Couard, Christian Ludwig - Die Menschenknechtschaft.

Couard, Christian Ludwig - Die Menschenknechtschaft.

Predigt
am Reformationsfeste über 1. Cor. 3, 21 - 23.
Christian Ludwig Couard,
Pfarrer zu St. Georgen in Berlin.

Die Gemeine sang: Uns bindet, Herr, dein Wort zusammen

So wallen die verbundnen Herzen
Durchs Thränenthal in's Vaterland,
Versüßen sich der Erde Schmerzen,
Eins reicht dem Andern seine Hand.
Und wollen sie einander dienen,
So sehn sie mit des Glaubens Blick
Auf Jesum und ihr wahres Glück.
Sie sind in ihm, er ist in ihnen.

Im Namen Jesu.

Du in uns, und wir in dir! Ja, Herr, das verleihe uns aus Gnaden, darauf laß all' unser Sinnen und Denken und Streben gerichtet sein. So willst du selbst es ja, das war der Gegenstand deines heißen Flehens in der bängsten deiner Nächte. O daß dein Gebet sich an uns Allen kräftig und wirksam erweisen möchte, daß wir, mit dir innig verbunden, deiner Gnade, deines Lebens, deiner Seligkeit theilhaftig würden! Dazu hilf uns um deiner Barmherzigkeit willen. Amen.

Ihr sollt euch nicht lassen Meister nennen, denn Einer ist euer Meister, Christus. So sprach der Herr einst zu seinen Jüngern, meine Brüder, und erklärte sich damit auf das Nachdrücklichste gegen alle Menschenherrschaft und Menschenknechtschaft in seinem Reiche, wo er allein das Regiment führen will, und wo Alle allein auf ihn blicken, von ihm lernen, an ihn sich anschließen und ihm sich unterwerfen sollen, weil er allein der Mittelpunkt ist für Alle seine Gläubigen, und der einige Grund ihres ewigen Heils. Und seine Jünger faßten das Wort auf in seiner ganzen Tiefe, und wie sie selbst von keinem andern Herrn und Meister wußten und wissen wollten, als von Jesu Christo dem Gekreuzigten, so dachten sie auch nur daran, ihm Seelen zu gewinnen durch die Predigt des Evangelii, und fern davon, sich selbst einen Namen machen oder einen Anhang bilden zu wollen, warnten sie vielmehr überall mit dem größten Ernste vor Menschenknechtschaft und vor menschlichem Ansehen in Sachen des Glaubens und der Seligkeit und wiesen allein hin auf den, welcher uns von Gott gemacht ist zur Weisheit, zur Gerechtigkeit, zur Heiligung und zur Erlösung. Es ist in keinem Andern Heil, als in Christo, ist auch kein andrer Name den Menschen gegeben, darinnen sie sollen selig werden. So predigte Petrus. Einen andern Grund kann Niemand legen, außer dem, der gelegt ist, welcher ist Jesus Christus, so predigte Paulus. Die heiligen Apostel wollten weder selbst Herren sein über den Glauben Andrer und über das Volk herrschen, noch wollten sie dulden, daß irgend Jemand sich neben Christo zum Meister aufwerfe, sondern sie ermahnten die Gläubigen beständig mit Hinweisung auf den einigen Herrn und Meister Jesum Christum: ihr seid theuer erkauft, werdet nicht der Menschen Knechte.

Leider wurde diese Ermahnung nicht immer beherzigt und befolgt in der Kirche des Herrn. Schon im apostolischen Zeitalter sehen wir hier und da in einzelnen Gemeinen den Geist christlicher Freiheit unter dem Joche eitler Menschensatzungen erliegen, und finden theils solche, welche nach Herrschaft über die Gewissen streben, anstatt in Demuth, wie Paulus, sich damit zu begnügen, Christi Diener und Haushalter über Gottes Geheimnisse zu sein, theils solche, welche sich knechtisch an einzelne Lehrer und Verkündigung des Evangeliums anschließen, anstatt mit Hintenansetzung alles menschlichen Ansehens nur an den Herrn sich zu halten. Wie Paulus im Bewußtsein seiner christlichen Freiheit gegen solche Verirrungen mit Nachdruck und Freisinnigkeit kämpft, davon liefern die Briefe an die Korinther und Galater die Beweise. In den folgenden Jahrhunderten der Entwicklung der christlichen Kirche aber sehen wir durch die allmählige Ausbildung des Pabstthums, einer weltlichen Herrschaft in der Kirche und über die Kirche, den freien, von menschlichem Ansehen unabhängigen, evangelischen Geist immer härter bedrängt, bis er zuletzt dem entscheidendsten Glaubenszwange weichen muß. Die Gewissen werden in Fesseln geschlagen, die Bekenner des Herrn werden zu Knechten der Menschen herabgewürdigt, das Wort Gottes wird ihnen entrissen, und zahllose Menschensatzungen werden den Christen als göttliche Wahrheiten aufgedrungen. Niemand wagt es, das hohe Ansehen des päpstlichen Stuhles in Zweifel zu ziehen, dessen Beschlüsse mit dem Stempel der Unfehlbarkeit versehen werden. Niemand wagt es, sich gegen die Macht einer übermüthigen Clerisei aufzulehnen, und wenn hier und da einzelne Stimmen laut werden, und einzelne Zeugen auftreten, um für die Wahrheit zu kämpfen, so werden sie bald durch List und Ueberredungskünste, bald durch Gewalt und Verfolgung zum Schweigen gebracht und unterdrückt. So schleichen sich unzählige Mißbräuche ein in die Kirche des Herrn, das Evangelium wird verfälscht und entstellt, der Gottesdienst hört auf eine Anbetung Gottes im Geist und in der Wahrheit zu sein, und sinkt zu einem leeren Ceremoniendienst herab, und Unwissenheit und Sittenlosigkeit nehmen immer mehr überhand in der Christenheit.

Diesem traurigen Zustande machte die Reformation im sechszehnten Jahrhundert ein Ende, meine Brüder. Der 31. Oktober 1517 war der denkwürdige Tag, an welchem Luther, unter Gottes gnädigem Beistande jenen Kampf gegen das Papstthum begann, aus welchem die freie evangelische Kirche hervorgegangen ist, welcher wir angehören, jenen Kampf, der keinen andern Endzweck hatte, als die Christenheit wieder zurückzuführen auf Christum und auf den Glauben an ihn, als das einzig Nothwendige. Nachdrücklich erklärten sich die Reformatoren, wie einst die Apostel, gegen alles menschliche Ansehen, gegen alle menschlichen Satzungen in der Kirche des Herrn, und riefen es laut in die Christenwelt hinein, jenes längst vergessene Wort: einer ist euer Meister, Christus. Sie selbst wollten nicht Meister und Herren über den Glauben sein, aber sie wollten auch nicht, daß Papst und Concilien sich eine Herrschaft über die Gewissen anmaßten. Gottes Wort allein sollte Geltung haben in der Kirche, und darum ließen sie es ihre vornehmste Sorge sein, das bis dahin gebundene Gotteswort wieder frei, und die heil. Schrift allen Christen zugänglich zu machen, damit Alle zur wahren evangelischen Freiheit im Gehorsam des Glaubens an Jesum Christum gelangen möchten. Und Gott gab Segen und Gedeihen zu ihrem Werke, so daß das Licht des Evangelii nun wieder hell unter uns leuchtet. Wie heilig ist demnach für uns, die wir uns Mitglieder der evangelischen Kirche nennen, die Pflicht, die Grundsätze der Reformatoren treu zu bewahren und uns nicht wieder fangen zu lassen in das knechtische Joch. Werdet nicht der Menschen Knechte, rufen die Apostel, rufen die Reformatoren uns warnend zu. Unsre in jeder Hinsicht bewegte Zeit steht in Gefahr, diesen Grundsatz wieder aus den Augen zu verlieren, darum wollen wir uns heute geflissentlich daran erinnern und diesen Tag zum Andenken an die Kirchenverbesserung des sechszehnten Jahrhunderts dadurch feiern, daß wir es uns von Neuem zum Bewußtsein bringen, wie in Sachen des Glaubens und in Absicht auf unser ewiges Heil kein menschliches Ansehen, sondern Christus allein Alles in allem gelte. Gott segne unsre Betrachtung.

Text: 1. Cor. 3, 21-23.
**„Darum rühme sich Niemand eines Menschen. Es ist alles euer: Es sei Paulus oder Apollo, es sei Kephas oder die Welt, es sei das Leben oder der Tod, es sei das Gegenwärtige oder das Zukünftige; alles ist euer. Ihr aber seid Christi, Christus aber ist Gottes.“

Nachdrücklicher kann man sich über die Verwerflichkeit aller Menschenherrschaft und Menschenknechtschaft in Sachen des Heils nicht aussprechen, als der Apostel es in diesen Worten thut, meine Brüder. Wenn von unserm Glauben und von unsrer Seligkeit die Rede ist, so dürfen wir da kein menschliches Ansehen gelten lassen, sondern Christus muß Alles in Allem sein. Diese Wahrheit ist es, welche die Reformatoren des sechszehnten Jahrhunderts wieder der Vergessenheit entrissen und laut gepredigt haben, und wir haben sie zu betrachten, als eine Haupt- und Grundwahrheit unsrer evangelischen Kirche. Möchten wir sie nur stets im Auge behalten, damit Christus, unser Ziel, uns nicht verrücket werde, wie es der Fall war bei der korinthischen Gemeine, an welche unsre Textesworte gerichtet sind. Sie hatte das Wort des Herrn vergessen. Einer ist euer Meister, Christus, und befand sich in einem Zustande der Menschenknechtschaft.

Auf diesen Zustand wollen wir zuerst unsern Blick werfen. Danach wollen wir 2) den Kampf des Apostels gegen diese falsche Richtung ins Auge fassen, und uns endlich 3) unsere eigentliche Stellung als evangelische Christen zum Bewußtsein bringen. Das sei unsere Betrachtung zur Feier jener denkwürdigen Begebenheit des sechszehnten Jahrhunderts und der Herr lasse sie bei keinem von uns ungesegnet!

Heiliger Vater, heilige uns in deiner Wahrheit, dem Wort ist und bleibt die Wahrheit. Amen.

1.

Paulus hatte in Corinth das Evangelium verkündigt, und seine Wirksamkeit in dieser großen und ausgezeichneten Stadt war nicht ungesegnet geblieben. Es war ihm gelungen, eine nicht unbedeutende Christengemeine zu sammeln, und nicht ohne Rührung und Dank gegen Gott sah er die Fortschritte dieser Gemeine in der Erkenntniß, und die Frucht dieser Erkenntniß, die sich in dem Wandel der dortigen Christen offenbarte, wie er denn gleich zu Anfang seines Briefes solches rühmend anerkennt, indem er schreibt: ich danke meinem Gott allezeit eurethalben für die Gnade, die euch gegeben ist in Christo Jesu, daß ihr seid durch ihn in allen Stücken reich gemacht, an aller Lehre und in aller Erkenntniß, wie denn die Predigt von Christo in euch kräftig geworden ist, also daß ihr keinen Mangel habt an irgend einer Gabe. Wo aber viel Licht ist, da pflegt auch viel Schatten zu sein, und so zeigte es sich in der Gemeine zu Korinth. Von der einen Seite offenbarte sich bei Vielen ein großer Leichtsinn und ein großes Sittenverderben, wie dieses in angesehenen Städten bei den zahllosen Versuchungen zur Lust der Welt nicht ungewöhnlich ist, und von der andern Seite waren traurige Spaltungen in der Lehre entstanden. Andre Lehrer, welche dem Apostel gefolgt waren, hatten das Evangelium in einer andern Form und nach andern Grundsätzen verkündigt, als Paulus, und bei der Beweglichkeit und Unbeständigkeit der Menschen, und bei dem Reize der Neuheit hatte denn auch jeder seine Anhänger gefunden, die sich nun, über die Schale den Kern, über die Form den Geist und das Wesen des Christenthums vergessend, auf unchristliche Weise zankten und stritten und ärgerliche Spaltungen veranlaßten, worüber sich Paulus klagend und tadelnd ausspricht. Denn da sagte der Eine: ich bin Paulisch, und der Andre: ich bin Apollisch, und ein Dritter: ich bin Kephisch, und der Vierte: ich bin Christisch. Aus der christlichen Freiheit also waren sie in die menschliche Knechtschaft hineingerathen; das große Wort des Herrn: Einer ist euer Meister, Christus, war vergessen; die Christen schlossen sich an einzelne ausgezeichnete Lehrer an und folgten theils dem Paulus, theils dem Apollo, theils dem Petrus, und anstatt in all diesen Verkündigern des Evangelii nur Werkzeuge des Herrn zu sehen, machten sie aus denselben Herren und Meister der Lehre und des Glaubens, und jede Partei behauptete mit liebloser Bekämpfung und Ausschließung der andern, allein im Besitze der Wahrheit zu sein, wodurch natürlich der stille Glaubensgang der Christen und die ruhige Entwickelung der christlichen Lehre gestört und gehindert werden mußte. Jeder verlangte, der andre solle sich in seine Form und Auffassungsweise fügen, anstatt daß Alle ihre eigenthümliche Form dem Wesen des Christenthums hätten unterordnen und sich Alle dem einigen Grunde des Heils, Christo unterwerfen sollen. Dies Alles erfuhr Paulus während seiner apostolischen Wirksamkeit in Ephesus und dies veranlaßte ihn, gegen diese verkehrte Richtung kämpfend aufzutreten und jenen Parteien und ihrer menschlichen Einseitigkeit gegenüber der christlichen Freiheit das Wort zu reden, die keinen andern Herrn und Meister anerkennt, als Christum, den Heiland Aller.

Die Geschichte der christlichen Kirche lehrt uns, meine Brüder, daß ähnliche Erscheinungen im Laufe der Zeit sich oft in der Christenheit wiederholt haben. So finden wir es zur Zeit der Reformation und vor derselben. Von christlicher Freiheit in Glaubensfachen und Angelegenheiten des Heils war da keine Rede. Die Christen schmachteten in der ärgsten Menschenknechtschaft. Was Rom gebot, das allein sollte in der vorgeschriebenen Form gelehrt und geglaubt werden, und auch die geringste Abweichung davon wurde als strafbare Ketzerei behandelt, jede freie Geistesregung gewaltsam unterdrückt, und das päpstliche Ansehen dermaßen erhoben, daß Christus selbst, und die von ihm und seinen Aposteln verkündigte göttliche Wahrheit ganz in den Hintergrund treten mußte. Gottes Wort war in Fesseln geschlagen, die Bibel den Laien und dem größten Theile der Geistlichkeit etwas völlig Unbekanntes und das Christenthum schien nur ein Heidenthum mit verändertem Namen. Was nicht das Gepräge der römischen Auffassungsweise trug, und sich dieser nicht unterwerfen wollte, das wurde ohne Rücksicht auf Wahrheit verworfen, weshalb denn auch Luther und die schweizerischen Reformatoren das als ihre nächste und eigentliche Aufgabe erkannten, die Christenheit von diesem knechtischen Joche frei zu machen, und sie wieder zu Christo, dem einigen Meister, und zu seinem, von allen Menschensatzungen gereinigten Worte, als zu der ewigen Quelle der Wahrheit, zurückzuführen.

Auch unsere Zeit beginnt wieder an dem Uebel zu leiden, gegen welches einst die Apostel und die Glaubenshelden des sechszehnten Jahrhunderts kämpften, meine Brüder. Es entstehen Spaltungen und Parteien hier und da; man hängt sich an Menschen; man vergißt, daß auch die Reformatoren nicht Herrn über den Glauben, sondern Diener Christi, Werkzeuge des Herrn waren, und Viele machen aus ihnen Partheimänner, und aus jedem ihrer Worte ein Evangelium, was weder der Wahrheit angemessen ist, noch von ihnen selbst gebilligt werden würde, wenn sie noch unter uns lebten und wirkten. So sprechen Viele: wir sind Lutherisch, und Andre: wir sind Zwinglisch, und noch Andere: wir sind Calvinisch, und fallen somit ganz in den Fehler der Korinthischen Christen, denn sie vergessen, daß über Luther, Zwingli und Calvin der Herr steht, welcher der einige Meister und das einige Haupt seiner Gemeine ist, und daß nicht diese oder jene Form und Auffassungsweise der Wahrheit das Wesen des Christenthums und die Wahrheit selbst ist. Ja, es gibt Christen unter uns, die aus jedem evangelischen Prediger, der ihnen eben zusagt, ein Haupt, einen Führer und gleichsam einen Papst machen, neben welchem alle Uebrigen ihnen als Irrlehrer erscheinen, so daß sie nur da wollen die Wahrheit anerkennen, wo sie in ihrer Form ausgesprochen wird, wobei ja offenbar nicht das wesentlich Göttliche, sondern nur die menschliche Eigenthümlichkeit festgehalten wird, die doch Nebensache ist und dem Wesen des Christenthums untergeordnet bleiben muß. Solche Erscheinungen und Bewegungen offenbaren sich jetzt wieder unter den evangelischen Christen, und veranlassen ärgerliche Spaltungen, Absonderungen von der Kirche, Sekten, Zänkereien und Unordnungen, die sogleich verschwinden müßten, wenn Alle nur nach Art der Apostel und Reformatoren das als den obersten Grundsatz festhalten wollten: Einer ist euer Meister, Christus.

2.

Sehen wir denn uns Zweitens, wie Paulus gegen die falsche Richtung in Korinth kämpft. Frei und unabhängig von allen, menschlichen Ansehen und Einflusse, hält er nur immer das Wesentliche, Christum, den Grund des Heils für Alle, fest. Daher kann er jenes unchristliche Partheiwesen nicht billigen. Er erklärt sich aufs Stärkste dagegen. Er will nicht, daß irgend Jemand ihn zum Partheihaupte mache, sich nach ihm Paulisch nenne, und sich an ihn halte, sondern weiset nur hin auf den, dem Alle angehören, um den Alle sich als um ihren Mittelpunkt sammeln und in welchem Alle Heil und Seligkeit suchen und finden sollen. Ich ermahne euch, schreibt er daher, daß ihr allzumal einerlei Rede führet, und lasset nicht Spaltungen unter euch sein, sondern haltet fest aneinander, in einem Sinn und in einerlei Meinung. Denen, die sich nach ihm Paulisch nennen, ruft er zu: ist Christus nun getrennet? Ist denn Paulus für euch gekreuziget? Oder seid ihr in Pauli Namen getauft? Er macht es ihnen zum Vorwurfe, daß sie noch eine fleischliche Gesinnung offenbaren, wenn sie sich in einzelne Partheien zerspalten. Denn so einer sagt, schreibt er, ich bin Paulisch; der Andere aber, ich bin Apollisch; seid ihr denn nicht fleischlich? Wer ist nun Paulus? Wer ist Apollo? Diener sind sie, durch welche ihr seid gläubig geworden, und dasselbige, wie der Herr einem jeglichen gegeben hat. Ich habe gepflanzet, Apollo hat begossen, aber Gott hat das Gedeihen gegeben. So ist nun weder der da pflanzet, noch der da begießt, etwas, sondern Gott, der das Gedeihen gibt. Er will nicht, daß die Christen sich eines Menschen rühmen, auf das Ansehen menschlicher Lehrer schwören, vielmehr sollen sie sich in dem, was ihr Heil und ihre Seligkeit betreffe, alles ohne Unterschied dienstbar und unterthänig machen. Nur Christi Knechte sollen sie sein. Nur ihn sollen sie als ihren Herrn und Meister anerkennen. Darum rühme sich keiner eines Menschen, schreibt er in unserm Texte, es ist alles euer: Es sei Paulus oder Apollo, es sei Kephas oder die Welt, es sei das Leben oder der Tod, es sei das Gegenwärtige oder das Zukünftige; alles ist euer, so daß ihr euch also nicht zu Menschenknechten erniedrigen dürfet, sondern in allen Lehrern und Verkündigern des Evangelii nur Diener und Werkzeuge des einen Herrn erkennen müsset, dem ihr allein eure Seligkeit verdanket. Paulus hat euch nicht erlöset, Petrus hat euch nicht erkauft, Apollo kann euch nicht selig machen, sondern Christus ist für euch Alle der Grund des Heils. Ihr seid also Christi; ihm gehöret ihr an, er ist euer einiges Oberhaupt, von ihm hängt euer Heil allein ab, durch ihn stehet ihr mit Gott in Gemeinschaft, durch ihn seid ihr Gottes Eigenthum, wie er Gottes ist. Wollet ihr also selig werden, so dürfet ihr euch nicht an diesen oder jenen Menschen halten, ob er auch noch so ausgezeichnet wäre, sondern müsset euch Christo unterwerfen, in welchem das Göttliche rein und ungetrübt ist, während es in jedem Menschen mehr oder weniger getrübt erscheint. Eure Lehrer sind nichts als Werkzeuge, durch welche Gott wirkt, und die alle nur den Beruf haben, Christum in den Herzen zu erbauen. Sie sind Wegweiser, die euch zu Christo hinführen sollen, aber Grund eures Heils sind sie nicht, daß ihr euch an sie anschließen und auf sie schwören solltet. Einen andern Grund kann Niemand legen, als der gelegt ist, Christus. Wer euch den verkündigt als euren Heiland und Seligmacher, den haltet für einen christlichen Lehrer, und sehet nicht auf die menschliche Form und Auffassungsweise, die ihm eigenthümlich ist, sondern auf das Wesentliche, auf die Wahrheit, die er euch predigt, denn die Form kann wechseln und vergehen, aber die Wahrheit bleibt ewig, und Christus bleibt der unwandelbare Grund des Heils für Alle, die an ihn glauben. Durch ihn seid ihr theuer erkauft, darum werdet nicht der Menschen Knechte.

Wie nun Paulus so alles auf Christum zurückführt, und alles Anschließen an eigenthümliche menschliche Formen verwirft, so haben es auch die Reformatoren gethan, meine Brüder. Dafür haben sie so schwere Kämpfe bestanden, daß Christus und sein Wort allein gelten möchten in der Kirche und alle Menschensatzungen durch die göttliche Wahrheit verdrängt würden. Sie wollten nicht, daß Menschen, und wären es Päpste und Bischöfe und Concilien, de n Glauben vorschrieben als Herren über denselben, sondern daß die Christen allein Christo folgten in Sachen des Glaubens und des Gewissens. Darum waren sie auch weit davon entfernt, sich selbst zu Oberhäuptern irgend einer Parthei aufwerfen zu wollen, wie denn Luther unter andern in liebenswürdiger Demuth und echt christlichem Geiste erklärt: „ich bitte, man wolle meines Namens schweigen, und sich nicht lutherisch, sondern Christen heißen. Was ist Luther? Ist doch die Lehre nicht mein. So bin ich auch für Niemand gekreuzigt. Wie käme denn ich armer Mensch dazu, daß man die Kinder Christi sollte mit meinem heillosen Namen nennen? nicht also, lieben Freunde, laßt uns tilgen die partheischen Namen und Christen heißen, deß Lehre wir haben. Ich bin und will keines Meister sein. Ich habe mit der Gemeine die einige gemeine Lehre Christi, der allein unser Meister ist.“ O wie fein verstand der große Glaubensheld den Artikel von der christlichen Freiheit, die nicht duldet, daß wir irgend einen Menschen Meister nennen, weil unser aller Herr und Meister, Christus allein ist, dem wir uns unterwerfen sollen, während alles Uebrige, wie der Apostel schreibt, uns dienen muß, und unser ist, es sei Paulus oder Apollo, es sei Kephas oder die Welt, es sei Luther oder Calvin, es sei das Leben oder der Tod, es sei das Gegenwärtige oder Zukünftige. Möchten dies Alle beherzigen, die in unsern Tagen wider das Wese n des Christenthums dann zu setzen scheinen, daß sie sich lutherisch heißen und das Evangelium in keiner andern Form und Auffassungsweise wollen gelten lassen, als in der, welche Luthers menschliche Eigenthümlichkeit. an sich trägt, wobei sie denn ganz aus der Acht lassen, daß Christus der Mittelpunkt ist, in welchem Alle, die ihm angehören, mögen sie Luther oder Calvin folgen, ihre Union feiern, weil sie in ihm Eins sind, den sie für ihren einigen Mittler und Heiland anerkennen! Und das führt uns darauf, meine Brüder, zuletzt noch in aller Kürze

3.

unsere eigentliche Stellung als evangelische Christen in's Auge zu fassen. Diese deutet Paulus in unserm Texte an, wenn er sagt: ihr aber seid Christi, also keines Menschen Knechte, sondern ein Eigenthum Christi, der euch theuer erkauft hat; mithin in Absicht auf Lehre, Glauben und Leben von ihm allein abhängig, wie auch der Herr selbst erklärt: so ihr bleiben werdet an meiner Rede, so seid ihr meine rechten Jünger, und werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen. Diese Freiheit haben uns die seligen Reformatoren wieder errungen; das ist der große Segen ihres Werkes, für welchen wir Gott nicht genug danken können, und den wir uns nicht wollen rauben lassen. Ihr seid Christi, auf ihn allein hingewiesen als auf den einigen Grund eurer Hoffnung, auf das einige Vorbild eures Wandels, auf das einige Ziel eurer Wirksamkeit. Er ist der einige Grund unserer Hoffnung. Wir hoffen selig zu werden, wir können es allein werden durch ihn, durch den Glauben an sein heiliges Verdienst, und darum bekennen alle evangelische Christen im Gegensatz gegen die römische Kirche, daß wir ohne Verdienst gerecht werden aus Gottes Gnade, durch die Erlösung, so durch Jesu m Christum geschehen ist. Diese Lehre von der Rechtfertigung ist die Haupt- und Grundlehre der evangelischen Kirche. Christus also ist unser Heiland, ist unsre Gerechtigkeit, unser Mittler, unser Fürsprecher; nicht durch unsre Werke, durch sein Verdienst werden wir gerecht, wenn wir an ihn von ganzem Herzen glauben. Daran lasset uns fest halten. Dies ist die Lehre, welche Paulus so nachdrücklich treibt, welche die Reformatoren aus dem Schutte menschlicher Meinungen wieder hervorgezogen haben, und die sie kräftig bewiesen haben aus der heiligen Schrift, in welcher ihr Alle, Dank sei es ihrem Wirken, forschen und prüfen könnet, um euch zu überzeugen, daß es sich also verhalte. Unsre evangelische Kirche legt daher kein Gewicht auf äußerlichen Gottesdienst, auf Fasten, Wallfahrten und Kasteiungen. Sie kennt keine Heiligenverehrung, keinen Ablaß, keinen Fürsprecher bei Gott außer Christo, keine Mutter Gottes, deren Vermittlung in Anspruch genommen werden müßte, sondern weiset allein auf Christum hin und lehrt: wer an ihn glaubet, der ist gerecht. Und er ist der Grund, von welchem aus die christliche Lehre weiter entwickelt werden soll. Wer diesen Grund angreift und umstoßen will, den erkennt die evangelische Kirche nicht für den Ihrigen, wer aber diesen Grund festhält und darauf baut, der gehört ihr an, ob er auch Manches darauf baue, was nicht Silber und Gold ist. Sein menschlicher Bau wird im Laufe der Zeit geläutert werden, oder vergehen, aber das Wesen und der Grund, Christus selbst, wird bleiben. Und darum sollen Alle, die diesen Grund fest halten, eins sein in ihm und sich nicht durch Unwesentliches trennen lassen, und um der menschlichen Form willen lieblos verketzern und verdammen. Wer Christum hat, der hat die göttliche, ewig bleibende Wahrheit, und wer ihn als den einigen Grund des Heils und der Seligkeit fest hält, dem lasset uns fröhlich die Bruderhand bieten, mit dem lasset uns Eins sein in der Liebe, wie wir Eins sind im Grunde des Glaubens.

Ihr seid Christi, und durch ihn Gottes, daraus folgt ferner, daß Christi Leben sich in uns spiegeln muß, und Christi Leben ist Liebe von ganzem Herzen. Darin sollen wir ihm nachfolgen, dadurch beweisen, daß wir seine rechten Jünger sind. Was hilft alles Streiten und Zanken um die rechte Lehre, wenn dadurch Christi Geist betrübt oder gedämpft wird! Besteht die Rechtgläubigkeit denn in Worten, oder wird sie daran erkannt, daß wir uns Liebe und Duldung versagen? Nein, an ihren Früchten sollt ihr sie erkennen, die wahre Frucht des Glaubens aber ist die Liebe, in welcher Christus uns vorangegangen ist, und die sein Leben in uns ist. Möge denn durch den Geist der Liebe immer mehr in uns alles Unreine, Selbstsüchtige und Sündliche vertilgt und ertödtet, und unsre menschliche Eigenthümlichkeit immer mehr geläutert und verkläret werden in das Bild Christi. So bewähren wir uns als evangelische Christen, so wird es offenbar, daß wir Christi und Gottes sind.

Sind wir aber Christi, so folgt daraus auch endlich, daß wir in seinem Geiste zu wirken verpflichtet sind, und es uns müssen angelegen sein lassen, christlichen Glauben und christliches Leben unter uns zu fördern. Das soll das Ziel unsers Strebens sein, daß Christo Alles unterthan werde, daß Irrthum, Unglaube, Weltlust, Sündendienst immer mehr durch die göttliche Kraft des Evangeliums überwunden, und der Herr allein gepriesen werde in Kirchen und Schulen, in Häusern und Familien, in allen Kreisen und Ständen, von Alt und Jung, von Groß und Klein. Das ist unsre Aufgabe. Dahin sollen wir als freie evangelische Christen wirken, daß Alle hindurchdringen zur herrlichen Freiheit der Kinder Gottes. Denn Kinder Gottes sind nur Einem unterthan, Christo, alles Uebrige liegt zu ihren Füßen; vom Geiste des Herrn allein beherrscht und getrieben, lassen sie sich weder von Menschen, noch von der Welt, noch von der Sünde beherrschen, sondern halten sich an das Wort des Apostels: Alles ist euer. Daß also Christus in allen seinen Gliedern lebe und herrsche, und von Allen als Herr und Meister anerkannt und verherrlichet werde, das sei das Ziel unsrer Wirksamkeit, und das ist die wahre Union, meine Brüder, daß wir Alle, um Christum, als den Grund und Mittelpunkt unsers Heils in Zeit und Ewigkeit, versammelt, uns untereinander im Glauben lieben, und in der Liebe uns forthelfen auf dem Wege zum Himmel. Das ist die wahre Union, daß wir Alle eins werden in Christo, daß wir nicht suchen Meister mehr, denn Jesum Christ im rechten Glauben, und ihm aus ganzer Macht vertrauen, daß wir sein Leben in uns aufnehmen und in seinem Geiste wirken, dahin wirken, daß er unser Heiland, Alles in Allen werde! Amen.

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