Zuletzt angesehen: Calvin, Jean - Psalm 130.

Calvin, Jean - Psalm 130.

Calvin, Jean - Psalm 130.

Inhaltsangabe:

Aus tiefem Leiden heraus, sei es nun eigenes Leiden oder Leiden der Gemeinde, sehnt sich der Prophet nach Erlösung und bittet darum. Er weiß wohl, dass er Züchtigung von der Hand Gottes verdient hat. Dennoch redet er sich selbst und allen Frommen zu, das Beste zu hoffen, weil Gott allezeit der Erlöser der Seinen ist, der schon wisse, wie er sie vom Tode erretten soll.

Ein Stufenlied.

1 Aus der Tiefe rufe ich, Herr, zu dir. 2 Herr, höre meine Stimme, lass deine Ohren merken auf die Stimme meines Flehens! 3 So du willst, Herr, Sünden zurechnen, Herr, wer wird bestehen? 4 Denn bei dir ist die Vergebung, dass man dich fürchte.

V. 1. Aus der Tiefe rufe ich. Von Fluten der Leiden umrauscht lässt der Prophet wie aus einem tiefen Abgrund seine Stimme emporsteigen. Das wollen wir beachten. In der Regel haben Nöte, von denen man kein Ende sieht, Verzweiflung zur Folge, und es gehört zu dem Schwersten, das es gibt, in tiefer Traurigkeit und Niedergeschlagenheit sich zum Gebet aufzuraffen. Wunderbar, bei angenehmen, ruhigen Verhältnissen kommt unser Gebet ins Stocken, weil Sicherheit sich unser bemächtigt, hingegen Leiden, die uns aufrütteln sollten, betäuben uns und lähmen uns so noch mehr. Der Prophet entnimmt nun aber gerade den Widerwärtigkeiten, dem Kummer, den Gefahren, dem Schmerz, worin er versenkt ist, die Zuversicht zum Gebet. Dabei verrät er seine Angst und seine heftige Bewegung durch das Wort „rufen“ oder „schreien“ und durch die Wiederholung, die der zweite Vers enthält. – Bei den Römischen wird der Psalm schnöde gemissbraucht und entweiht. Sie murmeln ihn her zu Gunsten der Verstorbenen, als ob die Lebenden ihn nicht brauchen könnten. So hat der Teufel es fertig gebracht, die überaus wertvollen Lehren unseres Psalms zu entkräften, und der Welt ist ein unvergleichlicher Schatz verloren gegangen.

V. 3. So du willst, Herr, Sünde zurechnen usw. Der Psalmist gesteht, dass sein Leiden gerecht ist, wie schlimm es ihm auch ergehen mag. Es ist aber eine allgemeine Wahrheit, die er ausspricht. Möge sich daher niemand unterstehen, anders vor Gottes Angesicht zu treten, als mit der demütigen Bitte um Vergebung. Zumal wenn der Herr ernst mit uns umgeht, sollen wir es wissen, dass er von uns dasselbe Bekenntnis erwartet, welches wir hier hören. Denn wer sich schmeichelt und aus seinen Sünden nichts macht, der verdient es, dass er sich abhärmt in seinem Unglück; wenigstens ist er es nicht wert, dass Gott ihm nur die geringste Erleichterung angedeihen lasse. Sobald daher Gott merken lässt, dass er zürnt, soll auch ein Mensch, der bei andern für den Heiligsten gilt, sich zu solcher Sprache bequemen: wenn Gott nach dem Recht mit uns handeln wollte und uns vor seinen Richterstuhl lüde, so könnte kein Mensch bestehen. Zugegeben auch, dass hier ein einzelner Mensch betet, so redet er eben doch zugleich von der ganzen Menschheit und behauptet, dass alle Adamskinder vom ersten bis zum letzten, wenn es sich um die Rechenschaft vor Gott handelt, verloren und verdammt sind. Unter dieses Schuldurteil müssen sich also auch die Heiligsten stellen und zu der Barmherzigkeit ihre Zuflucht nehmen.

Aber auch nicht um seine Schuld abzuschwächen, fasst sich der Prophet mit andern zusammen. Das tun die Heuchler, wenn sie nicht so verwegen sind, sich allein von dem Gesamturteil auszunehmen. Sie kommen mit der ausweichenden Frage: Bin ich denn der größte oder der einzige Sünder? Und so glauben sie, die Absolution schon halb zu besitzen, wenn sie sich unter dem großen Haufen verstecken können. Dem Psalmisten ist es keineswegs um eine derartige Ausrede zu tun. Vielmehr bekennt er, nachdem er sich gründlich durchforscht hat, er habe umso ärgere Strafe verdient, weil aus der ganzen Menschheit nicht ein einziger dem ewigen Verderben entrinnen könne. – Er will etwa sagen: Jeder, der vor das Auge Gottes hintritt, und wenn er auch eine ausnehmende Heiligkeit besäße, muss zu Boden sinken; was soll nun auch mir werden, der ich keiner von den besten bin? Das ist die einzig richtige Anwendung der vorliegenden Wahrheit, dass jeder sein Leben ernstlich prüfe an der vom Gesetz erforderten Vollkommenheit. So wird er genötigt sein, niemand auszunehmen bei dem Geständnis, dass alle Menschen des ewigen Verderbens wert sind; ja, der einzelne wird zugeben, dass er selbst tausendmal verloren sein könnte. Was wir aus unserer Stelle lernen, ist dieses: Niemand kann durch eigene Gerechtigkeit vor Gott bestehen; wer vor ihm als gerecht gilt, ist es durch Vergebung seiner Sünden, - alle andere Gerechtigkeit ist wurmstichig. Auch die Römischen geben zu, dass die Gnade den Mangel unserer Werke erstatten müsse; aber weil sie eine teilweise Gerechtigkeit des Menschen festhalten, bleiben sie von der Meinung des Propheten sehr weit entfernt, wie wir im Folgenden noch sehen werden.

V. 4. Denn bei dir ist die Vergebung. Dieser Vers führt uns weiter. Das mögen ja wohl alle mit dem Munde bekennen, dass es keinen Menschen in der Welt gibt, den Gott nicht, wenn er wollte, mit Fug und Recht zum ewigen Tode verurteilen könnte. Aber wie wenige glauben das wahrhaftig, was der Psalmist weiter sagt, dass die Gnade, deren sie bedürfen, für sie bereit ist! Entweder ist man so stumpf, dass man in seinen Sünden ruhig schläft, oder man fährt unter allerhand Zweifeln hin und her und erliegt schließlich der Verzweiflung. Es ist, wie gesagt, ein unbestrittener Lehrsatz, dass kein Mensch ohne Schuld ist, und doch verschließen die meisten ihre Augen gegen ihre eigenen Fehler und bleiben sorglos in dem Versteck ihrer Unwissenheit sitzen, wenn sie nicht gewaltsam aufgeschreckt werden. Brennt ihnen aber einmal Gottes Gericht auf den Fersen, so ist es mit ihrer Ruhe aus, und sie ängsten sich wohl bis zur Verzweiflung; also weil man an die Gnade nicht glaubt, darum kümmert man sich nicht um Vergebung. Wenn einer unter der ernsthaften Empfindung des göttlichen Gerichts aufwacht, so wird er vor Scham und Furcht sich demütigen müssen; aber mit solchem Missfallen an sich selbst ist es nicht genug, wenn jetzt nicht der Glaube dazukommt, der das gebeugte und erschrockene Herz aufrichtet, dass es Vergebung sucht. Wie macht es deshalb David? Er will wirklich als ein Bußfertiger erscheinen: darum stellt er sich zuerst vor Gottes Richterstuhl hin. Aber er will auch nicht vor Schrecken gar verzagen: darum pflanzt er gleich die Hoffnung der Vergebung daneben auf. Wirklich sehen wir, dass solche, die nicht über die Stufe hinauskommen, wo man sich als todeswürdiger Sünder erkennt, sich leidenschaftlich gegen Gott aufbäumen. Also um sich und andern Mut zu machen, spricht der Prophet es aus, dass von Gott seine Huld gar nicht getrennt werden könne, wie wenn er sagte: Sowie ich an dich denke, tritt auch deine Güte vor mich hin, dass ich nicht zweifle, du werdest mir gnädig sein, sintemal du dein Wesen nicht ändern kannst; und so glaube ich festiglich, dass du deswegen barmherzig bist, weil du Gott bist. Aber – wohl gemerkt! – es handelt sich hier nicht um eine verschwommene Vorstellung von der Gnade Gottes, sondern um eine solche, die den Sünder zu dem gewissen Schluss berechtigt: sobald er Gott sucht, werde die Versöhnung für ihn bereit sein. Mich wundert es deshalb nicht, dass bei den Römischen eine zuversichtliche Anrufung Gottes gar nicht aufkommt. Sie stellen eigenes Verdienst neben die Gnade, wollen sich der Gnade erst würdig machen; darum bleibt ihnen ihre Versöhnung mit Gott immer etwas Ungewisses und Fragliches. Durch Beten wird dann nur die innere Qual vermehrt, wie wenn Holz zum Feuer kommt. Soll das Beten helfen, so muss es von der Sünden vergebenden Gnade seinen Ausgang nehmen.

Auch auf den Endzweck haben wir zu achten, warum Gott zum Vergeben geneigt ist und jedes Mal, so oft er erscheint, ein Wort der Beruhigung für seine Knechte hat. Der Grund ist, weil ohne die Hoffnung auf Vergebung überhaupt keine Frömmigkeit und kein Gottesdienst in der Welt mehr sein würde. Auch diese Grundwahrheit ist den Römischen unbekannt. Wohl predigen sie in ausgiebiger Weise von Furcht Gottes, aber es ist ein Bauen ohne Grund, weil sie die armen Seelen in Unklarheit und Zweifel festhalten. Sicher ist das die erste Stufe zu einem richtigen Gottesdienst, dass wir uns willig und aus freiem Triebe ihm unterwerfen. Einen fröhlichen Geber hat Gott lieb, das gilt nicht bloß von den Almosen (2. Kor. 9, 7), sondern von unserem ganzen Leben in allen seinen Beziehungen. Wie sollte sich nun aber jemand freudig an Gott hingeben, ohne zuversichtliches Vertrauen auf seine Gnade und ohne die Gewissheit, dass, was er Gott gibt, ihm angenehm ist? Eher wird man mit Entsetzen vor Gott fliehen und ihm entweder ganz den Rücken kehren oder sich nach einem Versteck umsehen. Kurz, die Empfindung des Gerichtes Gottes ohne Hoffnung auf Vergebung bewirkt Furcht, und Furcht erzeugt notwendig Hass. Freilich der Sünder verachtet Gott nicht, wenn er vor seinem Drohen sich ängstet, aber er flieht, und eben dieses Fliehen ist nichts anders als Abfall und Auflehnung. So ergibt sich, dass an rechte Gottesverehrung da nicht zu denken ist, wo man die Gnade nicht kennt. Und ich deutete noch einen zweiten Grund an: wenn wir nicht sicher sind, dass das, was wir Gott darbringen, ihm angenehm ist, so werden wir träge und unlustig. Allerdings legen die Ungläubigen oft viel religiösen Eifer an den Tag: wie mühen sich die Römischen ab mit ihren Gebräuchen und Zeremonien! Aber weil der Glaube an einen gnädigen Gott fehlt, so fehlt bei allen Leistungen die herzliche Willigkeit. Sie stehen unter dem Bann einer knechtischen Furcht; sonst würde die schreckliche Widerspenstigkeit, die unter der Furcht verborgen liegt, bald hervorbrechen.

5 Ich harre des Herrn; meine Seele harret, und ich hoffe auf sein Wort. 6 Meine Seele wartet auf den Herrn mehr als die Wächter am Morgen, die Wächter am Morgen.

V. 5. Ich harre des Herrn.Der Prophet hat im Allgemeinen bezeugt, dass Gott das Flehen armer Sünder hört, die zu ihm ihre Zuflucht nehmen. Er zieht daraus den Schluss, dass er für sich selbst gute Hoffnung haben dürfe. Das Zeitwort steht in der Vergangenheit: „ich habe geharrt“, aber doch im Sinne der Gegenwart. Die Wiederholung hat etwas Nachdrucksvolles; es liegt auch eine Steigerung in dem Wort „Seele“, etwa in dem Sinne: Ich hoffen auf Gott, und zwar von ganzem Herzen. Hieraus entnehmen wir auch, dass der Psalmist nicht allein tapfer vor Menschenaugen gewesen ist, sondern auch ruhig und gefasst in seinem geheimen Empfinden vor Gott. Und das ist der beste Beweis des Glaubens. Denn aus Ehrgeiz, d. h. um der Leute willen, hütet sich noch mancher, dass er nicht offen gegen Gott murrt oder sein Misstrauen gegen ihn laut werden lässt, aber unter zehn ist kaum einer, der auch ohne Zeugen stillen Herzens auf Gott harrt. Er sagt uns dann weiter, was seine Geduld aufrecht hält. Es ist das Vertrauen auf Gottes Verheißungen. Nimmt man diese weg, so wird ja der Glaube hinfällig, wir verlieren allen Halt und versinken in Hoffnungslosigkeit. Das lernen wir übrigens von ihm, dass wir, wenn unsere Hoffnung die Probe bestehen soll, uns an dem Worte Gottes genügen lassen müssen. Wo aber jemand ans Wort sich hält und auf Grund des Wortes sein Heil von Gott erwartet, bei dem wird dieses Vertrauen die Mutter harrender Geduld sein. Der Prophet spricht zu sich selbst, um sich den Glauben zu stärken, aber es ist klar, dass er allen Kindern Gottes zu gleicher Glaubenszuversicht verhelfen und sie in erster Linie veranlassen will, sich mit beiden Füßen aufs Wort zu stellen, und dann erinnert er sie, dass der Glaube kraftlos ist, wenn er uns keine Geduld beibringt.

V. 6. Meine Seele wartet auf den Herrn. Hier lässt der Dichter merken, wie heiß und wie nachhaltig der innere Drang sich geltend macht. Dass er harrt mehr als die Wächter am Morgen, ist ein anschaulicher Ausdruck dafür, wie lebhaft er sich nach Gott hinstreckt. Die Wiederholung aber ist ein Zeugnis seiner Ausdauer: sie malt die ständige, fortgesetzte Spannung. Beides ist bemerkenswert. Denn es liegt nur zu sehr am Tage, einmal wie träge und langsam unser Geist ist, wenn er zu Gott eilen soll, und dann, wie leicht wir beim geringsten Hauch wieder umfallen. Weil die Wachen für die Nacht in vier Teile geteilt wurden, könnte die Stelle so erklärt werden: wie die Wächter, die sich im Wachen ablösen, aufs Morgenrot warten, so hat der Prophet mit höchster, innerer Spannung nach Gott ausgeschaut. Vielleicht ist aber der Sinn noch einfacher: wie die Torwächter des Morgens früher als alle anderen Leute wachen und zuerst aufstehen, um auf ihrem Posten zu erscheinen, so hat es der Prophet eilig gehabt, Gott zu suchen. In der Wiederholung liegt, wie gesagt, dass er unbeweglich dagestanden und beharrlich ausschaute. Man hat sich eben immer zu hüten, dass man nicht, wenn Gott verzieht, müde werde und im Eifer nachlasse.

7 Israel hoffe auf den Herrn; denn bei dem Herrn ist die Gnade, und viel Erlösung bei ihm; 8 und Er wird Israel erlösen aus allen seinen Sünden.

V. 7. Israel hoffe auf den Herrn. Aus seiner eigenen Erfahrung zieht der Prophet jetzt die Lehre für die ganze Gemeinde. Worauf soll die Hoffnung aller Gläubigen sich gründen? Er sagt: auf die Barmherzigkeit Gottes, aus der die Erlösung kommt. Zunächst sollen sie bedenken, wenn sie auch keine Würdigkeit noch Verdienst aufzuweisen haben, so sei es doch für sie genug, dass der Herr ein Gott der Gnade ist. Und diese Beziehung zwischen dem Glauben der Gemeinde und der freien Gnade Gottes ist wohl zu beachten. Wir sollen wissen, dass, wer auf eigenes Verdienst vertraut und dafür von Gott Vergeltung erwartet, keine schriftgemäße Hoffnung hat. Aus dem Quell der Gnade fließt dann die Erlösung . Denn was Gott bewegt, seines Volks Erlöser zu sein, ist lediglich seine Barmherzigkeit. Viel Erlösung, heißt es, damit die Gläubigen hoffen, auch wo nichts mehr zu hoffen ist. Wir glauben gar nicht, wie viel Mittel und Wege Gott hat, uns zu helfen. Vielleicht ist der Psalm entstanden in einer Zeit, wo die Gemeinde sehr daniederlag, wo alle den Mut hätten verlieren können, wenn ihnen nicht die unermessliche Größe der Kraft Gottes zur Rettung der Seinen vorgestanden hätte. Und das ist wirklich der rechte Gebrauch, den sie von der vorliegenden Wahrheit machen sollen, dass sie, wenn sie in Abgrundstiefen sich versenkt sehen, doch nicht zweifeln, der Ausgang stehe in des Gottes Hand, der verborgene Weisen zu finden weiß, so oft es nötig ist. Darum soll es ihnen feststehen, dass er, so oft ein harter Schlag die Gemeinde trifft, ihr Erretter sein wird. Hierauf geht auch der Schluss des Psalms.

V. 8. Und Er wird Israel erlösen. Der Prophet wendet die letzten Worte des siebenten Verses unmittelbar auf die Gemeinde an. Er zieht nämlich den unanfechtbaren Schluss daraus, dass Gott, der über mancherlei Wege zur Rettung verfügt, dem Volk, das er erwählt hat, ein Befreier sein werde. Und wir entnehmen daraus, dass uns, wenn es nur mit unserer Annahme bei Gott seine Richtigkeit hat, auch die Seligkeit gewiss ist. Ich darf es wohl einmal etwas gröber so ausdrücken: weil es Gottes Amt allezeit ist, zu erlösen, weil er aber nicht für alle ohne Unterschied, sondern nur für das auserwählte Volk ein Erlöser ist, so hat es keine Not, dass die Gläubigen nicht aus allen Trübsalen wieder emporkommen sollten; sonst würde ja Gott seine Pflicht versäumen, die er sich selbst vorbehalten hat. Und noch einmal wird es Israel eingeprägt: wenn es nur mit demütigem Flehen um Vergebung seiner Schuld ihm naht, so sollen seine Sünden Gott nicht hindern, ihm ein Erlöser zu sein. Das mit „Sünde“ übersetzte Wort steht zwar im Hebräischen oft für Strafe, aber so, dass der Begriff der Schuld damit verbunden ist. Nun verheißt Gott niemals eine Milderung der Strafen, ohne zugleich davon zu sprechen, dass er den Sündern gnädig sein werde; oder vielmehr, er eröffnet durch Anbietung der Versöhnung Aussicht auf Vergebung. Dem entspricht es, wenn hier gesagt wird, er werde seine Gemeinde erlösen, nicht von der babylonischen Gefangenschaft oder von der Feinde Gewalt und Unrecht oder vom Mangel oder anderen Übelständen, sondern von ihren Sünden. Denn solange Gott den Menschen, die er heimsucht, die Sünden nicht vergibt, ist keine Erlösung zu erwarten.

Hier können wir lernen, wie oder in welcher Ordnung wir die Befreiung von allen Übeln suchen sollen. Die Vergebung der Sünden muss immer das erste sein, denn ohne sie kann es uns nie gut gehen. Wer bloß die Strafe abschütteln möchte, ist den wahnwitzigen Kranken gleich, die sich um die Krankheit selbst nicht kümmern und nur die Ausbrüche zu heilen bemüht sind. Um also Befreiung von den Leiden zu erlangen, muss es vor allem unser Anliegen sein, durch Sündentilgung wieder in das rechte Verhältnis zu Gott zu kommen. Sonst wird eine Milderung der zeitlichen Strafe uns wenig helfen, denn die wird auch den Gottlosen manchmal zuteil. Aber das ist eine rechte Befreiung, wenn Gott sich uns gnädig erzeigt durch Tilgung unserer Sünden. Darum brauchen wir auch, sobald wir Vergebung erlangt haben, nicht zu fürchten, dass Gottes Güte und Huld uns versagt sein könnte: denn von Sünden erlösen heißt soviel, wie den Strafen oder Züchtigungen ein Ziel setzen.

Widerlegt wird hierdurch das Menschenfündlein von den Genugtuungen und vom Fegefeuer, als ob Gott bloß die Schuld verzeihen, aber die Strafe aufbehalten wollte. Man mag einwenden: auch Begnadigte werden mitunter von Gott gestraft; und ich gebe zu, dass Gott den Sünder nicht immer in demselben Augenblick die Zeichen seiner Huld sehen lässt, wo er ihn zu Gnaden aufnimmt. Das hat dann aber nichts zu tun mit den Genugtuungen, durch welche die Römischen den halben Preis der Erlösung selbst zu bezahlen sich einbilden. Jedenfalls gibt es zahllose Stellen, wo Gott seinem Volke äußerliche Segnungen verheißt und dabei immer den Anfang macht mit Vergebung der Schuld. Also, das ist grober Unverstand, dass die Strafe nicht erlassen werde, bis Gott durch Werke versöhnt sei. Ferner, wenn es auch Gottes Absicht sein mag, die Gläubigen durch Strafen sich gefügig zu machen, so ist es doch ganz verkehrt, das über den Tod hinaus auszudehnen. Aber es ist kein Wunder, dass solche gottlose Träumereien sich haufenweise da finden, wo man an dem einzigen Weg der Begnadigung nicht festhält, nämlich, dass Gott allein denen gnädig ist, die in dem Opfer Christi ihre Genugtuung suchen. – Zu beachten ist, dass es heißt: „von allen ihren Sünden“, - damit der arme Sünder, wie viel und schwere Schuld ihn drücken mag, doch nicht aufhöre, auf einen gnädigen Gott zu hoffen.

Cookies helfen bei der Bereitstellung von Inhalten. Diese Website verwendet Cookies. Mit der Nutzung der Website erklären Sie sich damit einverstanden, dass Cookies auf Ihrem Computer gespeichert werden. Außerdem bestätigen Sie, dass Sie unsere Datenschutzerklärung gelesen und verstanden haben. Wenn Sie nicht einverstanden sind, verlassen Sie die Website.Weitere Information
autoren/c/calvin/calvin-psalmen/psalm_130.txt · Zuletzt geändert: von aj
Public Domain Falls nicht anders bezeichnet, ist der Inhalt dieses Wikis unter der folgenden Lizenz veröffentlicht: Public Domain