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Calvin, Jean - Psalm 51.

Calvin, Jean - Psalm 51.

Inhaltsangabe:

Die Überschrift gibt die Veranlassung zur Abfassung dieses Psalms an. Er ist gedichtet worden, als David das überaus schwere Verbrechen begangen und in todesähnlicher Erschlaffung dagelegen hatte. Der Tadel Nathans hatte ihn aufgerüttelt, und da missfiel er nicht bloß sich selbst und demütigte sich vor Gott, er wollte vielmehr auch vor aller Welt seine Buße kundtun und das Gedächtnis daran noch den späteren Geschlechtern erhalten. Am Anfang stellt er sich die ganze Schwere seines Verbrechens vor Augen und preist mit beredten Worten die große Barmherzigkeit Gottes, um sich zur Hoffnung auf Vergebung zu ermutigen. Demütig bekennt er sich nicht nur eines einzigen Frevels schuldig, sondern erklärt, vielfachen Tod verdient zu haben. Umso mehr wendet er sich an Gottes Erbarmen. Da er sich ewiger Verdammnis wert und damit auch aller Gaben des heiligen Geistes beraubt weiß, bittet er weiterhin angelegentlich um Wiedergeburt. Endlich versicht er, nach der Begnadigung ihrer dankbar gedenken zu wollen. Zugleich führt er aus, dass es der ganzen Gemeinden zugute kommen werde, wenn Gott ihn erhören würde. Und in der Tat: weil Gott ihm gewissermaßen persönlich seinen Gnadenbund anvertraut hatte, konnte es scheinen, als wäre mit seinem persönlichen Fall das Heil der Gesamtheit zusammengebrochen.

1 Dem Musikvorsteher: ein Psalm Davids; 2 da der Prophet Nathan zu ihm kam, als er war zu Bathseba eingegangen.

V. 2. Da der Prophet Nathan zu ihm kam usw. Absichtlich wird das Kommen des Propheten erwähnt, um Davids sittliche Abstumpfung zu zeigen. War es doch eine Ungeheuerlichkeit, dass ein solcher Mann wie David, mit solchen Geistesgaben ausgerüstet, länger als ein Jahr in seiner Sünde beharren konnte, wie wenn er von Sinnen gekommen wäre. Jedermann wird zugeben, dass er vom Satan besessen war, weil er, ohne auf sein Gewissen zu hören, Gottes Urteil verachtete oder wenigstens nicht beachtete. Solcher Wahnsinn vergrößert also noch seine Schuld. Sein Gewissen rührte sich nicht, bis der Prophet zu ihm kam. Aber Gottes Gnade strahlt darin in hellem Licht, dass er den irrenden, unsteten Menschen durch seinen Propheten zu sich zurückzuführen suchte. Im Grundtext steht beide Male dasselbe Wort: als David zu Bathseba „gekommen“ war, sei der Prophet Nathan zu ihm „gekommen“. Darin liegt ein feinsinniger Gegensatz. Davids unreines Hinzugehen wurde für ihn ein Weggehen von Gott. Die Güte Gottes leuchtete noch deutlicher daraus hervor, dass er seine Hand ausreckte, um den Flüchtling wieder heimzuholen. Man darf sich freilich nicht der Ansicht hingeben, als hätte David in Gott nicht mehr den Weltenrichter erkannt. Täglich betete er. Er nahm am Gottesdienste teil. Sein ganzes Leben und seine Herrscherpflichten insonderheit bemühte er sich nach der Gesetzesvorschrift einzurichten. David war also nicht jeder Gottesfurcht bar, sondern nur in dem einen Punkte verblendet, dass er die Empfindung des göttlichen Zornes durch sündhaften Selbstbetrug betäubte. Die Flamme der Frömmigkeit, die bei David sonst so oft hell aufloderte, war in diesem einen Punkte erstickt. Wenn schon diesen heiligen Gottesmann und ausgezeichneten König solche Trägheit überfallen konnte, so darf sich niemand einbilden, ihn könne nicht dasselbe überkommen. Die Frömmigkeit war aber in Davids Herzen noch nicht völlig erstorben. Das sehen wir daran, dass das Wort des Propheten ihn sofort traf, und dass er ohne Trotz sich willig belehren und ermahnen ließ. Sonst wäre er auch sicherlich nicht so schnell dazu gekommen, zu rufen (2. Sam. 12, 13): Ich habe wider den Herrn gesündigt, was soll ich tun? Was lernen wir aus diesem Beispiel? Wer gesündigt hat, warte nicht, bis Gott vom Himmel herab donnert, sondern gehorche willig und gern seinen Dienern, durch die er uns zur Buße auffordert.

3 Gott sei mir gnädig nach deiner Güte und tilge meine Sünden nach deiner großen Barmherzigkeit. 4 Wasche mich wohl von meiner Missetat und reinige mich von meiner Sünde.

V. 3. Gott sei mir gnädig usw. David beginnt mit der Bitte um Vergebung. Nicht so obenhin oder etwa nur mit einem Wort tut er das. Im Blick auf die Schwere seiner Schuld bittet er vielmehr gar angstvoll, Gott möge ihn erhören. Darum erinnert er ihn nicht nur an seine Güte, sondern auch an seine große Barmherzigkeit. Er braucht ein besonderes Erbarmen, denn seine Schuld ist riesengroß. Hätte er nur darum gebeten, dass Gott sich ihm nach seiner Güte oder seiner Milde huldvoll erzeige, so hätte er damit bekannt, dass er ein verlorener Mann sei. Durch die Betonung seiner Vergehen aber bringt er klar zum Ausdruck, dass diese nur dann getilgt werden können, wenn ihm Gott mit einem großen Aufwand von Erbarmen entgegenkommt. So steht der Menge seiner Vergehen eine Fülle von Barmherzigkeit gegenüber. Noch plastischer wird der Gedanke durch V. 4: der Schmutz ist so stark, dass eine gewöhnliche Waschung nichts nützt; er klebt vielmehr so fest und ist so dick, dass die Waschungen immer wiederholt werden müssen, damit er getilgt werde. Nicht als ob für Gott selbst die Reinigung der Menschen irgendeine Schwierigkeit bedeutete, - aber der Sünder muss sich, je beschmutzter er sich fühlt, desto mehr zu ängstlichem, anhaltendem Seufzen treiben lassen, um so endlich aus der Gewissensnot herauszukommen. Dieses Bild finden wir häufig in der heiligen Schrift. Die Sünden entstellen uns in den Augen Gottes wie Schmutz und Unreinigkeit, besudeln uns und machen uns unsauber. Darum nennt man ihre Vergebung mit Recht Abwaschung. Diese Lehre empfiehlt die Gnade Gottes und flößt zugleich tiefen Hass und Abscheu gegen die Sünde ein. Leute, die sich durch solche Ausdrucksweise nicht mit Schrecken erfüllen lassen, müssen schon ganz abgestumpft sein.

5 Denn ich erkenne meine Missetaten, und meine Sünde ist immer vor mir. 6 An dir allein hab ich gesündigt und übel vor dir getan, auf dass du Recht behaltest in deinen Worten und rein bleibest, wenn du richtest. 7 Siehe, ich bin in sündlichem Wesen geboren, und meine Mutter hat mich in Sünden empfangen. 8 Siehe, du hast Lust zur Wahrheit, die im Verborgenen liegt; du lässest mich wissen die heimliche Weisheit.

V. 5. Denn ich erkenne meine Missetaten. David findet keine Ruhe, bis er mit Gott wieder versöhnt ist. Darum fleht er so angstvoll und inbrünstig um Vergebung. Damit tut er auch kund, dass es ihm Ernst ist. Manchmal wird ja Gottes Gnade, die sich in der Vergebung der Sünden zeigt, mit glänzendem Wortschwall gepriesen. Aber die Leute, die das tun, sind innerlich nicht bei der Sache. Berührt sie Gottes Urteil doch gar wenig. Wenn sich also David so brennend nach Vergebung sehnt, so treibt ihn dazu die andauernde Seelenqual und seine innere Unruhe. Wir dürfen daraus den Schluss ziehen: nur dann sind wir wirklich auf dem Wege der Versöhnung, wenn uns unser eigenes Gewissen quält und schlägt und beständig in Unruhe hält, bis Gott uns die Gnade erweist, uns durch sein Erbarmen zur Ruhe zu bringen. Dann also ist` s uns Ernst mit der Bitte um Vergebung unsrer Sünden, wenn wir unter dem Eindruck der Größe unsrer Vergehen vor Schrecken erzittern. Daraus folgt: so lange sich die Menschen alles erlauben, bringt Gottes Zorn immer strengere Strafen über sie. Wir dürfen uns also nicht bloß mit dem Munde verurteilen, sondern müssen mit unsern Sünden in ein ernstes und strenges Gericht gehen, wenn wir mit Gott ins Reine kommen wollen. Auch David sagt nicht etwa, er habe seine Sünden vor Menschen bekannt, sondern er fühle sie im Herzen: da seien sie ihm eine schwere Pein. Nur die Heuchler verschließen ihre Ohren vor der Stimme, die sie im Innern der Sünde zeiht, oder suchen ihren Klang zu vergessen. Bemerkenswert erscheint auch, dass von „Missetaten“ in der Mehrzahl geredet wird. Stammten sie auch alle aus einer einzigen Quelle, so war Davids Schuld doch mannigfach: Ehebruch, Treulosigkeit, Grausamkeit. Und nicht bloß einen einzigen Menschen oder einige wenige hatte er preisgegeben, sondern das ganze Heer, das für das Wohl der Gemeinde Gottes stritt. Darum erkennt er mit Fug und Recht in dem einen Verbrechen viele Einzelsünden.

V. 6. An dir allein hab ich gesündigt. Etliche fassen die Worte so auf: David hat zwar an Menschen gefehlt; aber er hat nur Gott zum Zeigen seines Verbrechens. Das doppelte Unrecht, das er dem Uria zugefügt hatte, kannten die Menschen nicht. Auch das war unbekannt, dass er, ebenso treulos wie grausam, das Heer, das doch für ihn kämpfte, dem Mord und Totschlag preisgegeben hatte. Sein Verbrechen, sagen sie, hat er nur gegen Gott begangen. Kein Sterblicher ahnte etwas davon. Andere verstehen es so: obwohl David an Menschen sich vergangen hatte, kommt doch besonders Gott mit seiner Strafe über ihn, da er sein Gesetz übertreten hat. Nach meiner Ansicht wollte David sagen: „Herr, wenn mich auch die ganze Welt freispricht, so ist es mir doch mehr als genug, dich als meinen Richter zu wissen; mein Gewissen zieht mich vor deinen Richterstuhl. Und da nützen mir alle mildernden Umstände nichts, die mir Menschen zubilligen, sie mögen mich schonen wollen oder mein Verbrechen in nichts auflösen, um mir zu schmeicheln, oder meinen Schmerz mit ihren Trostworten zu lindern suchen.“ All sein Denken hat er also auf Gott gerichtet. Was die Menschen meinen und reden, ist ihm gleichgültig. Wer so von der Schwere des göttlichen Urteils bedrückt oder gar niedergedrückt wird, der braucht keinen andern Ankläger mehr. Gott allein wiegt Zehntausende auf. David hat sicherlich alle höfischen Lustbarkeiten abgestellt, dass sie ihn nicht ablenken sollten, und sich dem Gerichte Gottes ganz ausgeliefert. Wenn auch sonst kein Sterblicher sich im Gedanken an Gott beschwert fühlte, - er hatte mehr als genug mit ihm zu schaffen. So müssen auch wir es machen, wenn wir wahre Buße tun wollen. Was nützt es uns auch, dass Menschen uns freisprechen, dass wir selbst unsrer Schuld kein Gewicht beilegen, wenn unser Gewissen uns vor Gott anklagt? oder auch nur, wenn Gott uns feindlich gegenüber steht? Also spielen wir doch nicht mit leeren Einbildungen! Das beste Mittel, Einkehr zu halten, ist und bleibt: alle Sinne auf Gott richten, vor ihm erschrecken und durch die Furcht vor seinem Zorn alle Lust bannen.

Auf dass du Recht behaltest in deinen Worten. Zum richtigen Verständnis dieses Satzes kann uns ein Blick auf Röm. 3, 3 ff. anleiten. Dort stellt Paulus die Gerechtigkeit Gottes und die Ungerechtigkeit der Menschen einander gegenüber. „Wie nun“, heißt es da, „wenn etliche aus den Juden nicht glauben, ist dann Gott ungerecht? Das sei ferne. Es bleibe vielmehr also, dass Gott sei wahrhaftig und alle Menschen Lügner, wie geschrieben steht: Auf dass du gerecht seiest in deinen Worten“ usw. Hier wird nämlich bezeugt, dass bei den Verbrechen der Menschen stets Gottes Gerechtigkeit hervorleuchte und bei ihren Lügen seine Wahrheit. Um ferner zu wissen, was David wünscht und was er bezweckt, ist es wohl der Mühe wert, des Bundes zu gedenken, den Gott einst mit ihm geschlossen hatte. Denn da die Verheißung des Heils der Welt auf seinen Schultern ruhte, war es für die Gottlosen eine willkommene Gelegenheit, höhnisch zu fragen: wenn dieser David die Säule der Gemeinde war, was soll dann jetzt aus den armen Menschen werden, die doch auf seine Heiligkeit angewiesen sind? Wenn dieser wie die Sonne oder der Morgenstern strahlte, wie wirft er sich denn nun in die Unterwelt? Wie kann man nach seinem schändlichen Fall von seinen Nachkommen noch das Heil der Welt erwarten? Weil also David merkte, wie die Menschen Stoff bekamen, mit ihren bösen Zungen gegen die Gerechtigkeit Gottes sich zu erheben, so kam er ihnen mit der Erklärung zuvor: Ihr tut völlig Unrecht, auch nur einen einzigen Bruchteil der Schuld auf Gott abzuwälzen. Ich selbst bin der Schuldige. Gott aber bleibt rein. Seine Gerechtigkeit und Wahrheit stehen unverletzt! Unter den „Worten“ Gottes verstehe ich übrigens nicht, wie andere, seine Verheißungen, sondern den Urteilsspruch, den Gott an David selbst vollzogen hätte, wenn er nicht durch freiwillige Begnadigung seine Schuld getilgt und die Anklage aus der Welt geschafft hätte. Mir ist es zweifellos, dass David nach seiner Art den Gedanken in doppelter Weise ausdrückt. „Auf dass du Recht behaltest in deinen Worten“, sagt also nichts anderes als der parallele Satz: und rein bleibest, wenn du richtest. Dass Paulus Röm. 3, 4 den letzteren Ausdruck in passivischer Form wiedergibt: „wenn du gerichtest wirst“, darf uns nicht stören. Er folgt darin der griechischen Übersetzung, wie er denn überhaupt in seinen Zitaten nicht buchstäblich und peinlich zu sein pflegt. Dem Sinn nach verwendet er doch unsere Stelle ganz richtig. Er spricht aus, was David hier für seine Person anerkennen muss: alle Schuld der Menschen liegt in ihnen selbst; Gottes Gerechtigkeit aber verdient immer lauteres Lob. Wir sehen ja, wie gottlos und frech sich die Welt gebärdet, wenn sie sich gegen Gott auflehnt, so oft er nicht nach ihrem Wunsch und Gutdünken urteilt. Wenn also Gott bisweilen gerade die Verachtetsten aus ihrem Nichts emporhebt, oder die fallen lässt, die er hoch erhoben hatte, so darf uns da der scheinbare Widerstreit oder die scheinbare Ungereimtheit nicht irre machen. Wir sollten vielmehr in aller Nüchternheit, Bescheidenheit und Ehrfurcht es festhalten: was Gott tut, das ist gerecht. Darum leuchtet in seinen Worten wie in seinen Werken stets das höchste Recht hervor. – Übrigens wird die Wendung „auf dass“ nach hebräischer Weise nicht geradezu einen Grund, sondern nur eine Folge angeben. Davids Fall war ja nicht eigentlich der Grund, Gottes Ehre in seinen Richtersprüchen zu zeigen. David meint vielmehr: die Gerechtigkeit Gottes wird durch die menschliche Sünde nur getrübt, durch ihre eigne Kraft aber tritt sie immer klarer in Erscheinung. Ist es doch Gottes eigentliches Amt, aus Finsternis Licht hervorzubringen.

V. 7. Siehe, ich bin in sündlichem Wesen geboren. David bekennt sich nun nicht mehr bloß einer Sünde oder auch einiger Sünden schuldig, wie bisher. Er gräbt tiefer, wenn er sagt, vom ersten Augenblick seines Lebens an habe er nur Sünden gehabt, von Natur aus sei er ganz und gar verderbt. Er sei von Mängeln wie durchtränkt. Bei der Erwägung des Gewichtes eines einzigen Verbrechens fällt ihm die ganze Reihe seiner Sünden aufs Gewissen. In Sünde geboren, kennt er nichts an sich, was rein oder unversehrt wäre. Nur dann werden wir zur Erkenntnis unsrer Sündhaftigkeit kommen, wenn wir unser ganzes Wesen als verderbt beurteilen. Jedes, auch das geringfügigste Vergehen muss uns zu der Erkenntnis bringen, dass unser ganzes Seelenleben unter der Herrschaft vollständiger Verkehrtheit steht. Das weitere Bekenntnis: meine Mutter hat mich in Sünden empfangen – will etwa besagen, wir würden schon von der Sünde durchseucht, so lange wir noch im Mutterleibe verborgen seien. Die Erkenntnis einer einzigen Sünde hat David also veranlasst, sein ganzes Leben eingehend zu prüfen. Nichts anderes als Sünde hat er dabei gefunden. Aber er entschuldigt sich doch nicht mit der Verderbtheit seiner Natur, hinter welcher Heuchler nur zu gern ihre eigne Schuld verbergen. „Ich habe gesündigt“, sagen sie, „ich bekenne es, aber was soll ich nun tun? Ich bin Fleisch, wir sind von Natur zu Fehlern geneigt, ja verkehrte Lüste haben uns überwunden und an sich gefesselt, so dass das Sündigen das Menschlichste ist, was es gibt.“ Solche Ausflüchte suchte David keineswegs, um sich dem Urteil Gottes zu entziehen. Die Erbsünde ist ihm im Gegenteil noch einer Verschärfung seiner eigenen Bosheit. Nicht durch diese oder jene Art von Verbrechen will er sich einmal eine Schuld zugezogen haben; nein, von Geburt an ist er der Ungerechtigkeit verfallen gewesen. Wir haben hier ein klares Zeugnis für die Erbsünde, die Adam auf das gesamte Menschengeschlecht übertragen hat. Hiernach können wir auch ihr Wesen genau bestimmen. Denn hier wie an mehreren anderen Stellen der heiligen Schrift heißt es klar und deutlich, die Sünde sei uns angeboren, so dass die Verderbnis in uns wurzelt und herrscht. Nicht seine Eltern klagt David an. Er rechnet ihnen auch nicht die Schuld an seinem Verbrechen zu, sondern stellt sich selbst vor Gottes Richterstuhl und erklärt, er sei ein verkehrtes Wesen, ja, er sei schon ein Sünder gewesen, noch ehe er das Licht der Welt erblickte. Alle Abschwächungen, die in der alten Kirche schon die Pelagianer versuchten, fallen damit hin: nicht bloß aus dem bösen Beispiel erwächst die Sünde, sondern aus der gänzlich verderbten Natur. Heutzutage geben die Römischen diese allgemeine Verderbnis zwar zu, aber sie finden sie nur in einer bösen Neigung, die zudem nach der Taufe nicht mehr als Sünde gelten soll. David aber erklärt sich, auch abgesehen von seinen groben Vergehungen, für durch und durch sündhaft. So müssen wir die weitere Frage stellen, auf welche Weise sich denn die Sünde fortpflanzt. Halten wir uns ohne weitere Spekulationen einfach daran, dass Adam nach seinem Fall keine von den Gaben besessen hat, die ihn zuvor zierten. Die Vernunft, die ehemals in ihm leuchtete, war erloschen. Der Wille, der Gott zu gehorchen einst geschaffen war, hatte sich in Widerspenstigkeit verkehrt. Sinne und Herz waren verderbt. Und da zeugte der Mensch Kinder, die ihm glichen. Gott hatte Adam mit den Gaben seines Geistes nicht als einen für sich stehenden Menschen ausgestattet, sondern er hatte ihm verliehen, was er dem gesamten Menschengeschlechte schenken wollte. Und so sind wir alle in Adam von der ursprünglichen Reinheit abgewichen.

V. 8. Siehe, du hast Lust zur Wahrheit usw. Dieser Vers bezeugt, was ich schon gesagt habe, dass David nicht um eine Entschuldigung zu haben, bis zur Zeit seiner Empfängnis zurückgegangen ist, sondern vielmehr um zu bestätigen, dass er schon von frühester Jugend an dem ewigen Tode verfallen gewesen ist. Daraus geht hervor, dass sein ganzes Leben verdammenswert war. Nicht auf Gott schiebt er die Schuld, der ihm nun einmal diese Natur gegeben habe, sondern er unterstellt die menschliche Verderbtheit dem göttlichen Gericht. Er will sagen: so oft wir vor Gottes Angesicht kommen, droht uns sichere Verdammnis, denn wir sind geborene Sünder. Gott aber liebt Aufrichtigkeit und Wahrheit. Darum müssen wir ihm verhasst sein. Gott sucht unser Leben in Gerechtigkeit zu formen. Das Herz soll rein und von allem Truge frei sein. Gott will also Aufrichtigkeit auch im Verborgenen haben. Er ist nicht bloß den äußerlich sichtbaren Sünden feind, sondern verlangt auch völlige Reinheit des Herzens, das allem verborgenen Schmutze abhold sein soll. Der Sinn des zweiten Satzes ist dann, dass man sich auch nicht mit Unkenntnis zu entschuldigen vermag: du lässest mich wissen die heimliche Weisheit d. h. du hast mich hinlänglich über meine Pflicht belehrt. „Heimlich“ ist der Gegenstand dieser Belehrung also nicht, weil er etwa seinem Wesen nach dem menschlichen Verständnis entrückt wäre, sondern weil er dem Herzen Davids tief eingeprägt wurde. Der Ausdruck entspricht dem vorigen Satzglied: David bekennt, dass er die himmlische Lehre nicht bloß oberflächlich und äußerlich geschmeckt hat, sondern dass Gott sie ihm in die verborgensten Tiefen des Herzens senkte, indem er ihn aufs Genaueste unterwies und ihm nichts Wissenswertes verbarg. So war es umso unentschuldbarer, dass er trotz solcher Unterweisung in der wahren Erkenntnis sich wie ein unvernünftiges Vieh in schnöde Sinnenlust gestürzt hatte. Wir sehen, worauf David hinaus will. Er bekennt sein schweres Verbrechen und erkennt seine völlige Sündenverderbnis, er verurteilt seine Natur – und unter diesem Urteil erschrickt er tief -, stellt sich dem Gerichte Gottes dar und erklärt, dass in diesem Gerichte der äußere Schein gar keinen Wert habe, sondern dass nur nach echter Aufrichtigkeit geforscht werde. Weiterhin sagt er, er könne nicht wie sonst einer aus dem Volke mit gewöhnlichen Strafen belegt werden. Weil er mit außerordentlichen Geistesgaben ausgestattet gewesen sei, müsse er vielmehr strengere Ahndung finden. Jetzt mag jeder diese Lehre auf sich anwenden und im Bewusstsein einer Sünde sich auch der andern erinnern, um sich vor Gott völlig niederzuwerfen. Dann möge er erwägen, wie schrecklich Gottes Gericht ist; und indem er gegen dessen unwandelbare Strenge seine eigne Nichtigkeit hält, möge er sich völlig niederdrückt fühlen. Endlich muss er zu der Überzeugung kommen, dass der freundlich vertraute Unterricht, dessen Gott ihn würdigte, ihn umso verdammenswerter macht: denn er hat das Licht des heiligen Geistes unterdrückt, ist ein schlechter Schüler gewesen und hat die ihm verliehenen kostbaren Gaben in den Staub getreten.

9 Entsündige mich mit Ysop, dass ich rein werde, wasche mich, dass ich schneeweiß werde. 10 Lass mich hören Freude und Wonne, dass die Gebeine fröhlich werden, die du zerschlagen hast. 11 Verbirg dein Antlitz von meinen Sünden und tilge alle meine Missetaten.

V. 9. Entsündige mich mit Ysop usw. Durch die Anhäufung der Gebetsworte zeigt David, wie viel ihm an der Erlangung der Sündenvergebung gelegen ist. Mit der Nennung des Ysop spielt er auf die gesetzlichen Bräuche an. Auf dies äußerliche Zeichen der Entsündigung setzt David sein Vertrauen freilich nicht. Aber er weiß, dass im Gesetz nichts ohne Grund angeordnet ist. Denn wenn dort die Opfer Siegel der Gnade Gottes waren, so sucht er mit Recht darin eine Bestätigung für seine Versöhnung. Solche Dinge sollen unsern Glauben stärken, so oft uns Unsicherheit befällt. Was David wollte, war also nichts anderes, als dass die Verheißung Gottes, die er seinem Volk gegeben hatte, auch an ihm wirksam würde. Das gilt uns auch heute noch. Denn da die Versöhnung nur im Blute Christi zu finden ist, und man diese geistliche Gnade äußerlich weder sehen noch greifen kann, so können wir uns nur mit Hilfe äußerlicher Zeichen der Huld Gottes getrösten. Was über den Ysop gesagt ist, gilt auch vom Waschen. Die Waschungen, die im jüdischen Gesetz vorgeschrieben waren, bezeugen, dass wir von allem Schmutz gereinigt und darum versöhnt in Gottes Gnadenbund aufgenommen werden. Wir wissen aber, dass es Sache des heiligen Geistes ist, durch das Blut Christi unser Gewissen innerlich abzuwaschen, auf dass uns unser Schmutz nicht daran hindere, zu Gott zu kommen.

V. 10. Lass mich hören Freude und Wonne. Damit erbittet sich David ein Zeugnis der göttlichen Gnade: denn wenn seine Gebeine von Gott zerschlagen sind, d. h. wenn er sich in tiefster Betrübnis befindet, seine Lebenskraft verzehrt ist und er sich dem Tode nahe fühlt, so bedarf er neuer Freude, die sein ganzes Leben auffrischen muss. Dieselbe wird ihm durch „Hören“ zuteil. Aller sonstige Trost erfreut ja den Sünder nicht, sondern nur der, welcher aus Gottes Wort quillt. In Gottes Verheißungen zu ruhen, bringt also allein wahren Frieden und rechte Freude. Eine Zeitlang mögen Menschen sich Ruhe schaffen, wenn sie, ohne der göttlichen Verheißungen zu gedenken, die Schrecken des Gewissens zu besänftigen und zu verscheuchen suchen, - auf die Dauer werden sie der heimlichen inneren Qual doch nicht entgehen können. Mögen sie ihr Gewissen töten, - jeder, dem es mit der Gottesfurcht Ernst ist, wird doch kein anderes Beruhigungsmittel finden als das Hören der Freude, d. h. der Verheißung Gottes, dass er unsere Schuld tilgen und uns seine Huld zuwenden will. Wenn die Gläubigen auch während ihrer Pilgerschaft stets mit Nöten und Ängsten zu kämpfen und unter manchen Gefahren und Beschwerden zu seufzen haben, so bringt ihnen doch schon das Hören der Freude Linderung genug für ihre Schmerzen. Glaube und die Freude im Geist sind ja untrennbar.

V. 11. Verbirg dein Antlitz von meinen Sünden. Es ist sehr lehrreich, dass diese Bitte durch die andere erläutert wird: tilge alle meine Missetaten. Darin besteht also unsere Gerechtigkeit vor Gott, dass er aus freiem Willen unsere Sünden vergisst und sie also tilgt. Unsere Reinheit besteht darin, dass er uns seiner freien verzeihenden Gnade würdigt. Auch hier sei darauf hingewiesen, dass David bei seiner Bitte um das eine, begnadigt zu werden, nicht grundlos so viele Worte macht: er bittet vielmehr so ängstlich und eifrig, weil er sich selbst mit seiner schweren Sünde den Weg der Vergebung fast verlegt hatte. Wer nur oberflächlich um Vergebung der Sünden bittet, der weiß noch nicht, was es heißt, Gott zu beleidigen. Darum preist Salomo die selig, die sich fürchten (Spr. 28, 14). Denn die Traurigkeit, die sie quält, ist die Pforte zur wahren Freude. Hier erhebt sich aber die Frage: Warum hat David die Vergebung seiner Sünden, die ihm der Prophet Nathan schon verkündigt hatte (2. Sam. 12, 13), nicht einfach ergriffen, womit doch Freude in sein Herz eingezogen wäre? War es denn nicht eine Beleidigung Gottes selbst, wenn er dem Wort seines Propheten den Glauben versagte? Schickt doch auch heute der Herr nicht Engel vom Himmel, sondern begnügt sich, uns durch die Stimme von Menschen zu neuem Leben zu bringen. So sagt auch Christus (Joh. 20, 23): „Welchen ihr die Sünden erlasset, denen sind sie erlassen, und welchen ihr sie behaltet, denen sind sie behalten.“ Und Paulus (2. Kor. 5, 20) lehrt, dass die Diener des Evangeliums in Gottes Auftrag den Menschen die Botschaft von der Versöhnung ausrichten. David erscheint also ungläubig, weil er, trotz der Worte Nathans, voll Verzweiflung erst noch weitere Gewissheit sucht. Indessen widerstreitet es durchaus nicht der Natur des Glaubens, dass ein Mensch, dem die Gnade Gottes schon zugesagt wurde, doch noch fortfährt, brünstig und eifrig um Vergebung zu bitten. Wenn David jetzt auch für einen Teil der Dinge, die ihn betrübten, Verzeihung spürte, so waren ihm doch neue Gebrechen aufgedeckt worden, die ihn zum angstvollen Flehen um Gottes Erbarmen trieben. Wenn Gott uns auch durch die Verheißung der Vergebung zum Genuss des Friedens einlädt, so dürfen wir doch die Schwere der Kränkung, die wir ihm zugefügt haben, nicht übersehen, damit wir den Schmerz über unsre Sünde in ganzer Tiefe empfinden. Vergessen wir dabei nicht, dass wir mit unserm schwachen Glauben auch nicht sofort die ganze Fülle der Gnade in uns aufnehmen können. So darf es uns nicht Wunder nehmen, dass David in seiner Angst dreimal, viermal um Vergebung fleht und öfter Gottes Angesicht sucht, um der Vergebung desto gewisser zu werden. Ja wir können überhaupt nicht ernstlich um Verzeihung unserer Sünden bitten, wenn wir nicht schon vorweg den Glauben haben, dass Gott uns gnädig sein werde. Wer würde es wagen, seinen Mund aufzutun, wenn er nicht von der Vaterhuld Gottes überzeugt wäre? Anderseits muss unser Beten mit der Bitte um Vergebung anheben. Es erhellt also, dass es kein Widerspruch ist, wenn wir sagen: wenn jemand im Glauben Gottes Gnade ergriffen hat, dann fleht er doch noch um Vergebung seiner Sünden. Das will auch das Gebet zum Ausdruck bringen, das uns der himmlische Meister gelehrt hat. Zuerst nennen wir da Gott unsern Vater, und dann bitten wir doch: Vergib uns unsre Schulden (Mt. 6, 12). Wenn Gott auch völlige Vergebung schenkt, so bekommen wir doch um unsres Kleinglaubens willen nicht das Vollmaß seiner Güte zu schmecken. So entspricht das wiederholte Gebet um dieselbe Gabe unserm Glaubensmaß. Gott braucht freilich nicht allmählich besänftigt zu werden wie ein Mensch, aber unser Glaube ringt sich erst langsam zur vollen Gewissheit durch. Wenn David (V. 9) durch Ysop und durch Waschung gereinigt werden will, so wollen wir uns dadurch erinnern lassen, so oft wir um Vergebung der Sünden bitten, unsere Gedanken auf das Opfer zu richten, mit dem Christus den Vater versöhnt hat. Denn Sünden werden nicht ohne Blut vergeben (Hebr. 9, 22). Und was Gott dem Volk des alten Bundes unter den Bildern des Gesetzes bezeugt hat, das hat er vollkommener durch seinen Sohn offenbart. Will also ein Sünder Gnade erlangen, so muss er zuerst seine Gedanken auf Christi Opfer lenken, durch das die Sünden der Welt getilgt sind, und dann auf das heilige Abendmahl und die Taufe, um seinen Glauben zu bekräftigen. Denn Gott, der Richter der Welt, sieht nur dann gnädig auf uns, wenn der Preis der Versöhnung ins Mittel tritt.

12 Schaffe in mir, Gott, ein rein Herz, und gib mir einen neuen gewissen Geist, 13 Verwirf mich nicht von deinem Angesichte und nimm deinen heiligen Geist nicht von mir. 14 Tröste mich wieder mit deiner Hilfe, und mit einem freudigen Geist rüste mich aus.

V. 12. Schaffe in mir usw. Bisher hatte David um Vergebung seiner Sünden gebeten. Jetzt bittet er – was von dieser ersten Bitte wohl zu unterscheiden ist – dass Gott ihm die Gnadengabe des heiligen Geistes, die er verloren oder die er wenigstens zu verlieren verdient hatte, wiederschenken möge. David hatte erkannt, dass er keine Gabe des Geistes verdient, ja er spürt es, dass er fast keine mehr besitzt. Darum verlangt ihn jetzt mit Recht nach dem einstigen Zustand. Dass aber Gott in ihm ein neues Leben „schaffen“ soll, lässt ersehen, dass er sich als einen unnützen Klotz einschätzt, - bis ihn Gottes Kraft auf wunderbare Weise erneuert. So können wir ersehen, wie wichtig es ist, dass Gott uns Buße schenke. Da bleibt kein Raum für eine Mitwirkung des menschlichen Willens aus eignen Kräften, die sophistische Lehrer nur zu gern einschmuggeln, wenn sie auch im Allgemeinen von Gnade reden. Denn wenn Gott neue Kreaturen „schaffen“ muss, so ist die Erneuerung des Menschen eben sein herrliches und unvergleichliches Werk. Alles, was in uns recht und gut ist, ist ein freies Geschenk der göttlichen Gnade, mögen wir dabei an die grundlegende Erneuerung oder an die Wiederaufrichtung nach einem Fall denken. Bei David handelte es sich um die letztere: er bittet um einen neuen Geist. Die Meinung ist aber nicht etwa, dass Gott sein schwaches Herz unterstützen und seinen gebrechlichen Geist stärken möge: er gesteht vielmehr, dass in seinem Herzen sich nichts Rechtes und Reines finde, wenn es ihm nicht von außen gegeben werde. Daraus folgt: Das ganze Menschenherz in seiner natürlichen Beschaffenheit ist verkehrt und verdreht. Wäre von Natur auch nur eine Spur von Reinheit und Geradheit darin, so würde David das eine ganz gewiss nicht eine Gabe des heiligen Geistes, das andere eine Schöpfung Gottes nennen.

V. 13. Verwirf mich nicht – und nimm deinen Geist nicht von mir. Das ist noch eine Fortsetzung derselben Bitte, und zwar schließt David an die Vergebung der Sünden die Leitung durch den heiligen Geist. Denn in der Tat muss die Aussöhnung durch freie Gnade zuvor geschehen sein, ehe uns Gott durch den Geist der Kindschaft leiten kann, indem er uns eben als seine Kinder an sein Herz drückt. Weil Gott seinen Geist nur denen mitteilt, die er sich auserwählt hat und zu den Seinigen zählt, darum bittet David, um im Besitz des Geistes zu bleiben, dass er nicht aus der Gotteskindschaft verstoßen werde: denn wenn er nicht unter den Kindern Gottes bleiben dürfte, müsste er alles verlieren. Ferner darf man aus diesen Worten lernen: obwohl die Geistesgaben in ihm auf ein Nichts zusammengesunken waren, waren sie doch nicht ganz geschwunden. Er übte ja nach wie vor das herrliche Königsamt aus, betete und lag den andern Frömmigkeitsübungen ob und brachte überhaupt sein Leben in Einklang mit der Verehrung, die Gott verlangte. Wenn er also auch in einem Punkte betört war, so war er doch nicht ganz verworfen. Dass er so leicht und plötzlich auf den Vorwurf des Propheten Nathan hin zur Besinnung kam, ist eben ein Zeichen dafür, dass noch im Verborgenen ein Körnlein Gottesfurcht in ihm schlummerte. Dem steht durchaus nicht im Wege, dass er um Erneuerung seines Geistes bittet. Er meint eben damit den Geist, so weit er befleckt ist. Das ist wohl beachtenswert. Denn etliche halten es für unsinnig, dass Erwählte bei einer Versündigung den Gottesgeist verlören und von Gott sich entfernten. Petrus sage ja deutlich genug (1. Petr. 1, 23), das Wort, durch das wir wiedergeboren wurden, sei ein unvergänglicher Same, und auch Johannes lehrt (1. Joh. 3, 9), wer aus Gott geboren sei, könne nicht sündigen. Wenn Gott die Seinen also bisweilen scheinbar fallen lässt, so nimmt er ihnen doch nicht alle Gaben, es zeigt sich vielmehr schließlich, dass sie nicht ganz verworfen sind, auch dann schon, wenn man an ihnen die Zeichen der Gnade noch nicht sehen kann. Dem Einwurf, David sei offenbar nicht sicher, ob er nicht den Geist Gottes verliere, halte ich entgegen: Wenn Gläubige sündigen, so sind sie mit Fug und Recht bange, weil sie die Gnade Gottes zurückgewiesen haben. Trotzdem müssen sie festhalten, dass die Gnade Gottes, die sie einmal besaßen, nie verloren gehen kann, da der Same Gottes unvergänglich ist. So ängstigt sich auch David im Gedanken an seine Sünde. Anderseits aber steht es ihm fest, dass ihm eben als einem Gotteskinde das, was er durch eigene Schuld verloren hatte, auch noch erhalten bleibe.

V. 14. Tröste mich wieder usw. Wiederholt betont David, dass er so lange in Betrübnis sei, bis er mit Gott Frieden geschlossen habe, sich also wieder seiner väterlichen Huld erfreuen dürfe. Diejenigen Menschen sind ja sehr töricht, die sich zur Ruhe geben, auch wenn Gott ihnen feind ist.

Die zweite Vershälfte weist auf die beiden vorangehenden Verse zurück: David möchte die Gaben des Geistes ungetrübt genießen. Der freudige Geist, den er sich erbittet, ist der Geist freiwilligen Gehorsams, den er fast verloren hätte: er fühlte also, wie er in die Gewalt der Sünde geraten und in seine Schuld verstrickt war. Nur durch eine besondere Gnadentat Gottes konnte er das unschätzbare Gut der inneren Freiheit wieder bekommen, nachdem er sich der Sünde ausgeliefert hatte.

15 Ich will die Übertreter deine Wege lehren, dass sich die Sünder zu dir bekehren. 16 Errette mich von den Blutschulden, Gott, der du mein Gott und Heiland bist, dass meine Zunge deine Gerechtigkeit rühme. 17 Herr, tue meine Lippen auf, dass mein Mund deinen Ruhm verkündige.

V. 15. Ich will die Übertreter deine Wege lehren. Erhört ihn Gott, so will ihm David danken. Und seine Dankbarkeit soll darin bestehen, dass er sich bemühen will, andere durch seine Erfahrungen zu ermutigen. Es ist nicht bloß ein Gebot der Liebe, dass Menschen, welchen Gott aufgeholfen hat, andern die Hand zur Hilfe reichen, sondern auch die Frömmigkeit und der Eifer für die Ehre des Herrn muss sie dazu treiben, möglichst alle zum Genuss derselben Gnade zu führen, soweit das in ihrer Macht steht. Und David erhofft von solchem Bestreben Erfolg. Predigt man auch oft tauben Ohren, wenn man Irrende auf den rechten Weg zurückbringen will, so mühen wir uns doch nicht stets vergeblich ab: denn Gott segnet sein Wort.

V. 16. Errette mich usw. Daraus sehen wir, dass David sich keineswegs über seine Schuld hinwegtäuschen wollte. Er hat mit den Schrecken des Todes einen heißen Kampf geführt. Sonst würde er nicht so oft um Vergebung bitten. In dem Wort „Blutschulden“ wollen manche einen Hinweis auf den rechtswidrigen Tod des Uria und die Niederlage des Heeres sehen, Verbrechen, deren David sich schuldig wusste. Nach dem sonstigen Sprachgebrauch verstehe ich es lieber so: David hat sich der Todesstrafe schuldig gemacht. Seine einzige Hoffnung steht also bei dem Erbarmen Gottes. Die Gerechtigkeit Gottes, die er jubelnd rühmen will, ist gleichbedeutend mit seiner Güte. Es wird ja nicht seine Gerechtigkeit gepriesen, die unnachsichtlich die Strafe zur Vollstreckung bringt, sondern vielmehr seine Treue, nach der er seine Verheißungen erfüllt und die Seinigen bewahrt, und seine Güte, in der er nie einen Menschen zu Schanden werden lässt, der ihn um Hilfe anruft. Die Anrede „Gott, der du mein Gott bist“, zeigt in ihrer Eindringlichkeit, mit welchem Beben und mit welch angstvollem Seufzen David stets seiner Schuld und ihrer Strafe gedachte. Während er aber vor Unruhe vergeht und in heißem Verlangen verzehrt wird, zeigt er doch, dass er mit der Wehr des Glaubens gerüstet ist: sein Heil ruht in Gott, das steht ihm fest. Denselben Sinn hat der folgende Vers, in dem er um Öffnung seiner Lippen bittet. Das heißt soviel wie: mache es mir möglich, dich zu rühmen! Diese Stelle wird gewöhnlich so ausgelegt, David bitte den Geist Gottes, seine Zunge tauglich zu machen, Gott zu loben. Wenn uns Gott nicht die Worte in den Mund legte, würden wir auch, das ist gewiss, stumm sein. Aber David hat etwas anderes im Sinne. Er schweigt so lange, bis er nach erlangter Vergebung gleichsam herausgefordert wird, Danklieder zu singen. Er scheint mir hier die Bitte um Öffnung seiner Lippen in demselben Sinne auszusprechen, wie er Ps. 40, 4 sagt, es sei ihm ein neues Lied in seinen Mund gegeben. Er gelobt also, sich wiederum seinem Gott dankbar zu erweisen und seiner Wohltat zu gedenken. Nur darum möchte er begnadigt werden, um allen die Gnade Gottes mit lauter Stimme zu verkündigen. Dies hervorzuheben, dient auch der Wortreichtum in V. 17.

18 Denn du hast nicht Lust zum Opfer, ich wollte dir` s sonst wohl geben; und Brandopfer gefallen dir nicht. 19 Die Opfer, die Gott gefallen, sind ein geängsteter Geist, ein geängstet und zerschlagen Herz wirst du, Gott, nicht verachten. 20 Tue wohl an Zion nach deiner Gnade; baue die Mauern zu Jerusalem. 21 Dann werden dir gefallen die Opfer der Gerechtigkeit, die Brandopfer und ganzen Opfer; dann wird man Farren auf deinem Altar opfern.

V. 18. Denn du hast nicht Lust zum Opfer usw. Wenn David auch nichts vor Gott bringen kann, um ihn zu befriedigen, so hofft er doch zuversichtlich, von Gott aus freiem Erbarmen erhört zu werden. Er bekennt seine völlige Armut und Hilfsbedürftigkeit, in der er vor Gott steht, weiß aber auch, dass dies kein Hindernis ist, die Erfüllung seiner Bitte zu erhalten. Gott macht sich ja nichts aus Opfern. Das ist ohne Zweifel ein stillschweigender Tadel des allgemein üblichen Irrtums, der, wie wir wissen, fast so lange währte, als es ein jüdisches Volk gab. Wenn das Gesetz lehrte, die Sünden würden durch Opfer gesühnt, so sollte ihnen dadurch das Vertrauen auf eigene Werke zerstört und sie dazu getrieben werden, allein von Christo Genugtuung zu suchen. Die Juden pochten aber nun im Gegenteil auf ihre Opfer, als wenn sie sich durch ein bestimmtes Lösegeld vom Urteil Gottes loskaufen könnten. Diese verkehrte Auffassung weist David bestimmt zurück, wenn er es ausdrücklich verneint, Gott irgendwie Genugtuung bieten zu können, dem Gott, der zum Opfer keine Lust hat. Gott verlangte freilich diesen Dienst, und David übte ihn treulich. Es heißt also nicht, Gott verschmähe ohne Weiteres die Opfer, deren Darbringung er doch selbst gebot, oder irgendjemand könne die Opfer beiseite liegen lassen, weil sie ein Werk wären, das über das gewöhnliche Erfordernis der Frömmigkeit hinausgehe. Vielmehr will dies Wort den Heuchlern eine Lehre geben, die in falschem Selbstvertrauen sich einbilden, sich ein Verdienst um Gott erwerben zu können. David übte sich also trotz alledem fleißig im Opferdienst. Nur der kann sich eines gnädigen Gottes getrösten, der das einige Opfer Christi ins Mittel stellt, durch das die Sünden der Welt gesühnt sind. So baut auch David allein auf die Gnade Gottes. Streng genommen brachten ja auch die Juden nichts Eigenes mit ihren Opfern, sondern sie liehen von Christo das Lösegeld, das kein Mensch aufbringen kann.

V. 19. Die Opfer, die Gott gefallen usw. Im Vorhergehenden hat David die fälschliche Meinung der Juden zurückgewiesen, als könnten die Opfer an sich Gott gnädig stimmen. Jetzt sagt er: wer nur ein geängstet und zerschlagen Herz bringt, der genügt dem Herrn reichlich. Verlangt er doch nur das Eine von den Sündern: werft euch demütig vor mir nieder und fleht um Erbarmen! An Stelle der vielen Opfer tritt ein einziges: das Opfer der Buße; das allein wiegt alle andern auf. Hätte David nun gesagt, diese Art des Opfers habe einen guten Geruch vor Gott, so wäre den Juden noch die Ausrede geblieben, dass die andern Opfer ihm nicht minder angenehm seien. Auch die römische Kirche stellt die Werke auf gleiche Stufe mit der Gnade Gottes, um ja bei der Vergebung der Sünden auch noch irgendwie durch ein Verdienst beteiligt zu sein. Mit voller Absicht, um alles andre auszuschließen, betont also David, nur die Beugung des Geistes sei es, die Gott als Opfer anerkenne. Und wenn er von diesen Opfern sagt, dass sie Gott gefallen, so will er damit offenbar die Heuchler zum Schweigen bringen, die in ihrer Verblendung Gottes Gnade nur durch ihre Opfergaben erringen wollen. Hier erhebt sich aber die schwierige Frage: wenn ein geängsteter Geist vor Gott mehr Wert hat als alle Opfer, folgt daraus nicht, dass die Buße uns die Vergebung der Sünden erwirbt? Wenn dem aber so ist, so ist es mit der freien Gnade vorbei. Ich antworte darauf: David wollte hier nicht auseinandersetzen, um welchen Preis sich die Menschen von Gott loskaufen, oder durch welches Verdienst sie Sündenvergebung erlangen können. Er wollte vielmehr den Menschen in seiner ganzen Ohnmacht darstellen, indem er den zerschlagenen Geist allen eingebildeten Deckungsmitteln gegenüberstellte. Ist ja doch auch die Beugung des Geistes nichts anderes als eine Entleerung des Menschen von allem Selbstbewusstsein, eine Vernichtung alles eigenen Wirkens. Ein zerschlagenes Herz kennt also in sich keine Verdienste mehr, die ein Entgelt sein könnten. Wenn jemand denkt, der Glaube sei doch noch ein hervorragendes Opfer und erwirke Gottes Versöhnung, da er Christum mit der wahren Versöhnung ins Mittel stelle, so muss man dem gegenüber fürs erste festhalten: der Glaube ist von der Demütigung, von der David spricht, nicht zu trennen. Denn wenn sich die Gottlosen auch vor Gott fürchten, so hegen sie doch im Innersten Stolz und Hochmut und lassen nicht ab vom Murren und Widerstreben. Wenn sie auch ihren bösen Sinn nicht offen zum Ausdruck kommen lassen, so bleibt doch ihr Herz stets aufgeblasen. Da also der geängstete Geist und das zerschlagene Herz den Menschen, der unter dem Eindruck des göttlichen Zornes zittert, mit wahrer Furcht und ernstem Missfallen an sich selbst erfüllt, ja ihn sogar tötet, so dass er nichts mehr in sich, sondern alles nur noch in Gottes Erbarmen sucht, so ist es kein Wunder, wenn Gott mit diesem einen Opfer zufrieden ist, wie David sagt. Er setzt ja nicht den Glauben beiseite, auch zählt er nicht die einzelnen Stücke der Buße auf. Er lehrt nur im Allgemeinen: nur der kann Gottes Gnade empfangen, welcher, in sich selbst zusammengebrochen und an sich zu Schanden geworden, sich zu Gottes Erbarmen flüchtet, welcher flehend mit dem Bekenntnis der eigenen Nichtigkeit zu Gott kommt, kurz der, welcher gebeugt und gebrochen am Boden liegt und wieder aufgerichtet werden möchte.

V. 20. Tue wohl an Zion usw. David bittet nicht mehr bloß für sich allein, sondern für die ganze Gemeinde. Mit gutem Recht. Mit stand und fiel das ganze Reich Christi. Denn der König hatte Kraft seiner Salbung den Auftrag, Gottes Gemeinde zu sammeln. David hatte aber durch seinen schändlichen Fall dieser Gemeinde Ärgernis bereitet, so dass sie der Vernichtung verfallen schien. Obwohl er also durch seine Schuld Gottes Gemeinde verstört hatte, so bittet er doch, dass Gottes Erbarmen sie wieder aufbauen möge. Er beruft sich dabei nicht auf die Unschuld der andern, sondern stützt sich allein auf Gottes Wohlgefallen, etwa in dem Sinne: ist der Bau der Gottesgemeinde an irgendeinem Punkte zerstört und bedarf der Wiederherstellung, so kann diese nur aus Gottes Gnade kommen. War nun auch Jerusalem längst gegründet, so bittet David doch: baue … Jerusalem . Die Stadt war noch nicht fertig, weil ihr noch das Hauptstück fehlte. David denkt dabei an die göttliche Verheißung, nach welcher dort die Lade des Bundes stehen und die königliche Wohnung sein sollte. Nur ein Schuppen vertrat die Stelle des noch nicht errichteten Tempels. Übrigens liegt hier die Lehre vor: es ist Gottes eigenstes Werk, seine Gemeinde zu bauen. So heißt es auch Ps. 87, 1: „Sie ist fest gegründet auf den heiligen Bergen.“ David schaut nicht bloß auf den äußeren Bau, sondern gedenkt vornehmlich des geistlichen Heiligtums Gottes, das nicht durch Menschenhand und Fleiß aufgerichtet werden kann. Es unterliegt zwar keinem Zweifel, dass die Menschen trotz aller Steine und Mörtelmasse, die sie herbeischaffen, auch mit dem größten Fleiß keine irdische Mauer errichten können. Aber der Bau der Gemeinde ist noch ein anderes Ding: Gottes wunderbare Kraft führt sie von der Erde, auf der ihr Grund liegt, bis über den Himmel hinaus empor. Es handelt sich hier auch nicht bloß um einen Bau, der einen Monat oder ein Jahr in Anspruch nimmt. Gott wird vielmehr seine Gemeinde beschützen und erhalten bis zur Wiederkehr Christi. – Wir haben von David am Anfang des Psalms wie auch sonst gehört, wie er sich für verderbt und verzweifelt erklärt. Woher kommt ihm nun auf einmal der Mut, die ganze Gemeinde dem Herrn anzubefehlen? Wie kann der, welcher kaum aus den tiefsten Tiefen aufsteigt, alle andern in den Himmel hineintragen? Nun, wer sich mit Gott versöhnt weiß, bekommt alsbald nicht nur die Zuversicht, für sein eigenes Heil zu bitten, er fühlt auch das Recht, für andere bitten zu dürfen. Ja, was noch ehrenvoller ist, wird ihm zum Anliegen: die Förderung der Ehre des Reiches Christi, und das ist noch köstlicher als das Heil der ganzen Welt.

V. 21. Dann werden dir gefallen usw. Hier scheint ein Widerspruch mit dem Bisherigen vorzuliegen. Doch ist er mühelos aufzuklären. David hatte die Opfer für an sich wertlos erklärt. Jetzt nennt er sie Gott wohlgefällig, insofern als sie Übungen des Glaubens und der Buße und Zeichen der Dankbarkeit sind. Opfer der Gerechtigkeit heißt er sie ausdrücklich, weil sie dem Gesetz entsprechend sind, das Gott gegeben hat. So ist der Ausdruck schon im Ps. 4, 6 gebraucht, womit der eitle Aufwand derer verlacht wird, die sich mit leerem Schein brüsten. David mahnt sich aufs Neue zur Dankbarkeit und durch sein Beispiel auch alle Frommen. Ihres Gelübdes eingedenk, sollen sie nicht bloß im Stillen Gottes Gnade bedenken, sondern sie auch in offener Versammlung rühmen. David führt zwei Arten von Opfern an: Brandopfer und ganze Opfer. Unter der ersten versteht er meines Erachtens das priesterliche Opfer, weil da das Opfertier verbrannt wurde. Übrigens tut David auch hier kund, dass die gesetzlichen Gebräuche nur dann Gottes Wohlgefallen haben, wenn sie in der richtigen Absicht dargebracht werden. Den ganzen Vers geistlich zu deuten und auf Christi Reich zu beziehen, wie einzelne Ausleger tun, ist gezwungen. Allerdings nennt einmal Hosea (14, 3) den Dank und das Lob, welches wir der Gnade Gottes darbringen, die „Farren unserer Lippen“. Aber an unserer Stelle lässt sich doch nicht zweifeln, dass zu der rechten Gesinnung des Herzens die feierlichen Zeremonien gefügt werden, durch welche unter dem Gesetz die Anbeter Gottes ihre Frömmigkeit kundtaten.

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autoren/c/calvin/calvin-psalmen/psalm_51.txt · Zuletzt geändert: von aj
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