sind wir von Gottes Liebe verlassen. Er hat's zwar gegeben, daß wir nicht mehr zu zagen und ängstlich zu fragen brauchten; doch können wir's noch nicht fassen, sind wir ganz voll Schmerz und Weh: auch darin ist die Gottheit Jesu Christi: sind wir voll der ängstlichsten Fragen nach Gott: fühlen wir uns in tausendfacher Seelenpein so fern von Gott: auch darin ist Jesus und Gott hat's alles noch viel tiefer empfunden, so tief, wie dessen kein Mensch sonst fähig ist. Aber je ähnlicher wir Ihm werden, desto fähiger werden wir zum Verständniß Seiner Schmerzen, ja zur Gemeinschaft Seiner Schmerzen. - In Seinem Kreuzesleiden ist uns das Geheimniß des menschlichen Lebens aufgeschlossen, wenn wir Augen zu sehen haben. Jetzt können wir wissen, wie wir mit Gott daran sind. Er hat uns die Menschheit durch Seine Schmerzen zu einem höheren Leben durchgeboren und davon weissagt der Geburtsschmerz jedes Weibes. - Möchten wir nun Christi Worte ein wenig verstehen lernen!

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