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Calvin, Jean - Psalm 39.

Calvin, Jean - Psalm 39.

Inhaltsangabe:Zu Anfang berichtet David, wie ein bitterer Schmerz ihm ungestüme Klagen ausgepresst habe. Er gesteht nämlich, dass er trotz alles Ringens um Geduld und Stillschweigen unter der Gewalt der Traurigkeit doch Worte ausstieß, die er nicht sagen wollte. Dann zählt er Beschwerden auf, die mit Bitten gemischt sind und die größte Verwirrung seines Geistes zeigen, aber auch deutlich beweisen, dass er mit außergewöhnlicher Anstrengung gegen die Verzweiflung angekämpft hat.

V. 1. Bekanntlich war Jeduthun einer von den Musikmeistern Davids, welche die heilige Geschichte rühmend erwähnt (1. Chron. 25). So wird dieser Psalm einem Musikmeister übergeben worden sein, der aus dieser Familie stammte. Wir werden also hier nicht mit manchen Auslegern die Angabe einer Melodie finden dürfen. – Bezüglich des Inhaltes vermuten einige, dass Davids Klagen sich auf irgendeine Krankheit bezögen. Aber es scheint mir nicht passend, ohne zwingenden Grund allgemeine Aussagen in dieser Weise einzuengen. Vielmehr kann man aus der schrecklichen Qual, die er hier beschreibt, schließen, dass entweder viele Heimsuchungen zusammengefasst werden, oder dass es sich um eine handelt, die schwerer als alle anderen war, und die lange Zeit dauerte. Es ist aber im Auge zu behalten, dass David in diesem Psalm nicht seine Tugend preist, als habe er Gebete, die nach der Regel der Frömmigkeit verfasst waren, Gott vorgetragen, sondern dass er vielmehr seinen Fehler eingesteht, dass er schwach geworden sei, indem er in unmäßigem Schmerze aufbrauste und sich hinreißen ließ, mit Gott zu rechten.

V. 2. Ich habe mir vorgesetzt usw. Auch der Umstand lässt auf die Heftigkeit des Schmerzes schließen, dass David ganz gegen seinen inneren Vorsatz in die bittersten Klagen ausbrach. Denn der kurze Sinn seiner Worte ist der, dass er mit zur Geduld gesammeltem Gemüte sich zwar Stillschweigen abzwingen wollte, dass aber die Gewalt des Schmerzes diesen Vorsatz umgestoßen und ihm Worte ausgepresst habe, die auf einen gar zu ungebändigten Schmerz schließen ließen. Buchstäblich wäre zu übersetzen: „Ich habe gesagt.“ Aber diese Wendung bezeichnet nicht immer ein äußeres Sprechen: auch wo nicht ausdrücklich dabeisteht: „in meinem Herzen“ – wird es sich oft um einen inneren Vorsatz handeln. Auch hier wird David nicht sagen wollen, dass er vor Menschen tapfer geredet, sondern dass er sich vor Gott in langer innerer Betrachtung redlich gerüstet habe, das Unglück zu ertragen. Dieser Eifer erscheint bemerkenswert. Denn es hat seinen guten Grund, dass David sich mit solcher Sorgfalt hütet. Buchstäblich wäre zu übersetzen: „Ich will meine Wege bewachen.“ Weil er sich seiner Schwachheit bewusst war und auch wusste, wie viele Nachstellungen Satan zu bereiten pflegt, so schaute er hierhin und dorthin aus und stellte gleichsam überall Wachen auf, damit weder von rechts noch von links die Versuchung ihn heimlich beschleichen und sich in sein Herz eindrängen könne. Die Zugänge waren also von allen Seiten geschlossen. Aber durch die große Bitterkeit seines Schmerzes wurde seine Standhaftigkeit mit Gewalt gebrochen. Wenn David weiter sagt, dass er seinen Mund zäumenwollte, so ist das nicht so zu verstehen, als habe er sich damit begnügt, was ihn quälte, in sich zu verschließen, - wie denn mancher hinter scheinheilig sanftmütigen Mienen und Reden innere Auflehnung verbirgt. Vielmehr bezeugt er, dass er mit größter Anstrengung seine Stimmungen zügelte; weil die Zunge nur zu leicht ausgleitet, wollte er auch nicht ein Wort aus seinem Munde gehen lassen, das irgendwelche Ungeduld verraten hätte. In der Tat gehört eine seltene Standhaftigkeit dazu, in voller Wahrheit und mit bewusstem Entschluss die nur zu bewegliche Zunge festzuhalten. Das folgende Satzglied: weil ich muss den Gottlosen so vor mir sehen, versteht man meistens dahin, dass David seine Traurigkeit verbergen wollte, um nicht den Gottlosen Anlass zur Lästerung zu geben, die bei jedem Übel, welches Kindern Gottes zustößt, diese nur zu gern frech verhöhnen, wobei es ohne Spott über Gott selbst nicht abgeht. Aber der Hinweis darauf, dass der Gottlose so dasteht, will doch wohl noch etwas anderes besagen: David sieht, wie die Frevler alle Macht in die Hand bekommen, aber er will diesen unwürdigen Zustand, der sonst die Guten nicht wenig ärgert und quält, schweigend ertragen. Wenn es nun schon einem David schwer wurde, seine Zunge zu zähmen, damit er sich nicht durch Murren versündigte, so wollen vollends wir an seinem Beispiel lernen, unter jedem Druck mit allem Ernst unsere Gefühle zu dämpfen, damit uns nicht eine unfromme Rede entfahre, die den Herrn beleidigen müsste.

V. 3. Ich verstummte und ward stille. Jetzt erklärt David, dass sein Streben, wie er es uns beschrieb, nicht vergeblich war: was er sich im Herzen vorgenommen, habe er tatsächlich durchgeführt. Er kann uns berichten, dass er eine Zeitlang geschwiegen habe wie ein Stummer. Das war ein herrliches Zeichen von Geduld. Er hat also nicht, wie leichtsinnige Menschen wohl zu tun pflegen, sich nur vorgenommen zu schweigen, so dass der Wille keinen Erfolg gehabt hätte, sondern er hat sich lange und standhaft in der Geduld geübt, und zwar nicht nur durch Schweigen, sondern durch vollständiges Verstummen, als ob er die Sprache verloren hätte.

Ich schwieg vom Guten. Dieser Satz hat die verschiedensten Erklärungen erfahren. Er wird aber einfach besagen, dass David von allen Verteidigungsmitteln, die ihm zu Gebote gestanden hätten, keinen Gebrauch machte. Obgleich er mit guten Gründen seine Unschuld gegen bösartige Angriffe hätte verteidigen können, wollte er doch lieber seine eigene Sache im Stich lassen, als seinem Schmerz einen Anlass zu maßlosem Ausbruch geben. Und doch muss er fortfahren: aber mein Schmerz wurde aufgeregt.Obgleich David sich geraume Zeit in Zucht hielt, zerbrach der gewaltige Schmerz doch alle Schlösser, die er an seine Zunge gelegt hatte. Wenn nun David, der doch ein so tapferer Held war, mitten im Laufe des Streites unterlag, wie viel mehr müssen wir uns dann vor einem ähnlichen Falle hüten! Er sagt, dass sein Schmerz „aufgeregt“ worden sei, weil sein Eifer zu ungestüm entbrannt war, wie wir sofort hören werden.

V. 4. Mein Herz ist entbrannt in meinem Leibe. Dies Bild lässt uns die ganze Größe des Schmerzes ersehen: der innerlich zusammengepresste Schmerz erhitzte sich dadurch mehr und mehr, bis die ungeheure Glut zuletzt übermächtig hervorbrach. Hieraus können wir eine wichtige Mahnung entnehmen, nämlich dass je mehr jemand sich anschickt, Gott gehorsam zu sein und mit ganzem Eifer danach trachtet, ruhig zu werden, er umso heftiger gequält wird. Dann wendet Satan alle seine Kraft an, ihn zu bekämpfen, während er die Gefühllosen nicht belästigt. Wenn daher die Leidenschaften in uns glühen, so müssen wir an diesen Kampf Davids denken, damit wir nicht den Mut verlieren, und vor allem damit unsere Schwachheit uns nicht zur Verzweiflung treibe. Die trockenen und heißen Ausdünstungen, welche die Sonne im Sommer erzeugt, würden ohne Geräusch nach oben steigen, wenn sie mitten in der Luft keinen Widerstand finden würden. Da aber die Wolken ihnen im Wege sind, so entsteht durch den Zusammenstoß mit ihnen der Donner. Dasselbe ist bei den Frommen der Fall, die nach dem Himmel streben. Würden sie ihr Herz auf eitle Gedanken richten, so würde der Durchgang ihnen offen stehen. Jetzt aber, da sie bestrebt sind, sich Gott hinzugeben, bereitet das Fleisch ihnen Hindernisse. Wir müssen also wissen, dass wir jedes Mal, wenn das Fleisch seine Angriffe gegen uns richtet, durch dieselbe Versuchung geprüft werden, die David so viel zu tun machte. Am Schlusse des Verses gesteht er, dass er sich durch die Größe des Übels habe überwinden lassen und in törichte und unüberlegte Worte ausgebrochen sei. Er hält uns in seiner Person einen Spiegel der menschlichen Schwäche vor Augen, damit wir uns vor der Gefahr warnen lassen und lernen, ängstlich unter dem Schatten der Flügel Gottes Zuflucht zu suchen. Dass David sagt: ich rede „mit meiner Zunge“, ist keine überflüssige Wendung, sondern ein genaueres Bekenntnis seiner Schuld. Er will damit nämlich sagen, dass er in ein lautes Rufen ausbrach.

V. 5. Lass mich wissen mein Ende. Hier lässt David sich offenbar neue Ausschreitungen zuschulden kommen: denn er hadert mit Gott. Dies wird uns vollends deutlich werden, wenn wir diese Sätze im unmittelbaren Anschluss an das Vorige lesen. Bald nachher trägt ja David wieder heilige und wohlgesetzte Bitten vor. Jetzt aber zeigt er sich darüber aufgebracht, dass er, da er doch ein vergänglicher und hinfälliger Mensch ist, nicht milder behandelt wird. Die Reden Hiobs sind voll derartiger Klagen. Er sagt also nicht ohne Ärger und Widerwillen: Da du, Herr, mich so hart behandelst, so lass mich wenigstens wissen, wie viel Zeit zum Leben du mir vorgeschrieben hast. Aber mein Leben ist ja nur ein Augenblick. Was soll daher diese Härte? Weshalb sammelst du eine so gewaltige Menge von Leiden auf mein Haupt, als hätte ich noch viele hundert Jahre zu leben? Was nützt es mir geboren zu sein, wenn ich die kurze Zeit meines Lebens unter fortwährenden Leiden elend hinbringe? In dieser Gedankenrichtung bewegt sich auch noch der folgende Vers: Siehe, meine Tage sind einer Hand breit bei dir. Es ist dieses die Breite von vier Fingern und bedeutet ein sehr geringes Maß. Es ist, als wollte David sagen, dass das Leben des Menschen plötzlich vorüberfliege, und dass sein Ende fast mit dem Anfang zusammentreffe. Daraus schließt er dann, dass alle Sterblichen vor Gott nur Eitelkeit sind. Doch wir haben noch nach dem genaueren Verständnis des vorangehenden Satzes zu fragen: Ich möchte doch erfahren, wie bald ich aufhören muss. Das ist nicht eine ernstliche Bitte, Gott möge ihm die Kürze seines Lebens zeigen, als wäre ihm dieselbe unbekannt, sondern eine Art von Spott. David will etwa sagen: Würde man die Zahl der Jahre, die mir noch übrig sind, zusammennehmen, so würden sie kaum ein Ersatz sein für die Leiden, die ich tragen muss.

V. 6. Mein Leben d. h. meine Lebensdauer ist wie nichts vor dir. Wenn David nunmehr den Herrn selbst als Zeugen seiner Gebrechlichkeit aufruft, so will er ihn damit umso mehr zum Mitleid bewegen: weiß er doch am besten, wie flüchtig das Menschenleben dahineilt. Gar nichts sind die Menschen; in ihrem ganzen Geschlecht findet sich nur eitle Vergänglichkeit. Und das gilt, während sie so sicher leben, wörtlich „wenn sie stehen“, also in der Blüte ihrer Kraft, wo sie etwas gelten zu können glauben. Ist es nun auch die Traurigkeit, welche dem David diese Klagen auspresst, so wollen wir uns doch einprägen, dass die Menschen erst dann merken, dass sie nichts sind, wenn Unglück auf ihnen lastet. Denn das Glück berauscht sie so, dass sie ihr Los vergessen und in ihrer Trunkenheit träumen, sie könnten immer auf Erden bleiben. Diese Erkenntnis unserer Vergänglichkeit ist uns allerdings sehr nützlich. Doch müssen wir uns hüten, dass wir uns nicht durch sündhaften Lebensüberdruss zur inneren Auflehnung treiben lassen. Wahr und weise verkündigt David, dass der Mensch selbst dann, wenn er am meisten auf seiner Höhe zu stehen scheint, doch weiter nichts ist als eine Blase, aus Eitelkeit gebildet. Er versündigt sich nur darin, dass er dieses als Ursache nimmt, um mit Gott zu hadern. Das Missfallen an unserer elenden Lage muss vielmehr von solcher Art sein, dass es uns zu Boden drückt, damit wir dann in demütiger Bitte unsere Augen zu Gottes Erbarmen erheben. Das tut auch David bald nachher, indem er sich selbst verbessert. Er bleibt nicht bei diesem wirren Jammer stehen, sondern erhebt sich im Gefühl des Glaubens zum himmlischen Troste.

V. 7. Sie gehen daher wie ein Schemen.Damit wird zunächst der alte Gedanke noch fortgesetzt: die Menschen sind wie wesenlose Schatten, haben keine feste Existenz. Damit sagt David vom einzelnen Menschen, was Paulus auf die ganze Welt ausdehnt, wenn er sagt, dass ihre Gestalt vergehe (1. Kor. 7, 31). Er meint also, dass in ihnen nichts festen Bestand habe, weil der Schein von Kraft, der sich für einige Zeit zeigt, bald verfliegt. Wenn er dann noch hinzusetzt, dass sie sich viel vergebliche Unruhe machen, so ist dies der höchste Grad der Eitelkeit. So stellt er uns die Menschen vor Augen, wie sie dazu geboren scheinen, sich doppelt lächerlich zu gebärden. Erstlich sind sie fast nichts als Schatten, - und dann mühen sie sich noch in ihren törichten, ja unsinnigen Sorgen ab. Noch handgreiflicher beschreibt der nächste Satz ihren Wahnsinn: sie sammeln, und wissen nicht, wer es einnehmen wird.Sie denken nicht daran, wie schnell sie vielleicht hinweg müssen. Denn wozu würden sie sich so zerreißen, wenn sie nicht eben meinten, gar nicht genug bekommen zu können? Mit ihrer unersättlichen Begierde wollen sie alle Schätze der Welt verschlingen, als könnten sie hundertmal hundert Jahre leben. Aber David verspottet den Geiz der Menschen hier nicht in derselben Weise wie Salomo Pred. 5, 9. Er deutet nicht bloß auf die wartenden Erben hin, sondern sagt allgemein, dass die Menschen sich abmühen, während sie doch nicht wissen, wer die Frucht ihrer Arbeit genießen wird. Allerdings wollen sie für sich sorgen, - aber welch ein Unsinn ist es, dass sie sich so jämmerlich mit eitlen Sorgen quälen, die weder Maß noch Ziel haben. David verurteilt also das aufreibende und kopflose Sorgen, durch welches Weltmenschen sich umtreiben lassen, wobei sie Himmel und Erde in Bewegung setzen, ohne zu bedenken, dass sie sterben müssen, und erst recht nicht, dass ihr Leben nur vier Finger breit ist. Das alles sagt David freilich in der unbedachten und verwirrten Erregung seines Gemüts, aber es enthält doch die sachlich richtige und nützliche Lehre, dass man überflüssige Sorgen am besten zähmt und vertreibt, wenn man im Gedächtnis behält, dass unser Lebenslauf gleichsam nur eine Handbreit lang ist.

V. 8. Nun, Herr, wes soll ich mich trösten?Nachdem David bekannt hat, dass er sich durch das Ungestüm seines Geistes hat verwirren lassen, wird er wieder vernünftig und ruhig. So sehen wir vollends deutlich, was ich schon sagte, dass dieser Psalm aus recht verfassten Bitten und unbedachten Klagen zusammengesetzt ist. Ich habe schon gesagt, dass David hier erst recht zu beten beginnt. Dasselbe, was er hier bekennt, fühlen auch die Weltkinder bisweilen, aber die Erkenntnis der eigenen Eitelkeit bringt sie nicht dazu, ihre feste Stütze in Gott zu suchen. Stattdessen machen sie sich vielmehr selbst gefühllos, um sanft in ihrer Eitelkeit zu schlafen. Übrigens sollen wir aus dieser Stelle lernen, dass keiner mit Ernst auf Gott sieht, von ihm abhängt und seine Hoffnungen auf ihn setzt, der nicht von seiner Vergänglichkeit überzeugt und vollständig vernichtet worden ist. Auf dem Worte „nun“ liegt nämlich ein besonderer Nachdruck. David will damit sagen, dass er nunmehr aus den täuschenden Träumen, die den schläfrigen Sinn der Menschen gefangen halten, erwacht sei. Doch ist dies nur ein erster Anfang, über den es hinauszukommen gilt. Es ist nämlich nicht genug, ängstlich zu fragen, was wir zu tun haben, sondern wir müssen auch zugleich an Gott denken und unsere Hoffnung muss auf ihn gerichtet sein. Den Weltkindern nützt es nichts, dass sie sich von ihrem Nichts überzeugen: denn sie bleiben dabei stehen. Wir aber wollen nach dem weiteren Fortschritt trachten, dass wir in unserem Todeszustande uns dem Herrn ausliefern, damit er uns neues Leben schenke: denn es ist sein eigentliches Amt, alles aus dem Nichts zu schaffen. Der Mensch hört erst dann auf, Eitelkeit zu sein, und fängt erst dann an, in Wahrheit etwas zu werden, wenn er, von Gottes Hand erfasst, nach oben strebt.

V. 9. Errette mich von aller meiner Sünde. David fährt fort in seinem frommen und heiligen Gebet. Jetzt lässt er sich durch den Drang seines Schmerzes nicht mehr fortreißen, mit Gott zu hadern; sondern indem er sich demütig bittend als Schuldiger vor Gottes Angesicht stellt, flieht er zu Gottes Erbarmen. Da er bittet, von seinen Sünden erlöst zu werden, so schreibt er dem Herrn das Lob der Gerechtigkeit zu und nimmt die Schuld für das Elend, das er trägt, auf sich. Er klagt sich aber nicht nur einer Sünde an, sondern gesteht, mit vielfacher Schuld belastet zu sein. Und an diese Regel müssen auch wir uns halten, wenn wir Erleichterung in unserem Leiden suchen. Denn so lange die Quelle selbst nicht erschöpft ist, werden aus dem alten Übel immer neue fließen. Sicherlich zielte Davids Gebet auch auf Milderung seiner Leiden; da er jedoch hoffte, dass auch die Sündenstrafe ein Ende gewinnen werde, wenn er nur erst mit Gott ausgesöhnt wäre, bittet er nur um Vergebung seiner Sünden. So mahnt uns Davids Beispiel, nicht bloß um Erleichterung der äußeren Lasten zu bitten, die uns drücken, sondern mit dem tiefsten Grunde den Anfang zu machen und zu bitten, dass Gott uns unsere Sünden nicht anrechne, sondern unsere Schuld von uns nehme. Dass David weiter nicht den Narren d. h. den törichten und nichtsnutzigen Gottesverächtern zum Spott werden will,deutet darauf, dass er nicht ein Gegenstand der Lästerung für die Gottlosen und Verworfenen werden möchte, die in ihrer rasenden Verblendung aus allem einen Anlass zur Verachtung Gottes machen.

V. 10. Ich bin still geworden.Darin liegt ein Tadel Davids gegen sich selbst: denn, wie wir schon hörten, hatte er sich durch den heftigen Schmerz hinreißen lassen, das Schweigen zu brechen. Wenn er nunmehr still geworden ist, so hat er seinen Fehler gebessert. Denn dessen konnte er sich nicht rühmen, dass er immer in gleichmäßiger Geduld geblieben wäre. Vielmehr straft er seine Ungeduld und sagt etwa zu sich: Was machst du? Du hattest dir doch Schweigen auferlegt, und nun murrst du gegen Gott und widersprichst ihm? Was hast du durch diese deine Frechheit erreicht? Diese Stelle enthält eine sehr nützliche Lehre. Denn nichts ist mehr imstande, die ungestümen Erregungen unseres Schmerzes zu zügeln, als der Gedanke, dass wir es nicht mit einem sterblichen Menschen, sondern mit Gott zu tun haben, der seine Gerechtigkeit gegenüber allem heimlichen Murren und unsinnigen Schreien der Menschen unwandelbar aufrechterhält. Woher kommt es, dass der größte Teil der Menschen sich zu solcher Ungeduld fortreißen lässt? Kommt es nicht daher, dass sie nicht bedenken, dass sie mit Gott streiten? Die einen schreiben die Leiden, die sie treffen, dem Zufall zu, andere den Menschen, und unter hundert gibt es kaum einen, der Gottes Hand darin erkennt. David dagegen wendet sich an Gott, um dadurch alle verkehrten und schlechten Auswüchse zu unterdrücken. Und weil alles, was er zu leiden hat, von Gott kommt, so nimmt er sich vor, zu schweigen. Wenn nun David den Druck schwerster Leiden aus Gottes Hand annahm und sich darum Schweigen auferlegte, so wollen wir uns merken, dass es eine der vorzüglichsten Übungen unseres Glaubens ist, wenn wir uns unter die starke Hand Gottes demütigen und bei seinem Gerichte still halten. Übrigens ist zu beachten, dass die Menschen sich nur dann sanftmütig und ruhig dem Herrn unterwerfen, wenn sie überzeugt sind, dass er nicht nur mit unbeschränkter Macht alles tut, was ihm gefällt, sondern auch ein gerechter Richter ist. Denn wenn auch die Gottlosen es fühlen, dass sie durch seine Hand geschlagen werden, so hören sie doch nicht auf, schreckliche Schmähungen gegen ihn auszustoßen, weil sie ihn der Grausamkeit und der Tyrannei beschuldigen. David indessen ehrt in heiliger Scheu Gottes verborgene Gerichte und betet sie an, so dass er mit seinem Willen allein sich zufrieden gibt und es für unrecht hält, ein Wort dagegen zu sprechen.

V. 11 u. 12. Wende deine Plage von mir. David verstärkt seine Bitte: nachdem er Vergebung erlangt hat, möchte er milder behandelt werden. Solche Bitte bedeutet nicht einen Bruch des Schweigens, von welchem David soeben sprach: denn wenn wir unsere Bitten nach Gottes Willen gestalten, sind sie frei von jener Unruhe, die den Zorn Gottes hervorruft, und fließen aus dem Schweigen des Glaubens und Geduld. Es ist ja allerdings wahr: wenn jemand eifrig mit Gott redet, so kann es nicht ausbleiben, dass seine Leidenschaften sich geltend machen, dass er Klagen ausstößt und unmäßigen Eifer zeigt. Aber wir sehen, dass David, während er vor kurzem aufgeregt seine Leiden beweinte, jetzt mit beruhigtem Gemüt überdenkt, was er verdient hat, und um Verzeihung bittet. Der Hauptinhalt seiner Bitte ist, dass Gott die Strafe, die er ihm auferlegt hat, erleichtern möge. Als Grund gibt er an: denn ich bin verschmachtet von der Strafe deiner Hand. Er führt nichts zur Entschuldigung an, um seine Schuld zu verringern, sondern wünscht nur, dass Gott seiner Schwachheit schone. Zuerst sagt er von sich persönlich, dass er verzehrt worden sei, weil er Gottes Hand wider sich fühlte.

Dann aber fügt er den allgemeinen Gedanken hinzu (V. 12), dass, wenn Gott mit uns nach strengem Recht handeln wollte, wir insgesamt unter seinem Zorn zu Grunde gehen müssten. Kein Sterblicher ist so rein und stark, dass ihn nicht Gottes Zorn, wenn er heftiger zu brennen anfängt, ganz und gar aufreiben müsste. Dabei redet David nicht bloß allgemein von der Schrecklichkeit dieses Zorns, sondern sagt: wenn du einen züchtigst um der Sünde willen. Dabei haben wir an Gottes härteste Strafen zu denken, die lediglich Zeugnisse seiner Strenge und seines Zornes sind. Oft züchtigt ja Gott die Gläubigen nur mit Ruten, wobei seine Strafe noch einen Beigeschmack von Erbarmen und Liebe hat: er hält die Strafe in mäßigen Grenzen und würzt sie mit seinem süßen Trost. Hier aber meint David solche väterliche Züchtigung nicht, sondern das gerechte Gericht, mit welchem Gott als unerbittlicher Richter nach Verdienst die Verworfenen trifft. Unter dieser Strenge müssten alle Sterblichen sofort vergehen oder verzehrt werden wie von Motten. Dieser Ausdruck erscheint freilich auf den ersten Blick befremdlich. Wie lässt sich Gottes Majestät mit einem Wurm vergleichen? Und doch ist der Vergleich ganz besonders passend. Er erinnert uns, dass Gott nicht immer aus seinem Himmel sichtbare Blitze schleudert, dass er aber mit verborgen schleichendem Fluch die Verworfenen aufzehrt, wie die Motte mit ihrem Fraß die kostbarsten Gewänder zerstört. So treffen die Gleichnisse der Schrift die Sache immer aufs Beste. Wenn z. B. Hiskia (Jes. 38, 13) den Herrn mit einem Löwen vergleicht, so wählt er den Ausdruck in genauer Rücksicht auf seine persönliche Empfindung: denn vor Gottes Angriff erschrak er, wie man in tödlichem Schrecken angesichts eines Raubtiers zu Boden stürzt. Sehr passend wiederholt David dann: wie gar nichts sind alle Menschen! Denn erst, wenn Gottes Hand uns niedergeworfen hat, gehen wir in uns, und die Erkenntnis unserer Nichtigkeit treibt das falsche Selbstvertrauen aus. Woher kommt es, dass alle Menschen in einer so törichten Selbstgefälligkeit dahinleben und sich selbst noch Beifall klatschen? Kommt es nicht daher, dass sie mutwillig gegen ihre eigenen Schwachheiten die Augen verschließen, so lange Gott ihrer schont? Das einzige Mittel, uns von unserem Hochmut zu befreien, ist, dass Gott uns seinen Zorn fühlen lässt und uns dadurch erschreckt. Dann fangen wir an, nicht nur uns selbst zu missfallen, sondern uns ganz und gar zu demütigen.

V. 13. Höre mein Gebet. Stufenweise steigert David seine Inbrunst beim Beten; denn an zweiter Stelle spricht er von seinem Schreien und an dritter von seinen Tränen.Es ist dieses aber keine rednerische Steigerung, die nur dazu dient, die Rede zu schmücken, sondern David weint aufrichtig und von Herzen, und damit schreibt er uns allen eine Regel fürs Beten vor. Wenn er sich einen Fremdling und Beisassen nennt, so zeigt er mit diesen Worten aufs Neue, wie elend seine Lage war. Ausdrücklich setzt er hinzu: vor dir.Das soll nicht nur bedeuten, dass alle Menschen von Gott entfremdet sind, so lange sie auf Erden wohnen, sondern der Ausdruck hat den gleichen Sinn wie der frühere: mein Leben ist wie nichts „vor dir“. Vor Gott liegt es klar und offen zutage, auch ohne dass ihn jemand erinnert, wie kurz der Menschen Erdenwandel ist, und dass sie nur wie Gäste eine kleine Zeit hier verweilen. Alles in allem: Gott sieht vom Himmel her, wie elend unsere Lage ist, aus der nur seine Barmherzigkeit uns helfen kann.

V. 14. Lass ab von mir usw. David bittet, dass ihm für kurze Zeit Erleichterung gewährt werde, damit er seine Kräfte wiedererlange oder wenigstens vor seinem Sterben noch einmal aufatmen könne. Übrigens verraten diese Schlussworte wieder etwas von der Unruhe des Fleisches: David scheint mit Gott zu hadern; wenn er um eine ruhige Zeit zum Sterben bittet, redet er wie ein Mensch, der im Überdruss schon alle Hoffnung hat fahren lassen. Er hat allerdings darin Recht, dass er eingesteht, er dürfe so lange nicht auf Erlösung hoffen, als Gott seinen Zorn nicht zurückgezogen habe. Dagegen hat er Unrecht, wenn er nur um Ruhe zum Sterben bittet. Man könnte allerdings diesen Wunsch dann entschuldigen, wenn er damit sagen wollte: Herr, wenn du fortfährst, so gegen mich zu wüten, so muss ich notwendig elend zu Grunde gehen, gib mir daher einen Augenblick Zeit, damit ich meine Seele ruhig in deine Hände befehlen kann. Aber aus den Worten, die er gebraucht, ist leicht zu schließen, dass sein Gemüt von der Bitterkeit des Schmerzes so angegriffen war, dass er gar keine reine und mit der Süßigkeit des Glaubens gewürzte Bitte aussprechen konnte. Er sagt nämlich: ehe ich hinfahre und nicht mehr hier sei.Diese Redewendung grenzt nahe an Verzweiflung. Nicht als ob David gemeint hätte, dass der Tod ein völliger Untergang sei, oder als ob er die Hoffnung auf Erlösung aufgegeben und sich als ein Kind des Verderbens betrachtet hätte, - aber weil der Schmerz ihn gefangen nahm, so konnte er seinen Geist nicht so freudig erheben, wie es sich gebührte. Dieser Gedanke kehrt auch in den Klagen Hiobs oft wieder. Man muss daher annehmen, dass, wenn David auch die Leidenschaften seines Fleisches zügelte, doch immer noch einige Unruhe bei ihm übrig geblieben war, so dass er in seinem Schmerz über das richtige Maß hinausging.

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