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Calvin, Jean - Psalm 32.

Calvin, Jean - Psalm 32.

Inhaltsangabe: David hatte es gründlich und ernstlich erfahren, welch ein Elend es ist, wenn Gottes Hand schwer auf uns lastet, weil er uns wegen unserer Sünden zürnt. Deshalb ruft er aus, dass es die erste, ja die einzige Bedingung für ein glückliches Leben sei, dass Gott den Menschen von der Sünde befreit und sich aus Gnaden mit ihm versöhnt. Nachdem er dann für die Vergebung, die er bekommen hat, gedankt, lädt er die anderen zur Teilnahme an diesem Glücke ein, indem er an seinem Beispiel zeigt, wie sie hierzu gelangen können.

Die Überschrift deutet schon den Inhalt dieses Psalms an. David hatte lange Zeit furchtbar gelitten, weil Gott ihn hart quälte, um ihm seinen Zorn zu zeigen. Als er darauf Gnade erlangt hatte, macht er seine Erfahrung der ganzen Gemeinde nutzbar, um sich selbst und andere über dieses wichtige Stück des Heilswegs zu belehren. Alle Sterblichen, die nicht fest davon überzeugt sind, dass Gott ihnen gnädig ist, müssen entweder elend zittern oder, was noch schlimmer ist, sie vergessen sich selbst und Gott und leben in einer todbringenden Gefühllosigkeit dahin. Daher lehrt David uns, dass das Glück allein auf der gnädigen Vergebung der Sünden beruht. Denn es gibt nichts Traurigeres, als Gott zum Feinde zu haben. Gott ist uns aber nur dann gnädig, wenn er in väterlicher Nachsicht uns unsere Sünden verzeiht.

V. 1. Wohl dem, dem die Übertretungen vergeben sind. Dieser Ausruf entspringt sowohl einem brennenden Herzenstriebe wie ernstlicher Überlegung. Fast die ganze Welt hat ihre Gedanken von dem gerechten Gott abgewandt. Sie haben sich in ein todbringendes Vergessen gewiegt und berauschen sich an falschen Ergötzungen. David war dagegen von Furcht vor dem Zorn Gottes erschüttert und dadurch getrieben worden, Gott um Erbarmen anzuflehen. Deshalb sucht er auch die anderen mit klarer und deutlicher Stimme aufzuwecken, indem er ihnen verkündigt, dass nur solche Leute glücklich sind, die mit Gott versöhnt sind: denn nur sie erkennt der Herr als seine Kinder an, obgleich er ihnen mit Recht falsch sein könnte. Wenn nun auch Heuchelei und Hochmut die einen und die grobe Verachtung die anderen blind macht, so dass sie gar keine Sorge tragen, Vergebung zu erlangen, so gestehen doch alle ein, dass sie Vergebung nötig haben. Es gibt tatsächlich keinen einzigen Menschen, den sein Gewissen nicht vor Gottes Richterstuhl anklagte und tief beunruhigte. Die Natur treibt also schon die Weltleute zu dem Bekenntnis, dass bei der allgemeinen menschlichen Unvollkommenheit jedermann Vergebung nötig hat, und dass unsere Sache nur dann wirklich gut stehen kann, wenn Gott unsere Sünden vergibt. Aber zugleich macht die Heuchelei viele blind und ebenso lassen sich viele durch falsche fleischliche Sicherheit einschläfern, so dass sie entweder gar keinen oder doch nur einen schwachen Eindruck von Gottes Zorn bekommen. Dabei verfallen sie dann in einen doppelten Irrtum. Einmal verringern sie alle ihre Sünden, da sie nicht einmal die geringste Erkenntnis davon haben, wie sehr sie dem Herrn verpflichtet sind; dann erdichten sie sich nichtige Sühnemittel, um sich durch dieselben von der Schuld frei zu machen; endlich wollen sie sich die Gnade erkaufen. So hat zu allen Zeiten allgemein die Ansicht gegolten, dass wenn auch ein jeder seine Fehler habe, er doch anderseits mit Tugenden geziert sei, die ihm Gnade vor Gott verschaffen; ferner dass, wenn man auch den Herrn durch allerlei Vergehungen zum Zorn gereizt hat, doch auch wieder Sühnemittel und Genugtuungen zur Hand seien, durch die man sich reinigen könne. Diese Irrlehren des Satans herrschen zu gleicher Zeit bei den Papisten, den Türken, den Juden und den anderen Völkern. Wie gesagt, wird jeder Papist, den nicht ein ganz rasender Wahnsinn treibt, diesen Satz gelten lassen, dass alle Menschen unglücklich sind, wenn Gott ihnen nicht verzeiht und seine Gnade zuwendet. Aber David geht weiter. Er unterstellt das ganze Leben dem Zorn und Fluch Gottes, es sei denn, dass Gott sich herablässt, den Menschen aus reiner Gnade anzunehmen. Diese Wahrheit hat uns derselbe Geist, der hier durch David redet, durch den Mund des Apostels Paulus (Röm. 4, 6 ff.) noch deutlicher erklärt und bezeugt. Ohne die Anwendung, die Paulus dort von unserem Spruche macht, wäre nicht leicht ein Leser zum wirklichen Verständnis dessen durchgedrungen, was der heilige Sänger meint. Denn auch die Papisten singen in ihren Tempeln: „Wohl dem, dem die Übertretungen vergeben sind und die Sünde bedeckt ist.“ Aber sie sehen dies als eine allgemeine Redensart an, die wenig Bedeutung hat. Paulus dagegen erkennt darin eine vollständige Beschreibung der Glaubensgerechtigkeit, - als hätte der Prophet gesagt, dass die Menschen erst dann glücklich seien, wenn Gott sich mit ihnen aus Gnaden versöhne und sie für gerecht erkläre. Diese Seligpreisung, die David ausspricht, hebt alle Verdienste der Menschen auf und stößt die ganze Werkgerechtigkeit um; denn die Annahme einer teilweisen Gerechtigkeit, womit die Papisten und andere sich täuschen, ist leeres Geschwätz. Selbst unter den Heiden, die des Lichtes der himmlischen Weisheit entbehren, ist nicht leicht einer vermessen genug, sich eine vollkommene Gerechtigkeit anzumaßen. Das bezeugen die Sühnungen, Waschungen und andere Mittel, die angewandt werden, um Gott zu versöhnen, die zu allen Zeiten und bei allen Völkern in Gebrauch waren. Aber dessen ungeachtet tragen sie kein Bedenken, Gott ihre Tugenden vorzuhalten, gleich als hätten sie einen großen Teil ihrer Seligkeit sich selbst erworben. David schreibt jedoch eine ganz andere Ordnung vor: wer Seligkeit sucht, soll als obersten Grundsatz festhalten, dass Gott nur durch freie Vergebung uns geneigt werden kann und dass er solchen seine Gunst zuwendet, die das ewige Verderben verdient haben. So verkündet David mit Recht, dass alle Sterblichen gänzlich elend und verflucht sein müssten, wenn Gott nicht Gnade walten ließe. Denn da alle, so lange sie nicht von neuem geboren worden sind, von Natur zum Bösen getrieben werden, so steht es fest, dass ihr ganzes Leben Gott verhasst und ein Gräuel ist. Ja selbst die Wiedergeborenen würden von der Seligkeit ausgeschlossen sein, wenn sie sich dieselbe mit ihren Werken verdienen müssten, da kein Werk der Menschen vor Gott ohne Vergebung Gefallen finden kann. Es würde ihnen also sicherlich nichts übrig bleiben, als ängstlich zu zittern. Den Papisten erscheint es hart, dass die Werke der Heiligen, weil sie mit Fehlern behaftet sind, keinen Lohn verdienen sollen. Aber dadurch bezeugen sie nur ihre grobe Unwissenheit, da sie Gottes Gericht, vor dem der Glanz der Sterne erbleicht, nach ihren Gefühlen messen. Diese Lehre muss daher feststehen: da wir nur durch die Vergebung der Sünden aus Gnaden gerecht vor Gott gerechnet werden, so ist es sicher, dass dieses die Tür zur ewigen Seligkeit ist. Daher sind nur die glücklich, die sich auf Gottes Gnade verlassen. Denn, wie schon bemerkt, ist der Gegensatz wohl zu beachten zwischen den Gläubigen, die Vergebung ihrer Sünden bekommen haben und ruhig auf Gottes Gnade vertrauen, - und allen anderen, die es unterlassen haben, sich zu diesem Bergungsort der Gnade zu flüchten. Wenn David dreimal dasselbe sagt, so ist das keine unnötige Wiederholung. An und für sich ist es ja deutlich genug, dass der Mensch glücklich ist, dem die Sünde erlassen ist. Aber die Erfahrung lehrt, wie schwer es hält, die Menschen hiervon so zu überzeugen, dass es fest in ihren Herzen hafte. Ein großer Teil der Menschen lebt, wie schon gesagt, so dem Vergnügen, dass sie, so viel es in ihrer Macht steht, alle Gewissensangst und alle Furcht vor dem Zorne Gottes von sich fern zu halten suchen. Und wenn sie auch wünschen, dass Gott ihnen geneigt sei, so fliehen sie doch mehr vor seinem Angesicht, als dass sie mit lauterem Herzen nach seiner Gnade verlangten. Leute dagegen, die Gott in Wahrheit erweckt hat, und die infolgedessen ein lebendiges Gefühl ihres Elends bekommen haben, sind immer in Unruhe, so dass es schwer hält, ihre Herzen zu beruhigen. Sie schmecken zwar Gottes Gnade, aber bei den Anfechtungen, die immer aufs Neue auf sie losstürmen, erschrecken sie und schwanken. Aus diesen beiden Gründen wendet David so viele Worte an, um die Vergebung der Sünden zu bezeugen. Er will dadurch die Schlafenden aufwecken, die Sicheren in Unruhe bringen, die Gefühllosen aufrütteln; und zweitens will er die zitternden und ängstlichen Herzen durch gewisse und beständige Zuversicht beruhigen. Den Ersteren will er durch seine Belehrung zurufen: Was wollt ihr Elenden tun, wenn weder der eine noch der andere Ruf Gottes euch aufweckt? wenn alle Aufdeckung eurer Sünde nicht hinreicht, um euch Furcht einzuflößen? Wie verkehrt ist es doch, dass ihr so sicher weiter schlaft, während eine solch gewaltige Schuld auf euch lastet! Für die Schwachen und Zitternden dagegen ist diese Wiederholung ein großer Trost und eine große Stärkung. Denn da die Zweifel sich immer wieder aufs Neue regen, so würde es nicht genügen, nur in einem Kampfe gesiegt zu haben. Damit sie also nicht bei den mannigfachen Anfechtungen, durch die sie beunruhigt werden, in Verzweiflung geraten, bezeugt und bekräftigt der heilige Geist die Vergebung der Sünden durch viele Worte. – Endlich wollen wir noch genauer erwägen, was es eigentlich für Leute sind, die an der beschriebenen Seligkeit teilhaben. Lehrreich dafür wird es sein, auf die Zeit zu achten, in welcher David den Psalm dichtete. Wenn David sagen kann, dass er allein durch Gottes Barmherzigkeit sich selig fühle, so steht er gewiss nicht außerhalb der Gemeinde des Herrn: vielmehr zeichnete er sich vor anderen durch Furcht und Verehrung Gottes sowie durch Heiligkeit des Lebens aus, auch lag er fleißig allen Pflichten der Frömmigkeit ob. Nach allen diesen Fortschritten aber hatte er in Gottes Schule so viel gelernt, dass er Anfang und Ende, kurz den ganzen Bestand seines Heils in die Versöhnung mit Gott durch freie Gnade setzte. Und nicht umsonst lässt Zacharias in seinem Lobgesang (Lk. 1, 77) die Erkenntnis des Heils darin bestehen, dass man Vergebung der Sünden hat. Auch ein Mensch, der es schon weit in der Heiligung gebracht hat, muss sich also sagen, dass er von vollkommener Gerechtigkeit noch weit entfernt ist: sein Vertrauen soll er auf nichts anderes setzen als auf Gottes Erbarmen. Daraus geht hervor, dass diejenigen sich in einem großen Irrtum befinden, die in der Vergebung der Sünden nur den Anfang der Gerechtigkeit sehen. Denn da die Gläubigen sich täglich viele Vergehungen zur Schulden kommen lassen, so würde es ihnen nichts nützen, dass sie einmal Vergebung erlangt haben, wenn diese Gnade sie nicht bis ans Ende ihres Lebens begleitete. Sollte jemand entgegnen, dass an anderen Stellen diejenigen glücklich gepriesen werden, die den Herrn fürchten, die auf seinen Wegen wandeln, die reinen Herzens sind usw., so ist hierauf leicht zu antworten: die vollkommene Gottesfurcht, die Beobachtung des Gesetzes, die Reinheit des Herzens und was die Schrift sonst als Glück preist, ist durchaus auf die gnädige Gunst Gottes gegründet, durch die er sich mit uns versöhnt.

V. 2. In des Geist kein Falsch ist. Dieser Zusatz unterscheidet die Gläubigen von den Heuchlern und den gleichgültigen Verächtern, welche beide Arten von Menschen sich nicht um dieses Glück kümmern, noch es bekommen können. Die Übeltäter haben zwar ein schlechtes Gewissen, aber sie gefallen sich in ihrem Schmutze, verhärten sich zur Unverschämtheit und spotten über die Drohungen, oder sie schmeicheln sich mit falschen Hoffnungen, um nicht gezwungen zu werden, vor Gottes Angesicht zu treten. Wenn sie daher auch noch so sehr durch das Gefühl ihres Elends gequält werden, so ersticken sie doch alle Furcht durch ein sündhaftes Vergessen. Die Heuchler dagegen suchen, wenn einmal ihr Gewissen sie beißt, ihren Schmerz mit eitlen Hilfsmitteln zu lindern. Ruft Gott sie vor seinen Richterstuhl, so erscheinen sie zur Verantwortung mit Larven vor dem Gesicht, niemals fehlt es ihnen an Hüllen, die dem Licht den Zutritt zum Herzen wehren. Alle diese Leute hindert eine innere Falschheit, ihr Glück in Gottes väterlicher Liebe zu suchen. Ja viele von ihnen sind sogar frech gegen Gott und so aufgeblasen von stolzem Selbstvertrauen, dass sie sich für glücklich halten, obgleich sie Gott zum Feinde haben. David gibt also zu verstehen, dass niemand empfinden könne, was die Vergebung der Sünden wert ist, der nicht zuvor aus seinem Herzen alle Falschheit tilgt. Wer sich daher vor Gott nicht prüft, sondern vielmehr sein Gericht flieht und sich im Dunkeln verbirgt oder sich mit Feigenblättern deckt, der handelt falsch gegen Gott und gegen sich selbst. Es ist also nicht zu verwundern, wenn solche Leute ihre Übel nicht fühlen und das Heilmittel verachten. Diese zwei Arten der Falschheit, die ich beschrieben habe, sind wohl zu beachten. Wenn sich nun viele Menschen vielleicht auch nicht so verhärten, dass sie gar keine Furcht und kein Verlangen nach Gnade empfänden, so raffen sie sich doch nicht auf noch lassen sie sich ernstlich treiben, Vergebung zu suchen. Das ist der Grund, weshalb sie es nicht fassen, welch ein unschätzbares Glück es ist, wenn man einen gnädigen Gott hat. So stand es eine Zeitlang auch mit David. Eine falsche Sicherheit hatte sich seiner bemächtigt, und diese hatte seinen Geist so umnebelt, dass er sich nicht emporraffte, um nach diesem Glück zu trachten. An dieser Krankheit leiden die Heiligen häufig. Wollen wir also dieses Glückes, das David uns hier anpreist, teilhaftig werden, so müssen wir ernstlich Sorge tragen, dass Satan nicht durch seine Trügereien unser Herz gefangen nehme und uns das Gefühl unseres Elends raube. Alle, die solche Schlupfwinkel aufsuchen, müssen zu Grunde gehen.

V. 3. Denn da ich es wollte verschweigen usw. Jetzt beweist David den aufgestellten Satz durch seine eigene Erfahrung. Erst als er durch Gottes Hand sich demütigen ließ, merkte er, dass es das Traurigste ist, wenn der Herr seine Gnade von uns abwendet. Diese Worte lassen ersehen, dass wir die Lehre von der Sündenvergebung nicht eher richtig auffassen werden, als bis uns Gott durch die Empfindung seines Zorns erschüttert hat. David redet aber nicht von einer bloß mäßigen Prüfung, sondern berichtet, dass er unter härtestem Druck vollständig darniederlag. Und fürwahr, es ist wunderbar, wie träge und gefühllos unser Fleisch in dieser Beziehung ist; deshalb werden wir, wenn wir nicht hart angefasst werden, uns nie beeilen, Versöhnung mit Gott zu suchen. Kurz, der heilige Sänger lehrt uns durch sein Beispiel, dass wir unter dem Druck schwerer innerer Prüfungen fühlen, wie schrecklich Gottes Zorn ist. David schildert uns, wie in jedem Falle seine Gebeine verschmachteten, also seine Lebenskraft gänzlich verwelkt schien, mochte er nun überhaupt schweigen oder durch Heulen und Schreien sich seines Schmerzes zu entledigen trachten. Mag also der Sünder sich wenden, wohin er will, und Gemütsregungen in sich hervorrufen, welche er mag, - er wird sein Übel nicht abschütteln und überhaupt nichts erreichen, so lange er keine Gnade bei Gott gefunden hat. Denn es kommt ja oft vor, dass Menschen, die sich aufbäumen, in große Trauer versinken; und wenn sie auch ihren Schmerz innerlich unterdrücken, so geraten sie doch nachher ganz außer Fassung; denn der Schmerz bricht mit umso größerer Macht hervor, je länger er zurückgehalten war. Das „Schweigen“, von welchem David redet, bezeichnet keine Unempfindlichkeit und Stumpfheit, sondern eine Gemütsstimmung, welche die Mitte hält zwischen Geduld und Hartnäckigkeit, und dem Laster und der Tugend gleich verwandt ist, denn seine Gebeine wären nicht wie bei einem Greise verdorrt, wenn er nicht innerlich hart gequält worden wäre. Und doch war es nicht das Schweigen der Hoffnung oder des Gehorsams, da es dem Elenden gar keinen Trost brachte.

V. 4. Denn deine Hand war Tag und Nacht schwer auf mir. In diesem Verse erklärt David noch deutlicher, wodurch diese große Trauer verursacht wurde. Er fühlte es nämlich, dass Gottes Hand wider ihn war. Das ist aber das größte aller Leiden, wenn Gottes Hand den Sünder so drückt, dass er fühlen muss, wie er mit einem Richter zu tun hat, dessen Zorn und Ernst außer dem ewigen Tode unzählige Tode in sich schließt. Wenn David klagt, dass sein Saft vertrocknet sei, so ist das nicht eine einfache Folge seiner Leiden, sondern eine Folge der Erkenntnis der Ursache und der Quelle derselben. Denn wenn Gott als Richter erscheint und seinen Zorn zeigt, um die Menschen zu demütigen und niederzuwerfen, so bricht ihre ganze Kraft zusammen. Dann geht die Weissagung des Jesaja (40, 7) in Erfüllung: „Das Gras verdorrt, die Blume verwelkt, denn des Herrn Geist bläst drein.“ David will aber sagen, dass es keine gewöhnliche Züchtigung war, durch die er lernte, in Wahrheit Gottes Zorn zu fürchten. Gottes Hand lag Tag und Nacht schwer auf ihm und ließ nicht von ihm ab. Sicherlich war er schon von Jugend an sowohl durch geheime Einwirkung des heiligen Geistes als durch Belehrung zur Furcht Gottes und zur Frömmigkeit erzogen worden. Und doch genügten diese Anfangsgründe, die er gelernt hatte, noch nicht, um diese Weisheit zu fassen. Er musste wie ein Neuling gleichsam wieder von vorn anfangen. Ja, wenngleich er schon durch lange Übung daran gewöhnt war, seine Sünden zu beseufzen, so musste er sich doch wiederum aufs Neue langen Prüfungen unterwerfen. Daraus kann man schließen, wie spät die Menschen zur Buße kommen, wenn sie einmal gefallen sind, und wie langsam sie sind zum Gehorchen. Gott muss sie immer wieder aufs Neue schlagen, und zwar immer stärker und stärker. Sollte jemand fragen, ob David sich gegen die Schläge verhärtet habe, obgleich er wusste, dass Gott sie ihm erteilte, so gibt der Zusammenhang eine Antwort auf diese Frage. Wir sehen nämlich, dass er von dumpfem Schmerze beherrscht war und durch lang dauernde Qualen hin und her gezerrt wurde, bis er recht demütig wurde. Das muss der Anfang sein, wenn jemand dahin kommen soll, ein Heilmittel zu suchen. Hieraus schließen wir wiederum, dass Gott seine Züchtigungen, womit er gegen uns zu wüten scheint, nicht ohne Grund erneuert, und dass er nicht umsonst seine Hand schwer auf uns legt, bis unser Trotz gebrochen ist. Wir wissen ja, dass der Mensch sich erst dann beugt, wenn er durch die härtesten Schläge dazu gezwungen wird.

V. 5. Darum bekannte ich dir meine Sünde. Nun beschreibt der heilige Sänger das Ende seines Elends, um damit allen zu zeigen, wie sie des Glücks, von dem er sprach, teilhaftig werden können. Als das Gefühl des göttlichen Zorns ihn unglücklich machte und ängstigte, brachte nur dieses ihm Erleichterung, dass er sich freimütig vor Gott verdammte und demütig um Verzeihung bat. Er sagt aber nicht nur einfach, dass er an seine Sünde gedacht habe. Das war auch bei Kain und Judas der Fall, indes brachte es keinen Erfolg. Denn wenn die Verworfenen Gewissensbisse haben, so hören sie nicht auf, sich selbst zu zerfleischen und gegen Gott zu schnauben. Und wenn Gott sie auch wider ihren Willen vor sein Gericht zieht, so wünschen sie doch, sich vor ihm zu verbergen. Aber hier wird uns eine ganz andere Art von Sündenerkenntnis beschrieben: der Sünder kommt aus eigenem Antrieb zu Gott, da er das Heil nicht mehr von hartnäckigem Widerstreben noch von heuchlerischem Gebaren erwartet, sondern von der Bitte um Vergebung der Sünden. Dieses freiwillige Bekenntnis ist stets mit dem Glauben verbunden, während der Sünder sonst immer Schlupfwinkel sucht, um dem Angesichte Gottes zu entfliehen. Auch zeigen die Worte Davids deutlich, dass er sich aufrichtig und von Herzen unter Gottes Augen gestellt hat, um nichts zu verheimlichen. Das zweite Glied: und verhehlte meine Missetat nicht – dient zur Verstärkung des ersten. Nun dürfen wir vollends nicht mehr zweifeln, dass David, als er sich vor Gottes Angesicht stellte, alle seine Gedanken rückhaltlos aussprach. Man weiß ja, dass die Heuchler ihre Sünden zu verkleinern suchen, falsche Entschuldigungen hervorbringen, Ausflüchte suchen und nie ein offenes und freies Bekenntnis ablegen. David erklärt dagegen, dass er von dieser Schlechtigkeit ganz frei gewesen sei, da er dem Herrn ohne Verstellung alles offenbart habe, was ihn drückte. Dies bestätigt auch die weitere Versicherung: Ich sprach d. h. ich sagte zu mir selbst, überlegte mir. Während die Verworfenen förmlich herbeigezogen werden müssen, wie ein Richter Verbrecher zur Verantwortung zieht, kann David bezeugen, dass er aus freien Stücken und mit williger Ehrfurcht im Herzen gekommen sei. Er versprach sich eben von Gottes Barmherzigkeit Verzeihung: darum brauchte kein Schrecken einem freien Bekenntnis den Weg zu verschließen. So bekannte er freimütig seine Übertretungen, verzichtete auf alle Winkelzüge, mit denen die Menschen sich gewöhnlich zu entlasten suchen, und unterwarf sich ganz dem Urteil Gottes: er verdammte sich selbst und gewann dadurch Verzeihung.

Da vergabst du mir die Missetat. Welch ein Gegensatz zu den mühseligen und harten Kämpfen, mit denen David gequält wurde, bevor er Gottes Gnade im Glauben ergriff! Übrigens lehren uns diese Worte, dass für die Sünder zu jeder Zeit, wenn sie sich mit offenem Bekenntnis dem Herrn übergeben, die Versöhnung bereit liegt. Denn David verkündigt nicht, dass Gott nur für ihn allein zur Versöhnung geneigt sei, sondern er zieht aus dem, was er erfahren hat, eine Lehre für alle, damit Menschen, die unter ihrer Last seufzen, nicht daran zweifeln, dass Gott ihnen gewogen sei, wenn sie sich geradeswegs und mit Freudigkeit zu ihm begeben. Sollte jemand hieraus folgern wollen, dass die Buße und das Bekenntnis der Grund gewesen sei, um dessen willen David Gnade erlangte, so ist dies leicht zu widerlegen: nicht von dem bestimmenden Grunde, sondern von der Art und Weise, in welcher die Aussöhnung des Sünders mit Gott erfolgt, ist hier die Rede. Wie bedeutsam dafür auch das Bekenntnis der Sünder ist, so muss unser Nachdenken doch noch tiefer eindringen: der Glaube, der unsere Herzen öffnet und die Zunge entbindet, ist es, der auch die Vergebung erlangt. Man darf also nicht eine unerlässliche Begleiterscheinung – hier das Bekenntnis - mit dem Grunde einer Sache verwechseln. Um es auch für ein einfältiges Verständnis deutlich zu sagen: David erlangte durch sein Bekenntnis Vergebung, - nicht weil er sie wie durch eine Leistung verdiente, sondern weil ihn sein Glaube trieb, seinen Richter demütig um Vergebung zu bitten.

V. 6. Um deswillen werden alle Heiligen usw. Was David bis jetzt von seiner eigenen Erfahrung sagte, dehnt er nun ausdrücklich auf alle Kinder Gottes aus. Das wollen wir uns wohl einprägen: denn nur zu viele Menschen verschließen durch ihr angeborenes Misstrauen der Gnade Gottes missgünstig den Zutritt. David steht als ein leuchtendes Beispiel der göttlichen Gnade da, welches für uns alle gilt und uns zugleich lehrt, auf welche Weise man die Versöhnung erlangt. Welch ein Trost, dass ausdrücklich auf „alle“ Heiligen hingewiesen wird! Da aber alle ohne Ausnahme auf Barmherzigkeit angewiesen sind, so sehen wir auch, dass niemand auf Rettung hoffen darf, der sich nicht in demütigem Gebet vor Gott auf die Knie wirft.

Zur rechten Zeit, buchstäblich „zur Zeit des Findens“. Dabei darf man nicht an die regelmäßigen Gebetszeiten denken, sondern besser etwa an den Spruch (Jes. 55, 6): „Suchet den Herrn, so lange er zu finden ist; ruft ihn an, so lange er nahe ist.“ Allerdings ist es immer gelegene Zeit, Gott zu suchen, da wir jeden Augenblick seiner Gnade bedürfen und er uns auch selbst aus freien Stücken entgegenkommt. Weil wir uns aber durch Trägheit und Gleichgültigkeit hindern lassen, Gott zu suchen, versteht David unter der Zeit, da man ihn wirklich findet, eine solche, in der die Not die Gläubigen zum Gebet treibt. – Wenn große Wasserfluten kommen usw. Diese Stelle stimmt überein mit der Weissagung des Joel (3, 5): „Wer des Herrn Namen anrufen wird, der soll errettet werden.“ Der Sinn ist, dass selbst dann, wenn tiefe Schlünde des Todes uns von allen Seiten umgeben, wir uns doch nicht zu fürchten brauchen, dass sie uns verschlingen werden, wenn wir uns im Glauben zu Gottes Erbarmen flüchten. Der Dichter gebraucht hier ein großartiges Bild, um zu zeigen, dass die Gläubigen selbst im Tode sicher gerettet werden, wenn sie nur Gottes Gnade als ihren Zufluchtsort benützen. Denn als „Wasserfluten“ werden alle Gefahren bezeichnet, aus denen eine Errettung unmöglich erscheint.

V. 7. Endlich wendet sich David zur Danksagung. So kurz dieser Lobpreis der Gnade ist, so kräftig lautet er: Du bist mein Schirm. David kennt also keinen anderen Rettungshafen als den Herrn selbst. Sodann verspricht er sich auch für die Zukunft treuen Schutz von seinem Gott: Du wirst mich vor Angst behüten. Denn ich kann es nicht für richtig halten, den Satz in der Form der Gegenwart zu geben, wie manche Ausleger tun. Übrigens wird David nicht wähnen, dass er in Zukunft von aller Angst verschont bleiben werde: aber er setzt wider dieselbe Gottes Schutz. Zuletzt bekräftigt er noch einmal, dass in jedem denkbaren Unglück der Herr sein Befreier sein werde. Denn dass er ihn umgeben wird, deutet auf immer wiederholte und mannigfaltige Rettungstaten. David will sagen, dass Gott ihm unerschöpflichen Anlass zum Dank und Lob geben werde. Und um auszudrücken, dass er nach gewohnter Weise seine Dankespflicht tatsächlich erstatten werde, spricht er nicht einfach von Rettung, sondern gleich schon von Rettungsjubel.

V. 8. Ich will dich unterweisen. Um an Nachdruck zu gewinnen, wendet sich die Rede an jeden einzelnen. Dringt doch eine Mahnung tiefer in das Herz, wenn sie ein jeder auf sich persönlich anwenden kann. Da nun hier der für alle Kinder Gottes gültige Heilsweg gezeigt wird, müssen wir uns hüten, davon auch nur im Geringsten abzuweichen. Auch dies wollen wir aus unserer Stelle lernen, dass wir mit der Versöhnung, die Gott uns gewährt, die Pflicht überkommen, auch den Brüdern die gleiche Wohltat zuzuleiten. Wie fürsorglich David diese Pflicht erfüllte, zeigt seine Anrede an den Bruder: ich will dich mit meinen Augen leiten. Dabei ist festzuhalten, dass wir solche Leute, die in dieser Weise sich für unser Heil mühen, als von Gott bestellte Führer auf dem Wege schätzen sollen. Und dass der Herr sie uns schenkt, ist ein Zeichen seiner väterlichen Fürsorge.

V. 9. Seid nicht wie Rosse usw. Damit gibt David in Kürze den Inhalt der Belehrung an, die er seinen Brüdern erteilen will: er will sie alle ermahnen, sich sanftmütig weisen zu lassen; sie sollen das widerspenstige Wesen fahren lassen und einen nachgiebigen Geist beweisen. Es ist dieses ein kluger Rat, den er hier gibt, wenn er die Frommen ermahnt, ihren harten Sinn zu erweichen. Denn würden sie so, wie es sich ziemt, achtgeben auf die Züchtigungen Gottes, so würden alle sich um die Wette beeilen, Gottes Gnade zu suchen. Kommt nicht die große Trägheit, die sich bei allen findet, daher, dass wir zugleich gefühllos und störrisch sind? David vergleicht alle Widerspenstigen mit vernunftlosen Tieren. Das tut er, um sie zu beschämen. Aber zugleich verkündigt er auch, dass sie dadurch, dass sie wider den Stachel löcken, nichts erreichen werden. Er sagt: Die Menschen verstehen es, die Wildheit der Pferde durch Zügel und Brechzaum zu brechen, - und was meinen sie nun selbst, dass Gott tun werde, wenn er sie unlenksam findet?

V. 10. Der Gottlose hat viel Plage. Jetzt verkündet David ohne Bild, welches Geschick die Aufrührer und Widerspenstigen erwartet. Hatte er soeben gesagt, dass Gott Zügel und Brechzaum habe, um ihre Frechheit zu bändigen, so fügt er jetzt hinzu, dass ihre Leiden ohne Ende und Maß sein werden, bis sie ganz aufgerieben sind. Wenn Gott uns daher für einige Zeit verschont, so muss diese Strafankündigung uns schrecken, damit die zeitweilige Straflosigkeit uns nicht verhärte. Auch darf ein vom Herrn verfluchtes Glück uns nicht täuschen, sondern wir müssen immer an die verborgenen Plagen denken, die Gott allen Verworfenen androht. Nachdem David nun gesagt hat, das Gott gerüstet sei, um sich unzählige Male an den Verworfenen zu rächen, fügt er jetzt hinzu, dass Gottes Güte, mit der er allen den Seinen hilft, ebenso unermesslich sei. Daher ist es, um es kurz zu sagen, das einzige Heilmittel für unsere Leiden, wenn wir uns unter Gottes Hand demütigen und das Heil nur von seinem Erbarmen erwarten. Nur diejenigen, die auf Gott vertrauen, sind in jeder Beziehung glücklich. Denn von welcher Seite Satan sie auch angreifen mag, so wird der Herr ihnen mit seinem Schutze zu Hilfe kommen.

V. 11. Freut euch des Herrn. An den Hinweis auf das wahre Glück, welches für alle Frommen fertig und bereit liegt, schließt sich nun mit gutem Recht eine Mahnung zur Freude. Dass man sich des Herrn freuen soll, will besagen, dass man unbedenklich auf seine gnädige Gesinnung trauen darf, da er so gütig und freundlich die Aussöhnung anbietet. So wollen wir uns denn merken, dass es die unvergleichlichste Frucht des Glaubens ist, die auch Paulus (Gal. 5, 22) preist, wenn die Frommen mit ruhigem und heiterem Gewissen Frieden und Freude im Geist genießen. Denn überall, wo der Glaube kräftig ist, folgt ihm dies heilige Rühmen. Da aber die Welt durch ihre Gottlosigkeit sich dieser Freude beraubt, so wendet David sich an die Gerechten. Dieselben redet er auch als die frommen Herzen an, um uns einzuprägen, dass der Schein der äußeren Gerechtigkeit, der den Menschen in die Augen fällt, vor Gott nichts ist. Aber wie können Leute, deren ganzes Glück auf dem gnädigen Erbarmen Gottes und darauf beruht, dass ihnen ihre Sünden nicht zugerechnet werden, „Gerechte“ heißen? Ich antworte, dass nur diejenigen zu Gnaden angenommen werden, die an ihren Fehlern Missfallen haben und von Herzen Buße tun. Nicht als ob sie durch die Buße sich Vergebung erwerben könnten: aber der Glaube kann nie von dem Geiste der Wiedergeburt getrennt werden. Ja, wenn sie angefangen haben, sich dem Herrn zu ergeben, so nimmt er ihre aufrichtige Herzensgesinnung also an, als wenn sie ganz fehlerlos und vollkommen wäre. Denn der Glaube versöhnt die Menschen nicht nur mit Gott, sondern heiligt auch alles, was bisher unvollkommen in ihnen war, so dass der Gläubige durch die Nachsicht Gottes gerecht ist, obwohl er sich ein so großes Gut durch kein Verdienst erworben hat.

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