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Calvin, Jean - Psalm 75.

Calvin, Jean - Psalm 75.

Inhaltsangabe: Der Psalm ist eine allgemeine Freudenbezeugung der Gemeinde auf Grund ihrer Erkenntnis, dass die Welt nur durch Gottes Rat regiert, sie selbst aber durch seine Gnade und Kraft gehalten werde. In diesem Vertrauen spottet sie der Verächter Gottes, die ihr toller Leichtsinn zu zügelloser Willkür treibt.

V. 1 u. 2. „Verderbe nicht“. Zu dieser Überschrift habe ich mich bei Ps. 57 genügend ausgesprochen1). Dem Verfasser forsche ich nicht lange nach.

Der Prophet, sei es nun David oder jemand anders, gibt sich gleich von Anfang an der Freude und Danksagung hin. Er wiederholt nachdrücklich die Worte: „Wir danken dir“, um auszudrücken, welch brennender Eifer ihn treibt, Gottes Lob zu singen. Den Zusammenhang der drei Glieder des 2. Verses fassen wir am besten folgendermaßen: „Wir preisen dich, Gott, weil dein Name nahe ist, darum verkündigt man deine Wunder.“ „Und“ steht nämlich öfters im Sinne von „weil“. Dadurch, dass Gott seine Kraft kundtut, öffnet er seinen Knechten den Mund, seine Werke zu erzählen. Zum Lobe Gottes ist also alle Ursache vorhanden, da Gott sich erweist als den, der gern mit seiner Hilfe den Seinen nahe ist. Unter dem Namen Gottes wird bekanntlich seine Macht verstanden, und sein „Nahesein“ bedeutet seine Hilfsbereitschaft gegen seine Knechte in der Not.

V. 3. Denn zu seiner Zeit. Dieser erste Teil des Verses kann auf zwei Arten übersetzt werden, nämlich: „Wenn ich die Gemeinde werde versammelt haben“ – oder wie oben steht. Sicher ist, dass Gott selbst redend eingeführt ist. Dabei haben beide Auffassungen einen guten Sinn, sowohl wenn es heißt, dass Gott sein Volk zuerst versammeln und dann die zerfahrenen Verhältnisse wieder zur gesetzlichen Ordnung zurückführen oder dass er zum Richten die geeignete Zeit sich vornehmen wolle. Wenn er sein Volk zeitweise der Willkür seiner Feinde übergibt, so scheint es, als ob er es sich selbst überlasse, wie eine Herde ohne Hirten. Es wäre also ganz passend, dass der Herr mit der Sammlung seiner Gemeinde den Anfang machte, wenn er die Heilung ihres verwirrten Zustandes in Aussicht stellt. Will man aber lieber übersetzen: „zu seiner Zeit“, dann haben wir es mit einer Mahnung Gottes zu tun: es gilt, geduldig auszuharren, bis er selbst die Zeit zur Abstellung des bösen Wesens für gekommen erachtet. Hat er doch allein Jahre und Tage in seiner Hand und hält die bestimmten Zeiten und Augenblicke aufs Beste ein. Ich neige mich in der Tat zu dieser Erklärung, dass gesagt werden soll, Gott habe seinem Willen vorbehalten, was die Menschen gern für sich in Anspruch nähmen, nämlich dass er dem Übel Zeit und Maß bestimme und zu rechter Zeit, wann er es für gut findet, sich aufmache, die Seinen zu befreien. – Dass hier Gott redend eingeführt wird, um auf die Bitten der Gläubigen zu antworten, darf uns nicht auffallen; denn diese Wendung des Gedankens ist viel wirksamer, als wenn der Prophet einfach gesagt hätte, Gott werde zu seiner Zeit Rächer seiner Gemeinde sein und sie aus der Zerstreuung und Zerrissenheit zusammenbringen. Die Worte deuten hauptsächlich an, dass, wenn Gott den Seinen auch nicht sogleich zu Hilfe eilt, er sie doch niemals vergisst, sondern die bereitstehende Abhilfe nur auf die geeignete Zeit verschiebt. „Recht richten“ heißt so viel als den gestörten und ungeordneten Stand der Dinge zurechtbringen, wie Paulus sagt (2. Thess. 1, 6), es entspreche der Gerechtigkeit Gottes, den Zerschlagenen Erquickung zu geben und die, welche die Unschuldigen quälen, ihrerseits zu schlagen. Gott verkündet also, dass es seine Sache ist, der Verwirrung Einhalt zu tun und die Ordnung herzustellen. Diese Erwartung soll uns in allen Nöten aufrecht halten und trösten.

V. 4. Aufgelöst ist die Erde usw. Dieser Vers, der in engem Zusammenhang mit dem vorigen steht, besagt ganz einfach: Auch wenn die Erde aus Rand und Band geht, steht es dennoch in Gottes Macht, sie zu stützen. So wird die Aussage bekräftigt, dass Gott zu gelegener Zeit sich als einen gerechten Richter erzeigen werde. Sei es ihm doch ein Leichtes, auch ein zerfallenes Weltgebäude wiederherzustellen. Dabei spielt der Prophet ohne Zweifel auf die bestehende Einrichtung der Natur an: obgleich die Erde im Himmelsraum den untersten Ort einnimmt, auf welcher andern Grundlage ruht sie doch, als auf der Luft, in der sie hängt? Ferner: es dringen durch ihre Adern so viele Wasser; müsste sie nicht auch selbst zerfließen, wenn sie nicht durch die verborgene Kraft Gottes festgehalten würde? Aber über diese Anspielungen hinaus steigt der Prophet zu einem noch höheren Gedanken empor: selbst wenn der Weltkreis eingefallen wäre, so stünde es bei Gott, ihm neue Festigkeit zu verleihen.

V. 5 u. 6. Ich sprach zu den Tollen usw. Nachdem der heilige Sänger sich und anderen Gläubigen vor Augen gehalten hat, was Gottes Amt ist, triumphiert er nun über alle Gottlosen, die er mit scharfem Tadel als toll und blindwütig bezeichnet, weil sie Gott verachten und sich selbst ohne Maß erheben. Dieser sein heiliger Stolz stützt sich auf das Gericht, von dem er im Namen Gottes verkündigt hat, dass es bevorstehe. Denn solange die Gläubigen Gottes Gericht erwarten und überzeugt sind, dass es nahe sei, hören sie auch mitten in Bedrückung nicht auf, sich des Herrn zu rühmen. Mag auch die Wut der Gottlosen aufwallen und in Strömen sich gegen die Gläubigen ergießen, um sie womöglich zu überwältigen, so genügt es ihnen, dass Gottes Hand ihr Wohlergehen beschützt und dass er mit Leichtigkeit jeden Stolz unterwerfen und die eitlen Anschläge zunichtemachen kann. Die Gläubigen verachten und verlachen, was irgend Gottlose unternehmen und betreiben, und befehlen ihnen, von ihrer Raserei abzustehen. Sie geben damit zu verstehen, dass solche Leute vergeblich toben wie Irrsinnige, die von ihrem Wahnsinn hin und her getrieben werden. Man achte darauf, dass der Hochmut als die Ursache oder die Mutter der Frechheit dargestellt wird, wie es auch durchaus wahr ist, dass die Menschen auf keinem andren Wege so jählings zu Grunde gehen, als wenn sie in blindem Hochmut sich allzu viel herausnehmen.

Da aber diese Sucht nicht leicht aus den Herzen der Leute herauszureißen ist, sagt der Prophet zweimal: Hebet euer Horn nicht hoch. Weiter sollen sie keine frechen Reden führen; denn das ist mit dem „steifen Halse“ gemeint, indem hochmütige Menschen, wenn sie ihre Drohungen ausstoßen, sich stolz aufrichten.

V. 7 u. 8. Denn weder vom Aufgang usw. Das beste Mittel gegen Stolz. Der Prophet erinnert daran, dass alle wahre Erhöhung nicht von der Erde kommt, sondern von Gott allein. Das nämlich nimmt allermeist die Sinne der Menschen gefangen, dass sie nach allen Seiten hin spähen und von überall her Schätze und Hilfsmittel an sich ziehen, um dann im Vertrauen darauf ihre Lust befriedigen zu können. Weil sie sich also nicht von der Welt scheiden, so versichert der Prophet, dass sie auf sehr falschem Wege sind, indem Erhöhung und Erniedrigung allein in Gottes Hand stehen. Das scheint zwar gegen die allgemeine Erfahrung zu streiten, da ja die meisten Leute, sei es durch ihre Schlauheit, sei es durch Ansehen und Gunst beim Volk oder andere irdische Mittel zu den höchsten Ehrenstellen gelangen.

Auch die Begründung (V. 8): Denn Gott ist Richter – erscheint darum leicht bedeutungslos. Aber wenn auch viele teils durch schlimme Kniffe, teils durch Unterstützungen seitens des Volkes emporsteigen, so geschieht das doch nicht ohne tieferen Grund, sondern nach Gottes verborgenem Rat kommen sie so auf, damit er sie bald hernach wie Auskehricht oder Spreu zerstäube. Nun schreibt der Prophet nicht einfach dem Herrn das Gericht zu, sondern bestimmt näher, wie dasselbe vor sich geht: Gott erniedrigt den einen und erhöht den andern und ordnet auf diese Weise die menschlichen Dinge nach seinem Wohlgefallen. So werden die hochfahrenden Geister am besten gedemütigt, weil die Willkür der Ungläubigen daher rührt, dass sie Gott gleichsam im Himmel einschließen und sich der Meinung hingeben, als würden sie nicht durch seine geheime Vorsehung gezügelt. Auch stellen sie Gottes Regierung in Abrede, um freie, offene Bahn für ihre Lüste zu haben. Damit wir also nüchtern und bescheiden uns mit unserem Stande begnügen lernen, beschreibt der Psalm so deutlich Gottes Gericht und die Weise seiner Weltregierung, wonach es ihm zusteht, unter den Menschen zu erhöhen oder zu erniedrigen, welche er will. Daraus folgt, dass Leute, die in ihrem eitlen Sinn sich vermessen, ohne Umstände sich zu jeder beliebigen Höhe zu erheben, dem Herrn sein Recht und seine Macht, so viel an ihnen liegt, rauben. Das geht nicht nur aus ihren wahnwitzigen Anschlägen deutlich hervor, sondern auch aus ihrer lästerlichen Prahlerei. Wer wird mich hindern, wer wird mir entgegentreten? Als ob nicht Gott mit einem einzigen Winke jeden Augenblick ihnen könnte tausend Hindernisse entgegenstellen und damit die Gewalt ihrer Angriffe brechen! Wie aber gottlose Leute mit ihrer Vermessenheit und ihren verkehrten Ratschlüssen dem Herrn seine königliche Ehre zu rauben suchen, so verfehlen auch wir uns, so oft wir durch ihre Drohungen uns allzu sehr erschrecken lassen. In unserm schlimmen Unglauben halten wir Gottes Regierung für beschränkt. Sobald sich ein Aufruhr regt, entsetzen wir uns, gerade als ob ein Blitz vom Himmel uns getroffen hätte. Eine solche Verzagtheit beweist zur Genüge, dass wir die Bedeutung von Gottes Weltregierung noch nicht recht erfasst haben. Wir würden uns freilich scheuen, ihm den Richtertitel nehmen zu wollen, ja es würden sich alle Gemüter entsetzen ob solcher Lästerung. Aber während die natürliche Empfindung uns das Bekenntnis abnötigt, dass Gott der Richter und König der Welt ist, träumen wir von einer Art von müßigem Weltregiment, bei dem er doch das Menschengeschlecht weder mit seiner Macht noch mit seinem Willen regiert. Übrigens, wer den Grundsatz festhält, dass Gott nach seinem Gutfinden über alle Sterblichen beschließt und den einzelnen ihr Schicksal bestimmt, der wird sich nicht bei irdischen Hilfsmitteln aufhalten. Der Nutzen aber dieser Lehre ist, dass die Gläubigen sich ganz dem Herrn unterwerfen und nicht in eitlem Selbstvertrauen sich überheben. Sehen sie aber die Gottlosen in ihrem frechen Sinn, so sollen sie unbedenklich deren törichte und unsinnige Dreistigkeit verachten. Wiewohl nun Gott die höchste Herrschergewalt innehat, so wird er doch hier als Richter bezeichnet, damit wir wissen, dass er mit vollkommener Gerechtigkeit die Geschicke der Menschen leitet, auf dass ein jeder nicht nur sich aller Unbill und Übeltat enthalte, sondern auch, wo er selbst unrecht leidet, seine Zuflucht zu Gottes Richterstuhl nehme.

V. 9. Denn der Herr hat einen Becher usw. Aus dem Gericht, von dem er soeben sprach, zieht der Prophet nun die genauere Nutzanwendung für die Frommen. Er bestätigt, dass Gott regiert und keine Übeltat ungerächt lässt; wo aber frevlerische Menschen sich zügellos gebärden, da zieht er sie zur verdienten Strafe. Daraus geht wiederum hervor, wie wir uns die Vorsehung Gottes zu denken haben, nämlich dass er unser Leben bis in die kleinen Einzelheiten lenkt. Der Prophet zeigt uns einen Becher in Gottes Hand, mit dem er die Frevler trunken macht. Damit wird ausgedrückt, wie unglaublich schnell die göttliche Rache wirkt, gleich einem starken Wein, der rasch und heftig in den Kopf steigt und Betäubung oder hitziges Fieber verursacht (vgl. Spr. 23, 31 f.). Auch die übrigen Worte des Verses stimmen dazu und führen aus, wie die Gottlosen dem Schicksal nicht entfliehen, sondern den Zornesbecher, den Gott ihnen vorgesetzt, bis auf den letzten Tropfen ausschlürfen müssen.

V. 10 u. 11. Ich aber will verkündigen usw. Dieser Schluss des Psalms zeigt, dass die Gläubigen sich glücklich preisen, im Ungemach Gott als Retter erfahren zu haben. Denn es ist offenbar ihr eigenes Erlebnis, das sie in Erzählung und Lied kundtun.

Und sie entnehmen daraus auch, dass sie durch Gottes Hilfe alle Hörner, d. h. jegliche Macht, der Gottlosen zerbrechen werden. Denn sie sind ihrerseits durch Gottes Gerechtigkeit und Güte genügend ausgerüstet, um ihr Wohl zu schützen. „Dass die Hörner des Gerechten erhöht werden“, will nämlich sagen, dass die Kinder Gottes durch ein rechtschaffenes und unschuldiges Leben sich mehr Schutz verschaffen, als wenn sie trachten würden, auf allerlei frevelhaften Wegen emporzukommen.

1)
Auch dort hätte statt „dass er nicht umkäme“ besser übersetzt werden müssen: „Verderbe nicht“.
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